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Fachlich, das sei zudem ohne Umschweife konzediert, können Seidl wenige das Bier reichen. Sein Bier-Katechismus handelt in 591 Texthappen souverän vielerlei gängige und im Volksbewußtsein dennoch nach wie vor nicht hinreichend präsente Fragen biergeschichtlicher und -typologischer, ökonomischer, brautechnischer und trinkpragmatischer Art ab, so daß sich das Vademekum den Untertitel Was Sie schon immer über Bier wissen wollten redlich verdient hat.
Daß in den USA daran gearbeitet wird, aus Rückständen, die bei der Bierproduktion anfallen, Papier herzustellen, wußten noch nicht mal wir. Und daß »unter den bedeutenden Biermarken der Welt« mittlerweile »keine einzige deutsche« mehr ist, muß keineswegs ausschließlich am grassierenden Raubrittertum der globalen Biermultis liegen, sondern könnte gleichfalls der vielbeschworenen Qualität hiesiger Premiumbräus geschuldet sein.
»Qualität«, stellt Seidl im Kapitel »Bierqualität kritisch hinterfragt« klar, bedeute »zunächst eigentlich nur ›Beschaffenheit‹«. Um einen nahezu Hegelschen Satz von Uli Stielike, dem ehemaligen Brauknecht des Ex-Fußballnationaltrainers Erich Ribbeck, geringfügig zu variieren: »Das Problem des deutschen Biers ist der Mangel an Quantität der Qualität.«
Die schönste Ausführung in Seidls lebensertüchtigendem Lehrbuch entnehmen wir derweil der Abteilung »Zum Wohle!«: »Wenn man das erstemal in einer Runde das Glas oder den Bierkrug hebt, so winkelt man den rechten Arm so an, daß der Oberarm in Schulterhöhe waagrecht gehalten wird und der Unterarm das Trinkgefäß etwa vor dem zweiten Hemdknopf hält. Nun wartet man, bis alle ihr Glas gehoben haben, dann wird, wenn die Runde nicht zu groß dafür ist, gemeinsam angestoßen und gleichzeitig [sic!] zum Trinken angesetzt. Nach dem Trinken wird das Biergefäß wieder in Höhe des zweiten Hemdknopfes vor der Brust gehalten und gewartet, bis alle mit dem ersten Schluck fertig sind. Erst dann darf das Glas oder der Krug abgestellt werden.«
Auswendig lernen und beim nächsten Kneipenbesuch ausdruckstänzerisch umsetzen, Linkshänder und Pulloverträger inklusive!
Blonde Bräute in spe
Selbst mich, der ich mich in den Geisteswissenschaften recht ordentlich umgesehen habe (und weiterhin umsehe), kann man noch überraschen. Denn daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein »Forschungsprojekt zur Terminologie der Weincharakterisierung« fördert – und das wohl seit Jahren oder gar Jahrzehnten –, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ist aber so, ist wahr. Was ich, es sei mir gestattet, mit einem tiefen Schluck aus einer kalten Flasche Jever quittieren muß. Und noch einem. – So, jetzt glaube ich es wirklich.
Laut dem Literaturverzeichnis in Hans Peter Althaus’ Kleinem Wörterbuch der Weinsprache (München 2006) hat der Trierer Germanist bereits 1973 erste Überlegungen »zur Strukturierung einer Terminologie der Weinsprache« präsentiert. In der Folge »wurden die weinsprachlichen Beschreibungen von knapp zehntausend Weinen untersucht, die auf Weinpreislisten deutscher Weingüter und Kellereien sowie auf Weinkarten der Gastronomie geführt worden sind«, und nachdem Althaus und seine Mitarbeiter das Material sortiert und kategorisiert haben, liegen nun Begriffserklärungen zu »mehr als tausend deutschen Weinwörtern« vor, »sprachwissenschaftlich überprüft und verständlich dargeboten«.
Althaus will Ungereimtheiten und Polyvalenzen, die aus der Vermischung der Sphären der Alltags- und der Fachsprache resultieren, beseitigen und einen einigermaßen verbindlichen Korpus präziser vinologischer Termini unterbreiten, einen »Kern- und Aufbauwortschatz der Weinsprache«, aus dem historische Irrtümer und mäandernde Bildlichkeiten getilgt sind. Sein Plädoyer für einen exakten, konzisen Stil und eine entschieden deskriptive Haltung, die sich den cartesianischen Idealen der Klarheit und Distinktheit verpflichtet, geht einerseits mit der Ablehnung des geläufigen Weinkennerjargons und des damit verbundenen Standesdünkels einher, andererseits mit der Zurückweisung allzu ungestümer Poetereien.
