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ff) Gesamtvorstand oder einzelnes Vorstandsmitglied
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Die Geschäftsführung obliegt grds. dem gesamten Vorstand (sog. Gesamtverantwortung), § 77 Abs. 1 S. 1 AktG. Allerdings ist es üblich, einzelnen Vorstandsmitgliedern im Rahmen der Ressortverantwortung separate Aufgaben zu überantworten. So kann einem einzelnen Vorstandsmitglied im Rahmen der Personalverantwortung auch die potentielle Entscheidung über die Einleitung unternehmensinterner Untersuchungen übertragen werden.[62]
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Die Übertragung bestimmter Aufgaben auf einzelne Vorstandsmitglieder entlastet die anderen Vorstandsmitglieder jedoch nicht in Gänze von ihrer Verantwortung für die anderen Bereiche. Ihnen verbleibt eine Restverantwortung in Form einer Überwachungspflicht der anderen Ressorts.[63] Die Intensität dieser Überwachungspflichten ist in hohem Maße einzelfallabhängig.[64] Sofern jedoch ein Anhaltspunkt für einen Sorgfaltsverstoß vorliegt, muss bestehenden Hinweisen nachgegangen werden.[65] Der BGH hat entschieden,[66] dass jedenfalls dann eine Generalverantwortung und Allzuständigkeit vorliegt, wenn das Unternehmen im Ganzen betroffen ist, also insbesondere in Ausnahme- und Krisensituationen.[67] Jedenfalls bei einem begründeten Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen, wird man von einer Ausnahme- und Krisensituation für die Gesellschaft ausgehen können. Insbesondere in Fällen, in denen ein besonderes Haftungsrisiko für die Gesellschaft droht, wird eine Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder anzunehmen sein. Dies bedeutet, dass auch „ressortfremde“ Vorstandsmitglieder bei einem Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen verpflichtet sind, Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen einzuleiten.
b) Der Aufsichtsrat
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Der Aufsichtsrat ist das Überwachungsorgan der Gesellschaft. Dem Aufsichtsrat obliegt jedoch nicht die Überwachung der Gesellschaft insgesamt, sondern nach § 111 Abs. 1 AktG ausschließlich die Überwachung der Geschäftsführung. Der Aufsichtsrat muss also unternehmensinterne Untersuchungen jedenfalls bei dem Verdacht auf Verstöße durch den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder einleiten.
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Schwieriger gestaltet sich die Herleitung eines solchen Rechts bei Verstößen durch Mitarbeiter unterhalb des Vorstands. Die Überwachung dieser Mitarbeiter gehört nicht zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, so dass die Einleitung von Untersuchungen in der Gesellschaft einer besonderen Begründung bedarf. Das Gesetz gibt dem Aufsichtsrat verschiedene Instrumente zur Überwachung an die Hand, wie z.B. die Sonderberichtspflicht nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG, das Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG oder die Einräumung eines Zustimmungsvorbehalts bzgl. bestimmter Entscheidungen des Vorstands gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG.
aa) § 111 Abs. 1 AktG: Überwachung der Geschäftsführung
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Nach § 111 Abs. 1 AktG ist es oberste Pflicht des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen.
(1) Was wird überwacht?
