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Vaaks` mildes Lächeln ließ ihn innehalten. »Wir sind Brüder«, betonte Vaaks und beugte sich zu ihm, sanft strich er mit den Lippen über Xaiths Mund. Und Xaith seufzte sehnsüchtig.
»Wir waren immer Brüder«, fuhr Vaaks fort, »und werden es immer sein. Du denkst vielleicht, wir dürften es nicht sein, aber ich will es. Selbst, wenn ich dein Fleisch und Blut wäre – und du meines, selbst dann würde ich dich wollen.« Eindringlich bohrten sich seine warmen Augen in Xaiths. »Das ist, was ich will. Ich will dich, meinen Bruder. Weil dieser Umstand, dass zwischen uns, noch einmal zu etwas ganz Besonderem macht. Weil wir uns von Beginn an kennen und bisher jeden verfluchten Tag zusammen geteilt haben. Weil wir Brüder sind, sind wir besonders. Weil du mein Bruder bist, liebe ich dich.«
Gerührt legte Xaith den Kopf schief.
»Das ist, was ich will«, beschwor ihn Vaaks und umfasste sanft sein Gesicht, »ich will dich, als … das hier.« Er küsste ihn und lächelte dann. »Und als Bruder. Ich will alles für dich sein.«
Zögerlich hoben sich Xaiths Mundwinkel.
»Und als all das, bin ich auch in der Lage, mit deinem Blutrausch umzugehen«, glaubte Vaaks.
Aber Xaith hatte da so seine Bedenken, aus einem verdammt guten Grund. Er schüttelte zweifelnd den Kopf und sah Vaaks` Feuer erlöschen.
»Vergib mir«, raunte er und umfasste Vaaks` Arm, »ich halte dich nicht für schwach, Vaaks, aber ich könnte nicht mehr leben, wenn ich dir schaden würde. Zwing mich nicht dazu, bitte.«
Missmutig ließ Vaaks den Kopf hängen und atmete schwer aus, wie ein Stier, der gerade entschieden hatte, dass ein Kampf die Anstrengung nicht wert wäre.
»Tut mir leid.« Ernüchtert starrte Xaith auf die Bettdecke. Er wollte noch mehr sagen, doch er wusste gar nicht, was. Plötzlich wog das Schweigen zwischen ihnen schwer und fühlte sich falsch an.
Er schalt sich einen Narren, dass er für einen Moment geglaubt hatte, von nun an würde alles leicht werden.
»Das heißt ja nicht, dass wir nie …« Er errötete und sah wieder zur Seite. »Wir müssen einfach vorsichtig sein. Der Hunger ist ja nicht immer da.«
Verdammt, er würde sich aus dem Fenster stürzen, wenn der verdammte Hunger nach Blut ihm jetzt Vaaks` Zuneigung zerstörte…
»Und wenn ich dich festbinde?«
Xaith riss den Kopf zu Vaaks herum und starrte ihn mit offenem Mund an.
Vollkommen ernst erwiderte Vaaks seinen Blick und schien tatsächlich auf eine Antwort zu warten. Es war bereits beängstigend, wie er diesen Vorschlag hervorgebracht hatte. So überaus trocken und selbstverständlich, als wäre es normal, seinen Liebhaber erst einmal festzubinden, um bei ihm liegen zu können. Und nun sah er ihn auch noch so erwartungsvoll an.
Xaith blinzelte mehrmals. »Wie…Wie bitte?« Er schnaubte. »Du … du willst mich festbinden?«
Vaaks zuckte mit den massigen Schultern. »Wenn dich das beruhigt. Dann kannst du mich nicht verletzen und ich muss nicht vor dir fliehen wie eine Prinzessin vor dem Drachen.«
Xaith hätte über den Vergleich geschmunzelt, wäre er nicht noch immer so schockiert über Vaaks` Vorschlag gewesen.
»Ich lass mich doch nicht von dir festbinden wie ein Tier!«, rief er dann entsetzt. »Was denkst du dir?«
Vaaks sah ihm noch immer vollkommen ernst entgegen. »Warum nicht?«, fragte er geradeheraus.