Das leuchtet nur bedingt ein, hat sich doch etwa der gargantueske Weinverschlinger (und Bierumdrescher) E. T. A. Hoffmann als gewaltiger Ausdruckserneuerer und Wortverwirbler erwiesen, der »auserlesenen« und »vortrefflichen« Wein ebenso zu belobhudeln verstand, wie er einen »Würzwein« als »Absud von höllischen Kräutern« verdammte. Dem unergründlichen Saufaus einen bisweilen sachunangemessenen Gebrauch von Weinwörtern zur Last zu legen, das mutet schon ein wenig kauzig-penibel an, zumal weil, einer Einsicht Nietzsches gemäß, die menschliche Sprache aus nichts anderem als einem »beweglichen Heer von Metaphern« besteht und somit bloß scheinbar exakt die Eigenschaften der Dinge (und unsere Vorstellungen und Eindrücke) wiedergibt.
Eine im strengeren Sinne vinologische Fachsprache begann sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herauszubilden. Althaus zeichnet sorgsam die Ausdifferenzierungsprozesse, an deren Ende eine weitreichende Trennung von gemeinsprachlichen und fachsprachlichen Gebrauchsweisen zu konstatieren ist, in grammatikalischer und semantischer Hinsicht nach, ohne so zu tun, als ob die entwickelte Sondersprache in Sachen Weinbeschreibung keinen Bedeutungsschwankungen mehr unterläge. »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«, heißt es bei Wittgenstein, und Althaus merkt an: »Die Fachsprache ist im Gebrauch festgelegt, ohne daß die Ausdrücke definiert worden wären. Das hat zur Folge, daß es konkurrierende Bezeichnungen gibt und die Reichweite der Weinsprache als Fachsprache begrenzt ist.« Die wankenden Relationen zwischen Wort, Bedeutung und Gebrauch nötigen daher zu dem Schluß: »Eine systematische Weinsprache gibt es […] bis heute nicht.«
Obschon der Weinthesaurus also keineswegs starr oder stabil ist, legt Althaus anschließend durch Sacherklärungen und wortgeschichtliche Erläuterungen dar, was es mit Lexemen wie »Bukett«, »Geschmack«, »Duft« oder »trocken«, »rein«, »pappig« und so fort auf sich hat, das heißt, wie sie unter Degustationsgesichtspunkten korrekt verwendet werden. Nicht selten kreiselt er dabei in pleonastischen Zirkeln oder bemüht banale Synonymreihen. Zumindest mir als Bierlexikographen, der seine Nase immerhin ein- oder zweimal in ein Weinlexikon gesteckt hat, muß man nicht partout unter dieselbe reiben, daß »flach« »ausdruckslos« bedeutet oder »jung« halt »unfertig«. Das, nehme ich außerdem an, wissen auch gemeine Getränkekonsumenten.
Trotzdem bin ich auf den einen oder anderen mir unbekannten und daher ausdruckserweiternden Begriff gestoßen. Das Adjektiv »bauernhell«, mit dem man einen leicht trüben Wein charakterisiert, werde ich mir merken, ebenso das schöne alte Wort »rahn«, das für rötlich-bräunlich verfärbte, nach Dörrobst oder frischem Brot schmeckende geistige Getränke reserviert ist.
Gleichfalls Einzug in mein in Arbeit befindliches drittes Bierlexikon werden halten »Deckengeschmack« (»unangenehmer Geruch und Geschmack nach Kahmhefen«; bei mir dann vielleicht eher für: »mundet, wie es morgens unter der Decke riecht, wenn …« oder »…, daß man an dieselbe gehen könnte«), »farbebrechend« (»farbkrank«; »verursacht schon beim bloßen Angukken Erbrechen und Kopfweh«), »Hagelgeschmack« (»Geschmack nach Schimmel«; »verhagelt einem die Bierlaune gründlich«) oder auch einfach mal der »Sackgeschmack«, des holden Wortbinnenreimes wegen.
