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Einige Meter weiter, auf einem Hügel, zog er die Zügel an und kam wieder neben Cliff zum Stehen.
Nun hörte Max es ebenfalls – und nun sahen sie es auch. Ein Schaf von der Nachbarweide hatte sich in einem Grenzzaun verfangen.
Cliff schwang sich von seinem Pferd und legte die Zügel behelfsmäßig über den Zaun, anschließend ging er vor dem Schaf in die Hocke und sorgte dafür, dass das Tier stillhielt.
»Was denkst du eigentlich, in wie weit du mir von da oben aus helfen kannst?«, fragte Cliff plötzlich und sah sich über die Schulter.
»Hm?« Max verstand nicht...
»Schwing deinen knochigen Arsch aus dem Sattel« – knochig!? – »und komm her«, brummte Cliff entnervt.
Genau das hatte Max ja vermeiden wollen. Denn wenn er runterstieg, wusste er nicht, ob er je wieder hinaufgelangen konnte. Dennoch ließ er sich nicht zweimal bitten und rutschte aus dem Sattel.
Als er sich zu Cliff gesellte und ebenfalls in die Hocke ging, zog dieser ein sehr großes Messer hervor und sagte: »Ich muss es freischneiden. Halt seinen Kopf fest und sorg dafür, dass es ruhig hält.«
»Okay.«
Aber das war leichter gesagt als tatsächlich getan. Denn sobald Cliff anfing, den Zaun aufzuschneiden und das Schaf spürte, dass es immer weniger Widerstand hatte, wollte es um jeden Preis davonlaufen. Doch Max glaubte, dass er das trotzdem ganz gut hinbekommen hatte.
Nachdem das Schaf frei war und blökend auf seiner Weide herumlief, begutachtete Cliff das Loch im Zaun und fluchte verhalten.
»Soll ich zurückreiten und Material holen?«, fragte Max. Er war ja nicht zum ersten Mal auf der Ranch und wusste ganz genau, wie man einen Zaun reparierte. Als er klein gewesen war, hatte er seinem Vater immer dabei zugesehen und hatte helfen dürfen.
»Nein«, entschied Cliff. »Ich habe etwas Draht und eine Zange in der Satteltasche. Das wird genügen, um den Zaun zu flicken. Wenn ich morgen Zeit habe, komme ich wieder her und repariere ihn.«
»Ich weiß, wie das geht, ich kann dir morgen dabei helfen.«
Sein Angebot wurde ignoriert. Statt Max‘ nett gemeinte Hilfe anzunehmen, erhob Cliff sich und holte besagten Draht und besagte Zange aus den Satteltaschen.
Als er sich wieder hinkniete und begann, den Zaun zu flicken, brummte er: »Du kannst mir helfen, indem du mir nicht im Weg stehst, Junge.«
Junge. Das Wort hallte in Max‘ Kopf überdeutlich nach. War er denn nicht mehr als ein Junge in den Augen des anderen? Im Übrigen sagt man ja, im englischen würde sich alles besser anhören, zumindest was die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche betraft. Als Cliff ihn aber »Boy« nannte, klang es in Max` Ohren schlimmer als das deutsche Wort »Junge«.
Er unterdrückte ein Seufzen und erhob sich, damit er dem anderen nicht in der Sonne stand.
Nach einer Weile hörte er Cliff scherzen: »Du kannst dich ja schon mal in den Sattel schwingen. Mit viel Glück schaffst du es ja, bis ich fertig bin, und ich muss nicht wieder eine halbe Stunde lang auf dich warten.«
Max kochte innerlich vor Wut und hätte diesem selbstgerecht schmunzelnden, arroganten Penner gern etwas Passendes erwidert. Aber ihm fiel leider nichts ein, außer: »Wenn es dich so sehr stört, hättest du mir ja auch einfach helfen können.«
Cliff grinste nur noch mehr und gab zurück: »Sicherlich. Aber so ist es viel lustiger.«
Schnaubend wandte Max sich ab und ging hinüber zu Charlie. Er schimpfte leise über den anderen, während er die samtweichen Nüstern des Pferdes streichelte. Die großen, braunen Augen wirkten so ruhig und geerdet, dass sie ihn besänftigten.
