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Ja. Wir könnten da schon korrekterweise im Plural reden. Wir schätzen sowohl den genannten Caddy als die umgebaute Rossi-Tankstelle in der Raimundstraße aufs äußerste – verwegene Kommunikationsformationen, die manchmal, mehr im Winter, an einen bitterlich vor sich hin vegetierenden Wartesaal erinnern. Im Sommer ist meine Hauptassoziation irgendwo bei John-Steinbeck- oder auch Gershwin-Modellen angesiedelt. Ich hab’ mal die noch kühnere Vision entwickelt, daß man auf den Grünstreifen der größeren Straßen im Sommer zechen könnte und daß das hervorragend zu Frankfurt passen würde.
Müßiggang, Schlendrian, eine Art variiertes Hippietum – das alles paßt in unsere rasende, profitsüchtige Zeit nicht mehr.
Ja. Aber ich bin da nicht mehr unbedingt die richtige Auskunftsstelle. Ich bin neulich zufällig an einem Lokal in der Börsengegend vorbeigekommen, wo die neuste Formation der Aufsteiger täglich gezwungenermaßen beieinanderhockt, in der Realität wie in der ZDF- Serie Ein Fall für zwei. Das dürfte jetzt eine häufigere Geselligkeitsform in Frankfurt sein, die natürlich nicht unbedingt uns als Gäste erhofft und erwartet – und umgekehrt. Das beruht wahrscheinlich auf wechselseitiger Fremdheit, ja Verabscheuung.
Wenn wir noch mal zum sozusagen Satirestandort Frankfurt zurückkehren können: Satire ist heute, einem Diktum von dir zufolge, durch und durch Sprachkritik. Just an der hiesigen Universität wird das »Unwort des Jahres« ausgeheckt. Du hast vor Jahren die Wahl des Kohlschen »Kollektiven Freizeitparks« mißbilligend kommentiert und Helmut Kohl vor dieser Kür in Schutz genommen.
Die Formulierung ist wahrscheinlich nicht vom Kohl, aber wenn man rein sprachliche Kriterien bemüht und unterstellt, sie wäre von Kohl: dann ist sie nicht schlecht. Diese nicht mehr ganz überschaubaren Unwörter und Wörter des Jahres kranken häufig, ja fast immer daran, daß eine schlechte Gesinnung mit einer schlechten Formulierung verwechselt wird. Es kann eine zynische Gesinnung durchaus mal mit einer guten Formulierung einhergehen. Zufällig habe ich heute was recht Schönes in den gesammelten Werken von Matthias Beltz gelesen. Neben auch etwas flacheren Faseleien, die er veranstaltet hat, steht die richtige Frage, was man eigentlich dauernd gegen Menschenverachtung habe. Wen soll man denn sonst verachten außer Menschen? Also, Elefanten kann man nicht verachten, und die Alpen bieten sich auch nicht so sehr an. Das Wetter wird neuerdings sehr verachtet auf sämtlichen Kanälen. – Was die Frankfurter Satiriker angeht, wollte ich doch noch anfügen, daß die manchmal nach außen so scheinende Affinität der Stadt zu Satire und Kritik eine grobe Täuschung ist, im nachhinein. Das läßt sich leicht daran ablesen, daß die ersten Ausstellungen zur Neuen Frankfurter Schule in Marburg, in Wiesbaden, in München und weiß Gott wo stattfanden, und erst an fünfter oder siebter Stelle kam Frankfurt. Die Stadt hat mit großer Verspätung gemerkt, daß hier was nachwächst, das im weitesten Sinne sogar der Imagebildung dient. Nun gründen sich ganze Kulturbeamtenexistenzen auf dieser Neuen Frankfurter Schule, es werden Preise vergeben – und ähnlicher Unfug.
Ich muß noch mal auf den Zusammenprall von Literatur und Politik in Frankfurt zu sprechen kommen. Denn 1985, nach der Veröffentlichung deiner Helmut-Kohl-Biographie, bist du auf der Buchmesse mit dem Kanzler zusammengestoßen – eine denkwürdige Begegnung.