Daß ein Bier indes niemals »grundsig« oder »durchsoffen«, geschweige denn »blau« sein könnte, das halte ich meinem Lieblingstrank gegenüber dem geringfügig zu stark adorierten Wein nach wie vor eisern zugute. Und wenn ich im Rahmen meiner nicht abreißenden Bierforschungen jemals einen »Teergeschmack« (»Beigeschmack von Weinen aus Lagen an frisch geteerten Straßen«) erspüren sollte, werde ich die Schließung der in Frage kommenden Verkehrswege veranlassen – oder ihn, den »Teergeschmack«, genau so notieren und danach bei der DFG einen Antrag auf Alimentierung des »Forschungsprojekts zur weiteren Erweiterung der Terminologie der Biercharakterisierung« stellen. Das wäre ein prächtiger Circulus, in dem ich mich da bewegen würde – Urheber und wissenschaftlicher Auswerter in einem zu sein, das soll mir mal einer nachmachen!
Und ein paar assistierende blonde Bräute fielen ja wohl auch noch ab, ha.
Der oder das Radler – akzeptabel?
Gewiß nicht. Beides nicht. Unter keinen Umständen. Das ist klar.
Diese symptomatischen Symptome unserer am Gesundheitswahn krankenden Zivilisation, das Radler und der Radler, sind zugleich ihre beinahe schlimmsten Flüche, sie ordnen sich direkt hinter dem Atom, al-Qaida, Austern und der Arschbombe ein.
Gründlich zu preisen wären im Grunde alle Fahrraddiebe der Welt, insbesondere die in Frankfurt am Main augenblicklich äußerst agil agierenden, denn sie säubern unser Straßenbild zumindest lokal und temporär von arroganten, bewegungsfetischistischen Elementen mit nußschalenartigen Kopfbedeckungen, an die Gott bei der Schöpfung nicht gedacht hatte und über deren unheilbare geistige Verwirrung später wenigstens Flann O’Briens Roman Der dritte Polizist (1940) ordentlich Auskunft gab, indem er an Hand des Fahrrads über die unheilvolle »Atomtheorie« aufklärte.
Keiner näheren Erörterung bedarf der Radler in Gestalt des Sportlers, zu dem wir zudem den Paraphänotyp des sogenannten Radkuriers zählen müssen, der sich in ohnehin unzumutbaren Städten wie Münster und München (ergänze: Frankfurt, Freiburg, Frankenthal et cetera) zu einem Massenärgernis ohnegleichen entwickelt hat. Mastbullen in synthetischen Wurstpellen (Radlerhosen) bringen jeden Verkehr zum Erliegen und verhelfen einer furchterregenden Alltagskleidungsästhetik zum Durchbruch, vor der wir nur die Augen verschließen können. »Der Radsport soll abgeschafft werden«, forderte deshalb der Radphilosoph Michael Rudolf (Das Fahrradbuch, Leipzig 2003) im Juli 2005 in der taz.
Auch gegen das Radler erhob er ebenda die Stimme, denn das Radler ist sehr übel und untrinkbar. Das entsetzliche Mischgetränk wurde im Sommer 1922 vom Wirt der Kugler Alm, dem ehemaligen Gleisarbeiter Franz Xaver Kugler, erfunden. Noch heute zieht das in Rede stehende Etablissement in Oberhaching nahe München-Süd Tausende von Radlern an, die nach nichts anderem trachten, als ihrem frevlerischen Tun durch den Verzehr einer »Radlermaß« (Bier mit Zitronenlimo) die Krone aufzusetzen.
Für seine Innovation gehörte Kugler post mortem aufs Rad geflochten. Die Frankfurter Henninger-Bräu, die 1994 anläßlich der dreiunddreißigsten Auflage des Radrennens »Rund um den Henninger-Turm« das erste industriell gefertigte Radler auf den Markt kippte, ist hernach verdientermaßen in die Klauen des Konkurrenten Binding gefallen. Im Verbund mit anderen professionellen Schändern des Biergedankens überschwemmt man seither allerdings die Welt mit einer apokalyptischen Zahl von Bräumixturen, allesamt Abkömmlinge des »verkotzten« (Ror Wolf) Radlers: Alsterwasser, Diesel, Moorwasser, Neger, Dreckiges, Schweinebier, Panasch, Wurstwasser sowie, unter Beigabe von Weißbier, Bananenweizen und Russ’.
