- -
- 100%
- +
»Hier sind Kinder untergekommen, denen sonst ernste Gefahr und Hunger gedroht hätte! Wir gewähren ihnen weisungsgemäß Schutz und Nahrung, wie Sie sehen!«, konstatierte Peter mit vorwurfsvollem Blick.
›Dass dies gar keine notleidende Familie ist, die hier zufällig Schutz gesucht hat, das kann der dämliche Weiland ja nicht ahnen‹, dachte ich mir und grinste verstohlen in mich hinein.
»Außerdem sollen wir nebenbei das Dienstgebäude vor Plünderung oder Verwüstung bewahren und jeden, der hier auftaucht, von der Inkraftsetzung der Notstandsgesetze informieren«, fuhr Peter mit viel Pathos in seinem Vortrag fort.
»Von der totalen nächtlichen Ausgangssperre muss ebenso jeder Bürger erfahren wie von der Warnung, dass mit Plünderern ab sofort rigoros kurzer Prozess gemacht wird. Wir sind immer noch Beamte der Stadt Bayreuth, und damit für diese Aufgabe bestens geeignet.
Wie Sie wissen, können derart wichtige Nachrichten ohne Nutzung von Fernsehen, Internet und Radio nur noch sehr schwierig und langsam unter der Bevölkerung verbreitet werden! Deshalb gehen wir immer wieder in Gruppen hinaus, um auch die Menschen auf der Straße zu erreichen.«
Weiland blieb zunächst einmal jede bösartige Erwiderung im Halse stecken, er schien krampfhaft zu überlegen. Schließlich fand er seine Fassung wieder, setzte den gewohnt blasierten Gesichtsausdruck auf.
»Ist ja schon gut, in Ordnung! Dann machen Sie mal besser weiter so! Diese Außenstelle muss aber unbedingt geöffnet bleiben, und zwar rund um die Uhr, ist das klar? Und lüften Sie mal durch, es riecht nach Ausdünstungen!«
Peter grinste unverhohlen und salutierte markig. »Jawohl, Sir!
Wie Sie wünschen, Sir!«
Frieder Weiland entfernte sich kopfschüttelnd; aber nicht, ohne noch einen vernichtenden Blick auf Peter abzuschießen. Dann war er aus unserem Blickfeld verschwunden.
»Mein lieber Schwan!«, sagte ich anerkennend. »Du kannst von großem Glück reden, dass du nicht Pinocchio bist! Deine lange Nase würde sonst jetzt mindestens bis hinüber nach Bindlach reichen!«
Schallendes Gelächter bestätigte, dass die Kollegen sich wohl Ähnliches gedacht hatten und Peter für seine Demonstration von Münchhausens Künsten ebenfalls sehr dankbar waren.
»Reife Leistung, Alter!«, bemerkte Hausmeister Klaus bewundernd und klopfte Peter derb auf die Schulter, während alle anderen zustimmend nickten. »Ich dachte schon, ich müsste diesem Lackaffen gleich meine Schlüssel übergeben! Wie ihr wisst, ist das Hauptamt mir gegenüber leider durchaus weisungsberechtigt. Im Grunde genommen hat Frieder Weiland also sogar das Hausrecht!« Puh, das war ja noch einmal gut gegangen! Selbst wenn Frieder uns nachher beim Katastrophen-Stadtbummel entdecken würde, na und? Dank Peters Märchen würde er denken, wir seien ausgeschwärmt, um unsere Mitbürger von der Ausgangssperre zu informieren. Einfach genial, dieser Schachzug.
Frieder hatte vor lauter Verwirrung nicht einmal das Mittelalter-Lager im Tresorraum oder den Feuerkorb samt Kochkessel auf Walters Terrasse entdecken können. Diese außergewöhnlichen Gegenstände hätten wir schließlich auf gar keinen Fall nachvollziehbar mit dienstlichen Belangen erklären können! Wir waren dem Hinauswurf nur um Haaresbreite entgangen.
