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Als gangbarster Weg erschien es mir, mich bei Uschi schriftlich dafür einzusetzen, dass sie Solveig zu ihm nach Spanien ziehen lassen solle. Entweder das oder ihn in Ruhe zu lassen, ihn nicht mehr zu belästigen. Ich entwarf ein längeres Schreiben dieses Inhalts und bat sie auch noch, ihren Hass abzulegen und endlich in die Zukunft zu sehen, damit alle Beteiligten endlich wieder etwas führen könnten, das einem normalen Leben gleichkam.
Natürlich gönnte ich ihr den Triumph nicht, auch noch dazu zu schreiben, dass letzteres selbstverständlich für alle Beteiligten außer mir gelte. Denn ich konnte meine Beziehung im Fall von Solveigs Ankunft mutmaßlich vergessen. Attila hatte ich vorhin für diese Wahrscheinlichkeit einen Wert von 95 % genannt, und das war sicher nicht unrealistisch gedacht.
Ich informierte Attila von diesem Brief, hatte den Entwurf auf seinen Rechner gelegt. Bat ihn, das Machwerk am nächsten Morgen durchzulesen und danach zu entscheiden, ob er ihn wirklich absenden wolle, wobei er mir anschließend keine Rechenschaft über die Gründe abzulegen brauche. Mehr könne ich für ihn und seine Tochter nicht mehr tun und ich wolle jetzt von dem ganzen Thema nichts mehr hören, weil ich psychisch nicht mehr belastbar sei. Was absolut den Tatsachen entsprach.
Ich hatte mich schon wieder bei Gedanken ertappt, ob es nicht besser wäre, meinem Leben gleich ein Ende zu bereiten, als langsam und qualvoll seelisch draufzugehen, da sich ja offensichtlich nichts verbesserte, sondern alles immer noch schlimmer wurde. Diese dunkle Wolke namens Uschi würde sich weiterhin nicht verflüchtigen und schließlich würde sie das üble Spiel am Ende gewinnen, weil Attila die Leine, an der er hing, nach wie vor nicht durchtrennte.
An Schlaf brauchte ich gar nicht zu denken, Panikattacken und übler Kummer verhinderten ihn vollständig.
Am Morgen fragte Attila mich dann, ob ich das für IHN getan hätte. Sehr witzig! Nein, vermutlich war ich scharf auf das ganze Szenario und tat es für mich, dachte ich sarkastisch. Was glaubte er eigentlich? Wann immer ich ihn an diesem Tag sah, konnte ich mich nicht mit ihm befassen. Es tat zu weh.
Auf dem Esstisch hatte ich den fertig verpackten Brief liegen sehen. Er beabsichtigte also, ihn tatsächlich abzuschicken. Damit hatte er offensichtlich seine Entscheidung getroffen. Für sie. Wie er das überhaupt machen wollte, einen unerzogenen, verdorbenen und überdies pubertierenden Teenager großzuziehen, während er täglich viele Stunden arbeiten musste, wo er seine Tochter überhaupt unterbringen wollte, wenn unser neues Haus schon jetzt aus allen Nähten platzte – keine Ahnung!
Mehrfach versuchte Attila verzweifelt, mich aufzuheitern, mit mir wieder zu kommunizieren. Aber ich konnte das nicht, hatte auch keine Kraft zum Streiten mehr. Er rückte mit dem Ausdruck einer Email an, die er dem Jugendamt zu schicken gedachte. Nein, die wollte ich auch nicht durchlesen! Später erklärte mir Attila, ich würde seiner Ansicht nach völlig überreagieren und »einen auf depressiv machen«. Sollte er doch denken, was er wollte. Er verstand es scheinbar wirklich nicht, warum es mir so schlecht ging. In der Zwischenzeit telefonierte Attila mit dem Kunden Kurierdienstissimo in Neuenstein, weil er für diese Firma derzeit viel programmierte. Er hatte den Geschäftsführer am Telefon und weil das Gespräch über Skype lief, war es so laut, dass ich es zwangsläufig im ersten Stock mitbekam. Es war dem Anrufer ganz offensichtlich sehr unangenehm, Attila auf ein Schreiben anzusprechen, das er erhalten hatte.