Er würde Cliff ganz sicher nicht die Freude machen und dessen Vorschlag in die Tat umsetzen, indem er schon mal damit anfing, zu versuchen, in den Sattel zu kommen. Nein, Max war stur und wartete, bis Cliff das Loch im Zaun geflickt hatte.
Und als es dann soweit war, um weiter zu ziehen, wollte er um jeden Preis, dass er sich diesmal nicht so blöd anstellte. Das Problem lag aber leider nicht an ihm. Jedenfalls nicht nur. Denn der Abstand von Steigbügel zum Boden war für Max einfach zu groß...
»Hier«, ertönte plötzlich Cliffs Stimme neben ihm. Der Cowboy ging in die Knie und bot Max überraschender Weise eine Aufstiegshilfe an.
Max war niemand, der lange an falschem Stolz festhielt. Wenn ihm jemand Hilfe anbot, egal, wie unerwartet sie auch sein mochte, dann nahm er sie auch an.
Er trat auf Cliffs ineinander verflochtene Finger und fasste nach dem Sattelknauf und den Zügeln. Er nahm Schwung, und Cliff hievte ihn hoch. Max stutzte kurz, denn er hatte deutlich die Hand gespürt, die ihm beim Aufsteigen geholfen hatte.
»Hm.« Cliff wandte sich schmunzelnd ab. »Ist wohl doch nicht so knochig wie er aussieht.«
Max verkniff sich nicht den verwirrt offenstehenden Mund.
Hat der mir gerade an den Arsch gefasst?
Natürlich! sagte ihm sein Verstand. Cliff hatte ihm ja beim Aufsitzen helfen wollen.
Aber hatte er ihm dafür wirklich an den Hintern fassen müssen?
Nachdem Max sich von Cliff in den Sattel helfen gelassen hatte, bedankte er sich mit einem einfachen »Danke« und ließ die andere Sache auf sich beruhen.
Als Erwiderung bekam er nur ein Grummeln zu hören, bevor sich Cliff wieder auf sein eigenes Pferd schwang.
Dann ging der schweigsame Ritt weiter, über weite Felder und Hügel. Ein Land ohne Straßen, so schien es. Die Stille war gar nicht so übel, denn so konnte Max sich voll und ganz auf die unglaubliche Aussicht konzentrieren. Gäbe es die Grenzzäune nicht, hätte Max gedacht, sie befänden sich mitten in der Wildnis.
Es war wundervoll, trotz der trockenen Hitze, die ihm spröde Lippen bescherte, und des grimmigen Kerls, neben dem er her ritt.
Was eigentlich schade war, denn Cliff war wirklich nett anzusehen. Hätte er doch nur ein freundlicheres Wesen besessen, wäre Max tatsächlich im Paradies gelandet.
3
In seiner ersten Nacht konnte Max kaum Schlaf finden. Und das obwohl er unglaublich müde gewesen war. Aber seine Gedanken wollten einfach keine Ruhe geben. Nachdem er den Vorarbeiter kennen gelernt hatte, befürchtete er nämlich, dass ihm alle Arbeiter mit dieser grimmigen Miene entgegentreten würden.
Doch am Morgen wurden diese Sorgen zerstreut.
Als Tante Lisa ihn allen anderen vorstellte, waren alle freundlich zu ihm und sehr neugierig. Sie löcherten ihn mit Fragen über sein Aufwachsen und sein Leben in Deutschland, er wurde aufgefordert, ihnen ein paar deutsche Wörter beizubringen, er sollte Fotos seiner Heimat zeigen, und bekam im Gegenzug viele Geschichten über die Gegend erzählt. Die Menschen waren sehr freundlich, immer ein Lachen im Gesicht, sehr aufgeschlossen und herzlich. So zumindest sein erster Eindruck.
Es war ein geselliges Beisammensein, bis Cliff eintraf und alle in der Küche verstummten und die Blicke senkten. Es schien, als hätten alle Anwesenden großen Respekt vor Cliff, obwohl viele älter als er waren.
