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Eben drum fällten ihn, Kohl, nicht die 1991er Hallenser Chöre »Lügner! Lügner!« und nicht die da genau fünfzehn Jahre zurückliegenden CSU-Abspaltungsbeschlüsse eines Strauß, der keine zehn Halbe vertrug: »Wir sind nicht in einer Partei und einer Gemeinschaft von Sterndeutern. Wir sind unter aufrechten Männern und Frauen, wir lieben eine klare Sprache, wir lieben ein klares Bier, und wir lieben die Wahrheit in der Auseinandersetzung«, sprach Kohl gen Wildbad Kreuth, was hinwieder den Ex-SWF-Bonnkorrespondenten Wolfgang Wiedenmeyer in seinem Urteil bestärkte: »Er ist in der CDU so tief verwurzelt, daß er immer Bescheid weiß, wenn sich gegen ihn etwas zusammenbraut. Deswegen hat er alle seine Gegner im Grunde genommen gekillt, ehe die gegen ihn Front gemacht und ihn gekillt haben.«
Killing and kissing, dieses arabische Stichwort des P. Scholli-Latour meint doch: nach oben getrunken! Schäuble, Wolfgang (Baden-Württemberg) gesteht 1999: »Wie sind stolz auf unseren Ehrenvorsitzenden«, erinnernd an und ehrend dessen 1970er Credo: »Ich will, wenn ich anpacke, selbst anpacken, die Maid, das Amt, den Henkel(l).« Er, Kohl, »weiß«, plaudert derselbe aus, »ganz genau, wohin der Weg geht«, so daß des zeitweiligen Parteivorsitzenden Bruder Thomas Schäuble am 18. Februar 2000 labert: »Ich verabscheue Herrn Kohl, und da kann ich für die ganze Familie sprechen.«
So reden (und denken!) Weintrinker … Schäuble stützte den Kohl nach seiner Niederlage 1976 und »hat damals alles getan, daß Kohl vorankam« (Th. Schäuble), und er selbst bereinigt die Geschichte via Phoenix (Schäubles Fall, 2000) im bedeutenden Jahr 2000: »Mir schien es damals richtig […], die Verantwortung nicht einzelnen in der Wirtschaft anzulasten, die dann zum Teil in für sie subjektiv sehr schwer nachvollziehbare Strafprozesse verstrickt worden sind, sondern die Verantwortung der Politik durch die Politik zu übernehmen, was ja auf deutsch hieß: durch eine Amnestiegesetzgebung zu sagen, das war nicht die Schuld derjenigen. Sondern die Schuld liegt bei anderen. Das ist gescheitert.«
So Wolfgang zu 1984. Da war was gewesen. Parteispenden, die die Grenze von 20.000 Mark überschritten, schwätzte ehedem ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, müßten öffentlich ausgewiesen sein und versteuerten Einkommen entstammen. Nix di. Eine »Flut von Tarn-Organisationen« (Spiegel 33/1999), »an die steuerfrei gestiftet werden konnte – in jeder Höhe und ohne Namensnennung«, schäumte unterm Schutz des mittlerweile gestaltgewordenen Kohlmachthaushaltes derart riesenhaft, daß alles »ging«. Kanzlerabgesegnet. Eberhard von Brauchitschs Erinnerungen Der Preis des Schweigens – Erfahrungen eines Unternehmers (Berlin 1999) scherzen: »Die sogenannte Spendenaffäre war in Wahrheit eine ›Schutzgeldaffäre‹«, denn selbst die Flick KG habe lediglich gelöhnt, »um sich vor Repressionen in Form wirtschaftsfeindlicher Politik zu schützen und die Riesenbierrechnungen beim Mayer absetzen zu können«.
Hier ein letztes, eventuell monumentales Mal fuhrwerkte Kaiser-Bräu-Kohl durch die Landschaft, daß es, »Mafiamethoden, Erpressung, Steuer-Schraubzwingen« inklusive, eine penible Pfälzer Art besaß. Brauchitsch beschwerte sich, Parteien könnten nicht richtig »an der Meinungsbildung mitwirken«, und wanderte in den Steuerhinterzieherknast des Zürcher Exils. Von dort pöbelte er den »Ja-Sager Schäuble« an und möhrte wider den »Schatten Helmut Kohl«, der im allgemeinen Chaos des »Bargeld-Pornos und Biergemoppels« (H. Böll) lichtgescheit die ungescheite Managerexistenz in die Flucht jagte.
