- -
- 100%
- +
35
Dieser Tendenz stellt sich zunächst eine naturrechtliche Bewegung entgegen, die im Sinne der Rechtsgleichheit Veränderungen zugunsten von Frauen, ausserehelichen Kindern und anderer Diskriminierungen anstrebt und teilweise auch erwirkt.[106] Die Französische Revolution und insbesondere der davon geprägte Code Civil vermag die Staatsallmacht im Vormundschaftsrecht sodann zu beschränken.[107] Zugleich wird der Code Civil zum Vorbild für andere Länder, auch für einzelne Schweizer Kantone.[108] Der Code Civil, aber auch später das Vormundschaftsrecht des Privatrechtlichen Gesetzbuches für den Kanton Zürich vermögen das Spannungsverhältnis zwischen Familieninteressen und staatlicher Ordnung für diese Zeit auszutarieren.[109]
36
Im 19. Jahrhundert regeln viele Kantone das Vormundschaftsrecht in eigenständigen Erlassen, wobei sich die frankophone Schweiz am Code Civil, der Kanton Bern am österreichischen ABGB orientiert.[110] Gerade die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts steht unter dem Einfluss von liberalen Ideen, wendet sich von der «Reglementierungssucht des Polizeistaates»[111] mehr oder minder ab und verweist den Staat in die Rolle des subsidiären Helfers.[112] Das Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit vom 22. Juni 1881 bringt eine erste Vereinheitlichung mit sich. Art. 5 des Gesetzes legt erstmals die Entmündigungsgründe für die ganze Schweiz fest (Verschwendung, geistiges bzw. körperliches Gebrechen, Misswirtschaft, Strafgefangenschaft, eigenes Begehren). Zudem ist auch eine lediglich teilweise Beschränkung der Handlungsfähigkeit möglich.[113] Folge davon ist, dass mit der Beschränkung der Anzahl der Entmündigungsgründe die persönliche Freiheit faktisch gestärkt wurde, wenn auch der historische Gesetzgeber eher den Rechtsverkehr mit schutzbedürftigen Personen vereinheitlichen und sichern wollte.[114]
37
Im 20. Jahrhundert treten zu dieser liberalen Haltung noch sozialstaatliche und –politische Ziele hinzu, und zwar gerade dort, wo infolge der Industrialisierung die Familie ihren Aufgaben nicht mehr nachzukommen vermag.[115]
38
Das massgeblich von Eugen HUBER geprägte geltende Zivilgesetzbuch von 1907 basiert im Wesentlichen auf den vor Inkrafttreten des ZGB geltenden kantonalen Ordnungen. Dort finden sich bereits in Bezug auf die Personensorge gerade in den Kantonen Bern und Graubünden entsprechende Bestimmungen, die Gebrechlichen eine anständige Verpflegung und in Graubünden, soweit tunlich, eine heilende Pflege zuteilwerden lassen; zudem sind Verschwender zu einer «verständigen und geordneten Lebensweise anzuhalten.»[116] Die Leistung von Eugen HUBER ist in diesem Bereich insbesondere in «der Sichtung und straffenden Synthese der schier unübersehbaren kantonalen Stofffülle»[117] zu sehen. Dennoch ist das Vormundschaftsrecht durch das neue Zivilgesetzbuch einem inneren Wandel ausgesetzt. Dieser liegt in seiner sozialen Ausrichtung und seiner fürsorgerischen Zielsetzung. Zwar war es im kantonalen Recht bereits so, dass dem Vormund Aufgaben der Personensorge übertragen wurden.[118] Im Kindesrecht hat das ZGB sie aber in den Vordergrund gestellt und erweitert. Diese Tendenz ist auch im Vormundschaftsrecht ersichtlich: Die Formulierung der Entmündigungsgründe zeigt deutlich das verstärkte Bedürfnis nach vermehrter Personensorge.[119] Hintergrund hierfür sind der Wandel in den Wertvorstellungen und die sozialen Umstände, insbesondere die Not in jener Zeit.[120] Dies findet sich im alten Vormundschaftsrecht im Rahmen des Programmartikels von Art. 367 aZGB, aber auch konkretisiert in Art. 406 aZGB, welche die Personensorge auf den Schutzzweck beschränkte.[121] So kann die Aufgabe des Mandatsträgers so weit reichen, dass ihm eine umfassende Betreuung zukommt, welche durchaus vergleichbar mit derjenigen von minderjährigen Personen ist.[122] Im Vergleich zu Normdichte und –gehalt in Bezug auf die Vermögenssorge oder die Vertretung im Rechtsverkehr verbleiben die Bestimmungen über die Personensorge im Zivilgesetzbuch von 1907 dennoch eher bescheiden.[123]