Nein, das ist ein Irrtum, eine Legende. Ich bin mit Kohl mal während des Wahlkampfes 1972 zusammengestoßen, das heißt, er hat mir in die Hände gegriffen. Auf der Messe hat man dem Kohl etwas unvorsichtig mein Buch zum Signieren hingehalten, und er hat auch seinen Kohl-Krakel reingemacht – das Exemplar ist noch in meinem Besitz, wenn ich mal sehr verarmt bin, werde ich’s versteigern. Es ist eine sehr kurze Unterschrift, ein Geheimnis der erfolgreichen Kanzlerschaft ist ein kurzer Name und ein kurzer Krakel. Der Rest erinnert an dieses beliebte Kinderspiel: Wie sieht ein Satz am Ende aus, wenn man ihn weitersagt? Die einen berichten, Kohl habe gesagt, das Buch sei ein starker Beitrag, und die anderen – das ist wahrscheinlicher – bieten die Version an, Kohl habe signiert und dann erst gesehen, was er da signiert hatte, und gesagt, das sei ein starkes Stück, daß man ihm das vorlege.
Ich bin vor gut eineinhalb Jahren auf einem Wolga-Dampfer Augenzeuge eines ziemlich titanischen Treffens zwischen dir und Egon Bahr gewesen. Ist damit zu rechnen, daß du dich in Zukunft biographisch einem SPD-Granden wie eben Egon Bahr zuwendest?
Bei Egon Bahr schließe ich’s nicht aus. Gegenüber Bahr gab es immer – vielleicht auch durch die Affinität im Berufsleben, Bahr ist ja gelernter Journalist – eine Art Sympathie, sowohl für seine Tätigkeit als Adlatus von Willy Brandt als auch für den Typ, obwohl es ein Berliner Grundtypus war und ist. Das ist auch nachweisbar. Weit vor der Wolga-Fahrt, schon in den Sudelblättern [aus dem Jahr 1987], wird Egon Bahr als eine Licht- und Trostgestalt kurz angewürdigt. Ansonsten, bei immer noch nicht gekündigter SPD-Mitgliedschaft, die aber schon seit fünfunddreißig Jahren ruht, ist mir, wie es die Zeit mal sehr richtig geschrieben hat, die auftrumpferische CSU-Kultur, und sei es Vilshofen und Passau unter Strauß, vergleichsweise doch noch etwas näher.
Wenn Satire – eine Binsenweisheit – wesentlich Negation und Frankfurt die Stadt der Satire ist, muß man Frankfurt prinzipiell ablehnen. Aber du hast in den Sudelblättern gegen Adorno und Erich Kästner einmal das Positive benannt. Und das Positive in dieser Welt sei: der Frankfurter öffentliche Personennahverkehr. Der funktioniere tadellos und zu jeder Zeit.
Ich müßte jetzt lange nachdenken und die Erinnerungsneuronen anschüren und glaube, eingestehen zu müssen, daß ich hier einer Einflüsterung meiner Ehefrau, die den Nahverkehr jeden Tag noch naher gebraucht hat als ich, erlegen bin. Gelegentlich finden sich solche Spuren der Meinungen der Ehefrau in meinen Büchern. Ich bin halt auch manipulierbar, kann aber das Urteil inzwischen erweitern. Die vielgescholtene Eisenbahn ist vielleicht nicht das Positive auf dieser Welt, aber keineswegs so negativ, wie alle unsere Rentner bis hin zu den FAZ-Redakteuren in der Bahn ununterbrochen den Watschenmann der Nation schlechthin traktieren. Vielleicht beschließen wir’s, Frankfurt weit überschreitend, mit einem vorsichtigen Lob der und einer Wiedergutmachung an der deutschen Bundesbahn.
Ich würde sagen, dem schließe ich mich an.
Ja, das mach nur.
Abhocken
Wenn es einer Kneipe, einer Wirtschaft in Frankfurt gegönnt sei, daß wieder mal und im Zuge des neuen deutschen Wirtschaftswunders etwas nachdrücklicher das sauerst verdiente Geld in sie hineingetragen wird, dann der an der anheimelnd mit allerlei Laubbäumen prunkenden Frankenallee gelegenen Zeitungsente.
