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”Ich komme aus Wendorra. Die Darker stehen an unseren Grenzen, um unser Land zu überfallen. Ich bin nach Andria unterwegs, um den König, meinen Verwandten, um Hilfe zu bitten.”
Die drei Männer starrten ihn ungläubig an. War das tatsächlich der Thronfolger aus dem reichen Land des schönen Volkes? Konnte es angehen, dass ein wahrer Prinz ihnen diese unglaubliche Nachricht brachte? ”Darker? Wir dachten, es würde gar keine mehr geben”, der größte von den Dreien, Wig, hatte schließlich das Wort ergriffen.
”Oh doch, glaubt mir, es gibt welche! Und es sind Unmengen, die drohen, unser Land zu vernichten.” Hendrik machte eine große Geste.
Auch der massige Wamba schaltete sich ins Gespräch ein. ”Habt Ihr schon mal einen Darker gesehen?” Hendrik lachte. ”Nein. Die wenigsten, die einen gesehen haben, konnten davon erzählen. Mein Vater erzählte mir, sie seien ganz schrecklich. Riesig. Schwarz mit gelben Augen und Krallen, mit denen sie sich durchs Erdreich wühlen.”
Olan nickte. ”Das stimmt so weit, ja. Allerdings nicht wirklich sehr groß, ungefähr so wie wir auch. Aber sie sind wild und angriffslustig.” Wamba schauderte: ”und gegen die sollen wir kämpfen?” Hendrik gab keine Antwort, nickte nur ernst. Er hatte ja keine Ahnung, dass er hier Edelleuten gegenüber saß. Die Männer trugen einfache, strapazierfähige Kleider und gingen ganz ungezwungen miteinander um.
”Nun Prinz, wenn es so ist, wie Ihr sagt, müssen wir kämpfen. Die Darker sind wie Heuschrecken. Sie plündern und morden ohne Rücksicht und sie ziehen von einem Land ins andere. Bald wären sie auch hier, in Almach“. Olan rieb sich nachdenklich die Stirn. „Euer Erscheinen lässt mich an die Geschichte vom Schwert des Lichts denken. Sicher könnten wir dieses jetzt gut gebrauchen.” Wig unterbrach Olan. ”Du meinst die Legende?” Olan bejahte. ”Genau. Du weiß doch wie das Orakel ging?
„Ein Prinz von den Auen wird kommen und er wird tragen das Schwert des Lichts, das alle Hoffnung in sich vereint und mit seinem gleißenden Lichtstrahl die dunklen Schatten vertreiben wird.”
Hendrik sah den Weisen fragend an. ”Ich hörte nie von einer solchen Legende. Was ist das Schwert des Lichts?” Olan zuckte die Schultern: ”Niemand weiß es genau. Es ist eine Geschichte, die seit vielen hundert Jahren in unserem Land erzählt wird. Es heißt, ein unbekanntes Volk hinter den großen Bergen schmiedete einst ein Schwert, das große Zauberkräfte besaß. Es konnte die Nacht zum Tage machen, wenn ein wahrer Held die Mächte der Finsternis bekämpfte. Man erzählt auch, dass gerade die Darker es waren, die dieses Schwert raubten. Und dass es jetzt tief verborgen in einer ihrer Höhlen liegt. Leider”, schloss Olan „nützt es uns also nichts, selbst wenn es existiert.”
Hendrik hatte genug gehört. Ihm als junger Prinz und gut ausgebildeter Krieger stand wenig der Sinn nach Märchen und Legenden.
