Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte

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Während ein eilends herbeigerufener Notarzt sich immer noch um Gerta Brahms kümmerte und auch ein Polizeipsychologe bereit stand, sich ihrer anzunehmen, beugte sich Valentin Rohrmoser, Kriminalhauptkommissar der Mordkommission Regensburg, über die nackte Leiche von Rosi Hinterwimmer. Die Spurensicherung der Kripo hatte das Badewasser abgelassen und ihre Arbeit im obersten Stockwerk des Eh’häusls abgeschlossen. Nun suchten sie auf den restlichen fünf Etagen nach verwertbaren Spuren. Der Rechtsmediziner Dr. Ignaz Bauerreiß stand neben dem Kommissar, dessen buschiger Schnauzer fast die Nase des Opfers berührte. Rohrmoser kniete vor der Badewanne und betrachtete die Leiche aus nächster Nähe. Sein Bauch hing über der viel zu engen Jeans und auch die Knöpfe seines weiß-blau karierten, kurzärmeligen Hemdes drohten demnächst die Fäden, die sie noch hielten, wegzusprengen. Die unbequeme Körperhaltung schien ihn anzustrengen. Über seiner Glatze zog sich ein dünner Schweißfilm. »Eindeutig ein aufgesetzter Kopfschuss«, kommentierte der Rechtsmediziner ungefragt. »Hier, sehen Sie die Schmauchspuren rund um die Einschusswunde? Immer noch gut zu erkennen, obwohl die Leiche im Wasser gelegen war.«
»Todeszeitpunkt?«, knurrte der Kommissar unter seinem Schnauzbart hervor.
»Ich schätze zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht«, antwortete Ignaz Bauerreiß. »Noch unverbindlich«, setzte er hinzu. »Genaueres kann ich Ihnen erst nach der Leichenschau sagen. Die Todesursache ist allerdings eindeutig: Der Schuss in die rechte Schläfenregion. Schusskanal, Knochenfragmente und das in der Wand steckende Projektil sprechen eine eindeutige Sprache. Glatter Durchschuss. Die Hirnverletzungen waren absolut tödlich. Die Hirnmassenverschiebung nach links hat zu einer Einklemmung am Hirnstamm geführt und somit zum Verlust lebensnotwendiger Funktionen. Aber wie gesagt, die Autopsie müssen Sie schon noch abwarten, bevor …«
»Hat scho oaner mit Frau Brahms sprechn könna?«, unterbrach ihn der Kommissar.
»Nur ganz kurz«. Franziska Schuler, Leiterin der SpuSi, kam die Treppe herauf. »Der Mann der Toten, ein Rolf Hinterwimmer, hätte vor drei Wochen telefonisch das Hotel gebucht, hat sie ausgesagt. Der Übernachtungspreis wurde der Hotelverwaltung per Brief zugestellt. Sehr ungewöhnlich. Ach ja, einen fränkischen Dialekt soll er gehabt haben, vermutet Frau Brahms. Ist sich aber nicht absolut sicher. Könnte auch schwäbisch gewesen sein, meint sie. Sie kennt sich da nicht so genau aus.«
»Sehr hilfreich. Sonst noch was?«
»Ja. Die Tote ist gar nicht verheiratet, sondern geht hier in der Seminargasse dem horizontalen Gewerbe nach. Außerdem scheint das Opfer Kokain konsumiert zu haben. Unten im ersten Stock, auf der Glasplatte des Tisches, haben wir Reste von Kokainhydrochlorid gefunden. In ihrer Handtasche befinden sich weitere Tütchen von dem Zeugs«, fuhr Franziska Schuler fort, »aber meine Leute sind mit ihren Untersuchungen noch nicht fertig. In der untersten Etage steht ein reichhaltiges Frühstücksarrangement. Kaffee, O-Saft, Brötchen, Wurst, Käse, gekochte Eier, Joghurt, Früchte und mehr. Alles unangetastet. Hier oben und im Kaminzimmer gibt es jede Menge Fingerabdrücke, aber nur von der Toten. Hinweise auf ihren Mörder haben wir bisher noch nicht, wenn wir davon ausgehen, dass ihr angeblicher Ehemann ein Freier und auch ihr Mörder ist. Wir sind aber noch nicht fertig. Vielleicht finden wir doch noch etwas, was auf den Täter hindeutet.«