Die Polizei hatte nämlich diese Firma aufgefordert, über Attilas Arbeitsverhältnis und seinen Verdienst Auskunft zu geben. Attila war natürlich klar, dass dies eigentlich nur eines bedeuten konnte: seine liebe Frau hatte ihn wegen Verletzung der Unterhaltspflicht angezeigt, obwohl sie eigentlich sehr genau über seine bereits überprüfte Leistungsunfähigkeit informiert war.
Dieses Miststück nahm hierbei billigend in Kauf, dass er bei seinen Kunden in Misskredit gebracht wurde. Ein Programmierer, gegen den die Polizei ermittelt? Wer traute so jemandem, erteilte ihm weitere Aufträge, verriet ihm Firmeninterna und Kennwörter? Uschi sägte also wieder einmal an dem Ast, auf dem sie selbst saß, wollte Attila die Firma kaputt machen. Oder nahm es billigend in Kauf, obwohl ihr eigentlich klar sein musste, dass Attila dann erst recht keinen Unterhalt würde leisten können: weder an sie noch an die Kinder.
Damit war auch meine letzte Prophezeiung Wahrheit geworden: Uschi fing unverzüglich nach dem Eingang des Gutachtens zur Erziehungsfähigkeit, das mit Hängen und Würgen zu ihren Gunsten ausgegangen war, an, Attila finanziell zu ruinieren. Nach den Kindern, mit denen sie selbst nicht klarkam und die sie auch nicht gernhaben konnte, wollte sie Attila auch noch alles andere nehmen, vor allem sein neues Leben in Spanien.
Gegen Abend sprach ich wieder mit Attila, denn man konnte sich nicht tagelang aus dem Weg gehen. Es war einfach nicht möglich, dazu saßen wir zu eng aufeinander. Er erzählte, dass er meinen Brief an Uschi nicht wegschicken werde; mir war allerdings bewusst, dass der Grund dafür in der Hauptsache Uschis neuer Angriff war, nicht etwa die Rettung meines Seelenlebens. Denn an das Jugendamt hatte er am gleichen Tag geschrieben, dass er mit einer Heimeinweisung Solveigs keinesfalls einverstanden sei, sondern vielmehr wolle, dass sie ihm überlassen werde. Ich hätte mich angeblich einverstanden erklärt, die Verantwortung für die Erziehung mitzutragen.
Eigentlich war es ein Glück, dass ich weder die Kraft noch Lust hatte, neuerliche Diskussionen zu beginnen. Ich nahm es nur noch hin, das war auch schon egal. Er hatte die Formulierung, die in meinem Brief ausschließlich für Uschi gedacht war, so ausgelegt, als sei ich nun plötzlich mit einer Übersiedlung Solveigs einverstanden. Vergessen war meine deutliche Äußerung ihm selbst gegenüber, dass ich mit diesem Mädchen nicht mehr zusammenleben könne und wolle.
Konnte oder wollte er nicht sehen, dass er mich nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit verlor, wenn sie herkam? Und dass ich diesen Teil der Geschichte Uschi nur nicht auf die Nase binden hatte wollen?
Noch einmal versuchte ich ihm aufzuzeigen, was genau an seinem Verhalten mich so sehr verletzt hatte. Nun dachte er zumindest darüber nach und sah ein, dass er Uschi bei mir nicht mehr dauernd als »seine Frau« titulieren und auch noch bauchpinseln durfte. Ich verlangte klare Worte ihr gegenüber und auch, dass er derartige Anrufe nicht mehr entgegennehmen sollte. Diese Hexe musste endlich realisieren, dass er die Leine gekappt hatte, an der sie ihn nach wie vor festzuhalten trachtete. Dass ihre Versuche ins Leere gingen, sie ihn emotional nicht mehr erreichen konnte. Und er – er musste sie loslassen, sonst hatten wir keine Chance. Er schien das einzusehen und ich konnte nur hoffen, dass er sich an diese Vereinbarung halten würde. Sonst hätte ich keine Wahl mehr und würde gehen müssen, wohin auch immer. Meine Lage wäre in diesem Fall alles andere als rosig gewesen, denn auch ich war seit dem Umzug nach Spanien finanziell und darüber hinaus emotional von ihm abhängig.