Dieser Tag hielt jedoch noch mehr psychisches Ungemach bereit, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnten. So freuten sich meine Kollegen unbändig darauf, nach all der Stubenhockerei endlich einmal hinaus an die frische Luft zu kommen und holten eifrig Schals, Mützen und Handschuhe aus ihren Zimmern.
Ich hingegen entschuldigte mich bei Peter, um nicht mit in die Stadt gehen zu müssen. Ich wollte lieber die Geschichte des Vormittags gleich detailliert aufschreiben, damit sie mir noch frisch genug im Gedächtnis haftet.
Peter zeigte sich mit diesem Vorschlag gleich einverstanden. Er hatte sowieso anregen wollen, dass mindestens einer hier zurückbleiben solle, schon um auf alles aufzupassen, oder für den Fall, dass Frieder zurückkäme. Ich möge zum Schreiben nur bitte hier unten in der Lobby bleiben, meinte er zum Abschied. Gerade vor fünf Minuten bin ich mit den Aufzeichnungen fertig geworden und will jetzt noch ein wenig die seltene Ruhe genießen, bis die Meute in Kürze mit ihrem Bericht und hoffentlich auch mit einigen Essensvorräten zurückkehren wird. Mein
Magen meldet bereits Bedürfnisse an.
Oh, verdammt! Da klopft schon wieder einer an die Glastür!
Das kann aber nicht Frieder sein, der Mann trägt Uniform!
*
Mein armes Herz schlägt mir immer noch bis zum Hals! Himmel noch mal, können einen die nicht einfach alle in Frieden lassen? Da hilft man sich gegenseitig in Eigeninitiative, tut keinem Menschen was zuleide und trotzdem meinen irgendwelche Wichtigtuer, sie müssten einen gängeln und einem das Leben noch schwerer machen! Die Offiziellen haben im Grunde selber keinen Plan, trotzdem soll jeder willenlos nach ihrer Pfeife tanzen. Vor der Eingangstür stand also dieser junge Soldat, drückte sich die Nase an der Glasscheibe platt, um in die Lobby zu spähen. Ich sperrte die Tür auf und fragte freundlich, ob ich ihm irgendwie helfen könne.
»Ja!«, meinte er kurz und bündig. »Sie geben mir jetzt diese Schlüssel, nehmen Ihre Sachen und verlassen bitte das Haus! Hier wird ab sofort ein Koordinations-Stützpunkt der Bundeswehr eingerichtet. Schon heute Abend werden unsere Ausrüstung, unsere Fahrzeuge und meine Kameraden hier sein. Befehl von oben!« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern; vermutlich hatte er meinen entsetzten Blick aufgefangen.
»Aber … das können Sie doch nicht machen!«, stammelte ich und versuchte, meine durcheinander purzelnden Gedanken zu ordnen. »Hier leben Menschen, die sich einander helfen und gemeinsam zu überleben versuchen!« Die Schlüssel ließ ich vorsichtshalber unauffällig in meine Hosentasche gleiten.
Der Soldat schüttelte bedauernd den Kopf. »Das tut mir leid für Sie, aber da müssen Sie sich schon eine andere Bleibe suchen! Dies ist ein öffentliches Gebäude und somit auch für öffentliche Aufgaben bestimmt. Wir koordinieren von hier aus künftig den Einsatz, welcher der Bevölkerung über das Gröbste hinweg helfen und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gewährleisten soll – also sind wir auch für Sie und die anderen Leute tätig, die angeblich hier wohnen!
Apropos … wo sind denn diese ›anderen‹ überhaupt, von denen Sie gesprochen haben? Sie müssten sich mit der Räumung bitte beeilen!« Der junge Mann verrenkte sich den Hals, um an mir vorbei ins Haus gucken zu können.
Mir kam eine vage Idee. Warum drehte ich nicht einfach den Spieß um und erzählte das glatte Gegenteil der Version, welche Peter erst heute Morgen beim »Un-Frieder« gebracht hatte? Versuchen musste ich es!