Von ihren älteren Tagen, als das blitzsauber Wohligkeit gewährende Etablissement noch vis-à-vis residierte, an der Ecke Frankenallee/Hufnagelstraße, wo Gunter Sare zu Tode kam, zeugen die schönsten Geschichten rund um praktisch nie endende Chaosaktionen der Stammgastmannschaft. Gleichwohl, auch damals schon war die Zeitungsente genausosehr ein Hort des gedankenfreien Verweilens, der buddhabräsigen Gammelmeditation und des guten Essens, das vor allem zur Mittagszeit allerlei Pressemenschen zu achten und zu genießen nicht sich scheuten.
Im März 2003 zog das vom ehemaligen Fußballprofi Rasha Marinkovic 1989 der Welt geschenkte Lokal um, ins Haus Gallus. Geändert hat sich damit nichts oder doch einiges. Die Zeitungsente hat sich von einer granitehrlichen Eckkneipe in ein formidables, großräumiges Barrestaurant verwandelt, in dem aber nach wie vor – zumal am Tresen – rhetorisch hochgewandte Zeitgenossen recht regelmäßig zugange sind, um eine leibhaftige Mainzer Fußballgröße wie Michael Thurk vollzuschwallen, das Spiel selbst zu gucken oder eines der exquisiten Gerichte aus der dezidiert international orientierten Gourmetküche zu verdrücken.
Da abzuhocken, und sei’s an einem der schläfrigeren, kalmierenden Tage, oder auf der Terrasse zur Straße hin, das hilft allemal, die röhrend dumme Welt zu vergessen und zu merken, worauf es im Leben ankommt: auf ein Bier, eine bekömmliche Mahlzeit, einen sympathischen Wirt und auf ein – leider durch undurchschaubare personalpolitische Dauerrotationen ununterbrochen durcheinandergewirbeltes – Damenbedienungsteam, das ein paar Gedanken auf Trab bringt.
In »Kamerun«, wie das Gallusviertel einst genannt ward, gibt es eine Oase. Dort sich zu laben ist ein Gebot der Vernunft und der Lebenskunst. Und zwar jeden Tag aufs neue.
PS: Im Vorwort zur zweiten Auflage der Poesie des Biers (Münster 2010) habe ich »auf das konservatorisch-eschatologische Moment von Literatur« verwiesen. Ich muß es auch an dieser Stelle tun. Die Zeitungsente existiert nicht mehr.
Konrad Duden, Oskar Werner und
Dr. Potthoft
Von Marco Gottwalts
Ehrendes Gedenken
Profunde Kenner der Sesamstraße verbinden vielleicht noch etwas mit der Figur des Alphabet-Jens. Die Geschichten rund um die witzige Puppe spielten im imaginären Wilden Westen, wo die bloße Nennung seines Namens Angst und Schrecken verbreitete. Denn er war der schnellste Alphabetaufsager jenes gesamten Wilden Westens. Betrat er den Saloon, verstummte das Klavier, und es herrschte atemloses Schweigen.
Er gewann jedes Duell spielend. Während andere noch überlegten, welcher Buchstabe auf das C folgt, hatte er bereits das R hinter sich gelassen und formte das S mit seiner flinken Zunge. Der Clint Eastwood unter den Alphabetaufsagern also – pistolenkugelschnell und gnadenlos präzise.
Was jedoch die wenigsten wissen, ist, daß der lustige Name Alphabet-Jens eine dreiste Anspielung auf Konrad Duden ist, der zu seinen Lebzeiten von seinen Freunden und Arbeitskollegen liebevoll »Buchstabier- Konni« genannt wurde.
So lautet zumindest die offiziell überlieferte Schreibweise. Auf dem Sterbebett hat nun jedoch Karl Heinz Schibulski, Lieblingsenkel von Dudens engstem Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Schibulski, noch flugs seine Lebensbeichte abgelegt und der erschüttert dreinblikkenden erbgeilen Mischpoche eröffnet, daß Duden ob seiner Neigung zu übermäßigem Gerstensaftkonsum tatsächlich als »Buchstabier-Konni« verschrieen war – eine Nachricht, die, was wohl leicht nachvollziehbar ist, die bisher weitgehend als gefestigt geltende Duden-Forschung in ihren Grundfesten erschüttert hat.
Eine Neufassung großer Teile seiner Biographie erscheint somit unausweichlich. Und so lag es nicht nur nah, sondern es verlangte sogar zwingend danach, die frühere Philologen-Schänke in Berlin nach ihrem wohl berühmtesten Stammgast zu benennen: Duden-Schänke.
