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»Wollen Sie der Enge der Großstadt entkommen, Stress und Hektik entsagen, Ihrem Leben eine vollkommen andere Ausrichtung geben? Wir bieten Ihnen ein einfaches, aber zufriedenes Leben in dieser faszinierend neuen Welt. Kontaktieren Sie uns! Sollten sich mehr als tausend geeignete Bewerber aus Europa und den USA für das Siedlungsprojekt bei uns melden, entscheidet das Los«, verkündete der adrette junge Sprecher, während die Kamera langsam durch das Modell der im Schachbrettmuster angelegten Siedlung schwenkte. In Wirklichkeit waren die weißen Plastikmodule wohl noch im Bau. Mailadresse und Telefonnummer der für Europa zuständigen Sondierungsbehörde wurden eingeblendet.
Philipp Emmerson notierte beides. Was für eine angenehme
Vorstellung … keine Kläranlage, keine unangenehmen Mieter mehr, die er zufriedenstellen müsste. Swetlana und er könnten endlich in einem eigenen Haus wohnen, bräuchten sich nur noch um das Gärtchen und ein paar Wartungsarbeiten kümmern. Ade Überbevölkerung, ade eiskalter Kapitalismus. Auf dem Mars wurden einem die benötigten Waren kostenfrei zur Verfügung gestellt, Nahrung konnte man zum Teil selbst anbauen. Der Rest wurde halbjährlich mit Raumfrachtern angeliefert. Ein reguliertes Leben wie im Sozialismus, der in diesem Fall jedoch wohl kaum von macht- und geldgierigen Funktionären korrumpiert wäre. Natürlich … es handelte sich um ein Pilotprojekt zur Marsbesiedlung, das nicht völlig frei von unwägbaren Gefahren sein würde – aber lebte man denn in diesen Tagen auf der Erde sicher und komfortabel? Nein, beileibe nicht.
Swetlana, die neben ihm saß, erahnte seine Gedanken. »Du denkst ernsthaft darüber nach, nicht wahr? Man muss natürlich im Hinterkopf behalten, dass es ein One WayTicket wäre. Bist du einmal oben, kommst du nie mehr zurück zur Erde. So lauten die Bedingungen. Auch müssten wir uns zuvor umfangreichen Psychotests und körperlichen Untersuchungen unterziehen. Sie nehmen für dieses Siedlungsprojekt nur absolut gesunde Menschen, was ja auch Sinn macht. Sie begründen schließlich eine neue Zivilisation.«
»Schon klar. Aber stelle dir doch vor, welch ein Abenteuer das wäre! Man kann auf dem Mars inzwischen ganz normal atmen, die kosmische Strahlung ist akzeptabel. Man benötigt nur handelsübliche Cremes mit Lichtschutzfaktor. Der Planet ist inzwischen sehr wasserreich, es gibt bizarre, unerforschte Landschaften zu entdecken. Also mich reizt der Gedanke sehr, dass wir beide demnächst als Pioniere dorthin ziehen könnten. Und dort wäre es wahrscheinlich sogar möglich, ein Kind in die Welt zu setzen, einen kleinen Marsmenschen«, lockte Philipp, nicht ohne Hintergedanken.
Seine Frau war sofort Feuer und Flamme. Wie oft hatte sie ihren Kinderwunsch aufgeschoben, weil die finanzielle Situation zu prekär gewesen war. Ihre biologische Uhr tickte.
»Siehst du? Es war ein Fingerzeig des Schicksals, dass ich unbedingt diese Mediatapete haben wollte. Ansonsten hätten wir den Aufruf vermutlich nicht einmal mitbekommen. Morgen früh vereinbare ich bei der halbstaatlichen Sondierungsbehörde einen Termin zur Antragstellung für uns beide. Einverstanden?«, freute sich Swetlana.
»Einverstanden«, nickte Philipp, während ein riesiger Schokoriegel durchs Wohnzimmer zu schweben schien. Er drehte sich um sich selbst. Mars, stand auf der metallicbraunen Umhüllung zu lesen.
