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Ein anderes Mal saß sie mit uns auf dem Drehkarussell, das man selber anschieben muss. Natürlich versuchen wir immer wieder, uns hierbei an Geschwindigkeit zu übertreffen, sonst ist es langweilig. Jeder hat sein Lieblingsbänkchen auf diesem Karussell, es gibt je ein rotes, grünes, blaues und ein gelbes. Ilona hat traditionell immer auf dem gelben gesessen, denn diese Farbe mag niemand anderes. Aber das Mädchen wusste nie, wann es absteigen musste. So kotzte sie ganz fürchterlich die gelbe Bank voll und dazu noch quer über das restliche Karussell. Igitt! Selbst als der Regen das Erbrochene einige Tage später wieder abgewaschen hatte, rührte keiner von uns jemals wieder die gelbe Bank an.
Diese Ilona ist, als sie uns ihre Mutter wieder aufdrängt, dieses Mal in Begleitung, und wir sind zum ersten Mal richtig begeistert. Einen Hundewelpen hat sie dabei, den hat sie gestern zum Geburtstag geschenkt bekommen. Es handelt sich um ein kleines, wolliges Ding, bei dem man kaum weiß, wo vorne oder hinten ist. Wir streicheln das Tierchen, spielen mit ihm. Ilona nennt den Hund »Mucki«, kann aber irgendwie nicht viel damit anfangen. Einige Male sehen wir, wie sie nach ihm tritt, ihn in die schwarze Nase zwickt. Sie ist halt nicht normal im Kopf, somit wundern wir uns nicht allzu sehr. Aber wenn wir den Hundi danach immer streicheln, wird er es schon nicht allzu übelnehmen.
Die Wochen vergehen und immer kommt Ilona mit Mucki. Wir mögen ihn nun nicht mehr so gerne, denn durch das ständige Treten ist der Hund irgendwie komisch geworden. Er knurrt und des Öfteren hat er schon bei einigen von uns unten am Hosenbein gezerrt und so ausgesehen, als wollte er zubeißen. Da er nun immer größer wird, ist das gar nicht mehr so lustig. Gestern hat das blöde Vieh gar den Saum meiner Lieblingsjeans zerfetzt und ich habe von meiner Mutter einen Anschiss kassiert.
Als es uns zu viel wird, beschließen wir, künftig auf Ilonas und Muckis Gesellschaft komplett zu verzichten, das kann man uns jetzt echt nicht mehr zumuten. Wir erklären ein Kellerabteil zur Bandenzentrale, sitzen auf Obstkisten und überlegen, was zu tun ist. Nachdem wir uns die Köpfe heiß geredet haben, steht fest: wir stellen eine Wache ab, die oben an der Haustür erst einmal überprüft, ob Ilona, ihre Mutter oder der dämliche Hund draußen vor dem Haus sind. Erst wenn Entwarnung gegeben wurde, verschwinden wir heimlich, still und leise, und zwar ohne Ilona und ihren Köter. Natürlich ist niemand von uns glücklich, der gerade zur »Muckiwache« eingeteilt wird.
Heute ist Sabrina oben. Sie pfeift dreimal Richtung Keller, und wir wissen: die Luft ist rein. Wie die Verbrecher drücken wir uns durch das dunkle Treppenhaus Richtung Haustüre, denn selbstverständlich wissen meine Eltern nicht, dass ihr Keller neuerdings eine Bandenzentrale ist. Uff, draußen! Jetzt schnell um den Block und hinunter zum Main, bis dorthin darf Ilona nicht.
Als wir gerade erleichtert um die Ecke biegen wollen, kommt Mucki, laut kläffend, wie ein bösartiger Blitz um die Ecke gehechelt. Ach, du Scheiße! Der hat ganz offensichtlich vor, uns anzugreifen, wahrscheinlich hat ihn Ilona gerade eben wieder gequält. Diese Erkenntnis macht uns Beine, wir rennen in alle Himmelsrichtungen panisch davon. Der hochgelobte Bandenmut hat uns gründlich im Stich gelassen.