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Nach § 111 Abs. 1 AktG ist die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung zu überwachen.[68] Innerhalb der Geschäftsführungsmaßnahmen sind insbesondere die Leitungsmaßnahmen der Geschäftsführung zu überwachen.[69] Hat der Aufsichtsrat also den Verdacht, dass der Vorstand im Rahmen der Geschäftsführung gegen Gesetze oder unternehmensinterne Richtlinien verstößt, so hat er hiergegen einzuschreiten. Überwacht wird auch das Risikomanagement des Vorstands nach § 91 Abs. 2 AktG.[70] Da es Teil der Leitungsaufgabe des Vorstands ist, bei Unregelmäßigkeiten Untersuchungen und Nachforschungen einzuleiten, obliegt dem Aufsichtsrat die Überwachung darüber, ob der Vorstand diese Aufgabe erfüllt und seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung nachkommt
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Der Aufsichtsrat hat im Rahmen der Untersuchungen die primäre Verantwortung und den eigenverantwortlichen Ermessensspielraum des Vorstands zu respektieren.[71] Allerdings besteht für ihn eine Überwachungsverantwortung, die abhängig vom Risikopotential begleitender, unterstützender oder gestaltender Natur sein sollte.[72]
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Bei Verdachtsfällen mit geringen Gefahren für die Lage der Gesellschaft reicht es in der Regel zu prüfen, ob Verdachtsfälle ordnungsgemäß ermittelt und aufgeklärt, festgestellte Verstöße angemessen sanktioniert und entdeckte Aufklärungsdefizite beseitigt wurden.[73]
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Besteht bei einem Verdachtsfall eine erhebliche Gefahr für die Lage der Gesellschaft, muss der Aufsichtsrat den Vorstand aktiv unterstützen, indem er alle im Rahmen der Untersuchung getroffenen Führungsentscheidungen einer konkreten Verlaufs- und Ergebniskontrolle unterzieht.[74]
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Im Falle einer schwerwiegenden Gefahr, wie z.B. dem Verdacht systematischer Korruption oder Wettbewerbsverstöße, muss der gesamte Aufsichtsrat gem. § 90 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AktG über den Sachverhalt informiert werden. Im Anschluss daran sollte der Aufsichtsrat gestaltend tätig werden, indem er nicht nur seine Kontroll- sondern darüber hinaus auch eine Beratungsfunktion ausübt.[75]
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Haben nur einzelne Vorstandsmitglieder Verstöße gegen Gesetze oder interne Richtlinien begangen, bzw. wird dies zumindest vermutet, so besteht prinzipiell eine doppelte Zuständigkeit. Zum einen ist der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan des Vorstands zum Einschreiten verpflichtet, zum anderen besteht eine horizontale Pflicht der Vorstandsmitglieder zur gegenseitigen Leistungskontrolle.[76] Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass vermutet wird, dass durch Mitarbeiter gegen Gesetze oder Richtlinien verstoßen wird, der Vorstand hiergegen nicht vorgeht und der Aufsichtsrat sich daher zum Einschreiten berufen fühlt.
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Aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen den beiden genannten Formen der Überwachung können diese nach einer Auffassung in der Literatur parallel nebeneinander bestehen.[77] Nach anderer Auffassung wird hingegen eine vorrangige Aufklärungspflicht der restlichen Vorstandsmitglieder angenommen. Der Aufsichtsrat könne sich auf die Überwachung des Gesamtvorstands beschränken, solange die Aufklärung innerhalb des Vorstands funktioniere.[78] Sofern der Aufsichtsrat dagegen Anlass sehe, das Handeln eines einzelnen Vorstandsmitglieds näherer Prüfung zu unterziehen, so habe er seine Fragen und Beanstandungen primär an den Gesamtvorstand zu adressieren.[79] Erst wenn dieses Vorgehen zu keiner Beseitigung der gerügten Mängel führe, müsse sich der Aufsichtsrat an das einzelne Vorstandsmitglied wenden.[80]
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Die letztgenannte Auffassung erscheint vorzugswürdig. Da die Leitungsverantwortung der Gesellschaft beim Vorstand liegt und sich – wie dargestellt – auf den Gesamtvorstand erstreckt, ist es nur folgerichtig, dem Vorstand eine vorrangige Aufklärungspflicht zuzusprechen. Hat der Aufsichtsrat hingegen Bedenken, dass der Vorstand seiner Aufklärungspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommt, muss er zum Handeln verpflichtet sein. Insbesondere muss der Aufsichtsrat überprüfen, ob die vom Vorstand unternommenen Maßnahmen angemessen und ausreichend sind. Ist dies nicht der Fall, ist der Aufsichtsrat zum Einschreiten verpflichtet.