Kohl est it. Bier brumm sum.
Brauchitsch, teilte uns Christian Semler (taz, 1. April 2000) mit, hatte seine Schwierigkeiten, »Politiker zu erpressen«. Die Nudel hielt fortan »Distanz« zum »Braumeister« und wartete, bis der Gerstenreiche ihr/ihm einen Posten im sächsischen Bierrevier zuschanzte. Semler: »Als er den jugendlichen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz vor mehr als dreißig Jahren kennenlernte, anläßlich einer Großinvestition von Eichbaum im pfälzischen Wörth, sah er sofort, daß hier ein Rohdiamant funkelte«, und der furunkelte fürderhin finster fort, als ein »noch etwas ungeschliffener Volkstribun« und demnächst antikischer Weltenlenker und Gebieter.
Die Summe des Systems Kohl liegt wohl auch in solchen perfekten Erfahrungen begründet. »Schon beim ersten Hausbesuch bei von Brauchitsch beharrte der sichtlich bierfidele Kohl darauf, die dortigen Bilder umzuhängen«, und jener sekundäre Gestaltungswille, gründend in, in summsa, Henningerästhetik und Licheraufklärung, schlug sich nieder in Couvertbewegungen (»wg. Kohl 30.000«) nach Blüchers Motto: »Draufschlagen!« (Auf den Deckel. Is’ doch eh schon Bohne!)
Also mehr Geld draufschlagen.
Das Br. folgsam draufschlug, »selbst wenn die Präferenzen des alten Flick und seines Sohnes Friedrich Karl eher Franz Josef Strauß galten« (Semler), den Kohl bereits leichter Hand weitsichtig weggeböllert hatte.
»Wird«, unkte Semler, »mit dem Adlatus Schäuble auch sein ehemaliger Meister doch noch vor die Schranken des Strafgerichts zitiert werden, ganz so, wie es von Brauchitsch widerfuhr? Das wäre das letzte Kapitel ihrer Freundschaft.«
»Die Nummer eins muß man möglichst unbeschädigt in solchen Situationen halten. Das war immer mein Anliegen.« (W. Schäuble)
War. War, war, war.
Und Kohl macht und lacht weiter, an den blütengelben Stränden Oggersheims. Brobst!
Wrba contra Rehse
Eins. Zwei. Drei. Vier. / Vater braucht ein Bier. / Vier. Drei.
Zwei. Eins. / Mutter braucht keins.
Bertolt Brecht: »Liedchen aus alter Zeit«
Während es da hinten, etwas erhöht gelegen, in den Gerätschaften, die nicht unerheblich zum Glück der Menschheit beitragen, brodelt und gärt, hocken hier unten, auf der Eckbank in der Brauküche, der Brauer Wrba und sein Knecht Rehse und erzählen, wie man braut und wie man an diese teuflischen Kessel und Bottiche herankommt.
Meister Wrba kaut auf einem Käsebrot herum, Knecht Rehse steht auf, füllt die Gläser und setzt sich wieder. Meister Wrba entflammt eine Zigarette und kommt nebenbei auf diese Malzsackmalaise zu sprechen. Er, der Knecht, habe doch tatsächlich die falschen Säcke mit zur Mälzerei genommen, diese wunderbaren Privatsäcke, und jetzt seien die unwiderruflich verschwunden.
Nichts habe er, sagt Knecht Rehse, er habe bloß seine Pflicht getan und sei zur Mälzerei gefahren. Und weil man neue, gefüllte Malzsäcke nur erhalte, wenn man leere mitbringe, habe er halt die in dieser Bruchbude hier herumliegenden Säcke genommen und abgegeben.
Von wegen Bruchbude, er solle sich mäßigen, sagt der Meister, das seien seine wertvollsten Privatstücke gewesen. Auf denen habe gestanden: »Das ist Papi«. Und nun seien sie weg, wegen einer falschen Sackrückgabe! Da lägen sie doch, die richtigen Retoursäcke, Sackzement!