Ich warf einen kurzen Blick auf das Namensschild an der Bundeswehr-Uniform, welches den Soldaten als »Schneider« auswies.
»Sehen Sie mal, Herr Schneider – wir alle ziehen doch im Grunde am selben Strang, nicht wahr? Wir wollen erreichen, dass die Bevölkerung Bayreuths diesen Ausnahmezustand so unbeschadet als möglich übersteht; insoweit gehen Sie sicherlich mit mir konform?« Schneider nickte, trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Das Militär hat seine eigenen Aufgaben und Methoden, an die Sache heranzugehen, die restlichen Beamten ebenfalls. Nun, ich repräsentiere diese ›anderen‹ Beamten, nehme meine Pflichten ebenso ernst wie Sie die Ihren. Und ich bin zum Glück nicht die Einzige. Das Militär wird jede unterstützende Hand brauchen, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, wenn die durch Hunger und Chaos ausgelösten Zustände erst noch viel schlimmer werden. Sie haben doch sicher auch bemerkt, dass die Straßen zunehmend unsicherer werden?«
»Ja logisch, ist doch bei jeder Katastrophe so!«, bestätigte Schneider genervt. »Und, worauf wollen Sie jetzt eigentlich hinaus?«
Fein. Er zeigte also Interesse an meiner Version! Von neuem Mut beseelt fuhr ich fort: »Ich mache es kurz, um ihre kostbare Zeit nicht zu verschwenden.
Heute Mittag haben wir durch den städtischen Boten eine Nachricht von der Frau Oberbürgermeister erhalten; Sie bei der Bundeswehr würden das bestimmt eher einen ›Befehl‹ nennen.
Im Sitzungssaal des Rathauses fand heute in den frühen Morgenstunden eine Einsatzbesprechung statt. Soviel ich weiß, nahmen Befehlshaber des Militärs, der Polizeidienststellen, des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr und der Stadtverwaltung daran teil. Der Repräsentant für Ihr Ressort, das Militär, war eine Führungsperson mit sehr hohem Dienstgrad, wie man mir mitteilte. Sorry, aber ich kenne mich als Frau mit Uniform-Dekorationen und Dienstgraden des Militärs nicht so gut aus!«, lächelte ich entschuldigend.
»Man vereinbarte Regelungen über Zuständigkeiten und verteilte die verschiedenen Aufgaben, denen wir uns alle in der nächsten Zeit stellen müssen«.
»Und weiter?« Der Soldat sah verunsichert aus, runzelte skeptisch die Stirn.
»Nun, ich glaube, dass bei Ihrer Einheit der Informationsfluss untereinander nach dem EMP nicht mehr ganz so gut funktioniert wie im Normalbetrieb. Jedenfalls wurde einhellig beschlossen, dass wir städtischen Bediensteten hier das Gebäude bewachen sollen, gleichzeitig für das Militär die Nachricht von der Ausgangssperre und den sonstigen notstandsrechtlichen Verfügungen verbreiten helfen müssen. Überdies sollen wir bedürftigen Personen Unterkunft bieten, soweit es die Kapazitäten dieses Gebäudes zulassen. Hat man Ihnen davon etwa gar nichts gesagt?«
Schneider starrte betreten auf seine Schuhspitzen. »Nein, leider! Sonst hätte man mich doch gar nicht hergeschickt. Meine Vorgesetzten wussten vielleicht selber nichts davon. Verdammt, was mache ich denn jetzt? Wir müssen doch irgendwo diese Zentrale einrichten, das ist doch auch wichtig!«
»Da hätte ich schon eine prima Idee!«, grinste ich zufrieden und trat zur Demonstration an die Glasfront neben dem Eingangsbereich.