Es war das Abenteuer das ihn lockte. Die Gefahr, das Unberechenbare. Der Krieg, der ihnen bevorstand. Das war etwas reales, etwas Gefährliches. Endlich würde er sich beweisen können! Sein Vater sah immer nur den Thronfolger in ihm. Ständig wies er alle Gefährten und Diener an, auf Hendrik aufzupassen, damit ihm nur ja nichts zustieß. Wie lange hatte er betteln müssen, damit sein Vater erlaubte, dass er allein aufbrach um die Almachen zu alarmieren. Er seufzte leise. Er würde seine Aufgabe gut erfüllen. Hendrik entschuldigte sich bei den drei Männern, dass er müde vom langen Ritt sei. Er rollte sich, in seinen Umhang gewickelt, in der Nähe des Kamins zusammen, um bald darauf in einen unruhigen Schlaf zu verfallen. Hendrik träumte von Darkern und Kriegen. Er war so begierig darauf seinen Mut im Kampf zu beweisen. Von Kindesbeinen an, hatte er gelernt mit Schwert, Bogen und Axt zu kämpfen. Doch da Wendorra bisher immer im Frieden gelegen hatte, gab es keine Gelegenheit, Abenteuer oder gar Schlachten zu bestehen. Allenfalls eine Jagdgesellschaft bot ab und an Abwechslung. Aber auch dabei gab es keine großen Herausforderungen. Die Wildhüter achteten schon darauf, dass der junge Prinz sich nicht unnötig in Gefahr brachte. Sein Vater hatte ihm auch angetragen, sich baldigst zu verheiraten. Der König wünschte die Dynastie zu sichern. Doch heiraten war etwas, wozu Hendrik gar keine Lust verspürte. Die Mädchen, die sein Vater an den Hof geholt hatte, waren allesamt hübsch und gebildet. Den ganzen Tag sangen, tanzten und musizierten sie für ihn, wenn er sich bei den jungen Frauen sehen ließ. Hendrik jedoch fand, sie wären allesamt alberne Gänse, die nur darauf aus waren, eines Tages Königin von Wendorra zu werden. Er hoffte, auf den Reisen, die er nach diesem Krieg noch begehen wollte, eine exotische, aufregende Schönheit an einem anderen Königshof zu finden. Mit dem Gedanken an seine Traumprinzessin und an die vielen Abenteuer, die er erleben würde, schlief er endlich fest ein. Auch Wamba nickte auf seinem Stuhl ein und schnarchte laut.
Wig und Olan saßen etwas abseits am Tisch und unterhielten sich noch. ”Das ist eine ernste Geschichte. Wig. Vielleicht müssen wir das erste Mal seit hundert Jahren in den Krieg ziehen.” Der angesprochene war auch davon überzeugt. ”Wenn es sein muss, werden wir bereit sein! Die Almachen waren immer große Kämpfer”.
”Ja, aber”, warf Olan zweifelnd ein: ”Kein Almache ist seit fast hundert Jahren mehr in die Schlacht gezogen. Stimmt das nicht? Das ärgste, was ihr hier in den letzten Jahrzehnten erlebt habt, waren ein paar Räuberbanden und Lumpengesindel. Damit ist die freiwillige Armee immer gut fertig geworden. Aber ein Kriegszug? Das ist doch etwas ganz anderes. Du musst morgen mit dem Prinzen gehen.
Möglicherweise wird der König sofort ein Heer aufstellen lassen. Außerdem ist der Weg aus dem Tannenwald nicht ungefährlich, ich will nicht, dass ihm etwas zustößt.”
Wig nickte. Obwohl ihn so schnell nichts in Unruhe versetzte, war Wig beunruhigt. Olan hatte Recht, ein Kriegszug war etwas völlig anderes. Es bedurfte viel Disziplin und Vorbereitung. Als Hauptmann in der Armee kannte er seine Pflicht. ”Natürlich. Wir werden den Prinzen auf dem schnellsten Weg zu König Marken bringen.”
So geschah es. Schon bei Tagesanbruch machten sich Hendrik, Wamba und Wig auf. Wamba beschwerte sich, dass es kein ausgiebiges Frühstück gab. Doch Hendrik wollte unverzüglich aufbrechen. Er war schon wütend darüber, dass er nicht allein voran reiten sollte. Schließlich war er auf einer Mission, die keinen Aufschub duldete. Doch Wig setzte sich durch. ”Der Weg wird noch schmaler und gefährlicher, als der, den Ihr bereits hinter Euch habt. Ihr könnt nicht reiten. Dein Pferd würde straucheln und Ihr würdet an den tiefen Ästen hängen bleiben. Es ist nicht weit, wir schaffen es in ein paar Stunden. Also führt Euch Ross und folgt mir.”