»Sie werdn nix findn«, prophezeite der Hauptkommissar. »Hier woar ein Profi am Werk.«
»Kann ich jetzt die Leiche abtransportieren lassen?«, quengelte Doktor Bauerreiß, »ich habe noch jede Menge Arbeit vor mir, und außerdem muss ich mir von der Staatsanwaltschaft noch die Freigabe für die Leichenschau einholen.«
»Hauns scho ab«, merkte der Kripo-Beamte an, »und … Sie habens ja ghört … achtns auf den Kokainnachweis. Wer von Eahna kann mir mehr über die Identität des Opfers derzähln?«
»Am besten, Sie fragen Polizeimeister Franz Muckerer von der hiesigen Polizeiinspektion«, antwortete Frau Schuler. »Dem ist die Tote nicht unbekannt. Von ihm kommt auch der Hinweis, dass die Tote dem horizontalen Gewerbe nachgeht.«
»Nachging«, verbesserte Hauptkommissar Rohrmoser, »sie ging dem horizontalen Gewerbe nach. Etz is sie ja mausetot. Und wo find ich den Kollegen Muckerer?«
»Der steht vor der Haustür und wimmelt die Presse ab.«
»Warts ihr schon in der Wohnung des Opfers?«, wollte der Regensburger noch wissen.
»Witzbold!«, antwortete Franziska Schuler, »wir machen erst hier fertig, dann …«
»Scho guat. Sagts mir Bescheid, wenns ihr dort fertig seids.«
3
»Eine Scheißhitz is des«, schimpfte Kunigunde Holzmann, »ich schwitz wie eine Sau«, und nippte an ihrem lauwarmen Kitzmann-Bier. Ihre Gesichtsfarbe hätte einem Truthahn zur Ehre gereicht. Ihr gegenüber saßen auf einer harten Biertischgarnitur Margarethe Bauer und deren Untermieter Dirk Loos. Die drei hatten sich trotz tropischer Hitze von Röttenbach auf den Weg nach Erlangen gemacht, um den Tag der Franken gebührend zu feiern. Nun saßen sie da, auf dem Erlanger Marktplatz, bei glühender Hitze und ärgerten sich, dass sie überhaupt gekommen waren. Zur Feier des Tages hatten sich die beiden Witwen in ihre fränkischen Trachten geschmissen – trotz der hohen Temperaturen. Beide trugen Miederröcke und Schürzen in gedeckten Farbtönen. Oben herum hatten sie sich, der Hitze wegen, kurzärmlige weiße Blusen gegönnt, über welchen sie allerdings, der Tradition wegen, ihre schweren, bunten Schultertücher gelegt hatten. Sie sahen aus wie zwei Krenweiber. Selbst der Sauerländer Dirk Loos musste sich der Tradition beugen. Darauf bestanden die zwei Frauen. Margarethe Bauer hatte von ihrem Reser einen fränkischen Dreispitz und ein buntes Halstuch ausgegraben. In die typische Kniehose hatte der Dirk dann selbst investiert.
»Könna Schweine überhaupt schwitzn?«, überlegte Margaretha Bauer laut. »Aber recht hast scho, Kunni. Da hättn wir auch daham bleiben könna«, schlug sie in die gleiche Kerbe, wie ihre Freundin. »Schaut euch doch um«, setzte sie hinzu, »nix los. Außer lauter Preußn und Siemensler sind kane normalen Leut unterwegs. Von wegen, Tag der Franken. Eine Schand is des. A Hohn.« Die beiden Röttenbacher Witwen, fränkische Urgesteine, steuerten mit großen Schritten auf ihre fünfundachtzigsten Geburtstage zu. Auch Dirk Loos, der vor Jahren aus dem Sauerland nach Röttenbach zugezogen war, ließ enttäuscht den Kopf hängen. So hatten sich die drei die Feierlichkeiten nicht vorgestellt. Ihre mitgebrachten Fahnen mit dem Frankenrechen lagen eingerollt auf dem Biertisch.