»Hier in der Lobby wäre sowieso zu wenig Platz gewesen, wenn Sie mich fragen! Aber dort vorne im Straßenverkehrsamt wäre der perfekte Ort für eine solche Einsatzzentrale! Zumal direkt vor der Haustüre auch ein großer Parkplatz genügend Raum für Fahrzeuge, sogar für Panzer und Zelte bietet. Das ehemalige Pförtnerhäuschen vom Krankenhaus können Sie auch mit nutzen, damit niemand Unbefugtes auf das Gelände kommt.«
Schneider überlegte angestrengt. »Hmmm … ich habe erst vor kurzem ein Auto angemeldet. Wenn ich mich recht entsinne, ist die Zulassungsstelle doch ein sehr großer Raum mit im Halbkreis aufgestellten Schreibtischen, oder? Das wäre in der Tat ideal für uns!«
»Genau!«, bestätigte ich strahlend. »Ganz früher war das einmal die Leichenhalle des Krankenhauses, haben Sie das gewusst?«
»Nein!«, gab Schneider desinteressiert zu. »Sind dort eigentlich noch weitere Räume, die zur Verfügung stehen würden? So genau habe ich mich dort auch wieder nicht umgesehen, als ich auf meine Auto-Zulassung wartete!«
»Aber klar doch! Die Halle mündet nahtlos in die ehemalige Krankenhaus-Verwaltung, das sind zwei Stockwerke mit Einzelzimmern nebst Teeküchen und Waschräumen. Bisher waren dort die Verkehrsüberwachung und die Führerscheinstelle untergebracht. Was will man mehr?«
Jetzt strahlte auch Soldat Schneider. »Sie haben aber gute Ideen! Da werde ich meine Einheit mal aufklären gehen! Wo ist eigentlich der Hausmeister, damit er mir schon mal alles aufsperren könnte?«
»Der müsste jede Minute zurück sein! Er ist mit den anderen Bewohnern aufgebrochen, um Lebensmittel zu besorgen und die Neuigkeit von den Notstandsgesetzen in der Innenstadt zu verbreiten. Wissen Sie was? Wir beide trinken jetzt einen Kaffee und warten auf ihn, einverstanden?«
Oh ja, Schneider war sogar sehr einverstanden! Auch die Soldaten waren wohl froh und glücklich über alles, was in den Magen kam und an ein normales Leben vor dem EMP erinnerte. Ich geleitete ihn also auf Walters Terrasse zum Feuerkorb, entzündete diesen und erklärte, wie wir hier mittels Eintopf-Kessel für die Bedürftigen sorgen würden. Kochte einen Kaffee aus löslichem Pulver und schlug ihm augenzwinkernd vor, er solle die Idee mit der Zulassungsstelle doch ruhig als seine eigene ausgeben, das mache mir gar nichts aus.
Als Hausmeister Klaus schließlich in Begleitung seiner Truppe das Gelände betrat, lief ich ihm entgegen, flüsterte ihm und Peter ein paar hastige Erklärungen zu. Peter schickte Klaus dann sofort zusammen mit dem hoch zufriedenen Schneider zur Zulassungsstelle, damit dieser seiner Einheit offiziell die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen konnte.
»Pinocchio, hä? Dafür habe wohl nicht nur ich ein begnadetes Talent«, raunte er frech grinsend in meine Richtung.
Zum zweiten Mal an einem Tag war unser Rathaus-Camp also auf wundersame Weise gerettet worden, auch wenn ich Lügen eigentlich abgrundtief hasse und vorhin beim kreativen Zurechtbiegen der Wahrheit ganz schön geschwitzt habe.
In informationstechnisch besser ausgestatteten Zeiten hätte meine Flunkerei natürlich niemals funktioniert, sie wäre nach einer Rückfrage Schneiders sofort als solche identifiziert worden. So paradox es klingt: Ich hatte mir zum ersten Mal die Folgen des EMP für unsere Zwecke zunutze machen können.
Jetzt gehe ich erst einmal etwas essen. Danach werde ich in der friedlichen Abgeschiedenheit meines kleinen Zimmers den Rest der turbulenten Erlebnisse dieses Tages niederschreiben, bevor mich die Müdigkeit vollends übermannt.