Sie durchwanderten den Wald und Hendrik sah schließlich ein, wie recht Wig gehabt hatte. Dieser Weg war wahrlich nicht zum Reiten gedacht. Durch die dicht an dicht stehenden Bäume, konnten sie nur einer hinter dem anderen gehen. Ständig drohten sie über Wurzeln zu stolpern. Wie sicher Wig sich in diesem Gestrüpp zurechtfand, war bewundernswert. Wambas Klagelaute, der sich damit unablässig über die schnelle Gangart beschwerte, waren zudem nicht gerade ermutigend.
Der dicke Mann war kein Krieger, er war gewohnt sich mit Schriftstücken und der Verwaltung des Reiches zu beschäftigen. Auch er war beunruhigt ob der Nachricht über das Darkerheer, doch grübelte er selten über den folgenden Tag. Er lebte im jetzt und hier. Und jetzt gerade war das einzige was er dachte, dass er den fremden Prinzen zum Palast geleiten sollte und dass er dort ein ordentliches Mahl genießen wollte.
Als sie schließlich den Wald hinter sich gelassen hatten, waren alle drei erleichtert. Sie hatten es geschafft, Andria lag direkt vor ihnen.
Als sie die ersten niedrigen, weißen Häuser erreichten, starrten die Menschen neugierig aus den Fenstern. Kinder stoben davon, um zu berichten.
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Die Ankunft des Fremden auf dem weißen Ross, sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Es gab nicht viele Pferde im Tal. Die wenigen Tiere standen allesamt im Stall des Königs. Sie waren die letzten Nachkommen derer, die einst König Atowar und seine Krieger in die Schlacht getragen hatten. Der jetzige Herrscher war zu alt um noch auszureiten. Da die Tiere daran gewöhnt waren gefüttert zu werden, machten sie aber keine Anstalten in freier Wildbahn zu leben. Die meisten Almachen hatten jedoch eine Heidenangst vor den langbeinigen Tieren. So standen die Almachenpferde die meiste Zeit nur träge im Stall oder grasten mal ein Stündchen, sich selbst überlassen auf den königlichen Weiden. Die Gäule blieben meist für sich. Sie wurden versorgt und gepflegt und lebten ansonsten wie Wildtiere. Kaum ein Bewohner des kleinen Städtchens hatte sie überhaupt schon mal zu Gesicht bekommen. Jetzt jedoch ritt dieser junge Mann mit dem prächtigen Tier, mitten auf der Hauptstraße von Andria und eine immer größer werdende Menge Menschen folgte ihm.

Der fremde Mann war nicht nur wegen seines Reittieres bemerkenswert. Auch er selbst schien höchst interessant. Er war jung, vielleicht etwas über zwanzig Winter. Gut gebaut und hochgewachsen. Er hatte sehr helle Haut und edle Gesichtszüge. Seine Kleidung war ebenso fremdartig. Die blaue Tunika, die in der Taille von einem goldbeschlagenen Gürtel zusammengehalten wurde. Die hohen schwarzen Stiefel aus weichstem Leder. Die Schuhe trugen ebenso die goldenen Zeichen, wie der Gürtel, in dem lässig ein langer gekrümmter Dolch steckte. Die zurückgeschlagene Kapuze des schwarzen Umhangs gab kurz geschnittenes braunes Haar frei. Nur an der linken Seite hatte er eine lange Strähne, die zu einem kunstvollen Zopf geflochten war. Die Frauen und Mädchen Andrias betrachteten den hübschen, jungen Mann mit Wohlgefallen. Die Männer dagegen, bewunderten das fein gearbeitete Zaumzeug des Pferdes und das auffällige Schwert, das am Sattelknauf festgebunden war.