»Offen aus Tradition«, murmelte Kunigunde Holzmann sarkastisch vor sich hin, »Multikulti Programm. Fränkische Blasmusik und türkische Folklore. Da kann ich ja bloß lachn. Nix gegen Türkn, aber so a Motto, des passt doch net zum Tag der Franken. Wie solln da a Stimmung aufkomma? Migration und Integration sind in der Hugenottenstadt seit Jahrhunderten daheim, hat er gsacht, der Erlanger Burchermaster. So was kann mer doch an so einem Tag wie heut net thematisiern. Wie könna die Erlanger bloß so an zum Burchermaster wähln, frag ich mich?«
»In der Hugenottenkirchn gibts a Ausstellung«, setzte ihre Freundin hinzu, »Fremde in Franken und im Stadtmuseum wird Muslime in Erlangen gezeigt.«
»Völlig daneben«, ärgerte sich die Kunni weiter. »Des hat mit Frankn goar nix zu tun. Mei is des a Hitz heut. Des hat doch mindestens fünfadreißig Grad?«
»Meine Damen«, brachte sich Dirk Loos in die Unterhaltung ein und schielte unter seinem Dreispitz hervor, der ihm bis auf die Ohrmuscheln gerutscht war, »es ist einfach zu heiß heute. Da gehen die Leute lieber in die Freibäder oder besuchen die schattigen Bierkeller.«
»Papperlapapp«, widersprach seine Vermieterin, »wir sind doch auch da. Gell, Kunni?«
»Genau. Mier sen halt richtige Frankn. Kane so dahergeschlappte Möchtegern-Einheimische.«
»In fünfter Generation«, setzte ihre Freundin stolz hinzu.
Die beiden Witwen kennen sich seit dem Sandkastenalter, haben ihr ganzes Leben in der kleinen mittelfränkischen Gemeinde Röttenbach verbracht und frönen gemeinsamen Interessen, wobei ein deftiges fränkisches Essen auf ihrer Prioritätenliste ganz oben steht. Allen voran ein knuspriges Schäufele, ganz dicht dahinter der gebackene Aischgründer Spiegelkarpfen, welcher bedauerlicherweise nur in den Monaten, die ein »r« in ihrem Namen tragen, auf die Tische der fränkischen Gasthäuser kommt. Neben einem guten Essen – wie sollte es auch anders sein – betreiben die beiden ein intensives lokales Networking, was Nicht-Insider mit dem simplen und irreführenden Wort »Tratsch« betiteln. Zu guter Letzt hatten es sich die beiden Freundinnen in den letzten Jahren zur Aufgabe gemacht, verzwickte Kriminalfälle zu lösen. Die Fernsehserie Tatort, welche sie sich Sonntag für Sonntag zu Gemüte führen, gab vor Jahren den entscheidenden Ansporn dazu. Wenn allerdings die beiden Münchner Kommissare Leitmayr und Batic über die Bildschirme flimmern, gibt es regelmäßig Zoff zwischen Kunni und Retta. Verehrt Margarethe Bauer Kommissar Batic, so ist der in den Augen ihrer Freundin der allerletzte Depp, ein Vollpfosten sozusagen. Wohingegen der Franz Leitmayr für die Kunni der absolute Superstar ist. Na ja, die dabei entstehenden Wortgefechte werden zwar in der Regel deftig ausgetragen, tun aber der alten Freundschaft keinerlei ernsthaften Abbruch. Als Kunni und Retta sind die beiden in der ganzen Ortschaft bei (fast) jedermann bekannt. Zumindest bei den alteingesessenen Röttenbachern. Dabei könnten die beiden Freundinnen unterschiedlicher gar nicht sein. Bringt die Kunni, bei einer Körpergröße von nur einem Meter neunundfünfzig, stattliche vierundachtzig Kilogramm auf die Waage, ist die Retta dünn wie ein Strich in der Landschaft. Greift die Kunni immer öfter auf ihren Rollator zurück, läuft die Retta wie ein Ferrari, frisch aus der Fabrik. Dennoch, das Alter fordert schon auch seinen Tribut. Sind es bei der Kunni Probleme in den Knien, klagt die Retta über die Gicht in den Fingergelenken. Der Dritte im Bunde, der Sauerländer Dirk Loos, Rettas Untermieter, verehrt seine Vermieterin ob ihres deutlich jüngeren Aussehens, ihrer schlanken Figur und ihres modischen Outfits wegen. Aber so richtig landen konnte er bei ihr noch immer nicht. Er ist der immer Nette, immer Höfliche, immer Hilfsbereite, wie auch heute, da er die beiden, wieder Mal, mit seinem Audi A4 durch die Gegend kutschierte.