Der Vorarbeiter vergeudete wenig Zeit, er goss sich Kaffee in eine Thermoskanne und ratterte eine Liste Arbeitsaufträge herab. Max wurde der einzigen Frau im Team zugeteilt und sollte die Ställe ausmisten und Weiden nahe des Wohnhauses säubern.
Mit anderen Worten: Schön weit entfernt von Cliff.
Das spornte Max nur um so mehr an, sein Bestes zu geben, und obwohl ihm bereits nach einem halben Tag jeder Muskel schmerzte und er sich am liebsten gegen Mittag erschöpft ins Stroh geworfen hätte, hielt er durch. Immer, wenn Cliff vorbei sah, nahm er noch einmal alle Kraftreserven zusammen und tat so, als ginge ihm alles locker von der Hand.
Das klappte natürlich nicht so, wie es sollte, seine müden Augen und das verschwitzte T-Shirt – das regelrecht vor Schweiß triefte – straften seiner geraden Haltung und seinem breiten Lächeln Lügen.
Aber immerhin brachte er mit seiner zur Schau gestellten Fröhlichkeit Cliff zum Schmunzeln und rang ihm tatsächlich ein »Gute Arbeit« ab. Dann ging er jedoch wieder.
Nachdem Tante Lisa und Helene am späten Nachmittag den Arbeitern Sandwiches und kaltes Bier spendiert hatten, schlenderte Max über den Hof, da er sofort eingeschlafen wäre, hätte er nach dem Essen auch nur kurz auf einer Bank ausgeruht. Er sah Cliff auf einem sandigen Reitplatz hinter den Ställen und trat vorsichtig näher. In tiefer Konzentration trainierte er mit einem Jungpferd, das nur ein Lasso um den langen Hals trug. Es war ein schönes Tier, ein Falbe, kräftig gebaut mit zitternden Flanken und geblähten Nüstern, wenn Cliff sich ihm vorsichtig näherte.
Max stieg auf die Latten des Zaunes und legte das Kinn auf die Hand. Eine Weile sah er ihnen zu, Trainer und Pferd, die sich aneinander gewöhnten. Cliff gelang es mit viel Ruhe und Geduld dem Tier ein Halfter aus losen Stricken anzulegen und versuchte dann, es am Strick zu führen.
So sanft, so liebevoll wie Cliff mit den Tieren umging, weckte es etwas in Max. Eine tiefe Sehnsucht, die ihn zum Seufzen brachte.
»Ein schönes Tier«, sagte Max, als Cliff es geschafft hatte, das Pferd zum Gehen zu bewegen. Er führte es über den Sand im Kreis an Max vorbei. Er hatte – obwohl er seinen Zuschauer längst bemerkt haben musste – kein Wort zu diesem gesprochen. Doch jetzt lächelte Cliff mit einer Spur Stolz, als hätte er das Pferd selbst gemacht.
»Ein Quarter Horse«, erklärte er, »Golden Pie ist sein Vater.«
»Golden Pie?«, fragte Max.
Cliff nickte und schenkte ihm noch einen freundlichen Blick, der Max zum Lächeln brachte. »So heißt mein Pferd«, zwinkerte er.
Max stockte sofort das Herz. Dieses Zwinkern, so aufreizend, so vielsagend. Was sollte es bedeuten?
Bevor er weiter nachhaken konnte, rief jemand seinen Namen. Max blickte über die Schulter, Amy winkte ihn drängelnd zu sich. Noch einmal sah er zu Cliff, doch dessen Meine war wieder verschlossen, er konzentrierte sich auf sein Pferd.
Max riss sich los, obwohl er Cliff gerne noch länger zugesehen hätte.
*~*~*
Am Abend saß Max mit einem kühlen Bier auf der überdachten Veranda und genoss die restliche Hitze der untergehenden Sonne, die ihm während des Tages die Arbeit zur Hölle gemacht hatte. Nun konnte er sie sogar genießen. Die australische Hitze.
Eine Dusche hätte ihm gutgetan, doch die würde er sich bis kurz vor dem Schlafengehen aufheben, damit er abgekühlt und sauber in die Federn sinken konnte.