Ich Idiotin habe mich ausgerechnet in eine Ecke manövriert, aus der ich Mucki nicht mehr entkommen kann. Er kommt näher, und ich überlege fieberhaft in größter Panik, wohin ich mich retten könnte. Da, ein Müllcontainer! Gerade noch rechtzeitig gelingt es mir, dort hinaufzuklettern, als Mucki seine spitzen Zähne schon wieder in den Saum meiner Hose gegraben hatte.
Ich sitze mit klopfendem Herzen und völlig aus der Puste auf dem metallenen Müllcontainer, froh über meine Rettung, und untersuche den Hosensaum. Ha, diesmal konnte er nichts ruinieren, der blöde Kläffer. Aus einem Hauseingang sehe ich vorsichtig die Hannelore hervorlugen, ums Eck die dicke Ricke. Mucki steht vor der Mülltonne und verbellt mich nach Leibeskräften. Da will ich vor meinen Freundinnen natürlich als besonders stark dastehen, fange an, den Mucki zu verhöhnen.
»Na, du wandelnder Bettvorleger? Hast wohl noch gar nicht geschnallt, dass du gar kein richtiger Kampfhund bist, du lächerliche Schoßtöle??« Gelächter aus dem Hauseingang. Jetzt finde ich die ganze Sache relativ lustig, weiß allerdings noch nicht, wie ich jemals von der Mülltonne wieder herunterkommen soll, wenn das Vieh nicht bald verschwindet.
Dieser Entscheidung werde ich allerdings enthoben, und dies viel zu plötzlich. Unter meinem Hosenboden tut sich was, der große Deckel des metallenen Müllcontainers öffnet sich, rutscht nach hinten hinunter. Und ich schreiend mit ihm.
Plumps, lande ich genau vor Muckis Schnauze, der erfreut um die Mülltonne gerannt ist, um mich gebührend in Empfang zu nehmen. HRRRRRRR! Mucki fletscht das Gebiss, knurrt bedrohlich und macht sich daran, meine Kleidung zu zerfetzen. Da naht im Laufschritt Ilonas Mutter mit einer Leine, und da Mucki gar so sehr mit meiner Socke beschäftigt ist, die er haarklein zu zerlegen gedenkt, kann sie die Leine mühelos an seinem Halsband einhaken und ihn wegzerren. Gerettet!
Ich bin schon ein bisschen sauer auf die anderen, die mir nicht einmal zu Hilfe geeilt sind, sondern nur mit wohligem Schaudern abgewartet haben, ob ich nun gefressen werde oder nicht. Feige Schweinebande. Ich glaube, die nächsten Wochen dürfen sie auf meine Wenigkeit verzichten, ich werde mich erst einmal wieder hinter meinen Büchern vergraben. Wobei man Mucki nicht mehr gesichtet hat; ich glaube, der ist im Tierheim.
*
Am Dienstagmorgen tigerte ich los, um meine Wirkung als Vertreterin für Anzeigen auf die Geschäftswelt zu testen. Der Einstieg gestaltete sich erst einmal schwierig, denn die einen brauchten keine Werbung, weil sie ohnehin jede Menge Kundschaft bekamen. Die anderen hatten zum Zeitpunkt des Besuchs den Geschäftsinhaber nicht zum Gespräch vorrätig, dort konnte ich nur Preisliste, Heftchen sowie meine Telefonnummer hinterlassen, musste später nachbohren. Aber zum Schluss stellte sich doch noch ein Erfolgserlebnis ein. Und was für eines!
Ich beschloss, einem neu eröffneten Fitnessund Wellnesscenter einen Besuch abzustatten. Und Bingo – man suchte noch nach einer Möglichkeit, den Club bei den deutschen Residenten bekannt zu machen und seine Eröffnungsangebote zu präsentieren. Dort konnte ich einen Termin für ein Interview vereinbaren, denn man wollte eine größere Anzeige für mehrere Monate schalten. Diesen Vertrag hatte ich praktisch in der Tasche. Die netten dänischen Inhaber zeigten mir nach dem Gespräch noch stolz das mehrstöckige Haus.