Xaith war von dem Vorschlag derart vor dem Kopf gestoßen, dass er verwirrt zurückzuckte und unsicher auflachte, aber Vaaks verzog keine Miene. Es war ihm damit todernst.
Verdammt, er entdeckte ganz neue Seiten an Vaaks. Vor allem jene, die alles riskierte, um sich endlich vereinigen zu können. Eine gefährliche, unbedachte Seite, die sich gerne stark fühlte und sich nicht beschützen lassen wollte.
Aber was genau wusste er auch schon über Vaaks in dieser Hinsicht? Er hatte ihn nie… dabei gesehen, wusste nicht, wie er … liebte. Er wusste in Liebesdingen überhaupt nichts, weder über sich selbst noch über Vaaks. Diesbezüglich waren sie sich so fremd, wie sie sich nur sein konnten.
»Warum nicht?«, hakte Vaaks erneut nach. »Vertraust du mir nicht?«
Xaith öffnete den Mund, aber ihm fehlten wirklich die Worte. Was sollte er sagen? Er konnte sich wirklich etwas Schöneres vorstellen, als sich festbinden zu lassen. Aber Vaaks leckte sich bereits nervös die Lippen und durchbohrte ihn mit neugierigen Blicken.
Er suchte nach einer Antwort, doch bevor er sie geben konnte, rettete ihn ein Klopfen an der Tür, das ihn schuldbewusst vor Vaaks zurückzucken ließ.
»Xaith?«, rief May aufgeregt durch die Tür und fuhr gleich fort, ohne auf eine Antwort zu warten. »Komm schnell! Sie sagen, Vater ist zurück! Und er ist nicht allein!«
Kapitel 6
Ein lautes Knarren der Scharniere ertönte, als die Wachen sie schwungvoll für ihn öffneten. Sein Herz wusste bereits, wer ihn dahinter im hellen Saal erwartete. Es wusste es ganz genau und vollführte wilde Überschläge, als die eisblauen Augen hinter dem langen Tisch überrascht aufsahen und dann vor Freude zu glänzen begannen.
»Derius!«
Desiderius seufzte. »Wex!«
Sie liefen sich neben dem langen Kartentisch des Kaisers in die Arme. Desiderius wurden die Knie ganz weich, als er seinen Gefährten an sich drückte und dessen lebendiger Leib sich an ihn schmiegte. Beruhigend strich er über Wexmells goldene Locken und vergrub das Gesicht an dessen Halsbeuge, um genüsslich den süßen Duft seines Prinzen einzuatmen.
»Ich hatte solche Angst um dich«, flüsterte Wexmell ihm zu. »Um uns alle.«
»Ich weiß«, Desiderius hauchte einen Kuss auf Wexmells Scheitel und spürte ihre Herzen erst im Einklang und dann ruhiger schlagen. »Ich auch. Aber ich komme immer wieder zurück, das weißt du doch.« Er senkte den Mund an Wexmells Ohr und schwor leise: »Ich komme immer zurück zu dir.«
Wexmell legte ihm die Hände auf die Brustmuskeln und lehnte sich zurück, um mit schiefgelegtem Kopf zu ihm aufzusehen. Die Sorge der letzten Stunden zeichneten sich noch deutlich in seiner Miene ab, die dunkelvioletten Augenringe und gerötete Lider sprachen eine deutliche Sprache und machten Desiderius das Herz schwer.
»Wir wollten uns nicht mehr trennen«, tadelte Wexmell ihn mit einem Schmunzeln. Es sollte ein Scherz werden.
Desiderius schmunzelte schief zurück und beugte sich zu Wexmell hinab. »Vergebung, mein Prinz, ich werde dich bei nächster Gelegenheit natürlich mit in den Tod reißen.« Er legte Wex eine Hand an die Wange und die andere in den Nacken, um ihn zu küssen. Immer und immer wieder, bis ihre Münder feucht und geschwollen waren. Aber es war nicht genug, könnte nie genug sein.
