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Berlin atomar
Die Atomkraftwerkspläne für die Hauptstadt

Katja Roeckner Jan Philipp Sternberg
Berlin atomar
Die Atomkraftwerkspläne für die Hauptstadt

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN: 978-3-86408-060-9
Korrektorat: Frank Petrasch
Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und
Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012
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Inhalt
Einleitung: Berlin und die Atomkraft – nicht nur eine Fernbeziehung
Atombegeisterung, Programme und erste Reaktoren
Berliner Besonderheiten
Erste Pläne, erste Liebe, erster Wahn. Das Reaktorprojekt von 1959-62
Strahlen an der Spree. Pläne für einen Reaktor in Ruhleben 1970-76
„Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ – der Beginn der Anti-Atom-Proteste
Fazit
Anhang
Berlin strahlt nicht. Eine Selbstverständlichkeit? Durchaus nicht. Wenn es nach den Plänen des West-Berliner Senats und des Elektrizitätsunternehmens Bewag gegangen wäre, hätte die atomare Zukunft der Stadt in einer aufgelassenen Kiesgrube beginnen sollen. Im Ortsteil Wannsee, im amerikanischen Sektor, unweit der Glienicker Brücke wäre Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre beinahe Deutschlands erstes Atomkraftwerk gebaut worden. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt (SPD), der spätere Bundeskanzler, gehörte zu den Befürwortern der Atomenergie und des Berliner Stadtreaktors. Und auch in den siebziger Jahren nahmen Senat und Bewag noch einmal einen Anlauf für ein Atomkraftwerk in der Großstadt. Das sollte sogar noch stadtnäher, direkt an der Spree auf den Ruhlebener Wiesen gebaut werden.
Über die Pläne, die beide nie Realität wurden, war damals wie heute wenig in der Öffentlichkeit bekannt. Wir haben sie anhand von Akten in verschiedenen Archiven und durch Zeitzeugeninterviews rekonstruiert. Das können Sie in diesem Buch nachlesen. Denn diese Berliner Atomgeschichte verdient durchaus einige Aufmerksamkeit: Sie steht für die grenzenlose Begeisterung zu Beginn des Atomzeitalters, für damalige Technikgläubigkeit, für die beginnende Atomskepsis in den siebziger Jahren, aber auch für die Besonderheiten des geteilten Berlins – Ortsgeschichte wurde hier, am Brennpunkt des Kalten Krieges, schnell zur Weltgeschichte.
Bevor Sie über die Kernkraftwerkplanungen der sechziger und siebziger Jahre in West-Berlin lesen können, führt eine Einleitung in den allgemeinen Zusammenhang des beginnenden Atomzeitalters ein: In Atomeuphorie, Programme wie „Atoms for Peace“ und „Euratom“, die ersten Forschungsreaktoren und kommerziellen Atomkraftwerke sowie die rechtlichen Besonderheiten des geteilten Berlins. Abschließend stellen wir in einem Ausblickskapitel die beginnende Anti-Atom-Bewegung dar, die für uns heute so selbstverständlich mit dem Atomthema verbunden ist, tatsächlich aber erst Mitte der siebziger Jahre in größerem Maße aktiv wurde. Wie ganz anders die große Mehrheit der Menschen heute, nach den Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima, auf das Thema blickt, wird hier einmal mehr deutlich. Denn in den fünfziger und sechziger Jahren schienen Begeisterung und Hoffnung, die in die neue Technologie gesetzt wurde, schier grenzenlos.