Der kleine kugelrunde Wamba schnaufte vor Anstrengung. So sehr bemühte er sich seiner Führerrolle gerecht zu werden. Vor dem Prinzen einher zu schreiten und ihn anzukündigen. Seit Jahren war er nicht mehr so gerannt. Doch um nichts in der Welt hätte er es sich nehmen lassen, Hendrik dem König vorzustellen. So ein Ereignis! Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Halbglatze und sein Gesicht war inzwischen puterrot. Doch wie eine Maschine, machte er so große Schritte wie nur möglich und gönnte sich keine Pause. Er – Wamba - würde mit dem König sprechen, ihm den fremden Prinzen vorstellen! Wäre er nicht so erpicht darauf gewesen, jede Sekunde zu genießen, er wäre vermutlich ohnmächtig niedergesunken.
Schließlich und endlich waren sie am Palast angekommen. Wig brauchte die große Glocke am Tor nicht zu läuten. Dem König war bereits von der seltsamen Prozession berichtet worden. Auf einen Stock gestützt, humpelte er in den weiten Hof vor dem Schloss und blieb schließlich zwei Meter von Hendriks Gefolge entfernt stehen. Sofort zogen alle die Hüte vom Kopf und verbeugten sich. Wamba machte einen Schritt nach vorne und dienerte noch tiefer als alle anderen. ”Mein König, dies ist Prinz Hendrik von den Auen. Er wünscht Euch dringend zu sprechen, es ist von größter…”, hier schnitt der König ihm mit einer Handbewegung das Wort ab: ”Genug jetzt, Wamba. Dein Vater war mir einst ein treuer Gefährte und ich schätze auch dich. Doch glaube ich, der Prinz kann für sich selbst sprechen. Auch denke ich, dass er vielleicht hereinkommen möchte um sich auszuruhen.”
Hendrik war inzwischen vom Pferd gesprungen und hatte sich vor dem Älteren verbeugt. ”Zum Ausruhen bleibt keine Zeit. Doch für einen kühlen Trunk und etwas zu essen wäre ich dankbar. Es war eine lange Reise.”
Der König nickte, legte einen Arm um die Schultern des jungen Mannes und führte ihn, gestützt auf seinen Stock, ins Schloss. ”So sei mir willkommen, Großneffe! Iss und trink mit mir und berichte was dich her führt.”
Die Menge zerstreute sich langsam. Wamba hatte todesmutig, die schlaff herunter hängenden Zügel des Pferdes ergriffen und zog es in Richtung der Stallungen. Zu seiner größten Erleichterung, kam ihm auf halben Weg der königliche Pferdeknecht entgegen und versorgte das Tier. Wamba tupfte sich mit einem riesigen weißen Taschentuch ein paar Schweißperlen von der Stirn. Unschlüssig stand er im Hof. Sollte er jetzt einfach nach Hause gehen? Oder konnte er es wagen, dem Prinzen ins Schloss zu folgen? Vorsichtig näherte er sich der Eingangshalle. Es war ein langer offener Säulengang, der am Ende in den Thronsaal führte. Dazwischen lag nur noch das Zimmer des Sekretärs, der die Besucher anmeldete. Zu Wambas Erleichterung, sah er Wig am Ende des Säulengangs und eilte auf ihn zu. ”Gehen wir hinein?” fragte er ihn. Wig zuckte die Schultern: ”Ich weiß nicht. Ich denke, ich werde sogleich in die Waffenkammer gehen. Es ist nötig, dass ich mir erst mal einen Überblick verschaffe. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie es dort aussieht. Es ist auch schon fast ein Jahr her, dass wir das letzte Mal eine Waffenübung hatten.”
Wamba war enttäuscht. Er wäre zu gern bei dem Gespräch mit dem König dabei gewesen. Außerdem hing ihm der Magen schon in den Kniekehlen; gegen ein Mahl am Tisch des Königs, hätte er daher nichts einzuwenden gehabt. ”Wir werden es noch früh genug erfahren, falls wir in den Krieg ziehen müssen. Geh lieber in die Atowarstraße und sag den anderen Hauptleuten, Elmar und Sonji, Bescheid. Wir müssen uns bereit machen!” Wig verschwand daraufhin sogleich in den weiter entlegenen Teilen des Palastes. Wamba dagegen, machte sich seufzend auf, die schlechte Nachricht zu verbreiten.