Am Freitagmorgen rief Uschi schon wieder an und wollte erfahren, ob Attila mit dem Jugendamt gesprochen habe. Er fragte sie, ob sie einverstanden wäre, wenn Solveig zu uns ziehe. »Nein, auf gar keinen Fall«, gab sie ihm zur Auskunft.
Dann sprach er sie geradeheraus auf die Anzeige bei der Polizei an. Uschi gab zu, der Urheber gewesen zu sein. Begründung: nachdem Attila »dauernd in der Gegend herumfliegen« könne, außerdem in Spanien in einem Haus mit Pool lebe, hätte sie doch nachprüfen lassen müssen, ob er leistungsfähig sei.
Sie verstand wohl nach wie vor nicht, dass geschäftliche Flüge zwecks Kundenbesuchs auf einem ganz anderen Blatt standen als private Vergnügungen, die wir uns absolut nicht leisteten. Und dass es hier in Südspanien eigentlich gar keine Häuser ohne Pool gibt, das wusste sie auch nicht. Der Neid auf unser vermeintlich so schönes Leben hatte sie völlig zerfressen. Allerdings hätte man schon mindestens ein Masochist sein müssen, um die derzeitigen Vorgänge wirklich »schön« zu finden!
Was sie auch nicht realisierte, war der Umstand, dass das Gutachten zur Erziehungsfähigkeit für sie nicht wirklich gut ausgefallen war. Sie rieb Attila deshalb unter die Nase, dass er durch dieses Gutachten doch wohl seine Quittung erhalten habe. Entweder sie kapierte den Inhalt wirklich nicht, oder sie schaffte es, diesen vollständig zu ignorieren, erfand ihr Leben in der Fantasie neu und glaubte dann selber daran. Ist bei Alkoholikern nicht selten, man nennt dieses Phänomen im psychologischen Fachjargon »konfabulieren«.
Über mich zog sie natürlich auch wieder her. Ich sei das Letzte, weil ich meine Kinder im Stich gelassen hätte. Nette Formulierung. Vom »Kaukasischen Kreidekreis« hat die selbstverständlich auch noch nichts gehört; jedenfalls wurden meine Kinder nach wie vor nicht in die Psychiatrie eingeliefert, konnten sich mit der Situation zumindest arrangieren, auch weil die Erwachsenen sich nicht auf deren Kosten bekämpften.
Nach diesem Telefonat meinte Attila erleichtert, Uschi werde ihn jetzt wohl nie wieder anrufen. Das tat sie zwar tatsächlich nicht, schickte dafür aber eine giftige Mail voller Anklagen. Dass er seine Tochter im Stich gelassen, ihr nur eine CD mit halbnacktem Mann auf dem Cover gesandt habe.
Gott, konnte die wirklich so bescheuert sein? Er ließ es sich nicht gefallen und bat mich, die Erwiderung mit ihm zusammen abzufassen. Damit sie nicht wieder zu harmlos ausfalle, denn ihr richtig, so wie mir, die Meinung zu geigen, das brachte er irgendwie nicht fertig. Schon gar nicht verbal. Über die Gründe hierfür mochte ich gar nicht erst nachdenken. So formulierte ich unter anderem, dass sie ihn in Ruhe lassen solle, denn er sei an ihr und ihrem verkorksten Leben nicht mehr interessiert.
Und ich, ich konnte mein Seelenleben leider nur einigermaßen wieder in Form bringen, indem ich ihn etwas unter Druck setzte. Erstens: ich gab ihm eine Frist von 3 Monaten, während deren Verlauf Nettigkeiten oder Telefonate mit Uschi nicht mehr vorkommen durften. Sonst würde ich ihn verlassen, weil ich annehmen müsste, dass seine Beziehung mit ihr in Wirklichkeit nicht beendet wäre.
Zweitens: sollte Solveig hierherkommen, dann behielte ich mir vor, notfalls ins Büro umzuziehen oder zu gehen, falls die Situation für mich unerträglich würde. Er erklärte sich einverstanden und versprach noch, er werde Solveig in einem solchen Fall aber sowieso zurückschicken und sie nicht hierbehalten.
Nun, wir würden ja sehen!