Um nun zu überprüfen, ob diese historische Verantwortung vom dortigen Fachpublikum auch angemessen gelebt wird, begab ich mich zum Ortstermin und traf sorgfältig meine Feststellungen. Im Ergebnis darf ich ausführen, daß das Wissen um das Erbe des großen Namensgebers allenthalben mit Händen zu greifen und insofern nicht zu beanstanden ist. Was das BuchstaBieren angeht, macht den Insassen hier so schnell keiner was vor. Alphabet-Jens muß sich warm anziehen.
*
Der berühmte Schritt zu spät
Als geborenes Landei mit entsprechend derb-bäuerlicher Sozialisation bin ich ein Freund des Faktischen und der Eindeutigkeit. Schnickschnack und Rumgedöns sind meine Sache nicht. Und so ist es auch kein Wunder, daß ich in den Tagen, als mein Körper noch etwas geschmeidiger und leistungsfähiger war, Sportarten mit »Hand und Fuß«, nämlich Hand- und Fußball ausübte. Und in beiden Disziplinen führten mich meine Talente an die vorderste Front. Im Handball bekleidete ich die Position des robusten Kreisläufers und im Fußball die des Mittelstürmers klassischer Gerd Müllerscher Prägung: Zack – bumm – Tor! Zu Recht wurde mir die Fähigkeit zugesprochen, dorthin gehen zu können, wo’s weh tut – wie man so schön sagt.
Meine Amateursportlerkarriere hat inzwischen ihr Ende gefunden. Doch sollte ich deshalb auch meine hervorstechenden Talente einmotten? Keinesfalls, denn auch der elefantengraue Alltag spart nicht mit Herausforderungen, in denen eine Portion Unerschrockenheit und Unempfindlichkeit durchaus von Vorteil ist.
Nehmen wir zum Beispiel den Gastronomiebetrieb Kronprinzen-Eck im Frankfurter Bahnhofsviertel. Allein der Name des Instituts wird die empfindsamen Gemüter unter euch zweifellos erschaudern. Anders verhält es sich beim furchtlosen Verfasser dieser Zeilen. Selbstbewußt wie Chuck Norris näherte ich mich der bereits äußerlich wenig einladenden Spelunke und war auf alles gefaßt. Und ich sage euch: Alle denkbaren Befürchtungen waren »hundert Pro« gerechtfertigt. Die literarisch zu Weltruhm gelangten »schwankenden Gestalten« versuchten sich auch hier wieder irgendwo festzuhalten. Was nicht immer gelang – weder in der, wie wir wissen, Tragödie erster Teil noch in der hier in Rede stehenden Fortsetzung. Wer sich nun interessehalber näher mit der Atmosphäre in derartigen Etablissements beschäftigen möchte, dem sei an dieser Stelle die Lektüre von Jörg Fausers Erzählung Alles wird gut anempfohlen. Dort steht’s geschrieben.
Erzählenswert ist meinerseits aber doch noch, daß die sehr herbe weibliche Thekenkraft den bestellten Schnaps in einem Wasserglas servierte. Meinem erstaunten und fragenden Blick folgte sogleich die Erklärung: »Die Schnapsgläser habbe’ se uns gestern all’ kabbuttgeschmisse’.« Verdammt, offenbar war ich einen Tag zu spät dran. Und da schließt sich der Kreis wieder. Der Schnellste war ich auch beim Hand- und Fußball nie.
PS 2013: Das Kronprinzen-Eck gibt es nicht mehr.
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Eisiges Schweigen
Nach meiner Wahrnehmung ist der männliche Vorname Alfons nicht mehr besonders en vogue, obwohl er – im Gegensatz zu Adolf – überhaupt nicht negativ besetzt ist. Vorbei die Zeiten, in denen fast ein jeder einen Onkel Alfons vorzuweisen hatte, welcher in den Erzählungen seiner unzähligen Nichten und Neffen stets in seiner Paraderolle als durch nichts zu erschütternde Stimmungskanone mit zwerchfellzerberstendem Lachen aufzutreten pflegte. Selbst die traurigste Beerdigung nach einem plötzlichen Kindstod wurde durch die Anwesenheit des lustigen Oheims in den Rang einer straßenfegenden Samstagabendunterhaltungsshow erhoben; natürlich nicht im Sinne der aktuellen Dschungelcamp- oder Pöbel-Casting-Nabelschauen, sondern der guten alten Fernsehunterhaltung mit Kuli, Frankenfeld oder Carrell, in der noch bunte Sträuße froher Melodien gebunden wurden und/oder sich sechs Kandidaten aus sieben Ländern ein Stelldichein beim Wein gaben. Soweit die gängige Onkel-Alfons-Legende.