Wexmell lächelte amüsiert, dann zog er Desiderius wieder in seine Arme und seufzte erleichtert an seinem Ohr. »Ich bin bloß froh, dass dir nichts passiert ist.«
Desiderius legte die Hände auf seinen Rücken und drückte ihn fest an sich. »Ich weiß, ich auch.«
Eine ganze Weile hielten sie sich einfach aneinander fest, schlossen die Außenwelt aus, wie sie es oft taten, und genossen schlicht den Herzschlag des jeweils anderen an der eigenen Brust…
Jemand räusperte sich hinter Desiderius und erinnerte sie daran, dass sie nicht allein waren. Es war ihm jedoch gleich, er hielt Wexmell noch einen Moment länger fest, bis er sicher war, dass Wexmells Erleichterung jeglichen Kummer vertrieben hatte.
Mittlerweile war auch Eagle nähergetreten, auf einen Gehstock gestützt und deutlich humpelnd, während er wie erwartet mit einem verschlossenen, herrschaftlichen Blick die Männer hinter Desiderius betrachtete. »Ein Verräter und viele Fremde bringst du in mein Haus.«
Mit Verräter meinte er Zazar, den er auch sogleich mit verachtender Miene strafte. Was Bellzazar natürlich kalt ließ.
Die kritische Miene würde Eagle ohnehin schon bald vergehen.
Desiderius löste sich etwas von Wexmell, um den Kopf Eagle zuzuwenden. »Mein Kaiser«, inszenierte er voller Sarkasmus, »ich bringe einen verlorenen Sohn in Euer Heim.«
Eagle runzelte irritiert seine Stirn, ehe er aufgebracht den Blick erneut über die Männer schweifen ließ, nun jedoch voller Hoffnung. Natürlich dachte er zunächst an Desith, aber die Hoffnung schwand schnell aus seinen Augen.
Noch versteckte sich der Kleine hinter Ragons Rücken und war nicht gewillt, sich selbst zu offenbaren.
Desiderius lächelte nachsichtig und wandte sich wieder an Wexmell, der ihn neugierig, aber offen betrachtete.
»Ich habe dir zwei Dinge gebracht, Liebster«, lächelte er und nahm Wexmells Hand, »einen Spiegel, der atmet, und einen lebenden Toten.«
Wexmell schüttelte belustigt den Kopf. »Wovon sprichst du?«
Mit einem geheimnisvollen Lächeln drehte Desiderius sich halb zu den anderen um und gab den Blick auf den Mann hinter sich frei.
Wexmells Knie wurden weich und Unglauben ließ ihn den Mund aufklappen. »Cohen!«, keuchte er und hielt sich an Desiderius` Arm fest, seine Augen wurden feucht. »Wie … wie kann das …«
Cohen lächelte zurückhaltend. »Schön, Euch zu sehen, Wexmell-«
Da warf sich Wexmell ihm bereits an den Hals und drückte ihn so fest, dass er würgte.
Leise lachte Desiderius über seinen Prinzen und schüttelte amüsiert den Kopf. In diesem Moment hätte er nicht mehr Liebe für Wex empfinden können. Wie er Cohen einfach mit offenen Armen empfing und sich ebenso freute wie Desiderius, obwohl sie eine nicht ganz unbeschwerte Vorgeschichte teilten. Aber Wexmell war noch nie ein eifersüchtiger Kauz gewesen. Genau das liebte er an Wex. Sein Wex, mit dem großen Herzen.
Cohen zögerte einen Moment, bis er Wexmell die Hände auf den Rücken legte und endlich entspannt die Umarmung erwiderte. Tränen der Rührung im blutroten Auge.
»Welchem Wunder wir diesen Umstand auch verdanken«, sagte Wexmell voller Liebe und umfasste Cohens Gesicht, »mein Herz frohlockt, weil es dich sieht!«
»Diesem Wunder«, schmunzelte Cohen und deutete mit einem Kopfnicken auf Bellzazar. »Er hat mich zurückgebracht.« Dabei sah sein blutrotes Auge beinahe vorwurfsvoll in Desiderius` Richtung.
»Rumgespielt hat er«, murrte Desiderius und sah seinen Bruder teils tadelnd, teils amüsiert an.