Atombegeisterung, Programme und erste Reaktoren
Atomstrom und Atomtechnik versprachen in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Schlaraffenland der unerschöpflichen Energieversorgung. Sogar vom atombetriebenen Automobil und atombeheizten Einfamilienhaus träumten die Techniker.1 Im August 1955 befeuerte die internationale Genfer Atomkonferenz die Atomeuphorie in einer breiten Öffentlichkeit. Die Pioniere USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion stellten in Genf ihre bisherigen Errungenschaften auf dem Gebiet der zivilen Nutzung der Kerntechnik vor: Die USA präsentierten in einem Gebäude, das einem Schweizer Bergbauernhof nachempfunden war, einen kleinen Forschungsreaktor, der als „Swimming-Pool-Reaktor“ in einem strahlend blauen Wasserbecken schwamm und zehntausende von Schaulustigen anzog.2 Die Technikeuphorie kannte keine Grenzen, weder auf der rechten noch auf der linken Seite des politischen Spektrums. Während der CSU-Chef Franz Josef Strauß, 1955 erster Atomminister der Bundesrepublik, nicht weniger als eine Revolution erwartete, eine vollständige „wissenschaftliche und wirtschaftliche Umwälzung“, die den Strom so billig mache, dass sich das Ablesen nicht mehr lohne3, schwärmte der marxistische Philosoph Ernst Bloch 1954 in seinem Buch „Das Prinzip Hoffnung“ auf seine Weise von der neuen Wundertechnik: „Die Atomenergie schafft in der blauen Atmosphäre des Friedens aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordamerika, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.“4
Beide deutsche Staaten überboten sich in Zukunftsplanungen. Die bundesdeutsche industrienahe Zeitschrift „atomwirtschaft“ prognostizierte, dass Westdeutschland schon bis 1960 ganze 80 Prozent seines Strombedarfs aus Kernenergie decken könne. Der Osten stand dieser Euphorie in nichts nach: „Atom wird Helfer, und Du siehst das Morgen / den hohen, hellen Schornstein, der nicht raucht,“ dichtete eine „werktätige Lyrikerin“ dort.5 Ende der 1950er-Jahre verabschiedete die DDR eine „Perspektivplanung Kernenergie“, die vorsah, bis 1970 den steigenden Energiebedarf komplett aus Kernenergie zu decken. Bis 1975 sollten 15 Atomkraftwerke in Betrieb sein.6
Von diesen erhofften Segnungen, die sich im Laufe der Jahrzehnte sämtlich als Illusionen erwiesen, wollte auch die Bundesrepublik natürlich profitieren. Für sie begann das Atomzeitalter allerdings verspätet: Erst mit der vollen Souveränität 1955 waren Forschung und Entwicklung in angewandter Kernphysik hierzulande wieder freigegeben. Zuvor war sie von den West-Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich unter scharfe Restriktionen gestellt worden. Während insbesondere die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion schon ein Jahrzehnt Vorsprung hatten, stieg die Bundesrepublik also erst zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 in die neue Technologie ein. Ein erster Schritt waren der Aufbau von Institutionen, die die Atomtechnik vorantreiben sollten, und der Aufbau von Zentren mit Forschungsreaktoren.
Letzteres förderten die Amerikaner durch ihr „Atoms for Peace“ (Atome für den Frieden)-Programm. „Die Vereinigten Staaten wissen, dass es kein Zukunftstraum mehr ist, aus der Atomenergie Kräfte für friedliche Zwecke zu gewinnen. Die erwiesene Möglichkeit dazu besteht jetzt – hier – heute“, hatte Präsident Eisenhower am 8. Dezember 1953 mit einer Rede vor den Vereinten Nationen (im Anhang) das Programm begründet.7 Die USA wollten bei ihren Verbündeten den Einstieg in die zivile Atomenergienutzung fördern, insbesondere durch die Lieferung von Forschungsreaktoren inklusive Brennmaterial. Zudem regte Eisenhower die Gründung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) an. Der kurz nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 weit verbreiteten Angst vor Atomwaffen und nuklearer Aufrüstung zwischen Ost und West wollte die amerikanische Regierung so ein positives Image der friedlichen, Fortschritt und Wohlstand bringenden Atomkraft entgegensetzen.8 Tatsächlich schlossen die USA in der Folge mit zahlreichen Ländern Verträge über die Lieferung von Brennmaterial für Forschungszwecke ab. In der Bundesrepublik machte der Forschungsreaktor in München-Garching am 31.10.1957 den Anfang, Frankfurt am Main folgte im Januar 1958, der Berliner Forschungsreaktor war schließlich im Juli 1958 der dritte.9
Als weltweit erstes kommerziell genutztes Kernkraftwerk gilt der gasgekühlte Reaktor in Calder Hall in England. Er war von 1956 bis 2003 in Betrieb. Mindestens so wichtig wie die Stromgewinnung war in diesem Fall auch die Gewinnung von Plutonium für die britische Atombombe. Calder Hall liegt auf dem Sellafield-Gelände, das immer wieder für Skandale sorgte: Hier kam es 1957 durch den Brand eines allein der Plutoniumproduktion dienenden Reaktors zu einem schweren Atomunfall mit dem Austritt großer Mengen von Radioaktivität. Außerdem war die zu Sellafield gehörende Wiederaufbereitungsanlage wegen der Verklappung radioaktiver Abfälle in das Meer immer wieder in der Kritik. Ursprünglich hieß das Gelände Windscale und wurde erst nach den Unfällen in Sellafield umbenannt.