Mir war ein solch amüsanter Onkel Alfons nicht vergönnt. Doch damit nicht genug. Der einzige Alfons, der mir namentlich bekannt war und ist, trägt den Nachnamen Berg. Vom Berg zum Gipfel ist es glücklicherweise nicht weit, so daß mir der listige Einschub der folgenden Begebenheit auf besonders geschmeidige Art und Weise ermöglicht wird, denn es war tatsächlich der sprichwörtliche Gipfel, was sich besagter Alfons Berg am 16. Mai 1992 gestattete. Es war der letzte Spieltag der Fußballbundesligasaison 1991/92, und zwischen Hansa Rostock und Eintracht Frankfurt stand es 1:1. Der Frankfurter Eintracht, die unter dem damals als Voodoo-Trainer vergötterten Dragoslav »Stepi« Stepanović den »Fußball 2000« zelebrierte, fehlte noch ein Tor zur Meisterschaft. Und es war greifbar nah. Als nämlich Ralf Weber eine knappe Viertelstunde vor Schluß mit dem Ball am Fuß resolut wie ein Panzer in den Strafraum Richtung Rostocker Tor marschierte, haute ihn der Rostocker Verteidiger, deutlich erkennbar für ganz Fernsehdeutschland und jeden Stadionbesucher, sauber von links um. Klarster Elfmeter seit Erfindung der Kloßbrühe! Dachten alle. Alle außer Alfons Berg. Er pfiff nicht – und es kam, wie es kommen mußte: Kein Triumph, keine Meisterschaft – statt dessen ein solides Trauma, an dem die Eintracht-Fangemeinde noch heute keinen Knabberspaß hat. In der seinerzeit sehr bekannten und deshalb sehr überfüllten Frankfurter Fußballkneipe, in der ich das Ereignis verfolgte, herrschte nach dem denkwürdigen Spiel naturgemäß eine atmosphärische Eiseskälte, die es locker mit dem Kriegswinter 1942/43 hätte aufnehmen können.
Im depressiven Ambiente der Kneipe Zum lustigen Alfons wähne ich mich fröstelnd in oben geschilderte Situation großer Fußballdepression zurückgeworfen. Der Schaum auf meinem Bier beginnt sich langsam in ein Sorbet zu verwandeln. Besonders lustig ist hier nichts. Eher mutet die Stimmung an, als hätte man soeben der Berliner Hertha die Lizenz entzogen und sie aus der Bundesliga in die Kreisklasse C zurückgebombt. Verzweifelt kämpft die erschöpfte Thekenrumpftruppe – von der Photogalerie der längst gefallenen Stammgäste kritisch beäugt – gegen die augenscheinlich ausweglose Lage an. Offenbar lautet der unsinnige Befehl, die Kneipe unter allen Umständen zu halten.
Bei objektiver Betrachtung kann der hiesige Oberbefehlshaber aber nur einen besonders frivol ausgeprägten Sinn für Humor haben; letzten Endes wäre der Name des Etablissements dann doch passend gewählt. Doch was, wenn er gar nicht Alfons hieße? Böse Zungen behaupten, er habe sich bereits vor einiger Zeit in seinem von der dortigen Truppe liebevoll »der Bunker« genannten Bierkeller verbarrikadiert.
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Reim dich, oder ich grill’ dich
Die Liebe des Berliners zu gereimten Verbraucherhinweisen hat mich schon immer begeistert. Gerne erinnere ich mich an die mindestens eines Ingeborg-Bachmann- Preises würdige Werbekampagne des Verdauungsförderers Bullrich Salz, in der es hieß: »Selbst der Jäger aus Kurpfalz / nimmt nach dem Essen Bullrich Salz.« Oder: »So wichtig wie die Braut zur Trauung / ist Bullrich Salz für die Verdauung.«
Und da es sich wohl um eine megakraß erfolgreiche Kampagne gehandelt haben muß, witterten die damaligen Betreiber des hier zu beschreibenden umsatzhungrigen Imbisses eine Chance und besannen sich ihrer rudimentären Deutschkenntnisse und ihres Sprachgefühls – und legten ein flottes Gedichtchen hin, das sich verdammt ordentlich gewaschen und gekämmt hatte.