Zazar zuckte mit den Schultern, wobei er einen deutlichen Schritt neben Cohen trat, als wollte er ihn von Wexmell wegziehen. »Wenn du das so nennen willst…«
»Cohen!« Eagle streckte einen Arm aus und Cohen überbrückte den Abstand, um seinen alten Freund brüderlich zu umarmen. Eagle hatte Tränen in den Augen. »Ich muss träumen! All die Jahre … und jetzt stehst du einfach hier …?«
»Wir haben schon unglaublichere Dinge gesehen«, warf Cohen ein. »Und wir wussten immer, dass es ein Wiedersehen geben wird.«
Aber nicht hier, dachte Desiderius aufgewühlt. Nicht in dieser Welt, nicht in diesem Leben. Und doch war es so. Wie so viele andere unglaubliche Dinge auch. Er konnte nur die Hälfte von dem, was ihm heute offenbart wurde, wirklich verstehen und glauben, und doch verpufften sie nicht einfach wieder wie ein verrückter Traum. Sie waren wirklich.
Er war froh, wenn dieser Tag dem Ende zu ging und er sich eine Weile zurückziehen konnte, um all das erst einmal angemessen zu verdauen. Das brauchten sie jetzt alle. Einfach Zeit, sich an die neue Wahrheit zu gewöhnen.
Aber zuerst mussten sie alle noch ihre Pflichten erfüllen und stark bleiben, zumindest nach außen hin, obwohl ein Sturm in ihren allen Herzen tobte.
»Wer seid ihr alle?«, verlangte Eagle zu erfahren und humpelte neben Desiderius. »Und was meintest du mit verlorenem Sohn?«
Söhne, sollte er wohl eher sagen, doch das besprach er am besten zuerst mit Wexmell allein. Hier ging es auch nicht um Ragon, zumindest nicht darum, wer dessen Vater war. Nein, es ging nicht um ihn oder Desiderius, es ging um Eagle und um …
»Deinen Sohn!«, betonte Desiderius und trat vor Ragon. Er streckte eine Hand aus und sprach zu dessen Schulter: »Komm schon, zeig dich.«
Zögerlich linste ein frostblaues Auge um Ragon herum, goldgelocktes Haar schimmerte in der weißen Marmorhalle auf. Es wurde totenstill im Saal und die Anspannung wurde greifbar.
Ragon drehte sich halb zu dem ängstlichen Burschen um. »Geh schon«, drängte er sanft, wobei seine Stimme durch die Maske gedämpft klang. »Hab keine Angst.«
Doch dieser andere, dieses dunkelhäutige Spitzohr, trat dicht neben den Jungen, als wollte er ihn nun hinter sich verstecken, wenn es sein müsste.
Der Bursche sah Desiderius zögerlich ins Gesicht und kam langsam hervor. Mit einem Nicken machte Desiderius ihm Mut, sodass der Kleine schließlich seine Hand ausstreckte und sie in Desiderius` legte. Die zerbrechlichen, viel zu dünnen Finger waren eiskalt. Er hatte sofort das Bedürfnis, sie mit seinen Händen zu wärmen.
Er zog den Kleinen, der Wexmells absolutes Ebenbild war, an seine Seite und drehte sich mit hochmütiger Miene zu Eagle um. »Sag mir, Eagle, hast du versäumt, uns etwas zu erzählen?«
Aber Eagle starrte den Kleinen genauso fassungslos an, wie Wexmell. Keine Spur von Erkennen oder Reue. »Das kann nicht sein«, raunte er und schüttelte entschieden den Kopf. »Das ist überhaupt nicht möglich! Ich habe Ari nie…« Hilfesuchend sah er sich nach Wexmell, seinem Vater um.
Wexmells Augen weiteten sich etwas. »Er ist bestimmt nicht von mir, Eagle!«
Nein, Wexmells einzige Erfahrung mit einer Frau – einer Dirne – hatte nur Eagle hervorgebracht, das wussten sie alle ganz sicher.
Eagle schluckte nervös und sah wieder zurück in das Gesicht des eingeschüchterten Jungen, der den Kopf wegdrehte und zurück zu seinen Gefährten fliehen wollte.
Desiderius hielt ihn fest.