»Es gibt nichts schöneres, als den Sonnenuntergang mit einem kühlen Bier nach getaner Arbeit zu genießen, oder?«, fragte ihn die brünette Amy, die neben ihm auf der anderen Liege lag und ihm zuprostete. Ihre braunen Löckchen klebten in ihrem sehr feinen, zierlichen Gesicht, ihr Hemd spannte über ihren runden, festen Brüsten.
Max seufzte: »Es ist wirklich atemberaubend.« Und obwohl ihm die Arbeit heute jegliches körperliche Können abverlangt hatte, fühlte er sich beflügelt.
Etwas matt, aber dennoch beflügelt.
Am Morgen, so fürchtete er, würde ihm trotzdem alles wehtun. Er hätte nie erwartet, wie viel es auf einer Farm zu tun gab. Von früh morgens, Vier Uhr früh, um genau zu sein, bis zum späten Nachmittag, hatten sie zu zweit gebraucht um die Pferdeställe, die sich auf zwei Gebäude ausweitete, auszumisten. Und das musste jeden Morgen getan werden. Danach waren die Weiden dran gewesen, und sie hatten die Rinder auf ihren Wiesen mit Heu füttern müssen, da durch den heißen Sommer kaum noch etwas wuchs.
»Regen täte gut«, stöhnte Amy und strich sich mit dem Unterarm über die Stirn, auf der feuchter Schweiß glänzte. »Nur ein kleiner Schauer, zum Abkühlen.«
Max schüttelte schmunzelnd den Kopf und nahm einen Schluck von seinem Bier. Er mochte Amy, sie war humorvoll, aufgeschlossen und hilfsbereit, wirklich eine sehr nette, junge Frau, etwa vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt, Max wusste von seiner Mutter, dass es unhöflich war, eine Lady nach ihrem Alter zu fragen, also schätzte er nur.
Max hatte die Zeit mit Amy nicht ungenutzt verstreichen lassen, da sie redselig war, hatte er mal langsam vorgefühlt und versucht, mehr über Cliff zu erfahren, aus dem er einfach nicht schlau wurde. Denn Max konnte sich nicht erklären, was er dem Vorarbeiter getan haben sollte.
»Er ist einfach so«, hatte Amy ihm erklärt. »Mach dir nichts daraus, er begegnet allen so. Für ihn zählt nur die Arbeit, er gönnt sich keine Minute Spaß. Ich sag dir, der ist wirklich streng, aber wenn du dich gut anstellst, lässt er dich einfach in Ruhe. Geh ihm nur aus dem Weg, dann wird das schon. Du hast seinen Respekt erlangt, wenn er dich nicht mehr beachtet, außer morgens, wenn er dir Arbeit zuteilt. Aber Cliff macht seinen Job gut, und deine Tante mag ihn sehr, also … bring ihn einfach nicht auf die Palme.«
Max hatte sich das im Kopf notiert, doch als in jenem Moment, während sie auf der Veranda lagen und den Abend genossen, ein Pickup vorfuhr, anhielt und Cliff aus der Fahrerseite stieg, wusste Max nicht genau, ob ihm das gelingen könnte.
Er nahm einen Schluck von seinem Bier und verfolgte mit neugierigen Augen den gutaussehenden Vorarbeiter, der mit einem braunen Cowboyhut, engen Jeans und einem beigen Hemd, das bis zur Mitte seiner braungebrannten Brust aufgeknöpft war, die Tür zum Haupthaus ansteuerte. Überall auf seiner entblößten Haut klebte Dreck, der sich mit heißem Schweiß vermischt hatte, seine Kleider wirkten verstaubt vom trockenen Boden.
»Na, alle Zäune repariert?«, fragte Amy, es klang fast provozierend.
Cliff blieb stehen, als er bemerkte, dass jemand auf der Veranda saß. Er warf Amy einen Blick mit gerunzelter Stirn zu, es war schwer zu sagen, ob er mehr verwirrt oder verärgert war. Als Max Amy flüchtig betrachtete, fiel ihm auf, dass sie den Kopf einzog. Offenbar war ihr Ausruf ihr in einem Anfall von Überheblichkeit rausgerutscht, weil sie »cool« vor dem Neuen wirken wollte.
