- -
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173
Die Untersuchungen von Seiten einer Behörde entbinden die Gesellschaftsorgane keineswegs von ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft, Untersuchungen durchzuführen,[31] um den Schaden möglichst gering zu halten. Ein völliges Absehen von der Durchführung eigener Untersuchungen kann dazu führen, dass keine ausreichende Informationsgrundlage zur Beurteilung besteht, um festzulegen, ob und in welchen Maß mit den Behörden kooperiert werden könnte und sollte.[32] Führt eine Behörde schon eigene Ermittlungen gegen das Unternehmen, bzw. dort beschäftigte Personen durch, so empfiehlt es sich regelmäßig, mit dieser eng zusammen zu arbeiten. Andererseits muss bei einer parallelen Durchführung von unternehmensinternen und behördlichen Untersuchungen die Gefahr einer Strafvereitelung gem. § 258 StGB durch die Unterdrückung von Beweisen beachtet werden. Dieser Vorwurf kann insbesondere dann entstehen, wenn durch die unternehmensinternen Ermittlungen Mitarbeiter vorgewarnt oder etwaige Beweismittel vernichtet werden. [33] Hier ist daher eine enge Abstimmung mit den Behörden dringend zu empfehlen.
7. Besonderheiten für börsennotierte Unternehmen
174
In § 15 WpHG (ab dem 3.7.2016: Art. 17 VO EU Nr. 596/2014 – Marktmissbrauchsverordnung – MMVO) ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht für börsennotierte Unternehmen vorgesehen. Danach hat eine börsennotierte AG Insiderinformationen, die sie selbst betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen (§ 15 Abs. 1 S. 1. WpHG; Art. 17 Abs. 1 MMVO). Dadurch soll erreicht werden, dass allen Marktteilnehmern relevante Tatsachen zur gleichen Zeit und möglichst frühzeitig bekannt gegeben werden und alle für eine Investitionsentscheidung relevanten Informationen zeitnah in die Kursbildung einfließen können.[34] Eine solche Ad-hoc-Publizitätspflicht wird auch angenommen, wenn das Unternehmen mit einem erheblichen außerordentlichen Aufwand rechnen muss, wie etwa nach der Aufdeckung krimineller Machenschaften.[35] Erhärtet sich der Verdacht krimineller Machenschaften, so kann daher noch während der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung eine Ad-hoc-Publizitätspflicht für den Vorstand entstehen. Dies ist daher im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen stets gesondert zu prüfen.
Anmerkungen
[1]
Siehe auch Inderst/Bannenberg/Poppe/Poppe 7. Kap. Rn. 6.
[2]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913; Arnold ZGR 2014, 76, 95.
[3]
PwC Studie „Wirtschaftskriminalität“ 2007, S. 50.
[4]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
[5]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
[6]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[7]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[8]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[9]
Schürrle/Olbers CCZ 2010, 102, 105.
[10]
Studie „CMS Compliance Barometer 2015“, S. 11.
[11]
Kustor S. 35.
[12]
Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2174 (allgemein zur Einrichtung von Compliance-Organisationen).
[13]
Moosmayer/Hartwig/Bührer S. 102.
[14]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 26.
[15]
LG Hamburg NJW 2011, 942 – HSH Nordbank = ZIP 2011, 1025.
[16]
LG Hamburg NJW 2011, 942 ff.
[17]
LG Hamburg NJW 2011, 942 ff.
[18]
Anmerkungen von Galen NJW 2011, 945; Anmerkungen Fritz CCZ 2011, 156 ff.; Momsen/Grützner DB 2011 1792, 1796 f.
[19]
LG Braunschweig BB 2015, 2771.
[20]
LG Braunschweig BB 2015, 2771.
[21]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 42.
[22]
Inderst/Bannenberg/Poppe/Weiss 6. Kap. Rn. 30 ff.
[23]
Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2176; MK-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 149.
[24]
BGHZ 135, 244 – ARAG/Garmenbeck.
[25]
Wagner CCZ 2009, 8, 16; Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2176.