Und was für ein Haus! Erstens war es äußerst geschmackvoll eingerichtet, wobei Dunkelbraun und Apfelgrün dominierten. Alles war perfekt durchgestylt. Man bekam jede nur erdenkliche Wellnessund Schönheitsbehandlung geboten: von der Kosmetikerin über Kneipp-Anwendungen, Sauna, Frisör, Fitness oder kleine, feine Snacks, und das alles in einem Traum-Ambiente.
Wenn ich nur an jenen Raum denke, in welchem Salz aus dem Himalaya ausgelegt war und alles in orangefarbenen SalzlampenDesign erstrahlte. Außerdem glänzte der Laden mit sehr freundlichem Personal, ich wollte dort am liebsten gar nicht mehr weg. So kam ich nicht, wie ich es befürchtet hatte, frustriert, sondern eher beschwingt nach Hause. Für einen ersten Tag war das Ganze nett gewesen.
Am Abend meldete sich Marco bei Attila mit der Begründung, dass er das Mailstündchen am Vortag vergessen habe; die beiden kommunizierten ein paar Minuten, dann war das Söhnchen auch schon wieder weg vom Rechner.
Auch am folgenden Tag machte ich meine Runde, um Anzeigen an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus. Während man in manchen Geschäften und Bars Interesse zeigte oder es wenigstens heuchelte, kam man sich in anderen vor, als sei man ein nerviger Störenfried. Gleich entscheiden wollte ohnehin keiner, ob man sich zu einer Anzeige durchringen könne; somit konnte ich nur Angebot und Telefonnummer hinterlassen und später wiederkommen. Eigentlich gar nicht mein Fall.
Am Donnerstag war ich längere Zeit mit Attila unterwegs, um einzukaufen und ähnliches, hatte zudem einiges im Haushalt zu erledigen. So ließ ich für diesen Tag die Anzeigentour ausfallen und begann lieber damit, schon mal den Teil 2 für meinen Roman zu beginnen. Auch in Bezug auf die Autorentätigkeit hatte ich neue Tiefschläge zu verkraften, denn ich war im Internet auf Gerichtsurteile gestoßen, die das Thema »Persönlichkeitsrechte bei Biografien« behandelten. Mein Scheidungsdrama strotzte nur so von Personenbeschreibungen, auch wenn die Namen von allen Personen, die als Vorlage gedient hatten, von mir geändert worden waren.
Die Rechtsprechung hierzu war ziemlich widersprüchlich. Für manche Gerichte genügte es, das Ganze als »Roman« zu kennzeichnen und darauf hinzuweisen, dass die beschriebenen Personen stellvertretend für eine bestimmte Art von Menschen und deren Persönlichkeit zu werten sind, nicht als reale Person. Also ein »fiktiver Anteil« musste hinter der Geschichte zu vermuten oder tatsächlich vorhanden sein. Andere wiederum sahen das enger und verurteilten Autoren schon, sobald sich nur irgendwer in der Geschichte wiederzuerkennen glaubte.
Somit war mein schriftlich festgehaltenes Lebensdrama samt Hinzudichtungen nicht nur inhaltlich ein wahres Pulverfass, sondern auch aus diesen Gründen gefährlich, es zu veröffentlichen. Die demokratische Presseund Meinungsfreiheit konnte ich hinter solchen Lehrsätzen jedenfalls nicht mehr erkennen, wenn man nicht einmal ohne Namensnennung bloße Sachverhalte beschreiben konnte, ohne Ärger zu bekommen. Es gab viele Uschis dort draußen, viele Stadtverwaltungen und viele andere merkwürdige Leute. Durfte man all das nicht mehr beschreiben?
Uschis Fehlverhalten wurde gemeinhin geduldet, meine Ausführungen darüber hingegen vermutlich nicht. Und mir war klar: selbst, wenn ich ein eventuell gegen mich eingeleitetes Verfahren im Endeffekt gewinnen würde, es wäre schon wieder eine neue Baustelle, auf der wir uns zur Wehr setzen müssten.
Außerdem fiele das Ganze auf Attila zurück, könnte den Fortgang seines Scheidungsverfahrens negativ beeinflussen. Daher musste ich wohl meinen Ehrgeiz hintenanstellen und abwarten, wie es weitergehen würde, das Manuskript überarbeiten. Wieder war ich ausgebremst, konnte mit meinen nun fast drei Bänden kein Geld verdienen, obwohl diese echt gut gelungen waren. Zu Band 1 hatte ich ja schon ein Vertragsangebot in Händen, dazu ein sehr positives Gutachten. Es war zum Auswachsen.