Wir näherten uns wieder an, trotz allem liebte ich ihn ja total. Allerdings war mir klar, dass die durch Uschi ausgelöste Problematik weitergehen und vermutlich sogar an Schärfe noch zunehmen würde. Attila musste jetzt den Leumund seiner Firma wegen der Anzeige retten und seine Arbeitgeber davon überzeugen, dass er weiterhin als zuverlässig gelten konnte. Er wollte außerdem seinerseits eine Anzeige gegen Uschi einleiten und eine einstweilige Verfügung erwirken, dass sie derartige Rufschädigungen zu unterlassen hatte.
Die Baustelle mit Solveig war auch noch aufgerissen; spätestens zur finalen Sorgerechtsverhandlung, welche vermutlich für unserem nächsten Deutschlandbesuch Ende Februar terminiert werden würde, musste der Richter sich entscheiden. Ob er dem Gutachten folgte und die Kinder bei Uschi ließ, oder ob er eher der Ansicht war, dass die neuesten Ereignisse nach dem Gutachten nun doch die Annahme rechtfertigten, dass sie zur Erziehung absolut nicht geeignet war. Dann wäre noch die Frage ungeklärt, ob er die Kinder in einem solchen Fall trennen und zu Pflegeeltern oder ins Heim stecken würde, oder ob der leibliche Vater dann den Behörden doch als die gangbarere Lösung erschiene. Nachdem dieser sich einem eigenen Gutachten zur Erziehungsfähigkeit gestellt hätte, selbstverständlich.
Wie man es auch dreht und wendet: selbst wenn Attila sich nun Anrufen und Mails von Uschi verweigerte, los wurden wir sie definitiv nicht. Meine Verachtung für ihr Verhalten wuchs ins Unermessliche und ich fragte mich, ob einen Hass tatsächlich dermaßen blind machen konnte, dass man dafür sein Leben opferte, seine Kinder in den Abgrund trieb und nur noch an die Zerstörung dessen dachte, was man selbst nicht (mehr) haben konnte. Nachdem man »es« 12 Jahre lang systematisch vorab schon mal kaputt gemacht hatte.
Am Wochenende arbeiteten wir im Haus, richteten das Badezimmer her und stellten wieder einmal fest, dass viele Dinge erheblich billiger zu kaufen waren als in Deutschland. Ob man hier eine Duschabtrennung oder Handtuchhalter brauchte, alles war gut ein Drittel günstiger im Baumarkt zu haben. Die körperliche Betätigung tat Attila gut, sie lenkte wenigstens vorläufig von seiner ständigen Grübelei ab. Er würde am Montagmorgen schließlich mit dem Anwalt telefonieren müssen, um seine eigene RufRettung in die Wege zu leiten. Diese negative Aufmerksamkeit würde Uschi noch bekommen müssen, es führte leider kein Weg hieran vorbei.
Zunächst dominierte bei Attila die Angriffslust. Er wollte es Uschi zurückzahlen; sie sollte schon sehen, was sie von derartigen Angriffen hatte, wenn die Retourkutsche kam. Er machte so einige Paragraphen im Internet ausfindig, wonach sich Uschi bei Anzeigen mit falscher Grundlage strafbar machte und auch ihren Unterhalt verwirkte. Schließlich wusste sie sehr genau, dass das Gericht Attilas Leistungsfähigkeit wegen der Prozesskostenhilfe längst eruiert hatte und selbst die Staatsoberkasse sich wegen seiner Pleite mit lediglich kleinen Ratenzahlungen zur Rückzahlung der Unterhaltsvorschüsse einverstanden erklärte.
Aus ihrer Zeit als Geschäftsführerin der GmbH war ihr überdies genau bekannt, dass Attila nicht, wie angegeben, bei dieser Firma als Angestellter arbeitete, sondern vielmehr die GmbH seit Jahren für diesen Kunden tätig war. Hätte sie die GmbH als Arbeitnehmer genannt, hätte die Polizei die Anzeige gar nicht entgegengenommen; in einem solchen Fall konnte nämlich nur ein Gericht oder Wirtschaftsprüfer ermitteln, was Attila netto von seinem Umsatz blieb, nicht aber die Polizei. Schließlich ist der Umsatz einer Firma nicht gleich deren Gewinn oder gar das Gehalt des Geschäftsführers.