Tiberia, KINZeit: KINZeit: 13.5.15.16.6, Donnerstag
Der Vorderste der Sektion Archiv, Geschichte und Schrift strich mit dem rechten Zeigefinger nachdenklich über das Relief einer Schreibfeder, die auf dem Deckel sei nes Kommunikators angebracht war. Er und sein heiß geliebter Schreiber Zamor taten sich regelmäßig schwer damit, die gesammelten Dokumentationen von Terra psychisch zu verarbeiten. So auch heute.
Seit einigen Wochen waren sie dabei, die Ereignisse auf Terra seit dem Jahr des ersten bemannten Marsflugs 2023 zu sichten. Die umfangreiche Tätigkeit kostete jede Menge Zeit und Nerven. Sie war jedoch unabdingbar. Erstens konnte man aus der wechselhaften Geschichte einer parallel existierenden menschlichen Zivilisation wertvolle Lehren ziehen und zweitens erkannte man so die signifikanten Momente, in denen es ratsam erschien, auf Terra rückwirkend in das Geschehen einzugreifen.
Regentin und Vorderste Alanna, der Arden in regelmäßigen Abständen Bericht erstatten musste, war trotz einiger Fehlschläge bei solchen Eingriffen immer noch felsenfest der Meinung, dass man ein wachsames Auge auf jene unbedarften Brüder und Schwestern haben müsse, die demnächst zu direkten Nachbarn des tiberianischen, bald wieder marsianischen Volkes werden würden. Am liebsten hätte sie im Nachhinein die ersten Schritte der Terraner auf dem Mars ungeschehen gemacht, die AuroraMission sabotiert, doch sie ahnte, dass diese Manipulation den Griff nach dem Mars höchstens aufgeschoben hätte.
Es musste nach Lage der Dinge eines Tages zwangsläufig zur Konfrontation kommen, dann jedoch am besten kontrolliert und nach den Regeln ihres Volkes. Den degenerierten Terranern würde entweder die Vertreibung vom Mars oder ein Leben in larvierter Sklaverei blühen, das hatte sie sich insgeheim auf die Fahnen geschrieben.
»Der Mensch neigt anscheinend dazu, alles aufzuteilen und seinen vermeintlich gerecht erworbenen Anteil eifersüchtig zu bewachen«, meinte Zamor betrübt. »Bei uns richtet sich die Aufteilung in verschiedene Sektionen wenigstens nach einem sinnvollen System. Aber bei denen? Ost und West, Arm und Reich, Christentum und Islam, Nationalisten und Freigeister … da blickt doch keiner mehr durch.«
»Du sprichst ein wahres Wort. Da überschneiden sich Grenzen, das macht das Wirrwarr aus egoistischen Intentionen und Machtspielen unübersichtlich. Dazu kommen noch die Folgen des Klimawandels, die einerseits wegen der selbst ausgelösten Erderwärmung, andererseits wegen geheimer Wetterexperimente des Militärs auftraten. Die massiven Unwetter verwüsteten ganze Landstriche, die Küstengebiete wurden zunehmend überflutet und somit unbewohnbar. Wie kann man so blind sein? Schließlich lebte der Großteil der terrestrischen Menschen bis dato in Städten am Meer!«, echauffierte sich Arden.
»Geheime Wetterexperimente?«, wunderte sich sein Gefährte.
»Ja, so krank das auch klingen mag. Wer das Wetter kontrolliert, kann seinem Feind über die Auswirkungen großen Schaden zufügen. Dürren, Überflutungen, Tornados – all das wurde bedenkenlos ausgelöst, um eigene Exporte in das betroffene Land zu steigern oder den Gegner militärisch zu schwächen, je nach Interessenlage. Sie setzten hierzu unter anderem innovative Mikrowellentechnik und Silberionen ein. Heimlich natürlich, um die Bevölkerung nicht auf die Barrikaden zu treiben. Man schob einfach alle Wetterkapriolen auf die unvermeidliche Erderwärmung. Kaum zu glauben, nicht wahr?«
»Unfassbar. Und die Leute merkten wirklich nicht, was man da mit ihnen veranstaltete?«
»Es wurden auf dem Wetterradar unerklärliche Phänomene gesichtet, die eher wie Bildstörungen aussahen. Über manchen Gebieten schien die Anzeige durch weiße Kreise überlagert zu sein; kurz darauf kam es dort prompt zu massiven Regenfällen. Zuerst wurden die kreisförmigen Strukturen über Australien gesichtet, weil dieser Kontinent nicht so stark mit dem Rest der Welt in diplomatische Querelen verstrickt ist. Man erkor ihn quasi als Testgelände aus. Außer den Unkenrufen von ein paar Verschwörungstheoretikern hat die Öffentlichkeit keine Notiz von den Vorgängen über ihren Köpfen genommen.«
»Ich wiederhole: Unfassbar!«, kommentierte Zamor.