Er solle sich verflixt noch mal am Riemen reißen, sagt der Knecht.
»Von meinen Kindern bemalt!« greint der Meister.
»Ja Gott!« schreit der Knecht.
»Es ist alles hin«, jammert der Meister.
»Nichts ist!« ruft der Knecht.
»Wie – nichts?«
»Ja! Nichts!«
»Von wegen!«
»Ja, von wegen. Die sind einwandfrei eingetragen worden, deine Säcke«, sagt der Knecht. »Die stehen eins a in der Leihsackkartei! Und da stehen sie noch heute!«
»Na dann is’ ja gut«, sagt der Meister.
»Eben«, sagt der Knecht.
»Genau«, sagt der Meister.
Der Poet des Bieres oder: Ode an Helmut Stier
Maigret verspürte das Verlangen nach Bier.
Georges Simenon
Er trank langsam und genießerisch zwei große Glas
Bier, während ihn ein Wohlgefühl durchdrang.
Georges Simenon
[…] und das tröstliche Bier fließt.
Harry Rowohlt
Preisen will ich – im Sinne des US-amerikanischen Dichters James Agee – einen großen Mann: Helmut Stier, den ehemaligen Prokuristen der Pirmasenser Parkbrauerei. 1976 erschien in der Pfälzischen Verlagsanstalt Neustadt/Landau ein ungeheuerliches, nur vierunddreißig Seiten umfassendes Buch von Helmut Stier, betitelt Faßliches und Un-Faßliches, und zitieren möcht’ ich hier und ehren dieses Werk, das einzigartig war und bleibt.
»Brüder, fliegt von euren Sitzen, / Wenn der volle Becher kreist. / Laßt den Schaum zum Himmel spritzen: / Unser Glas dem guten Geist!« Stier bezeichnet die (Teil-)Strophe aus Schillers Ode »An die Freude« als »die schönsten Zeilen, die je zum Lob des Bieres geschrieben wurden«. Läßlich, daß Stier da ein wenig nachgeholfen und das Bier an die Stelle des Weins gerückt hat, denn Stier verfaßte sie selber, die schönsten aller jemals dem Bier gewidmeten Zeilen.
Versöhnung, wahre, ungeschmälerte, ist das Motto des Helmut Stier. Der Johannes Rau des Bieres? Bewahre! Hätte der dem Bier nicht abgeneigte Kirchentagssozialdemokrat solche Sätze zustande gebracht? »Die Erlauchtheit des edlen Rebengewächses tut jedoch der Kameradschaft mit dem Krug schäumenden Gerstensaftes keinerlei Abbruch. Gibt es nicht Winzer, die sich nach des Tages harter Arbeit auf ein Glas frisches, würziges Bier freuen?« Ist es nicht so, o Bacchus, o Gus Backus, der ja immerhin 1967 die LP Ich bin kein stiller Zecher auf den Markt pfefferte? Gus Backus, der sich richtig »Gambrinus Bacchus« schreibt – als Realsymbolfigur der Stiftung des kantianisch ewigen Friedens zwischen Wein- und Biertrinkern?
Helmut Stier fährt fragend fort: »Rankt sich der Hopfen nicht ebenso dem alles verstehenden, alles verzeihenden Himmel entgegen wie seine empfindsame Schwester namens Rebe?« Versicherte nicht Schiller: »Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen«? Und erzählt Helmut Stier nicht eine wunderbare Geschichte von der Vermählung der germanischchristlichen und der polytheistisch-antiken Welt im Fluidum des Bieres?