(2) Anwendbarkeit der Business Judgement Rule, § 116 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG
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Nach § 116 S. 1 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder sinngemäß § 93 AktG, mit Ausnahme des Abs. 2 S. 3. Bei Wahrnehmung seiner Kompetenzen unterliegt der Aufsichtsrat folglich dem gleichen Sorgfaltsmaßstab wie der Vorstand. So wie der Vorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters walten lassen muss, schulden Aufsichtsratsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Beraters bei der Überwachung und Beratung der Geschäftsführung.[81] Auch die Business Judgement Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kann dem Aufsichtsrat nach § 116 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zugutekommen. Dies gilt allerdings auch nur im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung des Aufsichtsrats. Bei der vergangenheitsbezogenen Überwachung wird der unternehmerische Charakter, anders als bei präventiven Maßnahmen des Aufsichtsrats, allerdings grundsätzlich verneint.[82] Für die Einleitung von unternehmensinternen Untersuchungen findet die Business Judgement Rule daher wie beim Vorstand schon aus diesem Grund keine Anwendung. Bei hinreichenden Anhaltspunkten für Pflichtverletzungen des Vorstandes ist der Aufsichtsrat somit zur Aufklärung verpflichtet, ohne dass ihm hinsichtlich des „Ob“ ein Ermessenspielraum zukommt.
bb) Instrumente zur Überwachung des Vorstands
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Dem Aufsichtsrat steht im Hinblick auf die Aufklärung von vermuteten Verstößen kein Initiativ- oder gar Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand zu.[83] Der Aufsichtsrat kann dem Vorstand also nicht explizit vorschreiben, dass er Untersuchungen gegen einzelne Vorstandsmitglieder oder gar Mitarbeiter der AG durchzuführen hat. Das Gesetz gibt dem Aufsichtsrat jedoch eine Reihe von anderen Handlungsinstrumenten an die Hand, um im Falle des Verdachts auf Verstöße einzuschreiten und Informationen hierüber zu sammeln. Namentlich sind dies, die aus den §§ 90 und 111 Abs. 2 AktG resultierenden Berichtsanforderungs-, Einsichts- und Prüfungsrechte. Hierbei handelt es sich um sog. Pflichtrechte. Das bedeutet, dass der Aufsichtsrat von seinen Rechten Gebrauch machen muss, sofern Anhaltspunkte für Gesetzesverstöße durch Vorstandsmitglieder bestehen.[84] Bzgl. der Auswahl der im Einzelfall anzuwendenden Mittel zur Aufklärung von Verstößen (das „Wie“) ist dem Aufsichtsrat ebenso wie dem Vorstand jedoch ein Ermessen zuzubilligen. Hierbei handelt es sich nämlich um ein klassisches Anwendungsgebiet der Business Judgement Rule.
(1) § 90 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 2 AktG: Sonderberichtspflicht des Vorstands
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Eine Überwachung des Vorstands ist nur dann sinnvoll möglich, wenn der Aufsichtsrat Informationen über die Tätigkeit des Vorstands einholen kann. Nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG obliegt dem Vorstand neben den in § 90 Abs. 1 S. 1 AktG aufgezählten Fällen auch „aus sonstigen wichtigen Anlässen“ die Pflicht, dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu berichten. Hierunter fallen z.B. Prozesse, bei denen wichtige Geschäftsinteressen auf dem Spiel stehen, oder ernsthafte Störungen in der Zusammenarbeit des Vorstands.[85] Nach § 90 Abs. 3 S. 2 AktG kann weiterhin jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied den Vorstand um einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft auffordern. Allerdings darf nur ein Bericht vom Vorstand an den Aufsichtsrat im Ganzen verlangt werden. Das Berichtsanforderungsrecht ist häufig jedoch nicht ausreichend, um den Aufsichtsrat mit den benötigten Informationen über eventuelle Verstöße des Vorstands zu versorgen. Insbesondere kann es problematisch sein, dass der Vorstand im Einzelfall Informationsschuldner bzgl. seiner eigenen Verstöße ist und daher häufig keine vollumfängliche Auskunft von ihm zu erwarten ist. Daher handelt es sich bei § 90 Abs. 1 S. 3 AktG um ein recht schwaches Recht, das durch die Einsicht- und Prüfungsrechte nach § 111 Abs. 2 AktG unterstützt wird.