In der Bundesrepublik war das Atomkraftwerk Gundremmingen in Bayrisch-Schwaben der erste kommerzielle Nuklearstromproduzent. Der Siedewasserreaktor ging nach vierjähriger Bauzeit im November 1966 mit einer Leistung von 237 Megawatt ans Netz. Die Stromkonzerne RWE und Bayernwerk ließen sich ihren Reaktor vom Staat geradezu vergolden: Von 300 Millionen Mark Baukosten zahlten sie nur ein Drittel. Die zivile Nutzung der Atomenergie war von Anfang an ein gigantisches Subventionsgrab. Nach einer für die Umweltorganisation Greenpeace erstellten Studie flossen von den 1950er-Jahren bis 2008 insgesamt 165 Milliarden Euro Subventionen für Entwicklung, Bau und Betrieb von kerntechnischen Anlagen in der Bundesrepublik.10
Mit der Atomstromnutzung war die DDR wenige Monate schneller gewesen. Im Mai 1966 wurde dort im brandenburgischen Rheinsberg, 70 Kilometer nördlich von Berlin, das erste Kernkraftwerk in Betrieb genommen. DDR-Minister Alfred Neumann sagte bei der feierlichen Eröffnung, die „ehemals rückständige märkische Streusandbüchse“, in der noch vor kurzem „tiefste Reaktion“ geherrscht habe, sei nun mit einem „Wahrzeichen modernster sozialistischer Technik“ ausgestattet worden.10a Das Kraftwerk war mit einem Druckwasserreaktor sowjetischer Bauart vom Typ WWER-210 ausgestattet und hatte eine Leistung von nur 70 Megawatt. Die Experten in der Errichtungsphase kamen direkt von der Baustelle im russischen Nowo-Woronesch, wo parallel das erste sowjetische Kernkraftwerk dieses Typs entstand.11
In den 1950er-Jahren wurden in der Bundesrepublik zudem auch verschiedene Institutionen zur Förderung der Atomtechnik gegründet, allen voran das Bundesministerium für Atomfragen. Seit Oktober 1955 sollte es die „friedliche Nutzung der Atomtechnik vorantreiben“. Der spätere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) wurde erster Bundesatomminister. Die Gründung war wohl eher Ausdruck der damaligen Atomeuphorie, beflügelt durch die Genfer Konferenz, als der Notwendigkeit geschuldet, zahlreiche Atomvorhaben des Bundes zu verwalten: Die gab es damals, wie soeben beschrieben, schlicht noch nicht. Erst in den 1960-er und 1970er-Jahren wurde die Planung und der Bau von Atomkraftwerken mit Milliardensummen staatlich subventioniert. So entschieden Strauß später als Bundesverteidigungsminister die atomare Bewaffnung der Bundeswehr betrieb, so zurückhaltend war er als Bundesatomminister in der Förderung von kommerziellen Atomkraftwerken. Er sah in Forschung und Ausbildung von Fachkräften die erste Priorität. Als Atomminister folgte ihm Siegfried Balke (CSU), der das Ministerium bis 1962 leitete. Balke war Chemiker, hatte lange für Chemiefirmen gearbeitet und war sehr viel mehr an der zivilen, auch industriellen Nutzung der Atomkraft interessiert als sein Vorgänger. Allerdings beklagte er seinen geringen Einfluss in der Regierung Adenauer: Der damalige Bundeskanzler habe mit ihm in seiner vierjährigen Amtszeit nicht ein einziges Mal seine Ressortangelegenheiten besprochen. So wurde das Ressort nach Balkes Ausscheiden auch zum Wissenschaftsministerium umgewidmet, damals firmierte es zunächst als „Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung“.12