»Warum hat eigentlich der bayerische Diktator aus München für heut seinen Besuch abgsacht?«, wechselte die Retta das Thema.
»Der Horst? Der Kotzbrockn?«, entfuhr es der Kunni. »Der beim Redn sei Maul net aufkricht und immer bloß durch seine Beißer daher gafert. Gott sei Dank, dass uns der heut net übern Weg gloffn is, gell Retta? Dem hätt ich amol den Marsch blasn, wenn ichn gsehgn hätt. Angebliche politische Gründe, hats gheißen, sind der Grund, warum er doch net nach Erlang kumma is. Zuviel aktuelle Themen. Von Stromtrassen war was in der Zeitung gstandn. Als ob der sich überarbeiten tät. Der doch net. Dafür hat er seinen Erlanger Innenminister gschickt. Auch so ein … na ja. Grinst immer so blöd, als ob er an Patscher hätt. Jahr für Jahr hat der bei der Veitshöchheimer Faschingssitzung dasselbe schwarze Cowboy-Kostüm an. Mich täts net wundern, wenn des zwischendurch net amol gwaschen wird.«
»Sei Nürnberger Kollech is a net besser«, entgegnete die Retta, »von Finanzen keine Ahnung, aber beim Fasching als Gandhi, Marylin Monroe oder als Punker daherkumma, des kann der.«
»Den könntn wir eigentlich als fränkische Geheimwaffe, als Berater sozusagn, zu den Griechn schickn. Als Schäuble verkleidet. Was meinst, wie schnell der die Hellenen aus dem Euroraum nausschmeißn tät«, gluckste die Retta.
»Ob der amol die Nummer eins im Freistaat wird?«
»Ich glaub net«, entgegnete die Kunni, »is doch a a Franke. Hast doch am Beckstein gsehn, wie lang des gutganga is.«
»Heiligs Blechla«, befürchtete die Retta, »man wird doch net die Ilse … die alte Krampfhenna …?«
»Die Ilse? Nie und nimmer. Die versteht doch ka Mensch mit ihrm komischn Dialekt. Mit ihrm Genuschel und Gegatze. Ach Gotterla, wenn des bloß net so haß wär«, stöhnte die Kunni zum wiederholten Male und trank ihr schales Bier leer. »Schmeckt wie Odl«, jammerte sie.
»Seit wann gibtsn den Tag der Franken überhaupt scho?«, hakte die Retta erneut ein, nachdem die Unterhaltung für einige Minuten ins Stocken geraten war.
»Seit dem Jahr 2006«, klärte Dirk Loos die beiden auf. »Wenn es die Damen interessiert, kann ich einiges dazu beitragen. Ich habe mich informiert«, fuhr er fort. Kunni verdrehte die Augen und sah dabei ihre Freundin an.