(2) § 111 Abs. 2 AktG: Einsichts- und Prüfungsrechte
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Ein wichtiges Recht des Aufsichtsrats ist das Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG.[86] Es baut auf der Berichtspflicht des Vorstands aus § 90 AktG auf und soll dem Aufsichtsrat eine umfassende Informationsgrundlage verschaffen. Hiernach ist der Aufsichtsrat berechtigt, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie deren Vermögensgegenstände – aus konkretem Anlass[87] – einzusehen und zu prüfen. So kann sich der Aufsichtsrat auf eigene Initiative Informationen über den Vorstand und die Ordnungsgemäßheit der Vorstandstätigkeit beschaffen.[88]
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Der Begriff „Bücher und Schriften“ ist beispielhaft zu verstehen.[89] Es sind insbesondere auch die Einsicht in elektronische Informationssysteme sowie die Besichtigung von Geschäftsräumen und Betrieben erfasst.[90] Das Einsichts- und Prüfungsrecht gibt dem Aufsichtsrat auch das Recht, den Vorstand zu dem Gegenstand laufender Untersuchungen zu befragen bzw. um Stellungnahme zu bitten.[91] Allerdings bezieht sich das Einsichtsrecht nur auf die Bücher, Schriften und Vermögenswerte der Gesellschaft und nicht allgemein auf Vorgänge in der Gesellschaft.[92] Diesbezüglich ist der Vorstand allerdings verpflichtet, Fragen, die im Zusammenhang mit dem Thema der Einsicht und Prüfung stehen, entweder selbst zu beantworten oder durch sachkundige Angestellte beantworten zu lassen.[93] Der Aufsichtsrat ist auch befugt, Mitarbeiter im Zusammenhang mit den eingesehenen Dokumenten bzw. besichtigten Produktionsstätten zu befragen, aber nur, sofern ein enger Zusammenhang zur Besichtigung besteht.[94]
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Wie der Aufsichtsrat konkret sein Prüfungsrecht ausübt, liegt in dessen Ermessen, § 116 S. 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. [95] Der Aufsichtsrat kann also – im Rahmen einer Abwägung – entscheiden, welche Unterlagen er anfordert, welche Räumlichkeiten er besichtigt und wen er zu dem Gegenstand der Prüfung befragt.
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Das Einsichts- und Prüfungsrecht ist Organrecht des Aufsichtsrats und setzt daher einen Beschluss des Gesamtorgans voraus.[96] Auch eine Beauftragung einzelner Aufsichtsratsmitglieder durch Beschluss nach § 108 Abs. 1 AktG ist möglich, § 111 Abs. 2 S. 2 Fall 1 AktG. Statt einzelne Mitglieder zu beauftragen, kann der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss einsetzen,[97] allerdings ist diese Übertragung auf bestimmte Überprüfungsaspekte beschränkt. Der Prüfungsauftrag muss inhaltlich genau umrissen sein.[98] Bei Beauftragung einzelner Aufsichtsratsmitglieder wird das Prüfungs- und Einsichtsrecht im konkreten Fall vollumfänglich auf die betreffenden Personen übertragen.[99] Dem Aufsichtsrat als Ganzem steht dieses Recht dann nicht mehr zu. Hat der Aufsichtsrat einen ständigen Prüfungsausschuss eingerichtet, so ist auch dieser dazu berechtigt, im Einzelfall die Befugnisse aus § 111 Abs. 2 S. 2 AktG an einzelne Aufsichtsratsmitglieder zu übertragen.[100] Der Aufsichtsrat kann zudem externe Sachverständige, wie Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater oder Rechtsanwälte, mit der Ausführung „bestimmter Aufgaben“ beauftragen, § 111 Abs. 2 S. 2 Fall 2 AktG. Diese Auswahl erfolgt durch den Prüfungsausschuss, wenn dieser vom Aufsichtsrat hierzu per Beschluss ermächtigt wurde, nicht jedoch durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder.[101] Jedoch wird nicht das Einsichts- und Prüfungsrecht selbst übertragen, dieses bleibt beim Aufsichtsrat, sodass die Sachverständigen über keine originären Rechte verfügen.[102] Die Sachverständigen verfügen nur über die abgeleiteten Rechte, die sich aus dem konkret erteilten Auftrag ergeben, also vom Aufsichtsrat ausdrücklich eingeräumt wurden.[103] Die Reichweite des Auftrags muss daher eindeutig erkennbar und klar festgelegt sein.[104]
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Zu beachten ist, dass sich der Informationsanspruch des Aufsichtsrats jedoch in erster Linie an den Vorstand richtet. Dieser bleibt Informationsschuldner. Der Aufsichtsrat darf also nicht versuchen, sich im Alleingang die benötigten Informationen zu beschaffen, sondern muss den Vorstand um die Beschaffung und Überlassung der gewünschten Informationen bitten.[105] Hierin kann zwar die Gefahr gesehen werden, dass der Vorstand die zu übermittelnden Informationen verfälscht oder unliebsame Informationen filtert.[106] Dies ist aber praktisch unvermeidbar und hinzunehmen. Der Vorstand muss aus den vorhandenen Dokumenten und Informationen, die für den Aufsichtsrat relevanten und angeforderten Unterlagen heraussuchen. Der Aufsichtsrat wäre hierzu regelmäßig wohl gar nicht oder nur mit erheblich höherem Aufwand in der Lage.[107]
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Vom Einsichts- und Prüfungsrecht sind auch Unterlagen und Vermögensgegenstände der Gesellschaft erfasst, die sich auf verbundene Unternehmen beziehen, hingegen nicht, die bei verbundenen Unternehmen befindlichen Unterlagen und Vermögensgegenstände.[108] [109]
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die dem Aufsichtsrat zustehenden Aufsichts-, Einsichts- und Prüfungsrechte dem Aufsichtsrat die Möglichkeit geben, den Vorstand bei der Leitung der AG zu kontrollieren. Allerdings geben sie dem Aufsichtsrat keine Befugnisse, unternehmensinterne Untersuchungen selbst durchzuführen oder anzuordnen. Aufgrund der fehlenden direkten Einfluss- und Zugriffsmöglichkeit des Aufsichtsrats auf die Vorgänge in der Gesellschaft ist eine eigene, unternehmensinterne Untersuchung durch den Aufsichtsrat in der Praxis kaum realisierbar. Eine Abstimmung mit dem Vorstand im Einzelfall ist daher unumgänglich.
cc) Untersuchungen am Vorstand vorbei
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Grds. ist es Aufgabe des Vorstands, Ermittlungen in der Gesellschaft durchzuführen. Wie dargestellt, obliegt dem Aufsichtsrat nur die Überwachung des Vorstands. Es sind jedoch zumindest zwei Konstellationen vorstellbar, in denen der Aufsichtsrat ein Interesse daran haben kann, am Vorstand vorbei Untersuchungen durchzuführen und Unternehmensangehörige zu befragen. Dies kann zum einen Ermittlungen gegen den Vorstand selbst betreffen, wenn dieser schwere Verstöße begangen hat und Unternehmensangehörige unterer Ebenen hierzu relevante Informationen preisgeben könnten.[110] Zweitens ist denkbar, dass Ermittlungen gegen Unternehmensangehörige durchgeführt und diese befragt werden sollen, da der Vorstand solche Ermittlungen trotz ausreichender Anhaltspunkte unterlässt.