Durchaus einflussreich war auch die ebenfalls 1955 gegründete „Deutsche Atomkommission“. Sie beriet das Bundesatomministerium. Besonders stark vertreten war darin die Privatwirtschaft mit 13 Mitgliedern. Wissenschaftliche Institutionen entsandten acht Vertreter, die Energiewirtschaft zwei und die Gewerkschaften einen. Gemeinsame Entscheidungen waren in diesem Gremium meist schwierig zu erzielen, da die Interessen zu verschieden waren und ausgleichende Kräfte fehlten. Die milliardenschwere Subventionierung des Baus von Kernkraftwerken initiierte die Atomkommission immerhin. Jedoch büßte sie im Laufe der 1960er-Jahre immer mehr an Einfluss ein, 1971 wurde sie aufgelöst.13
Heute ist Kernenergie stark mit der Protestbewegung dagegen verbunden, der Anti-Atombewegung. Die gab es in den 1950er und 1960er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts so nicht. Es gab allerdings 1957/58 eine sehr große Bewegung gegen Atomwaffen und insbesondere gegen die atomare Bewaffnung der soeben gegründeten Bundeswehr. Diese Bewegung „Kampf dem Atomtod“ wurde wesentlich getragen von SPD, Gewerkschaften und Kirchen und mobilisierte Hunderttausende von Menschen zu Protestmärschen und Kundgebungen. Sie gilt als eine der größten sozialen Bewegungen der frühen Bundesrepublik. Als sie ihr vorrangiges Ziel, die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zu verhindern, erreichte, löste sie sich 1958 in der ursprünglichen Form auf, SPD und Gewerkschaften zogen sich aus ihr zurück. Ulrike Meinhof, die spätere RAF-Terroristin, erlebte in dieser Bewegung noch als Studentin in Münster einen wichtigen Teil ihrer politischen Sozialisierung.
Proteste gegen die Entsorgung von Atommüll, wie sie heute seit vielen Jahren bei jedem Castor-Transport mit abgebrannten Brennelementen in die Zwischenlager Ahaus, Greifswald und Gorleben massiv und militant aufflammen, gab es erst seit Ende der 1970er-Jahre. 1977 traf der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) eine folgenreiche Standortentscheidung für ein Endlager – den Salzstock Gorleben. Bis heute ist es nicht in Betrieb. Dass Atomkraftwerke überhaupt ein Entsorgungsproblem haben würden, sahen in den 1950er und 1960er-Jahren nur sehr wenige Experten. Der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker sagte noch 1969 bei einem Besuch im Kernforschungszentrum Karlsruhe, dass der gesamte Atommüll des Jahres 2000 „in einen Kasten“ passe. Wenn man den „gut versiegelt, verschließt und in ein Bergwerk steckt, dann wird man hoffen können, daß man das Problem gelöst hat“.14
Berliner Besonderheiten
Berlin konnte nach einer Zwangspause in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder an seine Rolle als Pionier der Atomforschung anknüpfen. Hier erreichten Wissenschaftler am Kaiser-Wilhelm-Institut (Vorläufer der heutigen Max-Planck-Institute) für Chemie die allererste Kernspaltung überhaupt. Im Dezember 1938 gelang es Otto Hahn, zusammen mit seinem Assistenten Fritz Straßmann, Uran durch den Beschuss mit Neutronen zu spalten. Die Interpretation, dass es sich tatsächlich um eine Kernspaltung handelte, gelang Hahns früherer Kollegin Lise Meitner aus dem schwedischen Exil per Ferndiagnose. Seit 1956 wurde in West-Berlin die Gründung des – so der Arbeitstitel – „Instituts für Kernforschung Berlin“ vorangetrieben. Eine Initiative von Professoren von Freier Universität und Technischer Universität Berlin hatte dazu den Anstoß gegeben. Offiziell eingeweiht wurde es schließlich am 14. März 1959 als „Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung Berlin“, in Anwesenheit der beiden Namensgeber Lise Meitner und Otto Hahn sowie des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt (SPD).