Aufgrund dieser Erkenntnis war nun klar, dass ich unbedingt den komplett fiktiven Roman »Himmel noch mal!« als Erstes auf den Buchmarkt bringen musste. Somit schrieb ich noch weitere Verlage an, um denen mein Manuskript anzubieten. Mit demselben frustrierenden Ergebnis wie schon zuvor bei anderen Vertretern dieser Zunft. Vorsichtig fragte ich inzwischen erst einmal an, ob die Verlagspolitik derzeit überhaupt eine Veröffentlichung zuließe, bevor ich Dutzende von Manuskriptauszügen und Exposés auf grundsätzlich nicht interessierte Unternehmen losließ. Von manchen kam gar keine Antwort, von anderen wiederum derart verachtend formulierte Mails, dass man sich als Autor schon wie ein Störer des heiligen Verlagsfriedens vorkam, der Ungehöriges forderte: ein paar Minuten Aufmerksamkeit.
Was dachten diese Herrschaften eigentlich, wer ihnen die Existenz sicherte? Manche waren an Überheblichkeit kaum zu überbieten, schickten einfach automatisierte Antworten, welche frech konstatierten, dass man sich mit meiner Mail gar nicht erst befassen werde. Dass man als Autor noch nicht einmal eine Mitteilung in Form einer Absage bekomme, wenn ungefragt eingesendetes Material nicht veröffentlicht werden könne.
Das war in meinen Augen der Gipfel der Unhöflichkeit und hatte sicherlich mit Literatur-Kultur nichts mehr zu tun, nur mit eiskaltem Geschäftsgebaren. Arme Medienlandschaft. Solchen Verlagen wünschte ich echt eine saftige Unternehmenspleite an den Hals, und da war ich garantiert nicht die Einzige.
So musste ich nun schon wieder abwarten… abwarten … abwarten …, ob jemand meinen Roman annehmen würde. Sonst … ich mochte gar nicht darüber nachdenken! Zusammen mit der Angst vor Attilas Verhandlung ergab diese Situation wieder Stoff für Depressionen, gegen die ich mich verzweifelt zur Wehr setzte. Da meine Fingernägel allerdings schon wieder bis zum Anschlag heruntergekaut waren und ich unter Schlafstörungen litt, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ich diesen Kampf verlieren würde. Falls sich nicht ganz schnell etwas änderte.
Ein ganz klein wenig tat sich am Freitag. Wenigstens drei der neu angeschriebenen Verlage wollten mein Manuskript prüfen, waren sogar einverstanden, dass ich es ihnen per Mail übermittelte. Neues Spiel, neues Glück. Hoffentlich!
Am Samstag mussten wir bei strahlendem Sonnenschein die allerletzten Tätigkeiten im Haus in Los Leandros durchführen, um das Haus geputzt und ordentlich zurückgeben zu können. Nach drei Stunden waren wir fertig; wieder so ein Meilenstein, ein Abschnitt unseres Lebens war damit abgeschlossen. Attila kam somit rechtzeitig vor 17 Uhr nach Orihuela Costa zurück, um wieder einmal auf Ronjas Mails zu warten. Die jedoch, wie schon in den letzten Wochen, erst einmal nicht eintrafen. Wieder schrieb sie viel später, wieder war sie kurz angebunden. Attila fiel auch auf, dass sie recht nüchtern schrieb, nicht wie früher mit Herzchen und Smileys garniert.
Der Sonntag war dazu geeignet, zwischendurch einmal aufzutanken. Strahlender Sonnenschein und 21 Grad lockten uns nach draußen, wieder ging es in Richtung Strand. Dieses Mal wanderten wir durch andere Siedlungen, wieder sahen wir vollkommen andere Baustile und Gärten. Drunten an der Strandpromenade angekommen, gingen wir an jenem Tag nach links und waren ehrlich erstaunt, als wir die vielen kleinen, jeweils durch Felsen voneinander getrennten Strände entdeckten.