Zur Förderung des Curry-Buletten-Umsatzes wurde der folgende Sinnspruch zusammengebrutzelt, der mich auch heute noch zu – aus der Sicht Außenstehender: unverhältnismäßigen – Jubelstürmen hinreißt. Ähem, also, er, äh, lautet: »Lecker schmecks’ bei Jürgen und Gitti, / unser Grill ist leicht zu finden. / In Neukölln-City.«
Obwohl mir das vermutlich keiner glaubt, möchte ich betonen, daß dies – ohne Scheiß – die Originalschreib- und -zeichensetzungsweise ist. Zum Beweis führe ich eine liebevoll gestaltete »Visitenkarte« des Unternehmens an, die ich über die Jahre sorgsam aufbewahrt und gepflegt habe und die ich bis zu meinem hoffentlich noch fernen Lebensende niemals nicht weggeben werde.
Leider sind Jürgen und Gitti hier gelebte Geschichte. In der Folge übernahm ein unscheinbarer schmaler Mann aus einem mir nicht näher bekannten Staat, der vermutlich der Konkursmasse der ehemaligen Sowjetunion zugeschlagen werden kann, die Brat- und Grillgeschäfte. Erinnerlich ist mir aus dieser Epoche lediglich, daß ich interessierter Beobachter einer hollywoodreifen Schutzgeldübergabe an zwei Zweimeterschränke in Ledermänteln sein durfte, was aber anscheinend keinen der Gäste zu kümmern schien, schon gar nicht den legendären Stammgast Dr. Potthoft, der sich mir als Sachverständiger in Transferleistungsfragen vorstellte.
Heutzutage erinnert wenig an die glorreichen Zeiten. Außenansicht und Inneneinrichtung wurden einer Moderni- und Dönerisierung unterzogen, Bier, Bulette und Currywurst von Tafelwasser, Döner und Pizza beerbt, und auch die Fähigkeit zur schriftlichen Wohlformulierung von Konsumanreizen ist in meinen Augen deutlich eingeschränkt, es sei denn, man entdeckte in »Wir verwenden kein Schweinfleisch« literarisches Potential.
So bleibt mir nur noch das Fazit: »Wenn man nicht gerade oben drüber wohnt, / ein Ausflug in den Wildenbruch-Grill sich nimmer lohnt.«
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Bei Oskar Werner gegenüber
Wer’s glaubt, wird selig. Dampfplauderer. Könnte er gedacht haben. Hat er vielleicht auch. Was nachvollziehbar wäre.
Ich hatte den Inhaber der hier zu lobenden Einrichtung (Herrn Stefan Kreidl, wie ich nun recherchiert habe) – von einigen Bieren, insbesondere belgischer Provenienz, beseelt – wohl etwas zu überschwenglich gelobt: wie gut mir sein Ladengeschäft, seine unerwartet große und hochwertige Bierauswahl gefallen und natürlich wie gut es mir geschmeckt habe. Zuletzt, als ich dann schließlich doch ging, avisierte ich ihm auch noch, daß ich das alles an geeigneter Stelle zu würdigen und zu verlautbaren beabsichtigte.
Das muß man sich mal vorstellen: Da kommt ein unrasierter, nachlässig gekleideter Deutscher mit verschwitzter Batschkapp daher, entscheidet sich, nach fachkundiger Beratung und der Tageszeit (später Vormittag) entsprechend, zunächst für ein Trumer Hopfenspiel, im Anschluß für ein Hubertus Herrnpils, um sich dann, als hätte er nichts Redliches zu tun, mit einigen Leffe Brune vom Faß den Nachmittag zu vertreiben. Und solch ein suspekter Tunichtgut sollte seine kaum ernstzunehmende Kundmachung in die Tat umsetzen? Eben. Dampfplauderer. Wer’s glaubt, wird selig.