Schatten über Almach
Hendrik hatte sich etwas erfrischt und an der kleinen Tafel Platz genommen. Hastig aß und trank er was die Diener herbei trugen.
”Nun mein Junge”, der König ergriff das Wort: ”Was bringt dich in solcher Eile und Aufregung zu mir?”
Hendrik schluckte den letzten Bissen hinunter. ”Es sind die Darker, Majestät. Sie kamen aus ihren Höhlen gekrochen und morden und plündern wie man es noch nie erlebt hat. Sie haben ein riesiges Heer und marschieren bei Tag und Nacht.”
König Marken unterbrach ihn mit ungläubigen Gesichtsausdruck: ”Die Darker hat man nie zu mehr als einer Rotte gesehen und das Tageslicht fürchten sie.”
Hendrik schüttelte betrübt den Kopf. ”Nicht mehr. Es scheint, sie haben sich geeint und sie überfallen jeden der ihnen in den Weg kommt. Auch bei Tage, glaubt mir. Unsere Nachbarn, das heißt, die wenigen die fliehen konnten, berichteten uns von ihren Gräueltaten. Sie stehen jetzt wohl bereits an den Grenzen von Wendorra.
Mein Vater, König Argen, schickt mich zu Euch, um Euch zu warnen und Eure Hilfe zu erbitten. Er selbst steht an der Spitze unseres Heeres um den Eindringlingen entgegen zu treten. Doch unsere Kundschafter berichten, dass sie uns zahlenmäßig dreimal überlegen sind. Mein Vater fleht Euch an, auch um Eurer selbst willen, an unserer Seite zu kämpfen. So wie unsere Völker es vor vielen Jahren schworen. Er hat mich geschickt Eure Kämpfer zu führen, es sei denn, Ihr wollt sie selbst befehligen.”
König Marken lachte kehlig auf. ”Ich bin ein alter, kranker Mann. Ich kann nicht mal ohne Stock gehen, geschweige denn ein Heer führen! Nein, mein Junge! Dein Vater hat gut daran getan, dich zu schicken.
Ach, Argen, mein lieber Neffe! Ich habe deinen Vater leider nie kennen gelernt, doch er scheint die Klugheit seines Vaters geerbt zu haben. Wilkar war ein großer König.” Er schmunzelte bei der Erinnerung an lang vergangene Zeiten
”Und über meine Großmutter hörte ich wahre Wunderdinge, sie war Eure Schwester, nicht wahr?”
Marken strich sich erinnernd über den weißen Bart. ”Ja, meine Schwester, die kleine Philomena.” Er lächelte. ”Ich erkenne einige Züge von ihr an dir. Das Kinn, die Art wie du den Kopf hältst - genau wie sie.” König Marken amüsierte sich über Hendriks zweifelnden Gesichtsausdruck.
”Bitte erzählt mir von ihr. Wie kam es, dass mein Großvater eine Almachen-Prinzessin heiratete?”
Marken schmunzelte und versank in der Erinnerung an seine jüngere Schwester: ”Philomena war ein hübsches, fröhliches Mädchen. Fast noch ein Kind, noch keine 15 Jahre. Sie hatte langes, welliges Haar in der Farbe von reifem Weizen und wenn sie durch den Schlossgarten tänzelte, sah sie aus wie eine Fee.

Doch es war nicht ihre Schönheit die König Wilkar gefangen nahm. An seinem Hof gab es viele liebreizende Frauen, weit schönere als Philomena. Es war ihre kindliche Anmut und dieses Lächeln das ihn bezauberte.
Wenn sie einen Menschen mit ihren unschuldigen himmelblauen Augen ansah und ihm zulächelte, dann war es als ob die Sonne im Herzen aufging. Gleich ob Knecht oder König, jeder hatte dann das Bedürfnis niederzuknien und den Göttern zu danken, dass sie dieses herrliche Wesen geschaffen hatten.“ Er schluckte, gerührt von der Erinnerung.