»Red weiter, Dirk«, forderte sie ihn auf, »aber drück dich net immer so gschwolln aus.«
»Ich werde mich bemühen«, versprach der Sauerländer. »Also im Jahr 1500, am 2. Juli, wurde auf dem Reichstag von Augsburg das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in sechs Reichskreise eingeteilt.«
»Reichstag, wie des klingt«, warf die Retta ein, »wie Reichsparteitag.«
»Einer«, fuhr Dirk Loos fort, »umfasste hauptsächlich die Bereiche der Hochstifte Bamberg, Würzburg und Eichstätt, die beiden zollerischen Fürstentümer Ansbach und Kulmbach, sowie die fünf Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Windsheim, Schweinfurt und Weißenburg, das Fürstentum Hohenlohe, die Grafschaft Henneberg sowie einige Kleinterritorien. Bereits 1522 wurde der Reichskreis erstmals als Fränkischer Reichskreis bezeichnet. Er bestand bis zum Jahr 1806.«
»Und dann?«, warf nun die Kunni doch interessiert ein.
»Na ja«, erklärte Dirk, »bereits ab 1795 geriet der Fränkische Kreis zunehmend zwischen die politischen Fronten des napoleonischen Frankreichs und Preußens.«
»Hammers scho widder«, stellte die Kunni empört fest. »Warum mischn sich die Sau-Preußn ständich in unsere Angelegenheiten ein?«
»Seien wir ehrlich, der Fränkische Kreis war damals kein homogenes Gebilde«, erkläre Rettas Untermieter, »ein rechter Fleckerlteppich. Die Franken waren seinerzeit keine wirkliche Einheit untereinander, ähnlich wie heute. Ihr wisst schon … Unterfranken, Oberfranken, Mittelfranken. Von denen hält sich doch auch noch heute ein jeder für die echten, wirklichen Franken.«
»Pass fei auf, wasd sagst, Dirk«, drohte ihm die Kunni.
»Jedenfalls, wenige Jahre später wurde auf dem Wiener Kongress der überwiegende Teil des ehemaligen Reichskreises dem Königreich Bayern zugeschlagen.«
»Zugeschlagen«, wiederholte die Kunni. »A schens Wort. Des hams, wie immer, mal widder hintrickst, des kleine rebellische Alpenvolk und die Lederhosenträger. Besetzt, tät ich sagn. Annektiert. Okkupiert. Und mier Deppn ham uns des gfalln lassen! Mei warn mier damals blöd. Heit hammer den Dreck.«
»Na ja, wie es auch immer gewesen sein mag«, ließ sich Dirk Loos in seinen Erklärungen nicht stören, »zur Erinnerung an den 2. Juli des Jahres 1500 wird seit 2006 jedes Jahr der Tag der Franken gefeiert. Entweder am 2. Juli oder an dem darauffolgenden Wochenende.«
»Is des alles, was du uns derzähln willst, Dirk? Bist scho fertig? Etz red aber a weiter«, forderte die Retta den geschichtsbegabten Erzähler auf, »Des is ja bloß die Hälft vo dera Gschicht. Von den anschließenden Verbrechen der bayerischen Sauhund an uns Franken willst nix derzähln? Von der verschleppten fränkischen Beutekunst? Von dem Dürerporträt und der Heinrichskrone? Von Teilen des Bamberger Domschatzes? Von der verreckten, arroganten Münchner Mia-san-mia-Gesellschaft. Wem ham die Münchner denn ihrn Weltstadt-Anspruch zu verdanken, wenn net uns? Und dann stellt sich des Kultusministerium hie und meint, München muss der Leuchtturm sein, der Rest des Landes is für Trachtenfeste gut genug. Ja wo simmer denn?«
»Und deswegen, weil in dem preußenverseuchten Erlang in Dirndl und Lederhosn verkleidete Siemensler rumstolpern und net zwischen Frankn und dene Gamsbartträger unterscheiden könna, als Preußn von der Geschichte sowieso keine Ahnung ham und sogar weiß-blaue Fahna zu die Fenster naushänga, deswegen stinkt mir des heut alles so«, verkündete die Kunni ärgerlich. »Sogar die Deppen aus der Oberpfalz stänkern etz scho gegen uns Franken.«
»Wieso des?«, wunderte sich die Retta.