Er erzählt sie, und sie heißt »Vor dem ersten Schluck«: »Der Gipfelhöhe solch freudigen Erschauerns begegneten wir auf der Insel Rhodos, zur Stunde des Pan. Auf dem durchglühten Felsensturz der Akropolis von Lindos fühlten wir uns vor Durst wie stranguliert. Kraftlos, schweißgebadet, mit zynischer Gleichgültigkeit stiegen wir zu den weißen Häuserkuben der Ortschaft hinab, überschüttet vom flammenden, erbarmungslosen Lichtregen. Seltsame Zerfaserung der Gehirnmasse, als löse sich ein Knäuel in flatternde Fäden auf. Abbröckeln des eigenen Leibes und der Welt. Da schleuderte uns das Schicksal die Taverne von ›Mama Lindos‹ auf den Weg. Welch eine Wirtin: Sie umarmte uns, holte Bier herbei, herrlich frisches deutsches Bier. Hei, teure Seele, feuchte deine Asche! Wie die schäumende Kühle unser Herz erwärmte! Wie die inwendige Dusche uns bis in die Fingerspitzen erquickte! Ganz sachte rutschten wir in den eigenen Urgrund zurück. […] Panagia, dieser göttlichen Schenke werden wir Kerzen entzünden!«
Da hat einer seinen Dr. Benn gelesen – und sehr viel mehr. »In weitem Bogen spannen sich sieben bierfrohe Jahrtausende«, erläutert Helmut Stier. »Beweis dafür, daß der schäumende Trinkstoff ein geduldiger Vermittler im Zusammenleben der Menschen ist. Als ein Geschenk der Schöpfung, das der Welt schmeichelt und mit dem sich in gewissen Zeiten ihre Bosheit und Torheit zu puren Schönheitsfehlern besänftigen lassen.«
Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Und was er alles zu berichten weiß! Von William Shakespeare beispielsweis’, dem, dem gleichfalls großen Klaus Reichert zufolge, Erfinder des modernen, des Renaissance-Menschen, der in Was ihr wollt dem Junker Tobias die Zeilen in den Munde legte: »Vermeintest du, weil du tugendhaft seiest, dürfe es in der Welt keinen Kuchen und kein Bier mehr geben?«, und der allzugern an Bierwettbewerben in Bidford, dem Nachbarort von Stratford-Upon-Avon, teilnahm. Helmut Stier führt aus: »Im benachbarten Bidford konnte man kaum Shakespeares Ankunft erwarten. Dieses Dorf beherbergte eine berühmte Rasse von Biertrinkern, die darauf brannten, ihn und seine Genossen zum Wettkampf mit nußbraunem Gerstensaft herauszufordern. Man maß sich gerne in der feuchtfröhlichen Kunst, gewaltige Humpen handhabend, gegen die unsere heutigen Gemäße nur Knirpse sind. Um keine Tugenden auf sein Haupt zu häufen: Shakespeare war ein Mann dieser Welt. Er hielt die Augen nicht niedergeschlagen oder gen Himmel gerichtet. Ein Mann, der Komödien verfaßte, wenn es sein Publikum so wollte, und der Dramen schrieb, wenn es nach ernsteren Stoffen rief. Niemand fand etwas Anstößiges an diesem kräftig zechenden Dichter. Ja, man war stolz auf ihn als einen Vertreter des ›merry old England‹.«
Etwas weniger stolz ist Helmut Stier auf die – ja von Tacitus und Cäsar erfundenen – Germanen, zum Beispiel auf »jenes kompromittierende Geschehen im Teutoburger Wald, wo die germanische Infanterie, hochaktiv, angereichert mit Wirkstoffen des Gerstentrunks – simserim sim sim –, die römischen Weinfreunde besiegt hatte«; oder auf das Treiben im nordischen Götterhimmel: »Der Riese Ögir, von trüber Durstqual beherrscht, raubte eines Tages in Walhall das Braufaß. Ein ebenso trauriger wie peinlicher Tatbestand. Hätte nicht der Donner Thor das kostbare Stück zurückgeholt und den Göttern ihren Dämmerschoppen gerettet.«
Rund ums Bierfaß ereignete sich allerlei ergötzlicher Grob- und Feinunfug. »Auch in der Edda«, legt Helmut Stier dar, »entschied sich ein König für diejenige von zwei Frauen, die das beste Bier zu sieden wußte. Göttervater Odin half der hübscheren, indem er ihr heimlich ins Braufaß spuckte. Dieses Gärmittel verbesserte die Qualität des Trinkstoffs so vorzüglich, daß die Widersacherin das Duell Maß für Maß verlor.«
Maß für Maß – o weiser, großer Mann! Preisen will ich Helmut Stier! In Shakespeares Maß für Maß sagt übrigens der Libertin Lucio: »Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschafft werden kan, wird es unmöglich seyn, es ganz auszurotten.« (III, 6, Übersetzung: Christoph Martin Wieland)
Weiter im Buche Stier.