Der erste Reaktor des Zentrums, der „Berliner Experimentier Reaktor“, BER I, war bereits ein Jahr zuvor in Betrieb gegangen. Er hatte eine Leistung von 50 Kilowatt und diente noch ganz der klassischen Grundlagenforschung, der Erforschung des Aufbaus und des Verhaltens von Atomkernen.15 Geliefert hatte den Reaktor die amerikanische Firma „Atomics International“ aus Kalifornien, nachdem der damalige Bundesatomminister Franz Josef Strauß bereits im Sommer 1956 entschieden hatte, das Berliner Forschungszentrum zur Hälfte zu finanzieren.
Die besondere Rechtslage West-Berlins schien das Vorhaben zeitweise noch zum Scheitern zu bringen, konnte dann aber schnell gelöst werden16: Für das Brennmaterial waren die Berliner auf Lieferungen aus den USA angewiesen, die das „Atoms for Peace“-Programm förderte. Allerdings waren in diesem Programm nur Abkommen mit „Nationen“ vorgesehen, was die „besondere politische Einheit West-Berlin“ ausschloss. Sehr schnell ermöglichte der amerikanische Senat im Frühjahr 1957 in einem gesetzgeberischen Eilverfahren jedoch eine Ausnahmegenehmigung durch die Aufnahme eines speziellen Berlin-Passus im Gesetz. Den Ausschlag für dieses entschlossene Handeln hatte offensichtlich der Vorsitzende der „Atomic Energy Commission“, Admiral Lewis L. Strauss, gegeben, der auf die drohende Vorreiterrolle der DDR in der Atomforschung hinwies: „[…] the erection of a United States reactor in West Berlin would do much to offset any psychological advantage that the Communists might seek to derive from the new research center which has been established in Dresden, […]“.17 Denn schon im Dezember 1957 nahm die DDR am Zentralinstitut für Kernforschung in Dresden-Rossendorf ihren ersten Forschungsreaktor, der von der Sowjetunion geliefert worden war, in Betrieb. Wie schnell so ein Forschungsvorhaben zum Gegenstand der Weltpolitik werden konnte, zeigt sich hier mehr als deutlich.
Bis heute wird am Wannsee geforscht, inzwischen ist das Institut umbenannt in „Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie“, nach der Integration in die Helmholtz-Forschungsinstitute und der Zusammenlegung mit der „Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung“ (Bessy) im Jahr 2009. Seit 1973 betreibt das Institut den zweiten Reaktor, BER II, der der Forschung mit Neutronenstreuung dient.18
Der Reaktor ist seit 2010 für Wartungsarbeiten abgeschaltet und sollte 2012 wieder angefahren werden. Demonstranten in Berlin und Potsdam forderten die endgültige Stilllegung. Neben dieser wissenschaftlichen Nutzung der Kerntechnologie aber gab es in den 1960er-Jahren Pläne, am Wannsee einen kommerziellen Atomreaktor zu errichten.
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