Als Attila aber am Montagmorgen mit dem Anwalt telefonierte und dieser erst einmal rechtlich überprüfen musste, ob er tatsächlich die entsprechenden Schritte einleiten konnte, sank Attilas Mut wieder ins Bodenlose. Man konnte förmlich zusehen, wie er zum wiederholten Male das Vertrauen ins deutsche Rechtssystem verlor.
Schon kamen bei ihm wieder die alten Ängste hoch, dass Uschi womöglich nicht nur die Anzeige bei der Polizei erstattet, sondern auch den Gerichtsvollzieher reaktiviert haben könnte. Welcher dann vielleicht irgendwann sogar an die spanischen Konten heran könnte, und da lagen Rücklagen für Steuerzahlungen von nicht unerheblicher Höhe, die demnächst fällig wurden. Nicht etwa unser privates Geld, sondern dasjenige für den Staat.
Auch ich hatte an der Sache ganz schön zu kauen. Erstens betraf mich das alles mit, zweitens hatte ich keine Ahnung, wie ich die Vorauszahlung für mein Buch aufbringen sollte. Wobei wir dieses zweite Standbein auf mittelfristige Sicht natürlich dringend gebraucht hätten, mal ganz abgesehen davon, dass ich persönlich auch ein Erfolgserlebnis nötig gehabt hätte. Aber konnte man so was vorfinanzieren, während jeder wegen Unterhalt hinter einem her war, ob nun berechtigt oder nicht? Ich glaube kaum. Was dann unter anderem auch bedeutete, dass ich weiterhin komplett finanziell von Attila abhängig wäre, was mir sowieso ein Problem aufwarf. Ich konnte das einfach nicht akzeptieren!
Bis zum Abend sank Attilas Stimmung auf den Nullpunkt. Jetzt ging es ihm richtig schlecht, Uschi hatte es geschafft. Attila sah das schon richtig: warum konnte es eigentlich sein, dass es jemandem wie ihr offenbar erlaubt war, ausgerechnet uns, die wir arbeiteten und uns auch sonst nichts zuschulden kommen ließen, derart zu schaden? Hatten wir denn keine eigene Existenzberechtigung mehr, nur weil wir in Scheidung lebten? Unsere Ex-Partner wurden doch auch in Frieden gelassen!
Für Uschi kam der Staat mit Hartz IV auf, weil sie nach wie vor keine Lust zum Arbeiten hatte, einen Psychoschaden vortäuschte. Und wir durften nur eines: zahlen. Wobei Attila nun endgültig die Rechnung aus der Zeit seiner Ehe zu begleichen hatte, als er zusammen mit Uschi weit über seine Verhältnisse lebte. Welche natürlich glaubte, das müsse endlos so weiter gehen. Ich denke, sie realisierte gar nicht, dass ich nun die Folgen abbekam, ständig sparen musste. Wegen ihrer Verschwendungssucht, an welcher Attila natürlich auch nicht völlig schuldlos war. Bereitwillig hatte er ihr damals ja immer wieder den »Dispo« erhöht und gebilligt, dass sie uferlos Darlehen aus der Firma zog.
Als am Dienstagvormittag auch noch eine Rechnung der Anwaltskanzlei über 1.200 Euro ankam, fiel Attila endgültig der Verzweiflung anheim. Diese Rechnung beinhaltete eine Rechtsberatung wegen der Gründung meiner Firma – oder vielmehr den Schwierigkeiten, die durch die unsachgemäße Behandlung durch die First Plenty entstanden waren und entsprechende Schreiben, welche unter dem Strich allerdings zu gar nichts geführt hatten. Woher sollte er dieses Geld jetzt noch nehmen? Am liebsten hätte er augenblicklich keinen Finger mehr gerührt und einfach aufgegeben. Genauso wie ich!