Diese Strände, die wie kleine Buchten aussahen, warteten mit glasklarem Wasser auf und waren zu dieser Jahreszeit menschenleer. Wie im Paradies. An diesem Tag gelang es sogar, die negativen Gedanken an Deutschland, Uschi oder gewisse Verlage etwas beiseite zu schieben. Leider litt Attila jedoch an Schmerzen in der Herzgegend, was er mir allerdings erst am Abend verriet.
Montags ging ich wieder mit meinen Sal News hausieren, dieses Mal mit einigem Erfolg. Sogar einen festen Termin zum Vertragsabschluss konnte ich für den kommenden Donnerstag festmachen. Marco schrieb Attila an diesem Tag, aber auch er war eher einsilbig.
Der Oberhammer jedoch traf Attila am Dienstag. Sein Anwalt hatte endlich Einsicht in die Strafakte nehmen können, in welcher sich Uschis Anzeige wegen seines angeblichen Unterhaltsbetrugs befand. Attila hatte ja mit einigem gerechnet, aber die Darstellungen zogen ihm dann doch fast die Schuhe aus. Diese Frau stellte Behauptungen auf, die nicht nur vom blauen Himmel herunter gelogen, sondern mit voller Absicht so gewählt waren, dass die Polizisten gar nicht anders konnten, als der Sache nachzugehen.
Haarsträubende Dinge standen da zu lesen. Attila hätte ihr in ihrer Zeit als Geschäftsführerin »geraten«, 160.000 Euro aus der Firma zu ziehen; anschließend hätte er das Geld komplett selber verbraucht (klar, vermutlich war es deshalb komplett auf ihr Privatkonto geflossen). Er habe sich extra nach Spanien »abgesetzt«, um seiner Unterhaltspflicht zu entkommen. Außerdem habe er einfach profitable Firmen geschlossen, obwohl diese finanziell sehr gut dagestanden seien. Attila habe den Kindern Fotos von seinem »großen Wohnhaus« geschickt, mit diesem angegeben und ihnen versprochen, dass sie dort Urlaub machen dürften.
Witzig, unser 80 qm-Häuschen als »großes Haus« zu bezeichnen, obwohl es auch noch unsere Büros beherbergte. Ich konnte mir aber schon denken, wie diese Äußerung zustande gekommen war. Attila hatte den Kindern nämlich einmal Fotos von hiesigen Villen geschickt, um zu zeigen, wie schön es hier sei. Das waren allerdings nicht unsere Häuser … die Kinder werden dann wohl ihrer Mutter erklärt haben, auf dem Bild seien Häuser von dort drauf, wo Papa wohne. Was ihrer Mutter gerade recht kam.
Damit nicht genug. Attila sei ein Mitinhaber von »KurierNetz«, von der Software »Trans-M« und vermutlich von diversen weiteren Firmen, verfüge über ein sehr hohes monatliches Einkommen. Da Bilanzen in Deutschland für jedermann einsehbar sind, beauftragte sie sogar eine Steuerkanzlei mit einer Art von »Gutachten« über Attilas Firmen. Natürlich wusste diese Kanzlei beispielsweise nicht, dass die Gesellschafterkonten total überzogen waren. Wie auch? Uschi litt ja unter absichtlichem Gedächtnisschwund, somit konnten diese und andere Gegebenheiten in der Beurteilung nicht berücksichtigt werden.
Es war zum Kotzen! Wieder Gegenstellungnahme, wieder immenser Zeitverlust. Ständig befand er sich in Verteidigungshaltung, obwohl er nichts Falsches getan hatte. Außer natürlich, dieses dämliche Weibsstück 1997 zu heiraten.
Nachträglich erklärte sich so auch, weshalb meine Tante Thea sich im letzten Jahr ihres Lebens Attila gegenüber so abweisend verhalten hatte. Mit Sicherheit hatte diese das von Uschi bei der Anwaltskanzlei angeforderte Gutachten über seine Firmen bezahlen dürfen, und Uschi zeigte ihr hernach die darin angegebenen Beträge, welche die immensen Verbindlichkeiten der Firma überhaupt nicht berücksichtigt hatten. So hatte sie wohl davon ausgehen müssen, dass Attila tatsächlich all sein Geld an Uschi vorbeischmuggelte und ihr böswillig vorenthielt.