»Er ist dein Sohn, Eagle, leugnen ist sinnlos.«
In Eagles Mimik arbeitete es, während er durch den Jungen hindurchsah und äußerst angestrengt nachdachte. »Wie alt bist du?«, hakte Eagle tonlos nach. »Du kannst nicht älter als zwölf-«
»Achtzehn«, antwortete Ragon in der Gemeinsprache für ihn, »der Junge ist Achtzehn Sommer alt.«
Eagle blinzelte, als sähe er plötzlich klar. »Deine Mutter war eine Hexe«, es war keine Frage, sondern eine Erinnerung. Er blickte auf und schien zu verstehen. »Sie flüchtete mit ihrer Familie aus Nohva.«
Auch Desiderius erinnerte sich an die Flüchtlinge, die er gemeinsam mit Eagle und Cohen vor so vielen Jahren in der Wildnis getroffen hatte. Aber er hatte nicht gewusst, dass Eagle…
»Ich habe dich damals gewarnt«, sagte Cohen leise zu Eagle. Leise, aber vorwurfsvoll. Trotzdem drückte er aufmunternd die Schulter seines Freundes.
Schwankend fuhr Eagle sich über den Mund. »Götter, ich habe es nicht gewusst …«
Desiderius dachte an Ragon und seine Wut verrauchte. Er ließ den Jungen los, der sofort zurück hinter Ragon rannte und sich an dessen Arm klammerte. Er war eben doch nur ein Junge.
»Vergib mir, ich urteilte zu vorschnell«, sagte Desiderius zu Eagle, der noch immer um Fassung rang.
Cohen zog unter seiner Kapuze äußerst nervig eine arrogante Augenbraue nach oben. Zazar gab ein amüsiertes Grunzen von sich.
Es gefiel Desiderius überhaupt nicht, dass sie sich gegen ihn verschworen, beide strafte er mit einem bösen Blick. Dann wandte er sich wieder ihrem Problem zu.
»Er ist nicht aus Zufall hier, Eagle«, begann er und sah dann Wexmell an, der sofort seine betont ernste Stimme bemerkte und die Stirn runzelte. »Das sind Ragon und Fen«, Desiderius deutete auf die beiden Männer. »Sie haben ihn aus einer Metallkiste befreit und mussten ihn hierherbringen. Er ist eine Waffe, eine verflucht mächtige Waffe.« Dann sah er an Zazar vorbei und holte tief Luft. »Und das sind Korah, Levi und Place. Sie sind Götter.« Matt ausatmend drehte er sich wieder zu Eagle und Wexmell um. »Und spätestens jetzt wisst ihr, dass wir ziemlich tief in der Scheiße sitzen.«
»So tief«, bestätigte Bellzazar und trat vor, »dass wir sie schon schmecken können.«
Kapitel 7
»Was dauert denn da so lange?«, maulte May und warf sich trotzig auf einen Stuhl im Vorzimmer, das in einem satten Bronzeton erstrahlte.
Xaith lag mit dem Ohr an der Tür und hatte seinen Gehörsinn mit Magie verstärkt, während im Audienzsaal des Kaisers debattiert wurde.
Normalerweise hatte er dadurch immer bestens lauschen und seine Geschwister auf dem Laufenden halten können, doch dieses Mal hörte er sehr schlecht. Es war, als herrschte im Saal ein Sturm, der alle Gespräche mit einem lauten Rauschen übertönte. Er musste raten, was die einzelnen Wortfetzen bedeuteten. Auch Sarsar versuchte, durch magische Hilfsmittel, das Gesagte verständlich zu machen, aber seine tief gefurchte Stirn zeugte davon, dass auch er das Rauschen nicht umgehen konnte.
Irgendetwas – oder Jemand – schien den Raum ganz bewusst vor lauschenden Ohren abzuschotten.
»Ich glaube, sie haben eben jemanden rausgeschickt«, vermutete Xaith den Geräuschen und Wortfetzen nach. »Und der Kaiser hat wohl noch einen Sohn.«
»Lass mal sehen!« Riath, der Hornochse, stieß Sarsar grob zur Seite und ging vor dem Schlüsselloch der goldverzierten Türen in die Hocke, um linsen zu können. Er hatte sein hübsches helles Seidenhemd mit den goldenen Rändern durch sein ledernes Rüstungshemd ausgetauscht und roch nach frischem Schweiß, als hätte er, statt sich auszuruhen, mit dem Schwert geübt.