Kurzum: Könnte man gegen die und gegen das Radler nicht die Bundeswehr einsetzen? Verfassungskonform wäre das sicher. Andernfalls sei landesweit ein Gesetz zum Nichtradlerschutz einzubringen. Radlerfreie Kneipen sind überfällig, zum Erhalt der geistigen Volksgesundheit.
Oberneuses
Zwischen Schönbrunn und Zettmannsdorf, im fränkischen Bierkellerland, liegt Oberneuses, und auf Oberneuses, wo es zwar keine Brauerei, aber eine Kellerstraße gibt, legt sich ein dicker Nebelschaum, nur auf Oberneuses, ein undurchdringlicher Nebelschleier, der exakt vom Ortseingang bis zum Ortsausgang reicht, so, als wolle Oberneuses nicht, nein, partout nicht mittun beim allgemeinen Biergebrumme rundherum, einfach seine Ruhe haben und unbehelligt bleiben, das will Oberneuses, das ist sicher.
Bock around the clock
Seit wann die Brauerei Seelmann in Zettmannsdorf im Steigerwald den Bockbieranstich zelebriert, weiß nicht einmal Juniorbrauer Georg Seelmann genau. »Wahrscheinlich so seit fünfundzwanzig Jahren«, murmelt er, die ewige Zigarette im Mundwinkel, »seit der Gebietsreform, als die uns Schönbrunn zugeschlagen haben. Aber halt auf jeden Fall immer am ersten Samstag nach dem Buß- und Bettag.«
Es ist kurz nach sieben, und der Saal des 1847 gegründeten Familienbetriebs ist schon ziemlich voll. Zwei Bolleröfen heizen seit Tagen vor. Etwa vierzig Bierbänke bieten zweihundert Eventtrinkern Platz, darunter zahlreichen »Auswärtigen«, wie der Franke sagt. Eine Frankfurter Gruppe von Rockern hämmert bereits die zweite Runde Bock in sich hinein. Später am Abend disqualifiziert sie sich auf unrühmliche Weise.
Gerade wird eine Busladung Jugendlicher in den ehemaligen Speicher geschüttet. Drei, vier Aushilfskellnerinnen, forsche Mädels aus dem Bamberger Umland, das dem Bierkenner als »der Nabel der Welt« (www.bierkeller.de) gilt, knallen die Halblitertonkrüge, die »Seidla« zu 2,20 Euro, auf die weißblauen, von der Raiffeisenbank zur Verfügung gestellten Plastiktischdecken. Rote Schleifen und weißblaue Wimpel zieren etwas linkisch die gekalkten Wände, vor den klapprigen Strebenfenstern hängen blaßrote Stores, und am Querbalken der hohen Decke funzelt eine bordellrote Neonröhre.
»Des is’ mei’ erster Bockanstich«, beichtet die für unseren Tisch zuständige Aushilfe, doch ihr gerötetes Gesicht zeugt davon, daß ihr die landstrichtypischen Hauptnahrungsmittel, Bier und Schweinefleisch, nicht fremd sein dürften. Derweil dirigiert Seelmann jr. die letzten eintreffenden Trupps in die Ecken. Der Laden ist aufgefüllt, das Abfüllen kann beginnen.
Auf der Bühne heizt »Dieter« an der Franz-Lambert-Orgel einem Saal ein, der sich in Windeseile von selbst aufheizt. Bockbier ist bei einer Stammwürze zwischen 16 und 18 Prozent eine Art Kopfheizung – zumal der klare, von einem feinen malzrauchigen Nachtrunk beseelte Seelmann-Bock, der nach zwei Halben schlagartig den Schädel verschleiert. Einen Alkoholwert von 10 Prozent vermutet die eine Bedienung, die nächste spricht von 7,8, die eigenen Berechnungen nach der zu vorgerückter Stunde rausgerückten Brauergeheimformel »Stammwürze 17,8 geteilt durch drei plus 0,5« ergeben eindeutig schummrigkeitserzeugende 6,43 Prozent.