„Unser Vater hatte beschlossen eine Reise mit uns zu machen. Wir fuhren, mit einem kleinen Hofstaat, in Kutschen durch das ganze Reich und in alle benachbarten Länder. Zuletzt sogar jenseits der großen, blauen Berge. So kamen wir auch nach Wendorra, der Heimat des schönen Volkes.
König Wilkar war sofort für Philomena entflammt, als er sie bei dem festlichen Empfang zu Ehren seiner königlichen Gäste, an seine Tafel führte. In dem Moment als sie ihm das berühmte Lächeln schenkte. Noch am selben Abend bat er Philomena, seine Frau und Königin zu werden. Meine Schwester, geblendet von der Schönheit und dem Glanz des schönen Volkes, stimmte sofort zu. Sie war noch so jung und hatte bis zu dieser Reise noch nicht viel von der Welt gesehen. In Wendorra zu leben, seine Königin zu sein, erschien ihr als das höchste Glück.
Unser Vater war außer sich, als Philomena ihm sagte, sie wolle als Königin im Lande des schönen Volkes bleiben. Er schäumte und schrie vor Wut. Er warf Sachen an die Wand und drohte König Wilkar schreckliche Dinge an.
Er vergötterte meine Schwester und wollte nicht erlauben, dass sein Kind viele Tagesreisen von ihm entfernt leben sollte.
Am Abend darauf, ging Philomena noch mal zu Vater und sprach lange mit ihm. Sie bettelte und flehte, und überzeugte ihn schließlich, nur in Wendorra ihr Glück finden zu können. Als sie anfing zu weinen gab Vater nach. Er konnte sein kleines Mädchen nicht weinen sehen. Niemals.
Noch in der gleichen Nacht wurde der Hochzeitstermin festgesetzt und die Vorbereitungen begannen.
Es war ein rauschendes Fest. Philomenas Kleid war ganz aus kostbarer weißer Spitze und die Schleppe war ganze 25 Meter lang. Ein Kleid wie es nur in Wendorra gefertigt werden konnte! Drei Tage und Nächte hatten alle Näherinnen des Landes daran gearbeitet.
Wunderschön sah sie aus, noch schöner und strahlender als je zuvor. An Vaters Arm schritt sie den langen purpurnen Teppich entlang zur großen Festhalle. Als sie ihr glückliches Lächeln sehen ließ, da weinte nicht nur unser kleiner Hofstaat, da weinte das ganze Land Tränen der Rührung.
Eine ganze Stunde brausten die ”Hoch“-Rufe nach der Hochzeitszeremonie. Das schöne Volk war im Freudentaumel, es hatte wieder eine Königin!”
Marken unterbrach sich. ”Aber ich schwatze und schwatze hier von Dingen, die bald vierzig Jahre her sind. Ich denke, ich sollte erst meinen Sekretär rufen und den Befehl geben, damit die Armee sich bereit machen kann. Warte kurz.” Der König erhob sich ätzend und verließ den Raum. Gab die entsprechenden Anweisungen und kam leise schlurfend zurück.
„Jetzt will ich dir noch mehr erzählen, lieber Großneffe. Leider wird es wohl zwei Tage in Anspruch nehmen, ehe wir zum Abmarsch bereit sind“, entschuldigte sich Marken. „Unser Heer war das letzte Mal mit meinem Großvater im Kampf und es wird etwas dauern, bis wir wieder mit diesem Gedanken vertraut sind.”
Hendrik sah ein, dass es nicht schneller ging, Almachs Heer in Bewegung zu setzen. ”Mein Vater und unser ganzes Volk wird überaus dankbar sein, dass ihr mit uns in die Schlacht ziehen wollt.”
”Aber natürlich werden wir das, mein Junge, natürlich. So wurde es doch beschlossen, damals bei der Hochzeit von Philomena und Wilkar.
Wo war ich vorhin stehen geblieben?” versenkte sich Marken wieder in seine Erinnerungen. ”Ja, es war ein rauschendes Fest. So viel Pracht habe ich danach nie wieder gesehen. Euer Volk versteht es wahrlich Feste zu feiern!