Um weiteren Angriffen von vorneherein die Wucht zu nehmen, stellte Attila einige Berechnungen an; es stellte sich heraus, dass uns von seinen ca. 5.500 Euro, die er im Monat mit der Firma machte, gerade mal 700 Euro zum Leben blieben. Der Rest waren Altlasten und sonstige Festkosten. Bei mir sah es nicht besser aus. Wieder einmal fragten wir uns, weshalb jemand auch nur auf die Idee kommen konnte, hiervon noch etwas abziehen zu wollen. Uschi hatte vermutlich unter dem Strich ein höheres Einkommen, wenn man bedachte, dass sie im Grunde mietfrei wohnte und Kindergeld kassierte. Und das ohne Arbeit.
Am Donnerstag ging es Attila geringfügig besser, weil der Anwalt endlich in Sachen Uschi-Konter tätig geworden war. Ihre idiotische Anzeige wegen Verletzung der Unterhaltspflicht erschien jetzt noch abstruser, weil eine Ladung des Gerichts im Postfach seines Email-Accounts lag. Zwei Termine hatte der Richter anberaumt, einmal am 02.02. und einmal am 02.03. Einmal Scheidung und Unterhalt, einmal Sorgerechts-Entscheidung. Sofort bat Attila den Anwalt, dass er veranlassen möge, den Termin Anfang Februar streichen zu lassen. Was glaubten diese Herrschaften eigentlich, wie oft Attila hin und herfliegen konnte?
Außerdem hatte der Richter angeordnet, dass Attila sein Einkommen aus 2010 nachweisen müsse; nun gut, sollte er die frustrierende Berechnung erhalten und feststellen, dass Attila sich kein Gehalt ausgezahlt, sondern von seinem Gesellschafterkonto gelebt hatte, welches deswegen nun hoffnungslos überzogen war! Vorsichtshalber brachte Attila die auf dem spanischen Konto für gelagerten Gelder in Sicherheit, damit sie kein Gerichtsvollzieher einfrieren konnte. Denn wovon hätte er sonst die Steuern und seine Versicherungen zahlen sollen, die GmbH abwickeln? Da musste mein Konto nun einstweilen als Lagerplatz dienen. Dabei fühlte ich mich unwohl, auch wenn das legitim war.
Am schlimmsten für Attilas Psyche war aber der beigefügte Bericht des Verfahrenspflegers, der die Interessen der Kinder wahren sollte. Was er ganz offensichtlich nicht tat. Er berichtete nur, dass Uschi bereits eine stationäre Nervenkrankenhaus-Behandlung für Tochter Ronja in die Wege geleitet habe, außerdem eine Heimeinweisung für Solveig. Ronja bekomme immer wieder jähe Wutanfälle, bei denen sie die Mutter tätlich angreife und Bilder von den Wänden im Wohnzimmer reiße.
Die Kinder hätten sich im Übrigen alle nicht für einen dauerhaften Umzug nach Spanien ausgesprochen. Nebenbei erwähnte der Herr Verfahrenspfleger noch, der »Umgangssonntag« mit dem Vater sei nach Aussage der Kinder schon »in Ordnung« gewesen. Na ja, »schön« durfte er vermutlich auf gar keinen Fall gewesen sein!
Attila taten natürlich wieder die Kinder leid. Ich allerdings sagte mir, dass sie zu einem gewissen Grad selber schuld seien. Warum wollten diese Kinder lieber ins Heim oder sonst wohin, anstatt zu ihrem Vater zu ziehen? Mit fast 11 bzw. 13 Jahren war auch nicht davon auszugehen, dass sie die Tragweite ihrer Äußerungen, vom Entwicklungsstand her, nicht ermessen konnten. Attila hingegen war der Meinung, man hätte sie gar nicht gefragt, und wenn, dann unter den Argusaugen oder vielmehr -ohren ihrer missgünstigen Mutter. Schon möglich.
Ich verspürte absolut keine Lust, mich schon wieder in diese Thematik hineinzusteigern. Mir lag das letzte Mal noch im Magen, außerdem die »Vorfreude« auf das Ergebnis der Verhandlung. Womöglich reichte es dem Richter ja bereits mit Uschis Unfähigkeit und Attila könnte sehr schnell alle drei Kinder aufs Auge gedrückt bekommen.