»Hast des net ghört, gestern in die Nachrichtn, auf Bayern Drei?«
»Na net. Erzähl!«
»A oberbayrische Nuttn hams derschossen, am Freitoch. In Amberch. Und der mutmaßliche Mörder soll an fränkischn Dialekt ghabt ham.«
»Die spinna doch, die Oberpfälzer!«
»Soch ich doch! Welcher anständiche fränkische Mo lässt sich scho mit einer bayerischn Nuttn ei? No dazu in der Oberpfalz? Zu dene Hinterwäldler fährt doch kaner von uns hie! Redn tun die, schlimmer als im hinterstn Bayerischen Wald. Etz reichts mir wirklich. Kommt, stehn mer auf! Fahrn mer widder ham in unser schens Röttenbach! Ich lad euch zu an Kaffee und Kuchn ei. Hab noch Kirschsahneschnitten und an Bienastich im Kühlschrank.«
»Und des sagst etzerdla erscht«, beschwerte sich die Retta.
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Il Tedesco war nach dem Mord an Roserl Hinterwimmer auf der A9 in Richtung München unterwegs. Österreich, der Brenner und der ganze italienische Stiefel lagen noch vor ihm. Seine Frau Francesca, geborene Antonelli, hielt die Stellung in dem neu erworbenen Mühlenanwesen. Auch wenn es bis zu den Sommerferien nicht mehr so lange hin war, vier Wochen mussten Emanuele und Filippo, die beiden sieben- und neunjährigen Söhne, den Schulalltag noch über sich ergehen lassen. Ohne Vater. So war auch Mama Francesca gezwungen, die wenigen Wochen bis zum Ferienbeginn noch im beschaulichen Aischgrund auszuharren, bevor sie und die beiden Kinder ins Flugzeug steigen und ihm nachreisen konnten. Wie jedes Jahr trieb es die Familie auch heuer wieder in die süditalienische Heimat ihrer Eltern und Großeltern. Emanuele und Filippo freuten sich schon auf Oma und Opa, welche sie immer wieder aufs Neue verwöhnten. Il Tedesco, Francescas deutscher Ehemann, fuhr ihr schon in ihre Heimat voraus. Nicht weil er es dort besonders schön fand oder ihrer überdrüssig war, nein, ihr Vater Calippo hatte ihn darum gebeten. »Ich muss mit deinem Mann reden«, hatte er seiner Tochter am Telefon erklärt. »Es geht um etwas Geschäftliches«. Worum im Einzelnen, das wusste sie nicht, und das interessierte sie auch nicht. Männersache. Francesca wusste schon von Kindesbeinen an, dass Papa schon immer ein Clanchef der Ndrangheta war. Aber auch für sie galt, was für alle Frauen in der Region gilt: Loro vedono. Sanno. Non chiedono – Sie sehen, Sie wissen. Sie fragen nicht. Papas Wort galt. Er wusste, ob etwas wichtig oder weniger wichtig war, ob eine Sache dringend erledigt werden musste oder noch Zeit hatte. Francesca war weder blind noch naiv. Sie wusste, dass sich ihr Vater mit illegalen Dingen beschäftigte. Sie sah es, aber sie sagte nichts, wie alle Frauen der Mafiamitglieder. Sie war damit groß geworden. Im Gegenteil, sie war stolz, dass Papa ihren deutschen Mann schon vor langer Zeit in sein Herz geschlossen hatte. Die beiden hatten sich von Anfang an gut verstanden und ihr Vertrauen zueinander war von Jahr zu Jahr gewachsen. Sie hatte ihren Favorito, wie sie ihren Mann liebevoll nannte, auf einer Mittelmeerkreuzfahrt kennen und lieben gelernt. Er war schon damals ganz anders als die meisten italienischen Männer, welche sie kannte. Ruhiger, zuverlässiger, rücksichtsvoller, stellte sich nicht ständig in den Vordergrund. Er hörte gerne zu, sah unheimlich gut aus und war der perfekte Liebhaber. All die positiven Eigenschaften hatte ihr Favorito bis heute konserviert und sie wusste, dass er ihr in all den zurückliegenden Jahren immer treu geblieben war und sie sprichwörtlich immer noch auf Händen trug. Ihr Mann arbeitete hart, war aber berufsbedingt leider sehr oft unterwegs. Umso mehr liebte Francesca das Leben an seiner Seite, wenn er mal zu Hause war. Sie war glücklich und stolz auf ihre beiden Söhne, denen sie den dunklen Teint und die kohlschwarzen Augen vererbt hatte, und sie freute sich schon jetzt auf das baldige Wiedersehen mit ihrem Mann im fernen Platì.