Die bekannte Saga vom hl. Columban trägt Helmut Stier wie folgt vor: »Der irische Mönch Columban sah eines Tages zu, wie am Bodensee heidnische Alemannen ein Faß Bier auf das Wohl des Gottes Wotan leermachten. In innerem Aufruhr flehte er zum Himmel. Dann hob er das schier zentnerschwere Behältnis in die Höhe, führte das Spundloch an den Mund und blies derart gewaltig hinein, daß die Tonne im Augenblick auseinanderbarst. Welch Hin- und Mitreißendes! Worauf die Versammelten zu Ehren des kräftigen Evangeliums sogleich ein zweites Faß zur Strecke brachten.«
Hin- und mitreißend, wie Helmut Stier parliert, ein Mann, der weiß, »daß ein gefüllter Krug besser ist als alle trockenen Worte«. Fließend und strömend seine Anmerkungen und Anekdoten zum Bier: »Die Helden des Mittelalters, Ritter und Troubadoure, nahmen gefüllte Fässer in Empfang. Lohn für die glückliche Heimkehr zu Muttern. Heutzutage erhielten sie trockene Orden und Ehrenzeichen. Der barocke bayerische Kurfürst Ferdinand Maria, allergisch gegen alles, was ihn beim Trinken stören könnte, besaß sogar ein schwimmendes Bierfaß. Er hatte es wie ein Schiffchen herrichten lassen, das über Untiefen hinschwebte und, Stürmen wie Wettern preisgegeben, ihn stets im Kielwasser seiner Jacht auf dem Starnberger See begleiten mußte. Wollte man an Bord einen heben, wurde das Faß luvseits vertäut und seine Ladung gelöscht.«
»Ja, daß Fässer eine Öffnung haben, macht ihren besonderen Reiz aus«, und »daß der Menschen Sehnsucht zuweilen nach den Sternen langt, zwingt sie nicht, den Teil ihres Ichs zu verachten, der in ihren zwei Quadratmetern Haut beschlossen liegt«.
Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Große Sätze legt Helmut Stier gelassen nieder: »Der Genuß von Starkbier dient der Befriedigung berechtigter Lebensansprüche«, »Ihr Schluckauf war nicht moralischer Natur«, »Der Pilspokal war Mittler«, »Das Medium Bier hat viel Gutes unter den Menschen angerichtet und immer wieder Heilsames, sprich Verbindendes und Versöhnliches bewirkt. Wie sonst hätte es alle Völker, alle Kriege, alle Krisen so kellerfrisch überdauern können?«
Und wie verhält es sich mit dem Durst, dem Verlangen nach Bier? Helmut Stier: »Die Liebe und der Husten lassen sich nicht unterdrücken. Auch der Durst nicht. Er gleicht einer Naturgewalt. Kurz, wenn wir den Bierdurst stillen, ist das unseres Schöpfers Willen.«
Will man mehr hören?
Ja!
So denn: »Wo der Durst anfängt und wo er endet, dies zu ergründen haben sich Philosophen vergebens bemüht. […] Kaum sind wir auf der Welt, haben wir Durst. Einem Unwiderstehlichen gehorchend, das man die kategorische Schoppenstunde nennen könnte. Ohne Durst, wie trostlos wäre da die innere Einsamkeit so manches Geselligen. […] Die Wonne, den Durst zu löschen, ist trotz der Jahre nicht in unserer Achtung gesunken. Allem Erquicklichen, allem flüssigen Trost zugänglich, stehen wir wurzelfest und wipfelbereit auf der Erde.«
Wurzelfest und wipfelbereit – welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Helmut Stier erweist dem Pfälzer Mundartdichter Paul Münch die Reverenz. »Seine Verse lagen nie trocken da, Fässer jeglicher Form waren für ihn eine Art Resonanzboden«, zieht er den Hut und zitiert den himmelsnahen Zweizeiler: »Loßt de Kopp nie hänge’, / Parkbräu gebt’s in Menge’!« Doch am innigsten ist er dem ehemaligen Parkbräu-Biersieder Georg Wiesmath verbunden, wie das Kapitel »Ein Bierphilosoph« belegt.