»Das wahrhaft Erstaunliche daran ist, dass die Terraner um die Zerbrechlichkeit ihres ökologischen Systems wussten. Im Jahr 2030 haben sie die sogenannte DoomsdayClock auf eine Minute vor zwölf vorgestellt. Das ist die symbolische Uhr eines wissenschaftlichen Berichtsblattes über den Zustand der Welt, die der Öffentlichkeit verdeutlichen soll, wie groß jeweils das derzeitige Risiko einer globalen Katastrophe ist. Im Jahr 2015 stand sie noch auf fünf vor zwölf.«
»Und das öffnete denen nicht die Augen, sondern man spielte sogar noch leichtsinnig an den Wettersystemen herum?«
»Sie wussten es, Zamor, rannten mit offenen Augen in ihr Verderben. Die Belastungsgrenzen Terras wurden immer stärker tangiert. Sie hatten sogar einen Erdüberlastungstag festgelegt, und der trat jedes Jahr früher ein. Während die natürlichen, sich innerhalb eines Jahres regenerierenden Ressourcen Terras im Jahr 2016 noch Anfang August aufgebraucht waren, reichten sie 2030 lediglich bis Ende Juni. Ab diesem Jahr hätte man eigentlich bereits zwei Planeten von gleicher Größe und Beschaffenheit gebraucht, um eine ausreichende Lebensmittelproduktion zu gewährleisten sowie die Mittel für Wohnen und Brennstoffe zu gewinnen.
Die Berechnung geht auf das Konzept des Ökologischen Fußabdrucks zurück, der besagt, wie viel Fläche benötigt wird, um sämtlichen Ressourcenbedarf inklusive der Energieversorgung zu stemmen. Die terrestrische Menschheit lebte also immer in der zweiten Jahreshälfte unbekümmert von den stillen Reserven Terras – bis diese eines furchtbaren Tages komplett aufgebraucht sein würden.«
»Jedenfalls wäre das so gekommen, wenn sich die Erdbevölkerung nicht in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts wesentlich reduziert hätte.«
»Nichts vorweg nehmen, lieber Zamor. Einen Schritt nach dem anderen. Wir müssen Jahr für Jahr akribisch durchsehen um zu erkennen, weswegen es so und nicht anders kam. Auch unser eigenes Volk hat einst ähnliche Fehler auf dem Mars begangen, weshalb er bis vor kurzem unbewohnbar gewesen ist. Dem Menschen scheint der eigene Untergang bereits in die Wiege gelegt zu sein … das Omega ist im Alpha verborgen, verstehst du? Dem Aufstieg folgt stets der Niedergang, das unabwendbare Ende. Es fragt sich nur wann – und auf welche Weise es kommt. Danach beginnt ein neuer Zyklus.
Es geht mir auch nicht nur um diesen Komplex. Wir haben in demselben Zeitraum ebenso zu studieren, wie die Europäische Union sich langsam auflöste, wie die Verhältnisse in Amerika sich Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts entwickelten und was in Syrien, der Türkei und in Korea vor sich ging. Wir dürfen keinesfalls terrestrischen Medienberichten oder gar der offiziellen Geschichtsschreibung trauen, sondern müssen uns mit dem gesunden Menschenverstand ein eigenes Bild von Ursache und Wirkung machen.
Die Verantwortung lastet schwer auf meinen Schultern. Schon die allerkleinste Fehlinterpretation kann unsere impulsive Alanna zu weitreichenden Schritten treiben«, warnte Arden seinen in Violett gekleideten Schreiber und Geliebten. Manchmal verleitete Zamors Jugend ihn zu unangebrachter Oberflächlichkeit.