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Il Tedesco, alias Il Favorito, alias Rolf war nach einer langen, ermüdenden Autofahrt gut in Platì, an der Stiefelspitze Italiens, angekommen. Das abgelegene kalabrische Bergdorf am Fuß des Aspromonte, des rauen Berges, mit seinen knapp viertausend Einwohnern, krallte sich mit seinen halb verfallenen Häusern regelrecht in das Bergmassiv. Auf jeden fremden Betrachter machte es auf den ersten Blick einen ärmlichen Eindruck. Die nahezu entvölkert wirkende Ortschaft mit ihren brüchigen Hausfassaden, welche teilweise sogar Einschusslöcher zeigten, den unbefestigten Straßen und Gassen voller großer und kleiner Schlaglöcher, auf denen nach einem heftigen Regenguss die umbra-braune Brühe den Berghang hinabstürzte, gab, eingesäumt von grünen Wiesen und Olivenhainen, ein wildromantisches Bild her. Doch hier zu leben, inmitten einer der Hochburgen der kalabrischen Mafia, welche selbst italienische Polizeibeamte meiden wie der Teufel das Weihwasser, war eine andere Sache. »Warum wird hier nicht investiert?«, hatte er seinen Schwiegervater schon vor längerer Zeit gefragt, als der ihm anvertraute, dass er in der Ndrangheta ein hohes Tier sei.
»Wir wollen es nicht«, hatte dieser ihm gesagt. »Wir wollen keine Autobahn, die bis hierher führt. Keine Kindergärten, keinen Sportplatz, kein Schwimmbad, nicht mal eine funktionierende Kanalisation.«
»Warum nicht? Eine funktionierende Infrastruktur würde eure Bürger doch viel zufriedener machen.«
»Genau deswegen. Es würde sie in ihren Ansprüchen verderben. Platì muss arm bleiben. Nur so können wir Auftragskiller schon für zweitausendfünfhundert Euro anheuern. Lieber geben wir unseren eigenen Leuten etwas, als allen.«
Il Tedesco hatte das Prinzip schnell verstanden. Die Mafia brauchte die Armut, um ihre Geschäfte wirksam umzusetzen. Auch das Haus seines Schwiegervaters sah von außen erbärmlich arm aus. Es hätte schon längst einen neuen Anstrich vertragen. Der weiße Putz blätterte von den nackten Wänden. Der Eisenzaun um das Grundstück herum rostete still vor sich hin und die gesamte Gartenanlage mit dem wuchernden Unkraut wirkte ungepflegt und total vertrocknet. Kein Besucher, der das Haus zum ersten Mal betrat, hätte mit dem Luxus gerechnet, welche die Innenarchitektur des Anwesens bot. Der Eingangsbereich war mit feinstem weißen Marmor ausgelegt, ebenso wie die breite Treppe, welche in das Obergeschoss führte. Die Armaturen in den vier Badezimmern waren vergoldet. Überall die neueste IT-Ausstattung: Riesige Flachbildschirme hingen an den Wänden. Die moderne Sicherungstechnik übertrug mittels versteckter Kameras im Außenbereich jeden Winkel auf dem Grundstück und in der Nähe des Hauses. Neben den vier Bädern, den drei Gästezimmern und der riesigen modernen Wohn-Essküche gab es noch drei weitere Schlafzimmer, eine alte Bibliothek, ein Zimmer mit einem riesigen Fernsehgerät und ein nicht gerade kleines Besprechungszimmer. Das Haus war praktisch in den Aspromonte hineingebaut.