»Ja«, sagte er mit seltsam kratziger Stimme. »Da geht jemand raus. Zwei Jungen. Den einen kenne ich!« Er wirkte plötzlich ganz erregt und zappelte herum. »Das ist der Junge vom Fest.«
»Der, wegen dem Vater beinahe gefressen wurde?«, hakte Vaaks nach und trat nun auch näher. Sehr nahe, sodass Xaith seine harten Muskeln im Rücken spüren konnte.
May schnaubte amüsiert. »Der, wegen dem Riath gesabbert hat.«
Sofort flog Xaiths Kopf herum. Erst sah er May an, die voller Spott grinste, dann sah er zu Riath, der angestrengt durch das Schlüsselloch linste und die Lippen aufeinanderpresste, während er so tat, als hätte er Mays Bemerkung nicht gehört.
Warum ihn das so überraschte, wusste er eigentlich nicht so genau. Riath geiferte so ziemlich jedem nach, Fräuleins, Burschen, Ziegen, einfach allem, was warm war und einigermaßen passabel aussah, zumindest so lange, bis er seine Gier an ihnen gestillt hatte.
Vermutlich hatte Xaith ein seltsames Gefühl, weil Riath den fremden Jungen vor einem Drachen hatte retten wollen. Riath war niemals aufopfernd oder gar ein Held, Riath war ein egoistisches Schwein, wie es im Buche stand.
Aber tatsächlich, man konnte fast sehen, wie ihm der Sabber vom Kinn tropfte, während er durch das Schlüsselloch spähte und wie gebannt jede Bewegung darin verfolgte.
Dann wurde eine Tür geschlossen und er blinzelte, als habe ihn jemand geweckt. Enttäuscht ließ er die Schultern hängen, und Xaith glaubte, dass der Junge den Saal verlassen haben musste.
Ein Geräusch hinter der Tür zum Flur ließ sie allesamt ertappt aufschrecken. Wachen eilten über die Gänge und vertraute Stimmen näherten sich langsam.
»Das ist der Orden.« Vaaks fluchte verhalten, dabei legte er die Hand auf Xaiths Schulter, und Riath durchbohrte sie mit Blicken. Sie lauschten alle angespannt, doch die Schritte näherten sich. Langsam zwar, aber zielstrebig.
Vaaks wandte sich an Xaith und beschloss. »Ich geh sie ablenken, vielleicht kann ich Zeit schinden oder sie wegführen.«
Der Orden vertraute Vaaks und hielt ihn für reif, aber im Grunde war er auch noch ein freches Kind, das seine Geschwister immer gedeckt hatte, wenn sie lauschten.
Manche Dinge würden sich nie ändern.
Noch einmal sahen sie sich an und beide zögerten. Xaith wusste, was Vaaks sich ersehnte, er wünschte es sich auch, doch keiner brachte den Mut auf. Also wandte Vaaks sich nach einem leichten Lächeln ohne Kuss ab und schlüpfte auf den Flur hinaus, nachdem er zuvor gewissenhaft den Gang hoch und runter gespäht hatte.
Sarsar drückte hinter ihm leise die Tür zu und legte das Ohr daran, um mitzuhören, ob Vaaks die Ablenkung gelang, während May bereits den Stuhl unter die Fensteröffnung zerrte und ihnen einen schnellen Fluchtweg bahnte. Sie machten das ja nicht zum ersten Mal, sie hatten dieses Zimmer ganz bewusst ausgewählt, denn vom Fenster aus konnten sie schnell auf das Dach klettern und dann auf einen Balkon flüchten.
Xaith wandte sich wieder dem Lauschen zu. Riath blickte starr durch das Schlüsselloch.
»Du weißt, dass er dich nur benutzt, oder?«, sagte Riath plötzlich leise.
Xaith fuhr zu ihm herum. »Was?«, zischte er.