Am Mittwoch, den 16. Februar wollte ich eigentlich meinen ersten Vertrag für Sal News abschließen; leider scheiterte ich trotz der Tatsache, dass ich einen Termin vereinbart hatte, am engen Zeitplan des Managers. Ich musste mich notgedrungen bereit erklären, am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen.
Was blieb mir anderes übrig? Ich beschloss dann, wenigstens bei den netten Engländern der Oasis-Bar noch einmal vorbeizuschauen. Und siehe da, man wollte eine Anzeige. Aber die Chefin sei leider erst am Montag wieder im Haus, erklärte man mir. Also musste ich auch dort noch ein drittes Mal vorsprechen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Als ich zurück nach Hause kam, hatte Attila schon wieder einen Schriftsatz der gegnerischen Anwältin auf dem Schreibtisch liegen. Dieser enthielt eine Aufstellung über Uschis Kosten, die sie für ein Jahr aufgelistet hatte und welche exorbitant hoch waren für eine Hartz-IV-Empfängerin. Allein schon die Kosten für das Auto, das sie eigentlich gar nicht brauchte, waren doppelt so hoch wie die unseren angesetzt – obwohl es sich dabei um ein baugleiches Fahrzeug handelte und auch unseres finanziert war.
Was sehr zu Buche schlug, waren natürlich die Hortkosten für alle drei Kinder, die dort auch Essen bekamen. Diese Kosten wiederum hätte sie komplett einsparen können, wenn sie sich selbst am Nachmittag um die Kinder gekümmert hätte.
Außerdem – was mussten Attila eigentlich die Kosten seiner Ex kümmern, was ging ihn das an? Den tatsächlich notwendigen Bedarf beglich die ARGE, was darüber hinaus ging, war eben Luxus. Uschi arbeitete nicht, sie gab einfach dauerhaft zu viel Geld aus, schob die Kinder ab und erwartete dann noch, dass irgendwer die Kosten ausglich. Hoffentlich merkte der Richter das nun endlich auch einmal.
Interessierte es irgendjemanden, welche Ausgaben Attila hatte? Wie er überhaupt von seinem Geld lebte, von dem ihm nicht einmal ein Betrag unterhalb der derzeitigen deutschen Pfändungsfreigrenze blieb, obwohl er jeden Tag mindestens 10 bis 12 Stunden arbeitete? Nein! Hoffentlich, hoffentlich würde die Hauptverhandlung endlich einmal klare Verhältnisse schaffen.
Wie ich es mir schon gedacht hatte, lagen dem Schriftsatz auch ein paar Atteste einer gewissen Frau Dr. Geisser bei, welche Uschi bescheinigen sollten, dass sie wegen dieser Scheidung unter einer »Belastungsreaktion« leide, somit nicht arbeiten könne. Die familiäre Situation habe sich verschärft.
Auch da stellte sich mir die wohl berechtigte Frage, weshalb man Attila ständig ohne Weiteres die volle Arbeitsbelastung zumuten konnte, obwohl auch er bereits erhebliche psychische und mittlerweile sogar körperliche Schäden davontrug. Er war nach dortiger Ansicht voll arbeitsfähig, sollte schön brav zahlen und auch noch jeden Cent, den er selbst ausgab, rechtfertigen. Falls der Richter das auch so sah, dann ade, du lieber Rechtsstaat.
Wie weit es mit Recht und Gesetz, mit Anstand und Ehre in Deutschland schon gekommen war, lebten uns einmal mehr die Politiker vor. Da ertappte man den Verteidigungsminister, weite Teile seiner Doktorarbeit einfach abgeschrieben zu haben. Erst leugnete er notorisch, dann gab er zwar Fehler zu, nachdem man sie ihm zweifelsfrei nachgewiesen hatte, weigerte sich aber, zurückzutreten.