Calippo Antonelli stand in der Hierarchie der Ndrangheta, zumindest in Platì, mit an vorderster Stelle. Seine fünfundsechzig Jahre sah man ihm nicht an. Obwohl von der süditalienischen Sonne verwöhnt, hatte sein Gesicht nur wenige Falten. Seine nach hinten gekämmten Haare waren noch voll und zeigten nur hie und da ein paar wenige silberne Fäden. Mit seinen ein Meter zweiundachtzig gehörte er zu den wenigen hochgewachsenen Männern des Dorfes. Man hatte ihn noch nie in typischer Freizeitkleidung gesehen, stets trug er elegante, schlank geschnittene, dunkle Anzüge und rote Slipper aus feinstem Leder. Lediglich die Krawatte sparte sich Calippo. Er war einer der einflussreichen Associazionei, Mitglieder eines Rates, den nur Familienoberhäupter erreichen können. Seit zehn Jahren war sein Schwiegersohn, den er nur Il Tedesco nannte, nun mit seiner einzigen Tochter Francesca verheiratet, hatte ihm zwei wunderbare Enkel geschenkt und zeigte sich in all den Jahren immer als loyal, höflich, zurückhaltend und familienverbunden. Er, Calippo, hatte ihn getestet – testen lassen. Angebliche Polizeibeamte hatten Il Tedesco auf die Rolle seines Schwiegervaters innerhalb der Mafiaorganisation angesprochen, hatten ihm gedroht und ihn verhört. Calippo Antonelli hatte milde und zufrieden gelächelt, als seine Leute ihm berichteten: Kein einziges verräterisches Sterbenswörtchen kam über die Lippen seines Schwiegersohnes. Selbst Drohungen ließen ihn kalt. Er blieb stumm wie ein Fisch. Calippo war mächtig stolz auf ihn. Ohne ihn vorher zu instruieren, hatte sein Schwiegersohn von selbst das Prinzip der Falsa Politica befolgt. Er hatte die richtige Sprache gegenüber den angeblichen Polizisten gewählt. Niemals sollte die Polizei die Wahrheit über die Ndrangheta erfahren. Nun war es an der Zeit, ihn in die Geschäfte der Ehrenwerten Gesellschaft einzubinden. Andere Associazioneis, insbesondere die Führer aus den Familienclans der Nirtas, Faraos und Romeos hatten noch Bedenken. Damals vor vier Monaten. »Er ist nicht von eurem Blut. Du musst ihm noch eine Aufgabe geben, welche er ohne zu zögern ausführt«, hatten sie gefordert. »Er darf auch vor einem Mordauftrag nicht zurückschrecken.« Calippo hatte lange überlegt, welche Aufgabe er seinem Schwiegersohn geben sollte, um auch die anderen Clanführer zu beeindrucken. Dann war ihm dieses Luder in Deutschland wieder eingefallen, welches damals gegen seinen Sohn Luigi ausgesagt hatte und wieder auf der Zeugenliste der italienischen Staatsanwaltschaft stand. Er erinnerte sich an sie. Er hatte Fotos von ihr in der Presse gesehen. Ein geiles Luder. Nicht wirklich bedrohlich für die Organisation, aber es würde auch nicht schaden, wenn sie nicht mehr aussagen konnte. Sie war eine der vielen ehemaligen Liebschaften seines Sohnes und ideal für die Aufgabe, für den Test, den die anderen Clanoberhäupter forderten.