Zu ihrer beider Überraschung, kam Cliff zur Veranda und nahm die Stufen mit schlendernden Schritten nach oben. Max musste sich zwingen, den Blick von den strammen Oberschenkeln zu lösen, über denen sich die Jeans spannte.
»Was machst du noch hier?«, fragte Cliff geradezu barsch.
Max sah zu ihm auf, den Mund auf- und zuklappend, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.
»Nicht du«, knurrte Cliff und sah über Max hinweg, »ich mein sie. Amy, was machst du noch hier?«
»Ich trinke mit meinem neuen Kollegen ein Bier«, erklärte sie und grinste mokant. »Ich würde dich fragen, ob du dich zu uns setzen willst, aber wir beide wissen ja, dass du nein sagen wirst.«
Max hatte das unangenehme Gefühl, zwischen zwei Fronten geraten zu sein. Irgendetwas Unausgesprochenes stand zwischen ihnen, das spürte sogar Max. Leider zu deutlich.
»Musst du nicht in irgendeinem Pub sein und dich irgendeinem Deppen an den Hals werfen?«, fragte Cliff bissig.
Max räusperte sich und wollte sich erheben. »Ich denke, ich werde jetzt duschen gehen.«
Als er an Cliff vorbeigehen wollte, sagte dieser provokant: »Oh, er will duschen gehen. Frag ihn doch, ob du mit ihm gehen kannst, Amy, deswegen bist du doch hier, oder?«
Amy schnaubte ungläubig. »Du bist so ein Arschloch!«
Max blieb stehen und sah zwischen den beiden hin und her, er hätte früher gehen sollen, jetzt hatte er Angst, sich zu bewegen, und von dem Sturm des Streits, der sich hier aufbrauste, erfasst und hinweggeweht zu werden.
»Lass die Finger von ihm!«, drohte Cliff plötzlich.
Amy stand auf und grinste falsch, was ihr Gesicht hässlich machte. »Eifersüchtig?«
»Das würdest du dir wünschen, nicht wahr?«, konterte Cliff.
Amy schüttelte nur lächelnd den Kopf, als fände sie Cliffs Benehmen überaus unsinnig und zudem auch noch äußerst peinlich. »Also dann bis morgen, Max«, sagte sie, ohne Cliff weiter zu beachten. Sie stellte ihr Bier auf dem Tisch ab und drückte kurz Max‘ Arm, als sie an ihm vorüberging. »Gute Nacht«, säuselte sie noch und ging mit schwingenden Hüften davon.
Max und Cliff sahen ihr nach, sie standen Schulter an Schulter, und erst jetzt bemerkte Max, wie nah Cliff ihm gekommen war. Seine Nähe – die Hitze, die von ihm ausging – war elektrisierender als der Anblick von Amys wogendem Gesäß in der engen Jeans.
Cliff drehte sich mit harter Miene zu Max um und sagte: »Fass sie bloß nicht an!«
Max blinzelte überrascht. »Du musst mir nicht drohen.« Es war offensichtlich, dass Cliff nicht wollte, dass ein Neuer Amys Zuneigung ergatterte. Er war eifersüchtig.
»Aber, wenn du sie willst«, sagte Max etwas verkniffen, weil ihm der Gedanke gar nicht gefiel, »dann solltest du etwas netter zu ihr sein.«
Cliff zog eine Augenbraue hoch und schnaubte verachtend. »Glaub mir, ich will sie nicht. Und glaub mir auch, ich hätte sie haben können, hätte ich sie denn gewollt.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging ins Haus.
Max folgte nach einiger Zeit kopfschüttelnd und ging die Treppe nach oben, während Cliff und Tante Lisa sich im Arbeitszimmer unterhielten.
Er wusste nicht, warum Cliff solch ein Problem mit ihm hatte. Wenn Cliff Amy mochte, brauchte er sich ganz gewiss keine Sorgen darum zu machen, dass Max sie ihm wegnehmen wollte.