Doch jö schau, so a Überraschung: Hier ist sie, die verdiente Würdigung des Verde 1080 schräg vis-à-vis dem ruhmreichen Theater in der Josefstadt (Max Reinhardt, Oskar Werner, Otto Schenk und viele andere mehr)!
Ich mag sicher bereits einige Male achtlos an dem vermeintlichen Gemischtwarenladen vorbeigegangen sein, ohne zu ahnen, was sich darin abspielt, was übrigens auch nachvollziehbar ist, denn sein Erscheinungsbild unterscheidet sich kaum von dem einschlägiger, im Außenbereich Obst und Gemüse feilbietender Einzelhändler an jedem anderen Orte auch. Dem sensiblen Betrachter fallen allerdings auf dem Gehweg postierte Bierkästen ins Auge. Und an diesem Tage war ich hochsensibel.
Ich also rein, kurz noch die Auszeichnung als »Wiener Bierlokal des Jahres 2013« im Schaufenster zur Kenntnis nehmend, und staunte nicht ganz schlecht, als ich eine große Auswahl österreichischer, belgischer und anderer Biere in mehreren Kühlregalen vorfand. Ich wußte gar nicht, wohin zuerst schauen, und machte augenscheinlich einen hilflosen, überforderten Eindruck, so daß sich drei freundliche Salzburger Herren an einem der Eingangstür gegenüber befindlichen Stehtisch, auf welchem bereits einige geleerte Flaschen auf angenehme Zeitgenossen schließen ließen, gezwungen sahen, sich meiner anzunehmen.
Nachdem die anfängliche Reizüberflutung abgeklungen war, nahm ich wahr, daß ich mich in einem Feinkost-/Biolädchen mit Bioimbiß und Bierausschank befand. Alle Biere – ob aus der Flasche oder vom Faß – kann man sich dort auch unmittelbar vorbildlich gekühlt genehmigen. Dafür stehen allerdings nur wenige Sitz- und Stehmöglichkeiten zwischen den diversen Lebensmittelregalen zur Verfügung, was das Vergnügen aber keinesfalls schmälert. Da mir die ganze Biosache ziemlich schnurz ist, geriet der Umstand, daß im wesentlichen konventionell gefertigte Biere im Angebot waren, nicht zum Nachteil.
Die Salzburger Biertrinker waren übrigens Weinhändler. Darum verließen sie auch schon nach einer weiteren Runde die Räumlichkeiten, um einen Winzer aufzusuchen, der ihnen gewißlich keinen gespritzten Apfelsaft gereicht haben wird.
Hochachtung also für die trinkfesten Salzburger und natürlich für das Verde 1080, das ich beim nächsten Mal nicht zufällig besuchen, sondern gezielt ansteuern werde. Darauf mein verläßliches Wort.
Ein Überbleibsel
In geringer Entfernung befindet sich die BierBar, die, weil wir uns im Dunstkreis der Münchener Straße bewegen, zudem Futterstadl heißen muß. Manches, vielleicht vieles muß so sein, wie es sein muß. Es könnte anders sein, muß aber nicht. Deshalb muß es sein, wie es ist. Futterstadl. Man könnte sich bereits jetzt auf offener Straße übergeben.
Ich weiß nicht, ob die BierBar für das Moseleck eine Bedrohung ist, ob sie Gäste abzieht, ich kenne die mikroökonomischen Verhältnisse in dieser Ecke der Stadt aus eigener Anschauung zu schlecht. Ich kenne ein paar Geschichten und Gerüchte übers Moseleck, ich war, nachdem ich Ende der achtziger Jahre nach Frankfurt gezogen war, auch einige Male im Moseleck, an viel erinnern kann ich mich nicht, es werden schon nach Strich und Faden verquatschte und mit Sicherheit versoffene Abende gewesen sein, unter Kaputten und Nutten und so weiter und so fort, damals ging man ja öfter ins Bahnhofsviertel und in Peepshows und Lapdancebars, einmal sogar mit der bildschönen Cousine aus dem Fränkischen, die mit ihrer weichen Grazie und ihrer unaufdringlichen Souveränität und ihrem stets einnehmend hellen Lachen bei all den um uns herum hockenden Spießern und armen Ärschen einen bleibenden Eindruck hinterließ, diese Schönheit, die nichts anfocht, nehme ich an.