Die genügen vollauf. Die Frankfurter am Nebentisch scheitern mehrheitlich schon nach zwei Stunden. Die uniform schwarzgewandeten Gesellen zollen der tückischen Lieblichkeit des rostbraunen Tranks Tribut und strecken ihn in einem Akt der Verzweiflung mit Cola – ein Sakrileg, das Herr Rehse, ein begnadeter Bierkundler aus dem Odenwald, nicht durchgehen lassen kann. »Verkauft nicht euren guten Bock / An das Cola-Bier-Gesock’«, schüttelt er einen Kampfreim aus dem noch wackeren Kopf, weshalb ihm Brauerstochter Christine, die zu wasserstoffblondem Haar vor allem einen glitzernden Rockernietengürtel trägt, das dunkelblaue Tapferkeits-T-Shirt des Hauses überstreift, auf dem zu lesen ist: »Bleib der Heimat treu, / Trink Seelmann Bräu«.
Solche Brauerlyrik verlangt Gegenlyrik. »Der Maus den Käs’, / Dem Ratz den Speck, / Dem Beatle den Rock / Und mir den Bock«, wirft Frau Rehse ein, ihre Tochter spendiert die Sentenz: »Draußen gibt’s nur Kännchen, drinnen gibt’s nur Bock«, und der Schwiegersohn schwingt sich zu einem wagemutigen »Mein Name ist Bier – Bock Bier« auf.
Dieter an der Orgel kämpft währenddessen um die akustische Vorherrschaft, aber das Saalgeräusch überschwemmt alles – dieser anschwellende Bockgesang der Zecher und Zischer, dieses Wogen, das plötzlich kurz abebbt, als zagte die Gemeinde einen Moment lang, um umgehend wieder hinaufzurauschen in fette Höhen aus Clustergeschrei und durstig-kraftvoller Kakophonie.
Längst gehorcht der Deckelabzieh- und Bezahlvorgang postmodernen Free-Style-Regeln. »Na, wos meinst, wos hast?« fragt Seelmann jr. und gesteht sogleich: »Eigentlich is’ mir des Bockwurst. Siehst, etz sin’ 1.000 Promille im Saal«, freut er sich und eiert davon.
»Ein besseres Bier gibt’s kaum«, sagt Herr Rehse, der mit einer immensen Portion Bockbierschäufele – Schweineschulter mit rohem Kloß und Kraut – eine stabile Grundlage geschaffen hatte. »Wer so zu brauen versteht, darf die Welt betrunken machen. Man muß die Maßstäbe hoch ansetzen, um tief fallen zu können«, grinst er.
Einige sind bereits gefallen – gleich auf die Bänke, auf den Boden in der Gaststube, eingehüllt in Schlafsäcke, oder in ihre Wohnwagen oder Igluzelte, die auf der schlammigen Wiese hinter dem Haus stehen.
Um eins kommt der Shuttle-Bus aus dem zwanzig Kilometer entfernten Bamberg, und der alte Brauer Georg Seelmann sen. schleicht wahrscheinlich noch immer umher, zufrieden lächelnd, seine verschreckte weißbraune Katze zart im Arm wiegend.
Mosers Mühen
Nun, wie ist’s denn gewesen beim Bockbieranstich, fragt Moser. Nicht schlecht, nicht schlecht, aber ganz schön heftig, ganz schön deftig, sagt Kenzmann.
Du, verstehst, ich hob’s net a so mit dem Bock, verstehst, sagt Moser. Moser nimmt einen Schluck Weizen. Naa, mit dem Bock, des homma net a so.
Moser fährt den rechten Zeigefinger aus und schiebt mit dem schon länger nicht mehr geschnittenen Fingernagel die Brille zurück auf den breiten Nasensattel.
Du, mir kenna uns ja, sagt Moser, des wär’ nix. Wenn mir Bock trinken tät’n, naa. Auf ei’m Bein steh’n ma net, logo, und wir mög’n uns ja auch, deshalb wer’n des fünfzehn, fünfzehn Bock.
Moser nimmt einen Schluck aus dem Weizenbierglas. Der Willi Winkler, sagt Kenzmann, von dem weiß ich, daß der mit Bockbier aufgezogen wurde. Der wurde mit Bockbier aufgezogen, so, wie Friedrich II. mit Biersuppe aufgezogen wurde.