*
Schon als Peter und Klaus, gefolgt von allen anderen Mitbewohnern bei ihrer Rückkehr das Gelände betraten, erschrak ich regelrecht. Auf Anhieb konnte ich ihnen aufgrund von Mimik und Körperhaltung ansehen, dass es sich hier um einen reichlich demotivierten, frustrierten Trupp handeln musste.
Was mochten sie in der Stadt erlebt haben, was konnte meinen Gefährten Unangenehmes widerfahren sein? Ich brannte darauf, Näheres hierüber zu erfahren, denn die neu gesammelten Erkenntnisse würden ja schließlich auch mich in gleichem Maße betreffen. Als Soldat Schneider sich endlich auf den Weg machte, um mit froher Kunde zu seiner Einheit zurückzukehren, sah ich den richtigen Moment gekommen, Fragen stellen zu können.
»Na, meinen Teil der Geschichte über diesen Nachmittag habt ihr ja soeben zur Genüge mitbekommen. Aber jetzt erzählt mal, wie ist es bei euch gelaufen? Ich platze vor Neugier! Ein paar Tüten habt ihr aus der Stadt immerhin mitgebracht, wie ich sehe.« Peter blickte drein, als wäre er drauf und dran, jemandem den Kragen umzudrehen oder einen Amoklauf zu starten. »Sei bloß froh, dass du nicht dabei warst! Heute habe ich mich zum ersten Mal ernsthaft gefragt, ob es der Mensch vielleicht gar nicht wert ist, zu überleben! Guck mal bitte in diese Plastiktüten und schätze,
was die Sachen dort drin gekostet haben könnten!«
Mit fragendem Blick schnappte ich mir die Tüten, überflog grob den Inhalt. Jede Menge Nudelpackungen, Fertigsoßen, Duschgel, Zucker, Salz, ein paar Konserven und Instant-Kaffee konnte ich auf Anhieb erkennen. Vier große Tüten voll.
»Na ja – vielleicht so 150 bis 180 Euro, alles in allem?«, fragte ich zaghaft. Sehr lange werden uns diese paar Lebensmittel sowieso nicht reichen, wir haben schließlich insgesamt 18 Personen zu verköstigen.
Peter schnappte scharf nach Luft. »Oh ja, noch vor einer Woche hättest du die Preise wahrscheinlich gar nicht schlecht geschätzt! Aber an dir ist auch bislang die sprunghaft explodierende Inflation, oder vielmehr der skrupellose Wucher unbemerkt
vorbeigegangen, der inzwischen dort draußen die hässlichen Blüten der Gier austreibt«, stieß er ironisch hervor.
»Dann will ich dich mal aufklären: Diese paar Sachen haben genau 3.558 Euro und 37 Cent gekostet, doch wir hatten keine andere Wahl! Die vielen Leute im Supermarkt haben sich die Sachen gegenseitig rücksichtslos aus den Händen gerissen, da blieb uns keinerlei Zeit zum Überlegen oder für Diskussionen.
Ich musste geschlagene eineinhalb Stunden lang in einer endlosen Schlange an der Kasse stehen, denn die Angestellte hat sämtliche Waren genervt mit Block und Stift aus dem Kopf zusammenrechnen müssen, worin sie nicht sehr geübt zu sein schien. Die anderen haben derweil draußen gewartet, wurden des Öfteren zur Seite geschubst und angepöbelt.
Widerstandslos zahlen, oder halt mit leeren Händen gehen und verhungern, das waren die beiden einzigen Optionen, die uns dort drinnen blieben. Jetzt sind wir so gut wie pleite!«.
Ich bin selten sprachlos, doch in diesem entmutigenden Moment vor zwei Stunden blieb mir schier die Spucke weg. Die Vorstellung, dass es da draußen Menschen gibt, die im Grunde genau wie wir unter den Folgen des EMP zu leiden haben, also im selben Boot sitzen und dennoch nur an ihren eigenen Vorteil denken, verursacht in mir Ekelgefühle und Wut. Warum müssen sich nur manche Leute am Leid ihrer Mitmenschen auch noch bereichern?