Riath sah ihn nicht an, er tat weiter so, als linste er durch das schmale Loch, während er leise weitersprach. »So dumm kannst du doch gar nicht sein! Vaaks! Der nutzt dich doch nur aus, weil Fenjin nicht dabei ist. Ich meine, er hält es nicht aus, weißt du?« Er lachte humorlos. »Würde ich genauso machen.«
Die Wut, die in Xaith hochstieg, ließ seine Augen rot aufflammen. »Das ist nicht wahr!«
Riath verdrehte die Augen. »Du bist nur ein Platzwarmhalter, Bruder, begreif das doch. Sieh dich doch an! Sieh Fenjin an. Sobald wir zurück sind, wird Vaaks wieder den hübschen Rotschopf besteigen.«
Xaith ballte wütend die Fäuste und musste sich zurückhalten, nicht gegen die Tür zu schlagen und laut zu brüllen. »Halt doch den Mund! Vaaks ist nicht wie du!«
Riath schnaubte abfällig und wandte Xaith endlich den Kopf zu. Bevor er etwas sagte, sah er sich über die Schulter, aber Sarsar lauschte noch an der anderen Tür und May spähte noch aus dem Fenster. Die Raben ächzten, sie schien sie zu beobachten.
»Ach ja?« Arrogant schaute Riath Xaith wieder an. »Und warum entdeckt er erst jetzt seine Liebe zu dir, hmm? Hast du mal darüber nachgedacht? Er will nur jemanden, der ihm die Zeit vertreibt, und du bist so willig wie eine Harfenfotze. Denk doch mal nach, Bruder, wie ist er denn so? Hm? Erfahren? Kann ich mir denken, ich kenn ihn doch. Glaub mir, ich weiß, dass er schon so einige Liebhaber hatte, darunter bestimmt auch Fenjin, wer würde da Nein sagen? Er kann sich bestimmt nicht zurückhalten, deshalb braucht er dich. Aber sobald wir wieder zu Hause sind, wird er sich von dir abwenden. Willst du wirklich seine Hure sein?«
Es war so ungerecht, dass Riath immer genau das aussprach, was Xaith tief im Inneren befürchtete, doch sein naives Herz wollte all das einfach nicht glauben. Nein, nicht nachdem Vaaks ihn geküsst hatte. So voller … Leidenschaft und ehrlicher Zuneigung. Das konnte nicht gelogen gewesen sein!
Mit bebenden Nasenflügeln presste Xaith hervor: »Du bist doch nur neidisch, weil ausnahmsweise mal jemand mich, statt dich will.«
Riaths entsetzter Blick überraschte Xaith. »Du glaubst, ich wäre eifersüchtig auf dich?«
Wie abwegig zu glauben, Riath könnte auf ihn eifersüchtig sein! Wie konnte er nur so etwas behaupten… Der große Riath, Schönling Nohvas, ist doch nicht eifersüchtig auf die Kraterfresse!
»Weil Vaaks mich will, nicht dich! Das erträgst du nicht«, behauptete er trotzig.
Riath starrte ihn einen Moment doch tatsächlich sprachlos an.
»Das passt dir nicht, hm, Bruder?« Xaith beugte sich so nahe zu ihm vor, dass ihre Nasenspitzen gegeneinanderstießen, und verzog hasserfüllt seine Miene. »Du kannst es nicht ertragen, dass er dich niemals in Betracht zog, oder?«
Langsam schüttelte Riath den Kopf. »Ich will Vaaks nicht. Nicht im Geringsten. Vaaks ist für mich so uninteressant wie ein Fladen Rinderscheiße auf unseren Feldern.«
»Als ob es dir je darum ging, ob du jemanden willst oder nicht. Nein, es geht allein um dich, um deinen Stolz. Es geht immer nur um dich!« Aufgebracht stand Xaith auf, Sarsar und May starrten sie nun an, sodass Riath sprachlos zu ihm aufsah und stammelnd den Mund auf und zu klappte, ohne etwas hervorzubringen.
»Ich sag dir was«, knurrte Xaith und zeigte angriffslustig die Fänge, »dass hier machst du mir nicht kaputt! Ich lass mir von dir nichts mehr einreden!«
Darauf herrschte eisiges Schweigen im Raum.
Riaths Gesicht nahm eine ungewohnt bleiche Farbe an, doch er presste die Lippen aufeinander, wie er es immer tat, wenn er eine tiefe, gefährliche Wut spürte.
Sie sahen sich an, starrten einander nieder, ohne dass einer von ihnen den Blick abwenden konnte, keiner von ihnen würde zuerst nachgeben.