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Die Kontrollintensität durch den Aufsichtsrat hängt auch von der Risikolage des Unternehmens ab. Geht der Vorstand erhebliche Risiken ein, so muss der Aufsichtsrat selbstständig Informationen einholen und sie einer eigenständigen Bewertung unterziehen.[111] Allerdings kann sich auch eine in besonderem Maße gesteigerte Kontrollintensität in keinem Fall zu einer eigenständigen Führungsverantwortung des Aufsichtsrats verdichten.[112]
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Nach herrschender Ansicht liegt das Informationsmonopol in der AG beim Vorstand.[113] Der Aufsichtsrat muss daher eigentlich jegliche Informationen über den Vorstand beziehen. Dies soll verhindern, dass der Aufsichtsrat unmittelbar in die Geschäftsführung des Vorstands eingreift.[114] Dieser Grundsatz ist ebenso in den Prüfungs- und Berichtsanforderungsrechten des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 2 S. 1 AktG und § 90 Abs. 3 S. 1 AktG manifestiert, die sich grds. nur gegen den Vorstand richten. Ein direktes Zugriffsrecht des Aufsichtsrats auf benötigte Informationen ist nicht vorgesehen.[115] Eine Berechtigung des Aufsichtsrats, Angestellte unmittelbar zur Berichterstattung heranzuziehen würde dem ebenfalls widersprechen. Allerdings versucht ein Teil der Literatur, dies zu umgehen, indem es dem Aufsichtsrat das Recht zuspricht, Angestellte als Sachverständige nach § 111 Abs. 2 S. 1 AktG heranziehen zu können.[116] Lehnt man die Heranziehung über § 111 Abs. 2 S. 1 AktG insbesondere mit dem Argument ab, dass ihnen die für einen Sachverständigen erforderliche Neutralität und Objektivität fehlt,[117] bleibt nur der Rückgriff auf § 109 Abs. 1 S. 2 AktG als Rechtsgrundlage.[118] Hiernach können auch Auskunftspersonen bei der Beratung über einzelne Gegenstände in Aufsichtsratssitzungen zugezogen werden. Auskunftspersonen können dann auch Mitarbeiter der Gesellschaft sein.[119]
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Im Vordringen ist allerdings die Ansicht, ein Recht des Aufsichtsrats zu bejahen, sich direkt bei den Mitarbeitern nach § 90 AktG zu informieren, wenn der Vorstand seine Pflichten schwerwiegend verletzt hat[120] und über den restlichen Vorstand keine Abhilfe zu erlangen ist.[121] Bzgl. des Fehlverhaltens des Vorstands muss bereits ein „dringender“ oder „begründeter“ Verdacht dahingehend bestehen, dass dieser seiner Berichtspflicht nicht vollständig nachgekommen ist.[122] Eine reine Vermutung oder ein bloßer Anfangsverdacht kann nicht genügen, um ein Recht zur Befragung der bzw. Berichterstattung durch die Angestellten zu begründen.[123]
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Ein Direktzugriff auf Informationen am Vorstand vorbei kann auch dann nicht mehr verwehrt werden, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand schon erheblich gestört ist oder der Vorstand sich weigert, gewünschte Informationen zu beschaffen. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn im Raum steht, dass der Vorstand selbst an aufzudeckenden Unregelmäßigkeiten beteiligt ist oder war.[124] Die Befragung der Mitarbeiter dient dann nicht dazu, Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands kompetenzwidrig vorzunehmen, sondern dazu, die Überwachungsaufgabe gegenüber dem Vorstand wahrzunehmen.[125]
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Bei dem Verdacht einer Pflichtverletzung durch den Vorstand selbst, muss der Aufsichtsrat zur Erfüllung seiner Vertretungspflicht gem. § 112 AktG den gegen den Vorstand bestehenden Vorwurf dann auch soweit untersuchen, bis er das Verhalten des Vorstands eigenverantwortlich prüfen kann.[126] Um die Objektivität der Untersuchung und den Ruf des Unternehmens nicht zu gefährden, sollte ein unter schwerwiegendem Verdacht stehendes Vorstandsmitglied bis zum Abschluss der Prüfung von seinen Tätigkeiten entbunden werden.[127]
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Die Anforderungen an die Zulässigkeit der direkten Befragung der Mitarbeiter durch den Aufsichtsrat sind sogar noch strenger zu beurteilen als bei der eigenmächtigen Informationsbeschaffung.[128] Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter besteht die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie Vorstand und Mitarbeitern erheblich beeinträchtigt wird.[129] Denn durch die Einbeziehung der Mitarbeiter wird publik, dass zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kein Vertrauen mehr besteht, da sich der Aufsichtsrat sonst direkt an den Vorstand wenden würde. Dies kann dazu führen, dass auch die Unternehmensangehörigen an der Integrität des Vorstands zu zweifeln beginnen. Ein Recht zur direkten Befragung der Mitarbeiter der Gesellschaft kann nur für den Fall bestehen, dass der Aufsichtsrat gegen den Vorstand ermittelt. Die Befragung ist dann von der primären Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gedeckt.