Ach, wirft Moser ein und greift zum Bierglas. Ja, mit Bier, sagt Kenzmann. Oder mit einer Suppe aus Bier. Ich weiß nicht, ob Willi Winkler Biersuppe bekam, aber Friedrich II. bekam Biersuppe. »Unsere Väter hatten nur das Bier, und das ist das Getränk, das für unser Klima paßt«, hat der Friedrich gesagt.
Das ist richtig, sagt Moser und stellt das Bierglas vorsichtig auf den Bierfilz.
Der Willi Winkler wurde mit Bockbier aufgezogen, sagt Kenzmann, und zwar nicht einfach mit irgendeinem Bock, sondern mit dem Operator! Kenzmann hebt die Stimme. Mit dem Operator wurde der ernährt, von Kindesbeinen an!
Scho’ recht, sagt Moser.
Der Operator, sagt Kenzmann, ist ein Doppelbock. Man muß sich das mal vorstellen! Mit Doppelbockbier aufzuwachsen, ja mit Doppelbockbier aufgezogen und in die Welt geschickt zu werden, das ist doch schon mal was!
Moser schaut Kenzmann an. Der ist aus Odelzhausen, sagt Kenzmann, Spitzenklasse. Der Operator.
Hör mal, sagt Moser, ich war in Regensburg und hob’ Palmator getrunken. In Regensburg, verstehst. Einen Palmator nach dem anderen. Der Palmator, der ging nur so rein. Ich wußt’ ja gar nicht, was ein Palmator alles kann. Fünf Palmator war’n des, fünf über ’n Jordan, ich sag’s. Du, meine Freundin, du, ich hob’ die, ich hob’, na, ich hob’ von der Bockbierverbot bekommen. Hinterher.
Aber der Palmator hat doch nur eineinhalb Prozent mehr als so ein Weizen, sagt Kenzmann. Das kann doch nicht so schwer sein mit dem Bock.
Du, sagt Moser, ich trink’ locker meine acht, neun Weizen, aber beim Bock, naa. Vier über ’n Jordan. Wenn du, hör zu, zwei Bock trinkst, sind des alkoholprozentig approximativ zweieinhalb Weizen. Es sind aber, Mosers Stimme klettert in die Höhe, mehr als zweieinhalb Weizen! Da is’ was anderes drin im Bock. Im Bock is’ was im Busch, hehe.
Moser lacht und greift zum Weizen.
Hör, des is’ schwierig mit dem Bock, beginnt Moser wieder. Wenn ich mal so vierkommaneun annehme beim Weizen und sechsvier beim Bock, dann dürften zwei oder sechs Bock kei’ Problem sein. Aber, Moser hebt den rechten Zeigefinger, zwei Bock sind mehr als zwei Bock! Im Bock is’ ein Mehr an irgendwas! Es is’ unfaßbar. Unfaßbar ist des mit dem Bock!
Moser hält inne. Also, sagt er jetzt und nimmt noch rasch einen Schluck, im Bock ist ein anderer Alkohol. Da ist jedenfalls ein irgendwie etwas Anderes im Bock als im Weizen. Oder, sagen wir, auch im Hellen. Jedenfalls ist im Bock ein anderer Alkohol. Du trinkst dieses Bockbier und hast mehr Alkohol drin, als im Bockbier drin is’. Arithmetisch is’ des unmöglich, ich sag’s dir, unmöglich, imponderabel is’ des! Aber es ist so!
Kenzmann sagt nichts, und Moser sagt, der Alkohol im Bock sei immensurabel. Du saufst halt nicht, erklärt Moser, ein’ Schnaps mit 18 Prozent, sondern mit 80 Prozent. Mir sann auf vierneun geeicht, verstehst, und deshalb haut die Rechnung net hin. Nie haut die hin.
Moser haut wie zur Bestätigung seiner Rechnung mit der rechten Hand auf den Tisch und ruft: Superfalle Bock! Er ordert ein neues Weizen und sagt, gern würde er Bockbier trinken können, sehr gern. Aber mir ham a Problem drauf: Mir spei’n drauf. Des is’ subito klar. Des is’ der integrierte Schnapsfaktor im Bock.
Vielleicht gebe es da so gewisse Alkoholfamilien, sagt Kenzmann, Verträglichkeitsverhältnisse zwischen Getränken und Trinkenden. Der eine könne, der andere nicht. Der eine könne das und das, der andere das und das aber nicht. Auch zwischen Bier und bestimmten Schnäpsen gebe es ja Unverträglichkeiten, ganz furchtbare Interferenzen.