Schon am nächsten Morgen ging es weiter. Ein ehemaliger Geschäftspartner, für den die GmbH vor Jahren einmal tätig gewesen war, rief Attila auf dem Handy an. Auch er hatte einen Fragebogen der Polizei erhalten, ob Attila bei dieser Firma arbeite. Jener Herr Schrenker faxte der Polizei umgehend die Antwort zurück, dass dies nicht der Fall sei. Erstens war dieser geschäftliche Auftrag schon vor Jahren beendet worden, zweitens war wiederum nicht Attila, sondern dessen Firma Auftragnehmer gewesen.
Nun war damit zu rechnen, dass Uschi wirklich jeden, an den sie sich irgendwie aus der geschäftlichen Vergangenheit erinnern konnte, anschreiben ließ und somit Attilas Ruf dort schädigte. Komisch! Daran, an all diese Firmennamen, konnte sie sich erinnern. Jedoch nicht an die Tatsache, dass niemals Attila als angestellte Person bei all diesen Firmen Arbeitnehmer gewesen war.
Sie selektierte. Zog an den Haaren alles herbei, was für uns ihrer Meinung nach als negativ gelten konnte. Ihre eigenen Verfehlungen, ihren Alkoholismus und ihre Unfähigkeit bei der Kindererziehung verbarg sie sogar vor sich selber.
Warum nur merkte das niemand?
Am darauffolgenden Wochenende zogen wir unsere privaten Sachen in die Residencial Ambra um; zum Glück besaßen wir nur noch sehr wenige Dinge, so dass alles in einen Kleintransporter passte. Die Bürosachen wollten wir erst zwei Wochen später hinüberbringen, weil wir uns vorher um einen neuen Festanschluss für Internet und Telefon kümmern mussten; beides war für einen Programmierer unabdingbar.
Es passte uns ganz gut in den Kram, dass die Firma, welche die Transporter vermietete, auch billige Gebrauchtmöbel verkaufte. Wir fanden ein Sofa für 130 Euro, das perfekt zur Fußbodenfarbe des Hauses passte und überdies gut erhalten war. Zu unserer Begeisterung fügte es sich perfekt in unser neues Wohnzimmer ein; ich besaß noch passende Kissen und sonstige Ambiente-Gegenstände aus Deutschland, um das Ganze wohnlich zu machen. Unser neues Wohnzimmer war nun mit orientalischem Flair eingerichtet, mit einfachsten Mitteln, aber durchaus wirkungsvoll. Hier in Spanien fand das private Leben ohnehin mehr draußen statt.
Nebenbei schrieb Attila mit Ronja E-Mails hin und her, denn Uschi sollte auf Vorschlag der Gutachterin einmal pro Woche ermöglichen, dass Ronja mit ihrem Vater auf diese Weise kommunizieren konnte. Dafür durfte sie ihr Handy nicht mehr benutzen, um Attila anzurufen. Noch erlaubte Uschi den Mailverkehr, jeden Samstag von 17 bis 18 Uhr. Marco sollte dann montags zu seinem Recht kommen. Ich war schon gespannt, wie lange das gut gehen würde. Besonders da ich registrierte, dass jedes Mal auch bei Attila die seelischen Wunden dabei wieder aufbrachen.
Gleich am Montag fuhren wir nach Torrevieja zum Steuerberater. Meine spanische Firma war endlich im Handelsregister, mit mir als Geschäftsführerin, eingetragen worden, auch wenn ich leider noch immer keine internationale Steuernummer erteilt erhielt. Wir besprachen Unmengen von Details, die mit unseren Firmen zusammenhingen. Insgesamt hatten wir dort zwei Stunden verbracht. Das war viel Zeit, die uns natürlich wieder zum Arbeiten fehlte.
Im Anschluss fragten wir bei unserer Bankfiliale nach, ob ich nun endlich mein Geschäftskonto fertig eingerichtet bekäme. Dort allerdings war ohne Termin nichts zu machen. Also war für Mittwoch noch einmal der gleiche Zeitverlust zu erwarten, es half alles nichts. Auch nach Alicante würden wir fahren müssen, um das Konto der Sa Nostra-Bank aufzulösen, welches der sogenannte Treuhänder First Plenty für meine Firma dummerweise in einer Filiale in Palma eröffnet hatte. Auch diese Bank brauchte den Nachweis, dass ich nun als Eigentümerin und Geschäftsführerin der Firma eingetragen war.