»Scheiße!«, sagte ich betroffen zu Peter; etwas Erquicklicheres fiel mir beim besten Willen nicht ein. »Dann konntet ihr wohl auch kein zusätzliches Geld bei der Bank abholen? Dass die Geldautomaten nicht mehr funktionieren, ist ja sonnenklar. Aber eigentlich müssten die Banken doch wenigstens in der Filiale Bargeld aus den Guthaben herausrücken, das steht dem Kunden rechtlich zu!«, dachte ich laut nach.
Peter schüttelte resigniert den Kopf; er sah mich an, als hätte ich etwas besonders Dummes gesagt.
»Bei allen Banken, an denen wir vorbeikamen, bot sich annähernd das gleiche Bild. In den Fensterscheiben hängen handgeschriebene Plakate, auf denen man sich bei den geschätzten Kunden heuchlerisch für die Unannehmlichkeiten entschuldigt; man bitte um ein wenig Geduld und hoffe, dass die Schwierigkeiten bald behoben seien und man zum normalen Geschäftsbetrieb zurückkehren könne.
Die Texte gleichen sich im Wesentlichen wie ein Ei dem anderen: Sorry, der Geldautomat funktioniert momentan nicht, Barabhebungen sind daher ausgeschlossen. Da die jeweiligen Kontostände wegen ebenfalls funktionsunfähiger Computer nicht abgefragt werden können, zahle man zurzeit auch sonst kein Geld aus, die Filiale bleibe bis auf weiteres geschlossen.
Im Übrigen seien sämtliche Geldbestände mit einer Zeitschaltuhr gesichert, welche bei einem längeren Stromausfall den Tresorraum verriegelt hält. Man brauche sich also gar nicht erst an einer Plünderung versuchen.«
Nur sehr langsam und zäh drang mir die bittere Erkenntnis bis ins Bewusstsein durch, was diese katastrophalen Neuigkeiten für uns bedeuten; mein Gehirn weigerte sich wahrscheinlich mit aller Kraft, die schreckliche Wahrheit zu verarbeiten. Ich sank in mir zusammen und sah in Peters leere Augen, in denen pure Resignation zu lesen war.
»Dann war dies wohl unser letzter Einkauf!«, konstatierte ich.
»Und das nur, weil einige Unmenschen den Hals nicht voll kriegen können! Würden sie normale Preise verlangen, dann hätte unser Geld gleich viel länger gereicht.«
Peter schüttelte traurig den Kopf. »Nein, das hätte im Grunde unsere Situation auch nicht wesentlich verbessert. Wären die Waren billiger geblieben, dann hätten eben viel mehr Leute die Chance genutzt, heute noch mit ihrem restlichen Geld einkaufen zu gehen; dann hätten wir vermutlich gar nichts mehr ergattern können. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst: die Lage ist bedenklich, wenn nicht sogar aussichtslos!«
Verdammt, Peter hat natürlich recht! Aber jetzt, nachdem ich nach Überwindung des ersten Schocks in meinem Zimmerchen ein wenig nachgegrübelt und mich selber bemitleidet habe, regt sich in mir verzweifelter Widerstand. Nö, ich möchte definitiv nicht einfach aufgeben und unsere missliche Lage akzeptieren!
Morgen werde ich Alexandra fragen, ob sie bereit wäre, einen weiteren »Katastrophen-Stadtbummel« mit mir zu ertragen, auch wenn uns dieser bestimmt ziemlich deprimieren wird. Ich muss mir unbedingt ein eigenes Bild von den Zuständen in Bayreuth machen, vielleicht kommt mir ja eine brauchbare Idee. Das wird garantiert ziemlich anstrengend werden, daher gehe ich heute ausnahmsweise etwas früher schlafen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.