Sicher, sagt Moser, Bier und Whiskey geht, im Prinzip, Bier und Klare, des geht nicht.
Aber das sei doch Usus, sagt Kenzmann, zum Bier einen Klaren zu trinken. So sei das doch gewöhnlich.
Das sei ja die Sauerei, fährt Moser auf, daß das mit diesem Drecksschnaps, mit diesen Sauschnäpsen einfach so hingenommen und gemacht werde! Manche Sachen, sicher, die kann man halt wegbuchsen, ohne weiteres, zehn, elf Weizen, kein Problem, aber Tequila, hör mir auf mit Tequila! Das seh’ ich doch, was aus dem Tequila folgt! Mitten hinein in die Gifthölle marschieren die, Moser zeigt zum Tresen, rein in den Schnapssumpf reiten die, schreit Moser jetzt, jeden Abend!
Nein, Tequila würd’ ich ablehnen, sagt Moser nach einem frischen Schluck Weizen. Wodka ja. Aber Wodka hob’ ich Jahre net mehr getrunken. Ich hob’ Wodkaräusche gehaaaabt, Moser zieht die Stimme in die Länge und mit dem rechten Arm einen weiten Halbkreis, des kannst dir net vorstell’n. Wodka, sag’ ich heut’, Wodka – nur ein’. Und den mit Verstand.
Schnaps mit Verstand? fragt Kenzmann.
Du kriegst ein’ Wodka, sagt Moser, und du sagst: Das ist ein Wodka. Und das war ein Wodka.
Kenzmann winkt nach einem Weizen und fragt: Welchen Schnaps kann man denn dann überhaupt zum Bier trinken?
Keinen! brüllt Moser, er brüllt tatsächlich, warum brüllt er bloß? Hör zu! brüllt er, ja, er höre ja zu, sagt Kenzmann, hör zu, sagt Moser, der Hugo, mein Freund, der Hugo braucht den Schnaps, der braucht den so, und der braucht den zum Bier, der braucht den, weil er, weißt, weil er Depri hat. Der ruft mich an und sagt: Laß uns ein’ trinken, aber der meint nicht Bier. Der meint: Schnaps trinken.
Moser dreht den Kopf zur Seite. Mühsam greift er unter den Tisch und hebt seine Zigaretten auf. Aber ich möcht’ nich’ in diese Bratzkigemeinde, sagt Moser jetzt ruhig, weißt, der Hugo is’ mei’ Freund, aber ich möcht’ net. Bratzkischnapski. Aber der Hugo, der is’ mei’ Freund, und dann sitzma da, und dann is’ der Hugo wieder klug zu seiner Umwelt und sagt: Schau dir die Scheißumwelt da draußen wieder an. Und trinkt seinen Schnaps. Und diese Klugheit verdankt der Hugo dem Schnaps. Irgendwie.
Ich hob’ dem Hugo gestern g’sagt, sagt Moser nach einer kurzen Pause und einem Zug von der Zigarette: Hugo, hör zu, da führ’n wir uns jetz’ halt ein paar Weizen rein. Schnaps, Hugo, Schnaps, schön und gut, aber so geht’s nicht! So geht es natürlich nicht! Das ist pejorativ, Hugo. Das ist äußerst pejorativ, Hugo, hob’ ich dem Hugo g’sagt, aber Weizen, sag’ ich, Weizen geht. Ein Weizen geht noch. Eins geht immer.
Ja, sagt Kenzmann und schiebt seinen Stuhl nach hinten, ich muß jetzt los, leider.
Ja, geh ruhig, sagt Moser und winkt der Bedienung.
Oberharnsbach
Daß es doch ein Jammer und überhaupt nicht zu verstehen sei, daß ein Ort mit einem solchen Namen über keine Brauerei verfüge, sagt Herr Rehse. Nach Oberharnsbach gehöre doch eine Brauerei! Das gehe doch nicht, daß da keine Brauerei sei. So was gehöre sich doch wirklich nicht, so Herr Rehse. Oberharnsbach und Brauerei, das sei doch ein und dasselbe Ei. So würde ein Schuh draus werden. Aber so brauche man hier nicht anzuhalten.