4. Die behördlichen Massnahmen des früheren Vormundschaftsrechts im Überblick
39
Das Vormundschaftsrecht kannte als Hauptmassnahmen die Beistandschaften, die Beiratschaften, die Vormundschaften und die nicht amts- und personengebundene fürsorgerische Freiheitsentziehung. Anknüpfungspunkt war in Bezug auf die personen- und amtsgebundenen Massnahmen die faktische oder rechtliche Einschränkung der Handlungsfähigkeit, in Bezug auf die fürsorgerische Freiheitsentziehung, die Bestimmung über den Aufenthalt gegen den – allenfalls auch mutmasslichen oder hypothetischen – Willen der betroffenen Person und die Unterbringung in einer geeigneten Anstalt. Diese Bestimmung über den Aufenthalt hat – ähnlich der Begleitbeistandschaft[124] – keine Einschränkung der Handlungsfähigkeit zur Folge, stellt aber dennoch einen massiven Grundrechtseingriff dar. Das Abweichen vom sonst üblichen Anknüpfungspunkt der Beschränkung der Handlungsfähigkeit ist historisch zu erklären. Die fürsorgerische Freiheitsentziehung fand erst 1981 Eingang ins Gesetz; zuvor war die Regelung auf Bundesebene sehr lückenhaft.[125] Ihre Vorläufer sind die kantonal geregelten administrativen Versorgungen. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Eingriffssozialrecht[126] wurde die fürsorgerische Freiheitsentziehung dem Erwachsenenschutz zugeordnet.
40
Die amts- und personengebundenen Massnahmen unterschieden sich dadurch, dass bei den Beistandschaften die Handlungsfähigkeit zwar tatsächlich, aber nicht rechtlich eingeschränkt wird, indem sich die verbeiständete Person die Handlungen des Beistandes anrechnen lassen muss, bei den Beiratschaften diese eingeschränkt und bei den Vormundschaften die Handlungsfähigkeit entzogen wird, wobei die höchstpersönlichen Rechte jeweils im Regelfalle nicht beschränkt werden durften. Im Folgenden werden ausschliesslich die amts- und personengebundenen Massnahmen dargestellt.
4.1 Die Beistandschaften (Art. 392–394 aZGB)
41
Die Beistandschaften wurden unterteilt in Vertretungs–, Verwaltungs– und kombinierte Beistandschaft sowie die Beistandschaft auf eigenes Begehren. Allen war gemeinsam, dass der Beistand in Bezug auf die Vertretungsmacht konkurrierende Kompetenzen hatte. Die schutzbedürftige Person und die Beistandsperson konnten handeln; die schutzbedürftige Person musste sich aber die Handlungen des Beistandes anrechnen lassen, weshalb die Handlungsfähigkeit faktisch eingeschränkt war.[127] Voraussetzung für Beistandschaften war in aller Regel eine gewisse Kooperationsfähig- und –willigkeit der betroffenen Person; im Minimum durfte diese die Handlungen der Beistandsperson nicht durchkreuzen oder vereiteln.[128]
42
Die Vertretungsbeistandschaften wurden gemäss den Voraussetzungen in Art. 392 aZGB angeordnet. Darunter fielen insbesondere Interessenkollisionen und Vertretung in dringenden Angelegenheiten. Auch wenn sie nur als vorübergehende Massnahme gedacht waren, konnten sie – aufgrund von Auslegung – auch als Dauermassnahme und sogar zur persönlichen Fürsorge errichtet werden.[129]
43
Die Verwaltungsbeistandschaft des Art. 393 aZGB fokussiert demgegenüber Situationen, in denen eine Person aufgrund eines Schwächezustandes nicht ausreichend um ihr Vermögen besorgt sein konnte. Die Vertretungsmacht des Beistandes leitete sich gemäss den abschliessend aufgezählten vier Situationen von diesen ab. Dabei war der Beistand nur für das Vermögen und nicht für die Einkommensverwaltung zuständig;[130] er war diesbezüglich allenfalls auch Vertreter der schutzbedürftigen Person.[131] Eine beschränkte persönliche Fürsorge mit dem Ziel der Vermögensverwaltung war zulässig, wobei Zwangsmassnahmen ausgeschlossen waren.[132]
44
Die beiden Beistandschaften konnten auch kombiniert werden, wobei in der Praxis vorab die Kombination von Art. 392 Ziff. 1 i.V.m. Art. 393 Ziff. 2 aZGB im Vordergrund stand.[133] Hier umfasste die Vertretungsmacht des Beistandes die gemäss Schutzzweck notwendige Personen- und Vermögenssorge.[134]