*~*~*
Nachdem Abendessen – Helene hatte für Tante Lisa und Max Rindersteaks mariniert und auf den Grill geworfen – ging Max hinaus. Staunend legte er den Kopf in den Nacken und drehte sich im Garten. Der Nachthimmel war wolkenlos und wirkte gleichzeitig zum Greifen nah und fern.
Er schlenderte eine Weile in Gedanken versunken umher, aus den Unterkünften der Arbeiter drang Gelächter, es hörte sich nach einem geselligen Abend bei leiser Musik und Bier an. Max ging weiter, zu den Ställen, das Schnauben der Pferde und ihr lautes Kauen wirkten seltsam einschläfernd auf ihn. Irgendwo bellte ein Hütehund.
Er ging bis zu einem Zaun, lehnte sich darauf und genoss den heißen Abend. Die Sterne leuchteten so hell, dass es keinen Vollmond bedurfte, um das Land zu erhellen.
Noch immer kam es Max surreal vor, wirklich hier zu sein, wenn er zu stark darüber nachdachte, drehte sich alles.
Mit einem Lächeln schloss er die Augen und atmete leise aus. »Wenn du wüsstest, wo ich gerade bin, Paps«, flüsterte er. »Ich wünschte, du könntest das noch erleben.«
Aber vielleicht beobachtete ihn sein Vater ja von irgendwo her.
Das wäre schön.
4
Max saß neben Amy am Frühstückstisch, sie hatte sich einfach zu ihm gesetzt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, dabei hatte er sich geschworen, sie auf Abstand zu halten, um, in ihren Worten, Cliff nicht auf die Palme zu bringen. Max trank schweigend seinen Kaffee, während Amy ihn bequatschte. Sie sprach davon, dass er mit ihr und den anderen unbedingt mal in den Pub fahren sollte, um Pool Billard und Darts zu spielen. Ausgehen war im Outback nicht so einfach, man musste bis zur nächsten, kleineren Ortschaft mehrere Stunden fahren. Das machte man nicht mal eben einfach so.
Als Cliff den Raum betrat, setzte sie sich auffallend noch etwas näher an Max heran, es war zu offensichtlich, dass sie ihn dazu benutzen wollte, um Cliff eifersüchtig zu machen. Max war dieses Verhalten zu blöd, um mit zu spielen, und rückte mit dem Stuhl etwas von ihr ab, was sie sehr verwirrte.
Er war doch nicht mehr in der Schule!
Cliff grinste, als er das sah, sicherlich froh darüber, dass seine Drohungen den jüngeren, vermeintlichen Konkurrenten abgeschreckt hatten. Max war es an diesem Morgen egal, was sie von ihm dachten, er war zu müde, um wie für ihn üblich, vor allem höflich zu sein.
Er hatte eine üble Nacht hinter sich, wegen seiner schmerzenden Gliedmaßen hatte er kaum ein Auge zugetan. Jedes verdammte Mal, wenn er sich gedreht hatte, war er zusammenzuckend erwacht, weil ihn seine Muskeln bei jeder kleinsten Bewegung schmerzten.
Mit dicken Ringen unter den rotunterlaufenen, geschwollenen Augen saß er nun brütend über seinem Kaffee, verfluchte die Arbeit und die Hitze, die nicht einmal nachts abkühlen wollte.
Als Cliff die Arbeit zuteilte, schien es, als würde es im Raum noch stiller werden.
Max hob verwundert den Kopf, er glaubte, sich verhört zu haben, aber nein, auch alle anderen schauten verdutzt drein.
»Max kommt mit mir«, wiederholte Cliff erneut, da damit seine Ansage zu Ende war, aber keiner Anstalten machte, den Arbeitstag zu beginnen.
»Was?«, fauchte Amy.
Die Köpfe der anderen sieben Arbeiter flogen zu Max herum, der unsicher schluckte.
»Hopp, hopp!«, drängte Cliff und sah Max auffordernd an. »Beeil dich, die Wasserpumpe auf der Südweide muss repariert werden, die Rinder brauchen Wasser. Komm, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
Max erhob sich eilig und stürzte den restlichen Kaffee aus seiner Tasse hinunter, er verbrannte sich Mund und Kehle, ließ es sich aber nicht anmerken.