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Gegen die Mitarbeiter selbst darf der Aufsichtsrat hingegen in keinem Fall ermitteln. Dies ist in jedem Fall Teil der aus §§ 76, 93 AktG resultierenden Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands[130], in die der Aufsichtsrat nicht eingreifen darf.
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Vom direkten Zugriff auf die Mitarbeiter durch den Aufsichtsrat ist der Zugriff auf die Interne Revision zu unterscheiden. Der durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 2009 neu eingefügte § 107 Abs. 3 S. 2 AktG regelt, dass die Überwachung der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems zu den grundlegenden Aufgaben des Aufsichtsrats gehört.[131] Vor der Einführung des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG ging man grundsätzlich von dem Informationsmonopol des Vorstands aus und billigte dem Aufsichtsrat nur in außergewöhnlichen Einzelfällen ein Direktzugriffsrecht auf die Interne Revision zu. Ein Direktzugriff sollte insbesondere dann möglich sein, wenn Zweifel an der Aufrichtigkeit des Vorstandshandelns[132] oder schwerwiegende Verdachtsmomente gegen den Vorstand bestanden und eine anderweitige Aufklärung nicht möglich erschien.[133] Lag ein solcher außergewöhnlicher Ausnahmefall nicht vor, musste der Vorstand den Leiter der Internen Revision zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat ermächtigen oder der Aufsichtsrat von seinen oben genannten Einsichts- und Prüfungsrechten Gebrauch machen, die auch das Anfordern der Unterlagen der Internen Revision über den Vorstand umfassen konnten. Da seit 2009 die Überwachung der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems zu den Kernaufgaben des Aufsichtsrats gehört, wird von vielen Seiten diese Beschränkung in Frage gestellt und teilweise für einen Direktzugriff auf die Informationen der Internen Revision als Regelfall plädiert.[134] Unter Berufung auf den neuen Wortlaut des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG und der daraus resultierenden Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats wird insbesondere vorgebracht, dass ohne einen Direktzugriff die Gefahr besteht, dass der Vorstand die durch die Interne Revision erlangten Informationen filtert.[135] Es bestehe auch eine prinzipielle Gefahr für die Effektivität der Überwachung, wenn der Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Interner Revision eingeengt wird.[136] Außerdem bleibe die Interne Revision auch nur eine Informationsquelle und werde nicht Gegenstand der Untersuchungen, so dass nicht direkt in die Geschäftsleitung des Vorstands eingegriffen würde.[137] Dagegen spricht allerdings, dass bei einem Direktzugriff auf die Mitarbeiter der Internen Revision die Gefahr besteht, dass das Vertrauensverhältnis innerhalb der Gesellschaftsorgane beeinträchtigt wird. Als gewichtiges, wenn auch dogmatisches Argument gegen einen Direktzugriff ist weiterhin vorzubringen, dass das dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegende Dualsystem hierdurch „verwässert“ wird.[138] Anders als im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht besteht für die deutschen Aktiengesellschaften das Prinzip der Funktionstrennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand[139] sowie eine Leitungsautonomie des Vorstands,[140] welche auch die Einrichtung der Internen Revision umfasst.[141] Weiterhin ändert die Übertragung der Überwachung der Internen Revision an den Aufsichtsrat grundsätzlich nichts daran, dass der Vorstand primärer Ansprechpartner für den Aufsichtsrat bleibt (s.o.).[142] Doch selbst wenn man dem Aufsichtsrat einen Direktzugriff auf die Interne Revision zubilligt, ändert dies nichts daran, dass dem Aufsichtsrat dennoch kein Recht zur originären Einleitung von internen Untersuchungen und der eigenständigen Aufklärung von Verstößen zukommt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die durch die Interne Revision beschaffbaren Informationen zu einer umfassenden Aufklärung von Verstößen regelmäßig nicht ausreichen werden. Diese Informationen können lediglich als Anhaltspunkt für das Vorliegen von Verstößen genutzt werden, bieten jedoch keinen Ersatz für die Befragung von Mitarbeitern.