45
Die Beistandschaft auf eigenes Begehren erschien prima vista als besonders niederschwellige Massnahme. Das eigene Begehren verwies auf die Freiwilligkeit. Damit war sie in Bezug auf die Initialphase durchaus eine sehr milde Form; betrachtete man demgegenüber ihre Vertretungsmacht, so beinhaltet diese eine umfassende Personen- und Vermögenssorge.[135] Entsprechend orientierte sie sich bereits im Gesetzestext an der Vormundschaft,[136] weshalb auch der Aufgabenumfang von der Vormundschaft hergeleitet wurde[137] und somit die Einkommensverwaltung auch zum Aufgabenbereich des Beistandes gehörte. Eine Besonderheit der Beistandschaft auf eigenes Begehren war, dass die Behörde die Massnahme aufheben musste, sobald die schutzbedürftige Person dies beantragte. Die Behörde hatte aber – allenfalls weiter in die Rechtstellung des Betroffenen reichende – andere Massnahmen zu prüfen.[138]
4.2 Die Beiratschaften (Art. 395 aZGB)
46
Bei der Beiratschaft wurde die Beschränkung der Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person erforderlich, weil diese aufgrund ihres Schwächezustandes entweder von sich aus mehr oder minder unkontrolliert selbstschädigende Handlungen ausführte oder dazu verleitet wurde. Die Beiratschaften unterteilten sich in die Mitwirkungsbeiratschaft, die Verwaltungsbeiratschaft, die kombinierte Beiratschaft und die Beiratschaft auf eigenes Begehren. Sie zielten alle primär auf die Vermögenssorge ab. Personensorge war aber möglich; diese durfte aber in Bezug auf die Schutzbedürftigkeit nicht Haupt-, sondern nur Nebenwirkung sein.[139]
47
Die Mitwirkungsbeiratschaft gemäss Art. 395 Abs. 1 aZGB beschränkte die Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person, indem die in Ziffer 1.–9. aufgeführten Geschäfte in jedem Falle nur gültig zustande kamen, wenn der Mitwirkungsbeirat diesen zustimmte. Er war nicht gesetzlicher Vertreter; die urteilsfähige schutzbedürftige Person musste die Geschäfte vornehmen, und der Beirat konnte diesen nur zustimmen – sei es stillschweigend, explizit, vorgängig oder nachträglich.[140]
48
Bei der Verwaltungsbeiratschaft wurde der schutzbedürftigen Person die Verwaltung über ihr Vermögen mit Ausnahme der Erträgnisse und der Einkommensverwaltung[141] entzogen und dem Beirat in ausschliesslicher Kompetenz übertragen.[142] Damit wurde in diesen Aufgabenbereichen der betroffenen Person gleichzeitig die Handlungsfähigkeit entzogen.[143]
49
Die kombinierte Beiratschaft vereinte die Wirkungen der Mitwirkungs- und der Verwaltungsbeiratschaft. Damit wurde einerseits das Vermögen mit Ausnahme der Erträgnisse und des Einkommens der schutzbedürftigen Person entzogen; auf der anderen Seite zudem die Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person in Bezug auf die Erträgnisse und das Einkommen der in Ziffer 1.–9. aufgeführten Geschäfte eingeschränkt.[144]
50
Die Beiratschaft auf eigenes Begehren war keine eigenständige Massnahme, sondern konnte sich auf die Mitwirkungs–, die Verwaltungs- oder die kombinierte Beiratschaft beziehen. Sie wurde analog zu Art. 394, respektive Art. 372 aZGB angewendet. Folge davon war, dass die Voraussetzungen der Massnahme etwas milder beurteilt werden konnten[145] und die Verhältnismässigkeitsprüfung dazu führte, dass bereits bei geringerer Schutzbedürftigkeit eine Massnahme errichtet werden konnte.[146] Im Unterschied zur Beistandschaft auf eigenes Begehren musste dem Antrag der schutzbedürftigen Person auf Aufhebung nicht automatisch entsprochen werden. Analog zur Vormundschaft auf eigenes Begehren galt Art. 439 Abs. 3 aZGB.[147]
4.3 Die Vormundschaften (Art. 369–372 aZGB)
51