*
Über dem Regentenpalast gingen die zwei Monde Tiberias auf, das Zentralgestirn versank hinter dem Horizont. Für das jüngste Mitglied der Marsdynastie neigte sich damit der Tag dem Ende zu. Regent Kiloon geleitete seine sechsjährige Tochter in ihr Schlafgemach. Er konnte nur wenig Zeit mit ihr verbringen, doch das allabendliche Ritual ließ er sich nicht nehmen.
Behutsam hob er die jüngere der beiden Alannas in ihre ovale Schlafkoje aus transparentem, zartgelbem Plantolaan. Kaum reagierte der im Boden verbaute Sensor auf ihr Gewicht, ertönte ein kaum vernehmbares Zischen. Unzählige kleine Düsen, die rundum von der Schulterhöhe bis zu den Zehenspitzen an der Innenverkleidung angebracht waren, verströmten eine bläuliche Gasmischung. Diese wog schwerer als Luft, duftete wie Lavendel und legte sich wie eine schützende, wärmende Hülle um den Körper des Kindes. Erst vor einigen TUN hatte diese innovative Lösung gewöhnliche Decken abgelöst. Sie garantierte eine stets gleich bleibende Körpertemperatur, lästiges Schwitzen oder Frieren in der Nacht gehörten damit der Vergangenheit an.
»Vater, erzählst du mir zum Einschlafen eine Geschichte?«, gurrte die Kleine mit einem gewinnenden Lächeln. Der Tonfall erinnerte unangenehm an ihre gleichnamige Mutter, die, wenn sie etwas erreichen wollte, ganz ähnlich zuckersüß klang.
Kiloon schüttelte den schauerlichen Gedanken ab. Er führte eine Zweckehe, die nichts mit einer liebevollen Beziehung gemein hatte. Genauer gesagt, hatte ihn die ältere Alanna quasi fest an den Eiern. Dieses selbst verschuldete Dilemma wollte er natürlich nicht an seiner süßen Tochter auslassen, somit nickte er und streichelte ihr zärtlich übers blonde Haar.
Er erzählte dem Mädchen sehr gerne Geschichten, stets darauf achtend, dass diese einen lehrreichen Hintergrund enthielten. Vielleicht gelang es ihm ja auf diese schonende Weise, die künftige Imperiumserbin gegen die – zumeist selbstsüchtigen – Pläne ihrer Mutter zu konditionieren. Und doch fühlte er, dass sich die Vater-Tochter-Beziehung bereits in Nuancen veränderte. Alanna war kein Kleinkind mehr, würde in wenigen Jahren in die Pubertät kommen.
»Bist du allmählich nicht schon ein bisschen zu groß für Gutenachtgeschichten?«, fragte er augenzwinkernd.
»Überhaupt nicht!«, strahlte das Mädchen und schloss genießerisch die Augen. Kiloon brummte zufrieden.
»Es war einmal … ein Volk aus glücklichen Menschen, die im Überfluss lebten. Sie besaßen nur das, was man zum Leben unbedingt braucht. Sie jagten Tiere und sammelten gemeinsam Beeren und Früchte. Abends saß man am Lagerfeuer zusammen«, begann Kiloon seine Geschichte.
»Iiiiih«, schüttelte sich die Kleine. »Wir haben im Unterricht schon gehört, dass die Menschen früher Tiere aßen. Das finde ich eklig. Wie können sie dann aber glücklich gewesen sein?«
»Sie kannten es nicht anders. Wir Menschen waren erst viel später in der Lage, uns die notwenigen Nährstoffe aus synthetischer Nahrung zu ziehen. Obst und Gemüse sind eben auf Dauer nicht ausreichend, um den Körper fit und gesund zu halten. Wenn man körperlich arbeitet, benötigt man viele Proteine«, erklärte ihr Vater geduldig.
»Trotzdem! Tiere töten und sie anschließend essen, das könnte ich bestimmt nicht«, beharrte Alanna. Sie besaß denselben Dickkopf wie ihre Mutter.
