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Offenbar erweitert die Kripo ihren Suchradius, weil sie keinen der angeblichen »Zeugen« – also ihrer Verdächtigen – überführen kann. Die Presse stellt als Sprachrohr der neugierigen Bevölkerung in den Zeitungsartikeln unbequeme Fragen. Du könntest online einiges zum Thema finden. Such mal nach Artikeln von »HDK« in unseren regionalen Onlinezeitungen.
Silvia hielt inne.
Unsinn, was tat sie da? Das würde sie Viola demnächst mündlich berichten können. Geduld.
Sie löschte die Mail und schloss den Laptop. Noch zwölf Stunden bis zur Beerdigung, zur beliebtesten Zeit, um drei Uhr nachmittags, wie Anne gesagt hatte. Sie wollte hingehen, Anne würde am Kondolenztisch stehen. Silvia kannte die schwäbischen Gepflogenheiten nicht, erst recht nicht die der Einwohner von Wildberg, die definitiv mehr an Traditionen festhielten als die Menschen in der Großstadt. Sie wollte sich von Lynn verabschieden und sich die Besucher ansehen.
An Schlafen war nicht mehr zu denken. Erst mal zur Toilette. Vorsichtig öffnete sie die Tür, um die Freunde nicht zu wecken. Sie stutzte sofort. Was war das, hatte jemand vergessen, im Erdgeschoss ein Licht zu löschen, oder war noch wer auf? Sie sah einen schwachen Schein, zu hören war nichts. Sie schlich die Treppe hinunter, versuchte, leise zu sein und die knarrende Stufe zu vermeiden. Die Uhr im Flur tickte viel lauter als tagsüber. Die Tür zum Wohnzimmer war angelehnt, drinnen brannte gedämmtes Licht. Langsam drückte sie sie auf.
Anne saß auf dem Sofa, ein Sofakissen an sich gepresst. Graublaue Rauchkringel aus der im Aschenbecher liegenden Zigarette kräuselten sich in der Luft, die unangenehm stickig war.
»Ach, du bist’s, Anne … Kannst du nicht schlafen?«
»Mhm. Ich wollte Michael nicht stören und hab mich hierhergesetzt. Ich bin wach geworden, weil ich was gehört hab, da musste ich kontrollieren, ob die Fenster und Türen verschlossen sind und keiner reinkommen kann.« Annes Augen glänzten wie Glasmurmeln.
»Und jetzt sind wir beide hier. Ich hole uns was zu trinken, was hältst du davon?«
»Warte …« Anne horchte mit geneigtem Kopf. »Nein, doch nicht. Da sind seltsame Geräusche nebenan, das muss Dirk sein. Ist unregelmäßig. Jetzt gerade wieder nicht.«
Silvia schauderte es, weil die Freundin sich auf etwas konzentrierte, was wahrscheinlich gar nicht existierte.
»Um diese Uhrzeit? Was hörst du denn?«
»Er hat irgendwas aufgesagt, aber ich hab kein Wort verstanden, in so einem Singsang, und merkwürdige Musik war zu hören, als würde er ein Instrument spielen. Dieses Gemurmel ist total eigenartig.«
»War es wirklich seine Stimme? Es ist mitten in der Nacht … Hast du gesehen, ob er Licht anhat?«
»Dazu müsste ich in den Garten gehen, ich trau mich nicht.«
»Du wartest hier, ich mach das.«
»Nein, bleib bei mir!« Anne sprang auf und klammerte sich an Silvias Arm.
»Ich gehe, wir haben sonst beide Angst und können nicht mehr schlafen.« Silvia befreite sich, schlüpfte mit nackten Füßen in ihre Schuhe, griff sich einen Stockschirm und die erstbeste Jacke von der Garderobe – eine von Michael, sie war ihr zu groß. Sie krempelte die Ärmel hoch. »Keine Sorge. Sei ganz ruhig. Ich nehm den Schlüssel mit, bin gleich zurück.« Sie zog die Haustür hinter sich zu, bevor Anne protestieren konnte. Zur Rechten kam man durch ein unverschlossenes Gartentor hinter das Haus, an den Mülltonnen entlang ging es auf die Terrasse. Anne und Michael besaßen ein Reihenendhaus, ihr Wohnzimmer war nur durch eine Wand von dem von Dirk und Thea getrennt.
Es war warm und dunkel. Sie tastete sich voran, diesmal froh, dass das automatische Licht auf der Terrasse defekt war. Von weiter unten im Garten konnte man auf die rückwärtigen Fassaden der beiden Häuser schauen. Sie war dankbar für den Schirm, auf den sie sich in der Finsternis stützen konnte. Hoffentlich würde sie ihn nicht zur Verteidigung gegen wen auch immer brauchen. Der Garten fiel leicht ab, sie konnte keinen der Trittsteine vor ihren Füßen erkennen. Mit der freien Hand fuhr sie zur Orientierung am Zaun entlang. Der Jackenärmel und die Hose ihres dünnen Schlafanzugs wurden feucht vom nächtlichen Tau auf den Pflanzen, die in der Rabatte am Zaun wuchsen. Dicht vor ihr am Komposthaufen schnaufte und trippelte es. Sie blieb kurz stehen, konnte aber nicht sehen, wer oder was sich dort herumtrieb. War etwas großspurig gewesen zu fordern, Anne solle keine Angst haben … Weit genug unten angekommen, warf sie einen Blick auf das Wohnzimmerfenster und die Terrassentür von Dirk. Sein Haus lag komplett im Dunkeln, er hatte die Rollläden im Erdgeschoss heruntergelassen, aber nicht bis ganz unten, sodass Ritzen zwischen den Lamellen blieben. Licht im Wohnzimmer wäre zu erkennen gewesen. Anne hatte wohl unter dem Einfluss ihrer Medikamente halluziniert, wie befürchtet, oder die Paranoia gaukelte ihr Höreindrücke vor. Dirk lag in seinem Bett und schlief tief und fest. Silvia arbeitete sich durch den Garten zum Haus zurück und ließ sich ein. Schnell waren Jacke und Schuhe ausgezogen, der Schirm landete im Schirmständer. Mit hochgekrempelten nassen Hosenbeinen betrat sie das Wohnzimmer.
»Und?«
»Draußen ist es ruhig und stockfinster.«
»Du glaubst mir nicht.«
»Kann sein, dass er gerade erst das Licht ausgemacht hat. Hast du inzwischen was gehört?«
»Nein … aber vorhin bestimmt!«
Bloß keine Diskussion. »Ich brauche ein Glas Wasser, du auch? Ich hole uns was und komme sofort zu dir zurück, dann reden wir weiter.«
Als sie aus der Küche zurückkehrte, saß Anne kerzengerade und versteinert da.
»Da war es wieder … Er beobachtet uns irgendwie und macht es nur, wenn ich alleine hier sitze.«
Silvia bekam eine Gänsehaut unter ihrem Schlafanzug. Das klang eindeutig nach Verfolgungswahn.
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