Die Vormundschaften entzogen der schutzbedürftigen Person die Mündigkeit. Sie war handlungsunfähig; allenfalls war sie beschränkt handlungsunfähig, soweit sie noch urteilsfähig war.[148] Die Rechtsmacht[149] des Vormundes beinhaltete eine umfassende Personen- und Vermögenssorge sowie die Vertretung, wobei hier wiederum die höchstpersönlichen Rechte zu beachten waren.[150] Unterschieden wurden die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, diejenige wegen Verschwendung, lasterhaftem Lebenswandel, Trunksucht und Misswirtschaft, wegen Freiheitsstrafe und auf eigenes Begehren. Bei Art. 369 f. aZGB fand sich unter anderem die dauernde Fürsorge- und Beistandsbedürftigkeit als soziale Voraussetzung einer Entmündigung. Damit konnte eine Entmündigung auch im Rahmen der Personensorge erfolgen, und dem Vormund wurden in solchen Fällen insbesondere Aufgabenbereiche der umfassenden Personensorge übertragen.[151]
4.4 Die Personensorge im Rahmen der altrechtlichen personengebundenen Massnahmen
52
Zusammenfassend waren bereits im altrechtlichen System vormundschaftliche Massnahmen zur Personensorge punktuell oder relativ ausgeprägt möglich, auch wenn dies nicht immer explizit aus dem Gesetzestext ersichtlich war. Grenze dieser zuweilen kreativen Auslegungen von Lehre und Rechtsprechung zugunsten einer funktionierenden Praxis war, dass mit der Anreicherung der Personensorge nicht ein Rechtsinstitut umgestaltet werden durfte. Eine solche Auslegung begünstigte, dass Personen- und Vermögenssorge nicht trennscharf zu unterscheiden waren und in Wechselwirkungen standen.[152]
5. Fazit: Die Personensorge im rechtshistorischen Rückblick
53
Dieser kurze rechtsgeschichtliche Rückblick hat aufgezeigt, dass unzureichende Vermögenssorge über weite Strecken der Entwicklung ein Grundkriterium des Fürsorgebedarfs war. In dieser Allgemeinheit wurde es zwar erst im Vernunftrecht benannt, findet sich aber de facto bereits im römischen und im gemeinen Recht.[153] Die eigentliche Personensorge entwickelte sich im Erwachsenenschutzrecht als Abbild des Erziehungsgedankens aus der Vormundschaft über Minderjährige und findet erst spät mit dem Zivilgesetzbuch von 1907 ausdrücklich Eingang ins Gesetz. Aber auch das Zivilgesetzbuch von 1907 ist auf Vermögenssorge ausgerichtet und behandelt die Personensorge eher als Nebenerscheinung. Durch Auslegung wurde aber das typenfixierte und –gebundene Massnahmensystem mit Personensorge angereichert – gerade auch deshalb, weil eine Wechselwirkung zwischen Personen- und Vermögenssorge besteht bzw. die beiden Bereiche nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden konnten.
54
In Bezug auf den Schutzzweck zeigt sich, dass ursprünglich vorab Interessen der Familien, Dritter und der Allgemeinheit mindestens mitentscheidend für die Anordnung einer Massnahme waren. Diese Fremdinteressen blieben trotz der zunehmenden Ausrichtung auf das Wohl der hilfs- und schutzbedürftigen Person über weite Strecken auch noch bis in das Zivilgesetzbuch von 1907 spürbar.[154]
6. Die Entwicklung des Begriffs der Personensorge im Vormundschaftsrecht und im revidierten Erwachsenenschutzrecht
6.1 Die Personensorge
55
Der Gedanke der Fürsorge ist im Kern dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Trotzdem finden sich – vor allem im Familienrecht – fürsorgerische Überlegungen durchaus auch im Privatrecht, wo gerade im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes dem Staate fürsorgerische Aufgaben zukommen.[155] Die persönliche Fürsorge bzw. die Personensorge als eigenständiger Teil der erwachsenenschutzrechtlichen Tätigkeit hat sich – wie oben aufgezeigt[156] – aus dem Kindesrecht und hier insbesondere der Vormundschaft über Minderjährige herauskristallisiert.[157]
6.2 Der Begriff der Personensorge im früheren Vormundschaftsrecht
56
Das schweizerische Recht kennt nicht ein eigentliches Konzept der Personensorge. Der Begriff ist organisch gewachsen. Dabei finden sich durchaus unterschiedliche Interpretationen und Entwicklungsstränge. Um ihn genauer zu verstehen, werden im Folgenden wichtige Stationen der Begriffsentwicklung im alten Vormundschaftsrecht dargestellt und diese für die Bedeutung im revidierten Recht beigezogen.