»Münchner von Geblüt, sah er auf die Welt in ›durstigem Staunen‹, wie Joachim Ringelnatz derlei ausdrückte«, beginnt die herzergreifende Hommage, und nun will ich nur mehr zitieren, zu ehren das unfaßbare Buch Faßliches und Un-Faßliches, zu preisen den Braumeister Georg Wiesmath:
»Nach Feierabend verkroch er sich im hintersten Eck der Betriebskantine, den Maßkrug vor sich, daneben Tinte, Federhalter und Papier. Dort saß er wie unter einer Glocke aus Glas. Nach einigen Schlucken, die ihn labten, als erquicke Sommerregen dürstendes Erdreich, knipste er im Geflecht seiner Überlegungen und Empfindungen den Strom an.
Wo er hindachte, entstand ein Reim. Wer behaupten wollte, bei Hopfen und Malz würden die Musen schweigen, der irrt. ›Denn was ins Bier gebannt der Meister‹, sagte Georg Wiesmath, ›erweckt im Künstler erst die Geister!‹ […]
Sein Vorbild war Paul Münch. In Verbeugung vor diesem ›Bilding frisch vum Faß‹ schilderte er die Grenzen menschlichen Füllvermögens mit diesen Worten: ›Ich wollt’, ich wär ein Parkbräu-Faß, / Außen trocken, innen naß. / Dann bräucht’ ich keinen Maßkrug mehr / Und söffe mich stets selber leer!‹
[…] [E]r beschwor nicht das Beschlauchen, den simplen Massensuff, bei dem der Magen von Flüssigkeit schwappt und aus der Gemütlichkeit allmählich Angst wird vor würgendem Ekel. Er trank nicht, um zu fallen, sondern um sich zu erheben. ›Etwas Helles nach dunklen Stunden!‹ sagte er, leerte den Krug und holte sich einen neuen. ›Wer auf Gott vertraut, der sitze beim Bier, oder er braut!‹ schrieb der Glückliche, vom Himmel mit beneidenswerter Einfalt gesegnet.
Bier schmeckte für ihn wie gebrauter Friede. Stand sein Leben schief, trank er es gerade. Und weil er nie trocken saß, hatte er Humor. […] Georg Wiesmath nach brauchte auch die Seele ihren Stoffwechsel, um sich von den Schlacken der irdischen Unrast zu reinigen.
Die Verse, die der ›Hektoliterat‹ feinsäuberlich niederschrieb, boten freilich keine Höchstleistungen im kritischen Sinne. Aber muß es denn immer nur Höchstleistung sein, aus der die Welt Nutzen zieht? Immer nur dieses Alles oder Nichts?
Klopfte man den Bierstein von seinen Werken ab, kam ein Individuum zum Vorschein, das man ganz einfach lieben mußte. Schade, daß Georg Wiesmath sich längst endgültig fortmachte.«
Oh, welch weise Männer! Preisen will ich Georg Wiesmath! Preisen will ich Helmut Stier! Preisen möchte ich das Bier!
Dank an Klaus Motsch.
PS: Am 1. November 2009 schreibt mir Harry Rowohlt:
»Lieber Jürgen:
… wollen wir aber nicht vergessen, daß das Zitat ›Hei, teure Seele, feuchte deine Asche‹ von Carl Mikael Bellman (in der Nachdichtung von Carl Zuckmayer in seinem Stück ›Ulla Winblad‹) ist (und ›Knipst auf der Geige, und haltet die Humpen fest!‹ weitergeht).
Danke für das Zitat in dem ehrenvollen Umfeld!
Dein Harry«
Kafka in Pirmasens
Pirmasens – hier leistet man sich wieder minus zehn Grad, bei allerdings hellem Sonnenschein samt blauem Himmel, was den ganzen Saustall noch unübersichtlicher macht.
Dieter Steinmann, Mail vom 5. Januar 2010
Arglos fuhren wir zum Kaufland in Pirmasens, um einen ehrlichen Kasten Parkbräu-Pils zu erwerben. Das Pirmasenser Kaufland liegt exakt in der Mitte eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Eckpunkte das Polizeipräsidium, die sagenumwobene Zwickerstubb, an deren Tür ein Schild warnt: »Achtung! Hier wird geraucht!«, und der Imbiß Rundeck bilden, in dem die Stammkund- und die Belegschaft gelegentlich stark unter Fehlbelieferungen mit alkoholfreiem Bier zu leiden haben.