»War der nicht heiß?«, fragte Cliff über die Schulter, als sie den mucksmäuschenstillen Raum verließen.
Max stöhnte mit schmerzerfüllter Stimme: »Furchtbar heiß.«
Cliff lachte herzhaft über ihn.
***
Warum Max mit Cliff auf die Weide hatte fahren müssen, erkannte Max ehrlich gesagt nicht auf Anhieb. Schon seit Stunden stand er nichtstuend neben Cliff, der fluchend an der defekten Pumpe rumbastelte, und durfte nur gelegentlich als Assistent dienen, indem er Werkzeuge aus einer Kiste weiterreichte.
»Kann ich dir wirklich nicht helfen?«, fragte Max. »Ich bin nicht ungeschickt. In der Schule habe ich einen technischen Kurs beleget …«
Cliff schielte genervt zu ihm auf, der Schatten eines kargen Baumes lag über seinem Gesicht.
»Schon gut«, seufzte Max und starrte wieder in die Weltgeschichte. Es gab wenig Schatten auf dieser Weide, der Boden war total ausgetrocknet und felsig, Risse zogen sich durch die Erde, wenn Wind aufkam, staubte es.
So zog sich der Morgen hin.
»Zange!«
»Hier.«
»Danke. – die andere, Mann!«
»Oh. Die?«
»Ja!«
»Bitte.«
»Ja,ja.«
Max seufzte gelegentlich. Cliff fluchte gelegentlich.
»Ein Maultier wäre redseliger«, murmelte Max nach einer Weile gelangweilt, während er mit dem Rücken unter dem einsamen Baum lehnte, dessen Rinde rau und hart war wie ein Schuppenpanzer.
»Hm?« Cliffs Kopf steckte im Wassertrog der Rinder, die sie durstig beobachteten.
»Ach, nichts.«
Wieder verging eine endlos lange Stunde, die Sonne brannte auf sie herab und Max wünschte sich, auch er hätte einen Hut, sein dunkles Haar verbrannte ihm auf dem Kopf.
»Wasser!«
»Hier.«
»Danke.« Cliff richtete sich auf und nahm die Wasserflasche an sich. Er trank einen großen Schluck, Schweiß rann ihm neben seinem kräftigen, auf und ab hüpfenden Kehlkopf entlang. Max erwischte sich bei dem Gedanken, sich vorzubeugen und den Schweiß einfach abzulecken.
Räuspernd stieß er die Hände in die Jeanstaschen und versuchte, den ausgebeulten Schritt zu verbergen. Warum musste dieser mürrische Kerl auch so verdammt gut aussehen, wenn er verschwitzt und dreckig war. »Meinst du, das wird heut noch was?«
Cliff setzte die Wasserflasche ab und wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Lippen. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Der Schlauch ist porös und rissig, der Dichtungsring ist auch hinüber. Verdammt, ich hab Lisa gesagt, dass es so ausgehen wird.«
»Und was machen wir jetzt?«
Cliff sah ihn an und riss die Augen plötzlich auf. »Du hast ja gar keinen Hut!«
Max zuckte mit den Schultern. »Woher auch?«
»Die Sonne ist nicht zu unterschätzen«, warnte Cliff, »na ja, macht nichts, wir müssen ohnehin zurück. Ich muss die Ersatzteile bestellen.«
Max sah sich nach den Rindern um. »Wie lange wird es dauern, bis sie ankommen?«
»Ein paar Tage«¸ erklärte Cliff und räumte die Sachen zusammen. Max ging ihm sofort zur Hand, weil er nicht untätig danebenstehen wollte.
»Sollen die Rinder bis dahin aushalten?«
Cliff hob ärgerlich den Blick. »Weißt du eigentlich, wie viel so ein Rind wert ist? Natürlich werden wir sie nicht durstig hier zurücklassen! Wir holen die Pferde – und einen Hut für dich – und treiben sie runter zum See.«