6.2.1 EUGEN HUBER (1893, 1914)
57
Der Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, EUGEN HUBER, sah die Personensorge als Gegenpart von Vermögensverwaltung und Vertretung.[158] Die Definition der Personensorge leitete er aus dem Verhältnis von Minderjährigen und Sorgeberechtigten ab. «Die Fürsorge für die Person des Mündels besteht im Allgemeinen darin, dass der Vormund pflichtig ist, für die geistige und körperliche Wohlfahrt des Vögtlings nach Kräften Sorge zu tragen. Dafür ist der Vogt berechtigt, von dem Vögtling Achtung und Gehorsam zu verlangen.»[159] HUBERS Begriff der Personensorge gilt gleichermassen für das Kindes- und das Erwachsenenschutzrecht. Für den Erwachsenenschutz grenzt er die Personensorge – mit Verweis auf das bernische Zivilgesetzbuch – auf den Schutzzweck ein: «Bei gebrechlichen Personen sorgt er [der Vormund; Anmerkung DR] für ihre anständige Verpflegung, und Verschwender sucht er zu einer regelmässigen Lebensart anzuhalten.»[160] Grenzen der Personensorge des Vormundes finden sich – mit Verweis auf das bündnerische Recht – beispielsweise in der zwangsweisen Unterbringung in Heilanstalten oder unter «besonderer polizeilicher und korrektioneller Aufsicht»,[161] welche der Genehmigung der Vormundschaftsbehörde bedürfen.[162] Neben dieser Personensorge des Vormundes im Rahmen seiner amtsgebundenen Tätigkeit findet sich dieselbe auch im Rahmen der zwangsweisen Unterbringung.[163]
6.2.2 HANS HEFTI (1916)
58
Nach HEFTI ist die Personensorge umfassend, hat sich aber auf den Schutzzeck zu beschränken. Diese Subsidiarität ergibt sich aus Art. 406 aZGB, wobei die notwendige Personensorge nicht auf Vertretungshandlungen beschränkt ist, sondern sämtliche «persönlichen Angelegenheiten [umfasst; Ergänzung DR], die in der Lebensführung des Entmündigten vorkommen, wie z. B. die Art seiner Bekleidung, Ernährung, Vergnügungen etc.; ebenso erstreckt sie sich auf gehörige Aufsicht, auf die erforderliche Pflege und Sicherung des Interdizierten».[164]
6.2.3 JOSEPH KAUFMANN (1924)
59
JOSEPH KAUFMANN beschreibt im Berner Kommentar die Personensorge für Minder- und Volljährige inhaltlich gleich wie EUGEN HUBER, als Sorge für dessen geistige und körperliche Wohlfahrt,[165] wobei er die Bestimmungen der Art. 405 f. aZGB nur als Hauptregeln der Personensorge versteht. Personensorge sei mit Bezug auf Art. 367 Abs. 1 aZGB umfassender, weil dort der Mandatsträger die «gesamten persönlichen Interessen zu wahren»[166] hat. Eine weitere gewichtigere Differenz zu HUBER zeichnet sich ab in Bezug auf die der alten Gesetzessystematik inhärente Gegenüberstellung von Vermögensverwaltung, Personensorge und Vertretung. Diese war wie folgt gestaltet:
B.Fürsorge und Vertretung
I.Fürsorge für die Person (Art. 405 ff. aZGB)
II.Vertretung (Art. 407–412 aZGB)
C.Vermögensverwaltung (Art. 413 f. aZGB)
60
Während HUBER die Vertretung und die Vermögensverwaltung der persönlichen Fürsorge gegenüberstellt, sah die alte Gesetzessystematik vor, dass Fürsorge und Vertretung zusammen der Vermögensverwaltung gegenübergestellt waren. Diese Diskrepanz löst KAUFMANN, indem er die Gegensätze in den Gesamtzusammenhang von Art. 367 aZGB stellt. «Nach Massgabe von Art. 367 Abs. 1 ZGB ist zunächst zu unterscheiden zwischen der Wahrung der persönlichen und der Wahrung der vermögensrechtlichen Interessen. In beiden Richtungen ist aber gleichzeitig zu unterscheiden zwischen der tatsächlichen Fürsorge und der rechtsgeschäftlichen Tätigkeit, der Vertretung im weiteren Sinne».[167] Art. 405 f. aZGB umschreiben folglich vorab die tatsächliche Fürsorge für die Person, und Art. 407 ff. aZGB beziehen sich somit auf Angelegenheiten der Personensorge wie auch der Vermögenssorge.[168] Damit ist im Rahmen der Personensorge tatsächliches Handeln und Vertretungshandeln möglich.