Wir gaben unser Leergut an einer Halle auf dem Parkdeck ab und glitten über kilometerlange Rolltreppen hinunter in den Einkaufsbereich, der ungefähr so groß ist wie der Flughafen von Dallas. Wer all das Zeug, das hier feilgeboten wird, erstehen soll, vermag niemand zu sagen. Der Pirmasenser ist seelisch und anderweitig derart depraviert, daß er weder in der Lage noch gewillt sein dürfte, pro Monat mehr und Sinnvolleres denn zwei Hartwürste, einen Sauerkohl, vier Tüten Muscle-Gain-Food, fünf Landser- und zwanzig Frickelhefte in seinen Besitz zu bringen.
Wir schritten die Regalreihen auf der Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener ab. Es war still, fast totenstill, gespenstisch still wie in einem Text von Kafka – bis wir eine Durchsage hörten: »Die 9738 für die 4265!« Und noch mal, diesmal etwas lauter und auch schärfer: »Die 9738 für die 4265!«
»Hehe, der Fleischereioberchef schickt eine Nachricht an seine neue Wurstauszubildende«, meinte mein Kumpel. »Die hat sich jetzt zum Aufbocken ins Kühlhaus zu verfügen! Da wäre man ungern dabei. Sehr häßlich, das, wahrscheinlich, hehe. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, gell!«
Ich schenkte den Worten meines Kumpels keine nähere Aufmerksamkeit und konzentrierte mich auf die Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener. Plötzlich eine weitere Durchsage: »Herr Steinmann, die 078379 hier, Herr Steinmann, bitte umgehend in die Rhetorik!«
Ich blieb stehen und zog meinen Kumpel am Arm. »Dieter, hast du das gehört? Die meinen dich!« – »Wer?« – »Keine Ahnung. Aber hast du’s nicht gehört? Du sollst in die Rhetorik kommen!«
Bevor Dieter antworten konnte, tönte es erneut aus den versteckten Lautsprechern: »Und wenn wir schon dabei sind: Herr Egner, bitte in die Erkenntnistheorie! Und zwar zack, zack!«
Was war hier bloß los? Dieter, dem der zweite Aufruf ebenfalls nicht entgangen war, und ich blickten uns leicht konsterniert an, da hob die knattrige Stimme wieder an: »Herr Henscheid, finden Sie sich doch bitte in der Veterinärtheologie ein. Frau Passig, wir ersuchen Sie, möglichst flott zum Bilchzwinger zu kommen. Herr Rowohlt in die Normenabteilung! Herr Meurer zum Friseur! Herr Schmidt, China, in die Koioase!«
Es hörte nicht mehr auf. »Herr Traxler, bitte im Rektorat melden! Herr Metes, bitte zu den Damen! Die Herren Greser & Lenz werden in zwei Minuten auf der Aktionsebene C am Mineralwasserprobierstand erwartet. Herr Prof. Weigle, bitte in die Computerecke! Und Herr Tomayer, sofort ins Sexual!«
Woher kannten die uns? Uns und unsere Kollegen und Freunde? Kann jemand für Aufklärung sorgen?
Dorst und Dorf
Zugestanden, der Name lockt, der Name jenes winzigen lothringischen Ortes kurz hinter der Grenze, dort, wo Bisons in den Wiesen dösen und Pferde ihnen einträchtig Gesellschaft leisten, dort, wo die Wolken behaglich und in mannigfach verspielten Formen über den bewaldeten Hügelketten des Bitscher Landes kleben. Der Name »Dorst«, er lockt und zieht einen unwiderstehlich an. Dorst. Dorst. Dorst, Dorst, Dorst.
Aber praktisch auf oder, genauer, eine Handbreit vor der Grenze und der gefährlichen Maginot-Linie liegt mein neues Mekka. In dem Dorf Riedelberg, gleichermaßen von landschaftlichen Schönheiten umkränzt, residiert in der Mühlenstraße in einem Einfamilienhaus der Brauer Martin Wentzler, und was er da im Keller mit seinen blitzsauberen Gerätschaften anrichtet, gereicht ihm zu höchsten bierologischen Ehren.