»Musst du ja auch nicht. Aber nun höre gut zu, wie es dem Volk in meiner Geschichte weiter erging. Im Laufe der Zeit vermehrten sich die Menschen immer weiter. Familien schlossen sich zu Clans zusammen, Clans zu Dorfgemeinschaften und diese wiederum zu größeren Siedlungen, die man später Städte nannte. Nun mussten sie sich um die Dinge des alltäglichen Lebens streiten, denn die Zeit des Überflusses war vorbei. Jeder wollte möglichst viel für sich selbst beanspruchen: Ländereien, Wasser, Jagdgebiete, Nahrung. Es entstand Konkurrenz, und hieraus resultierten kriegerische Konflikte.«
»Dann war das aber ein sehr, sehr dummes Volk«, entschied Klein-Alanna selbstbewusst. »Sobald ein Mensch stirbt, darf ein neuer an seine Stelle treten, so lautet bei uns die Regel. Wie konnte es also passieren, dass auf einmal so viele existierten, dass sie sich sogar ums Essen streiten mussten?«
»Damals gab es eine solche Regelung noch nicht. Die Familien entschieden selbst, wie viele Kinder sie in die Welt setzen wollten. Doch das war noch das kleinere Problem. Man erfand Maschinen, die den Leuten die Arbeit abnahmen und produzierte damit lauter Dinge, die im Grunde genommen überflüssig waren. Jedermann wollte das Zeug besitzen, für alles gab es Abnehmer. Je mehr Gegenstände man besaß, desto größer war das Ansehen.
Zuerst tauschte man die Waren untereinander, später bezahlte man sie mit runden, glänzenden Metallstücken. Um wiederum diese Metallstücke zur Verfügung zu haben, musste man arbeiten – doch dies war immer weniger Menschen möglich, weil die Maschinen sie einen nach dem anderen ersetzten. Die Roboter erledigten die Aufgaben oft schneller und zuverlässiger, daher setzte man sie überall ein. Die großen Maschinen, die diese Roboter bedienten, verpesteten die Luft und entzogen dem Planeten jede Menge Bodenschätze. Das brachte das natürliche Gleichgewicht ins Wanken.«
»Die haben also vor lauter Gier den eigenen Planeten kaputt gemacht?«, fragte das Mädchen mit großen Augen.
»Ja, über Generationen hinweg, so nach und nach. Die Menschen verlernten mit der Natur zu leben, bis diese eines Tages zurückschlug. Es entstanden durch all das Gift im Boden und in der Luft neue Krankheiten, die Atmosphäre wurde dünner und konnte nicht mehr vor der tödlichen Strahlung des Weltalls schützen. Sehr viele Bewohner sind gestorben, andere todkrank geworden. Am Ende konnte niemand mehr jene Maschinen bedienen, für welche man zuvor alles Lebenswerte geopfert hatte. Die letzten überlebenden Menschen flohen Hals über Kopf auf andere Planeten.«
Alanna gähnte herzhaft, kuschelte sich in ihr Kissen. »Das ist aber eine traurige Geschichte. Selber schuld, dieses unvernünftige Volk. Wo hat es denn einst gelebt?«
»Auf dem Mars. Dies war leider unsere eigene Geschichte, wie sie sich vor einigen CALABTUN auf unserem Heimatplaneten zugetragen hat. Nun stehen wir im Begriff, diese zerstörte Welt wieder neu zu besiedeln. So etwas Schlimmes darf dort nie wieder geschehen. Unsere Dynastie trägt die schwere Last der Verantwortung, damit die Chance auf einen Neuanfang richtig genutzt wird. Wenn du erwachsen bist, musst du sehr klug und umsichtig handeln. Versprichst du mir das?«
»Ja, Vater. Mutter sagt, dort auf dem Mars wird alles besser und schöner werden als es hier jemals gewesen ist.«
»Das hoffe ich in unser aller Interesse, mein kleiner Schatz. Nun schlaf schön«, flüsterte Kiloon und drückte seiner Tochter einen Gutenachtkuss auf die Stirn. Selig schlummerte sie ein, nicht ahnend, dass ihr Vater insgeheim vom glatten Gegenteil überzeugt war.