61
In Bezug auf die konkreten Aufgaben im Bereich der Personensorge fordert KAUFMANN massgeschneiderte Personensorge: «Vormund und Vormundschaftsbehörde müssen individualisieren und sich von jeder Schablone freihalten.»[169] Darin enthalten ist auch mit Verweis auf das deutsche BGB – wie bei HEFTI – die Subsidiarität: «So vielseitig an sich die Fürsorgetätigkeit des Vormundes sein kann, so hat er sich doch auf die Zwecke der Vormundschaft zu beschränken.»[170] KAUFMANN sieht die Hauptaufgabe nicht nur in der Förderung des persönlichen Wohls des Mündels, sondern auch im Schutz von direkt bedrohten Dritten mit Bezugnahme auf Art. 369 f. aZGB.[171] Hierzu zählt er (Nach–)Erziehung, gesundheitliche Fürsorge und die Unterbringung in einer Anstalt.
6.2.4 HEDWIG OETTLI (1941)
62
Die Personensorge beziehe sich nach OETTLI auf alle persönlichen Aufgabenbereiche, die rechtlich zulässig sind.[172] Sie definiert diese persönlichen Angelegenheiten in Abgrenzung zur Vermögenssorge. Es sei darunter alles zu verstehen, «was die Person des Entmündigten betrifft, mit Ausnahmen der rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten.»[173] Darunter fiele die Sorge für den Unterhalt des Mündels und seiner Familie, die Sorge für das gesundheitliche Wohl und für die «moralisch sittliche Entwicklung».[174] Ferner bestimmt sich der Inhalt der Personensorge wie bei HANS HEFTI auch bei HEDWIG OETTLI massgeblich nach dem Grund und dem Zweck der Massnahme.[175] Durch diesen Schutzzweck werde aber der Umfang der persönlichen Fürsorge nicht beschränkt, da der Zweck der Massnahme nur die Richtung und das Ziel weise, nicht aber beschränke. Als Grenze formuliert sie die Selbstbestimmung: «Das Interesse des Mündels aber besteht sowohl in einer angemessenen persönlichen Fürsorge, als auch in der Gewährung einer angemessenen Freiheit, die den Verhältnissen des einzelnen Falls angepasst ist.»[176] Die Schutzaufgaben des Vormundes seien subsidiär, also nur dort anzuwenden, wo die schutzbedürftige Person Unterstützung benötige.[177]
6.2.5 AUGUST EGGER (1948)
63
Wie bereits HANS HEFTI und HEDWIG OETTLI verweist auch AUGUST EGGER insbesondere auf den Zusammenhang des Massnahmegrundes, also des Schutzbedarfs, und die sich daraus ergebenden ergänzenden Aufgabenbereiche im Bereich der persönlichen Fürsorge. Die Nacherziehung sieht auch EGGER als möglichen Aufgabenbereich, wobei er sich hier im Unterschied zu KAUFMANN zurückhaltender zeigt, indem die schutzbedürftige Person dort entscheiden soll, wo sie zu einer vernünftigen Entscheidung fähig und willig sei.[178] Als Aufgabenbereiche sieht er Beruf und Gewerbe, Wirtshausverbot, Gesundheitspflege, Anstaltsunterbringung an.[179]
6.2.6 BERNHARD SCHNYDER/ERWIN MURER (1984)
64
SCHNYDER/MURER nehmen KAUFMANNs Auslegung auf und führen diese aus: Mangelnde Handlungsfähigkeit kann sich immer nur auf die Vermögens- oder die Personensorge beziehen. Man könne zwar von drei Schwächezuständen sprechen (mangelnde Handlungsfähigkeit, Schwächezustand in der Vermögensverwaltung, Schwächezustand in der Person); geschützte Rechtsgüter seien aber immer die Person oder das Vermögen. Man könne auch von drei Aufgaben des Vormundschaftsrechts sprechen, nämlich Vertretung, Personensorge und Vermögenssorge. Diese würden sich aber immer nur auf den Personen- oder Vermögensbereich beziehen. Strenggenommen gäbe es auch nicht zwei geschützte Rechtsgüter, sondern nur eines: die Person.[180]