Jeder Schüler wäre da von der Schule geflogen, hätte man ihm solch ein eklatantes Betrugsvergehen nachgewiesen. Der adelige Herr Minister aber tat, als sei so etwas ein durch Stress entstandenes Kavaliersdelikt, es habe mit seinem sonstigen Charakter nichts zu tun. Und die Bundeskanzlerin stärkte ihm auch noch den Rücken. Der Doktortitel wurde ihm von der Uni aberkannt, was er mit trotziger Arroganz zur Kenntnis nahm. Deutschland, deine glänzenden Vorbilder.
Attilas Anwalt reagierte auf die Schriftstücke der Gegenseite angemessen. Erstens schickte er dem Strafgericht eine gut formulierte Erwiderung gegen die Strafanzeige und kehrte diese gleich gegen Uschi; mit der Begründung, sie habe absichtlich Falschangaben gemacht, was absolut zutreffend war. Die Angaben in der gesamten Anzeige waren erstunken und erlogen. Ging man von gängiger Rechtsprechung aus, hätte Uschi jedenfalls ihren Ehegattenunterhalt wegen der vorsätzlichen Falschangaben verwirkt. Da war ich gespannt, das ließ hoffen.
Zweitens gab er Attilas 12-seitige Erläuterungen zur finanziellen Situation der Firma, sowie die der Privatperson Attila Szábo ans Familiengericht weiter. Sollten die Justizbeamten die Angaben glauben oder lieber einen für den Steuerzahler kostspieligen Wirtschaftsprüfer beauftragen, Attila war es mittlerweile einerlei. Wenn der Richter unbedingt meinte, so konnte er auch die Firmenpleite in Kauf nehmen. Wozu hatte man noch eine spanische S. L. zum Arbeiten parat?
Nach zahllosen E-Mails und sonstiger Verlagskorrespondenz stand am Tage vor der Abreise nun endlich fest, dass ich mein Buch »Himmel noch mal!« bei einem kleinen Verlag aus Gelnhausen veröffentlichen würde. Dieser Verlag bot mir faire Konditionen und erschien mir nach dem Bauchgefühl als passendster Vertragspartner. Mit der netten Lektorin jagte ich schon seit Wochen nette Mails hin und her.
So konnte ich während der Deutschlandfahrt, die keiner von uns antreten mochte, wenigstens meine Unterlagen dorthin bringen oder sie von Deutschland aus absenden; die spanische Post verlangte immense Summen für dicke Briefe. Damit wenigstens eine Sache in die Wege geleitet wäre, die wichtig für unsere Zukunft werden könnte.
Ich freute mich sehr darauf, mein hart erkämpftes Werk demnächst in Händen halten zu dürfen. Gleichzeitig litt ich unter Magenschmerzen, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, was mir in Deutschland sonst noch so blühte. Die Natur tat es jedenfalls nicht, Schnee und Eisregen waren angesagt.
Ansonsten ging zumindest in Spanien so einiges neue Wege. Im Fitness-Studio, bei dem ich eine Anzeige für Sal News an Land gezogen hatte, bot man uns die Möglichkeit an, in einen durchdachten Strukturvertrieb für alltägliche Gebrauchsprodukte einzusteigen. Außerdem eröffnete man mir, dass ich nach meiner Rückkehr aus Deutschland eine kostenlose Kosmetikbehandlung erhielte, meine Erfahrungen hinterher in einem Artikel für die Zeitung festhalten solle. Aber gerne doch, solche Zusagen fielen mir natürlich nicht schwer.
Ebenfalls nur kurze Zeit vor der Abreise erfuhr Attila durch die Anwaltskanzlei, dass am Vortag der Verhandlung alle drei Kinder vom Richter ohne Begleitperson persönlich gehört werden sollen; Attila hatte ja bemängelt, dass die Kinder nie adäquat befragt worden seien, bei wem sie wohnen wollten oder wie es ihnen ginge. Allerdings hatte ich den Eindruck, als ob dieses Zugeständnis ihn nicht wirklich freute. Entweder, weil er für sich selbst das Thema »Kinder« gedanklich schon ein wenig auf Abstand gebracht hatte und nun wider Willen daran erinnert wurde, oder weil er sich denken konnte, dass die Kinder vor dem Termin wieder durch Mama geimpft wären und dieser hernach auch Rechenschaft über ihre getätigten Äußerungen ablegen würden müssen.