Terra, 07. November 2118 nach Christus, Montag
Annähernd hundert Jahre, nachdem Rainald Hemmauer erstmals die beängstigende AsteroidenAnimation ins Internet gestellt hatte, war diese noch immer nicht in Vergessenheit geraten. Natürlich hatten die beiden tiberianischen Exilanten damals explizit erwähnt, dass bei der Aufzeichnung außerirdische Technik im Spiel gewesen war und allein diese eine derart realistische Simulation ermöglicht habe. Solaras hatte sie über den Holographen ablaufen lassen, mit sich selbst im Mittelpunkt, und Rainald war derweil im Türrahmen gestanden und hatte das fulminante 3DSzenario samt der infernalischen Geräuschkulisse von außen gefilmt.
In den ersten Jahrzehnten war der Beitrag belächelt worden, es hatte sogar Drohungen gegen die Urheber gegeben. Manche Blogger hatten es überaus witzig gefunden, schnoddrige Kommentare zu posten. Doch je mehr Zeit verstrich und je weiter die irdische HologrammTechnik voranschritt, desto mehr kam man auf den Gedanken, dass die Simulation doch identisch sein könnte. Schließlich war man auf der Erde inzwischen in der Lage, ähnlich klare Trugbilder zu erzeugen.
Hinzu kam noch, dass der blaue Planet mehrfach mit einem ebenso blauen Auge davon gekommen war. Drei Asteroiden waren gegen Ende des 21. Jahrhunderts der Erde gefährlich nahe gekommen. Ein Objekt von der Größe eines Wohnblocks hätte um ein Haar den Mond zerschmettert, hatte sich dem Erdtrabanten bis auf 12.000 Kilometer genähert und aufgrund der Massenanziehung sogar dessen Umlaufbahn geringfügig verändert.
Man war sensibilisiert. Was, wenn der riesige Asteroid aus der Aufzeichnung tatsächlich existierte und, von den vielen wachsamen Teleskopen unbemerkt, hinter der Sonne hervorträte und am 5. April 2272, also in etwas mehr als hundertfünfzig Jahren, einschlüge? Keine Frage, man musste vorbereitet sein. Für diesen oder einen anderen Planetenkiller.
Neben verschiedenen mehr oder weniger durchführbaren Theorien zur Umleitung der vagabundierenden Himmelsbrocken schien die rechtzeitige Evakuierung der Erde inzwischen einer der gangbarsten Denkansätze zu sein. Der Mars lockte mit einem halbwegs gemäßigten Klima, in dem wieder Menschen existieren konnten. Es gab dort flüssiges Wasser, die Grundvoraussetzung für Leben. Nie und nimmer würde es zwar gelingen, die gesamte Bevölkerung der bedrohten Erde auf den ehemals roten, inzwischen eher rotgrünen Planeten zu transferieren – dafür hätte man die notwendigen Kapazitäten an Geld und Transportmitteln gar nicht besessen – aber die Menschheit an sich würde im dortigen Exil jegliche Megakatastrophe überdauern können.
Insofern war es ein sehr beruhigendes Gefühl, dass die ersten Marssiedler aus dem staatlichen Pionierprogramm schon bald ihr neues Zuhause beziehen sollten. Zehn Raumfrachter der NASA, mit jeweils hundert Passagieren an Bord, befanden sich bereits auf der monatelangen Reise ins All. Man konnte bloß hoffen, dass dieser beispiellose Exodus ein glückliches Ende nahm. Falls alles gut ging, würden die Raumfrachter in wenigen Jahren die nächsten Siedler zum Mars transferieren.
Unter den ersten Pionieren waren auch Swetlana und Philipp Emmerson, die zuvor monatelange Gesundheitschecks, ermüdende psychologische Sitzungen und straffe Fitnessprogramme durchlaufen hatten. Das Ehepaar haderte mittlerweile mit seiner Entscheidung, weil es in der bedrückenden Enge des Frachters wiederholt zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Marsmenschen in spe gekommen war. Selbst stabilste Psychen schienen das tatenlose Herumhängen sehr schlecht zu verkraften. So flammten bei geringfügigsten Anlässen schon erbitterte Streitigkeiten auf, die nicht selten in der Krankenstation endeten.
»Wir müssen eisern durchhalten, Swetlana. Ein paar Wochen noch, und danach werden wir so viel Platz haben, dass wir all diesen aggressiven Idioten aus dem Weg gehen können«, tröstete Philipp seine entmutigte Gattin.
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