Wilkar war damals schon an die vierzig Jahre alt. Für dein Volk also schon ein alter Mann. Seine Frau war gestorben und auch die beiden Söhne hatten das Mannesalter nie erreicht. Alle drei wurden von einer schweren Krankheit dahingerafft. Philomena war für ihn und das ganze Land, die einzige Hoffnung auf einen neuen Thronerben.
Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Schon ein knappes Jahr später bekam Philomena einen Sohn, deinen Vater. Sie waren glückselig und dachten nicht, dass ihnen jemals etwas Schlimmes zustoßen könnte.
Doch wie du weißt, sterben die Menschen des schönen Volkes in der Blüte ihres Lebens, sie werden nie alt und gebrechlich. Ein Fluch und eine Gnade zugleich.“ Der alte Mann hüstelte bedeutungsvoll. „Wilkar also starb, als der Thronerbe gerade sechs Jahre alt war. Es war eine schwere Zeit für Philomena. Sie musste im Namen ihres Sohnes regieren. Sie, eine Fremde. Nicht alle erkannten sie als Regentin an. Es gab auch Missgünstige, die befürworteten, dass Philomena zurück nach Almach gehen sollte, dass gar ein entfernter Neffe des verstorbenen Königs dessen Nachfolge antreten sollte. Doch Philomena kämpfte. Sie war schließlich auch nicht aus schlechtem Holz geschnitzt und sie gewann. Sie blieb Regentin und Argen bestieg zwölf Jahre später den Thron. In dieser Zeit hat sie sich Respekt verschafft. Sie hat viel Gutes getan, für das einfache Volk und sie hat es verstanden das Reich zu seinem besten zu lenken. Als Philomena schließlich starb, war sie allseits hoch geachtet, wurde mir berichtet.
Es hat mir immer sehr leid getan, dass ich meine Schwester nie besuchen konnte. Aber nach dem Tod unseres Vaters musste ich die Staatsgeschäfte in Almach übernehmen. Ich hatte auch hierzulande manches Problem zu lösen.
Doch dann und wann hat Philomena mir doch Nachricht geschickt und mir berichtet, wie es ihr ergangen ist.
Doch sag mir”, der alte König unterbrach sich wieder. ”Wie geht es deinem Vater?”
”Er ist natürlich sehr besorgt wegen der Gefahr, die uns droht. Doch sonst geht es ihm gut. Er hat mir aufgetragen, Euch die besten Wünsche zu überbringen.”
Marken lächelte glücklich: ”Nach all den Jahren. Ich wünschte wirklich, ich könnte mit dir kommen und auch meinen Neffen Argen, endlich in die Arme schließen. Erzähl ihm von mir, Hendrik, sag ihm, wie gern ich ihn kennen gelernt hätte.”
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Zwei Tage später war das ganze Land in Aufruhr.
Wig und Wamba hatten überall die Kunde vom bevorstehenden Kriegszug verbreitet. Alle kampffähigen Männer versammelten sich im Hof des Schlosses. Es war ein ziemliches Durcheinander. In aller Hast wurden Waffen und Vorräte in große Planwagen verladen. Ein Schmied war damit beschäftigt Wagenräder auszubessern und Pferde zu beschlagen. Die Knechte des Königs versuchten verzweifelt, die königlichen Rösser, von denen die meisten natürlich noch nie einen Wagen gezogen hatten, an ihre neuen Aufgaben zu gewöhnen.
Elmar und Sonji waren einen halben Tag später als Hendrik in Andria angekommen und sofort ins Schloss beordert worden. Seitdem stellten sie ohne Pause ihre Regimenter zusammen und hielten Kampfübungen ab. Auch Wig hatte sofort befohlen die Schwerter, Speere, Schilde, Keulen, Pfeile und Bogen zu reinigen. Soweit nötig in Ordnung zu bringen und schadhafte Teile sofort auszuwechseln.
Alles rannte und schrie wild durcheinander. Prinz Hendrik versuchte in all dem Durcheinander den Hauptleuten die örtlichen Gegebenheiten in Wendorra zu beschreiben und bemühte sich, zusammen mit ihnen, so etwas wie einen Schlachtplan aufzustellen.