[26]
Wagner CCZ 2009, 2, 16.
[27]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[28]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[29]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[30]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[31]
MK-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 150.
[32]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[33]
Moosmayer/Hartwig/Gropp-Stadler/Wolfgramm S. 34.
[34]
Vgl. Müller/Rödder/Göckeler § 26 Rn. 230.
[35]
Vgl. Ausführungen des Emittentenleitfaden der BaFin IV.2.2.4.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen und Beratung der Unternehmensführung › IV. Amnestieprogramme und unternehmensinterne Untersuchungen
IV. Amnestieprogramme und unternehmensinterne Untersuchungen
175
Unternehmen setzen im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen verstärkt auf sog. Amnestieprogramme. Bei Amnestieprogrammen werden den Mitarbeitern eines Unternehmens im Gegenzug für ihre Mithilfe bei der Aufklärung von internen Sachverhalten Zusagen gemacht.[1] Inhalt und Adressatenkreis einer Amnestieregelung können jeweils individuell festgelegt werden, wobei der Schwerpunkt einer unternehmensinternen Amnestiereglung meist auf den zivilrechtlichen Folgen liegt.
1. Grund für die Einführung von Amnestieprogrammen
176
Da die meisten Rechtsverstöße nicht schriftlich in Akten vermerkt werden, ist das Unternehmen zur Sachverhaltsaufklärung auf die Aussagen seiner Mitarbeiter angewiesen. Für die Mitarbeiter besteht zwar die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Aussage, allerdings können die Mitarbeiter sich durch selbstbelastende Aussagen in die Gefahr von arbeitsrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen bringen. Daher wird ihre Motivation zur Aussage häufig nicht besonders hoch sein. Bemerkt die Unternehmensleitung ein solches Verhalten bei ihren Arbeitnehmern, bietet sich häufig die Einführung eines Amnestieprogrammes an, um die Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme an der Sachverhaltsaufklärung zu motivieren. Amnestieregelungen haben sich hierbei als ein adäquates Mittel bewiesen, um die „Mauer des Schweigens“[2] zu durchbrechen. Von den Mitarbeitern wird dann im Gegenzug erwartet, dass sie freiwillig und ungefragt alle relevanten Kenntnisse preisgeben und aktiv an der Aufklärung mitwirken.[3]
177
Insbesondere in Kartellverfahren kann die frühe Kenntnis von Rechtsverstößen innerhalb des eigenen Unternehmens von immenser Bedeutung zu sein, um in den Genuss von Kronzeugen- oder Bonusregelungen zu kommen und eventuell sogar als Unternehmen insgesamt Amnestie zu erlangen.[4] Ähnlich verhält es sich im Vergaberecht, bei welchem Amnestieprogramme einen gewichtigen Beitrag zur Wiederherstellung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit des Unternehmens mittels „Selbstreinigung“ darstellen können.[5]
2. Umfang und Inhalt der Amnestieregelungen
178
Amnestieprogramme können als einseitige Gesamtzusage oder als Betriebsvereinbarung abgefasst werden.[6] Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung kann grundsätzlich in Form der Spezial- oder Generalamnestie geschehen. Bei einer Generalamnestie werden allen Mitarbeitern Zusagen gemacht und vergangenes Verhalten unabhängig vom Eintreten weiterer Voraussetzungen pauschal gebilligt. Hingegen knüpft eine Spezialamnestie den Eintritt der Zusagen an weitere Faktoren, wie z.B. die umfassende Kooperation. Generalamnestieprogramme sind selten sinnvoll und unter Beachtung des Handelns zum Wohle der Gesellschaft (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG) als kritisch zu bewerten, da das Unternehmen hierdurch ohne Gegenleistung vollständig auf etwaige Regressansprüche und Sanktionen verzichtet.[7] Besser wird es meist sein, individuelle Regelungen in Bezug auf inhaltlichen, personellen und zeitlichen Umfang aufzustellen. So sollte in einem individuellen Vertrag mit jedem Mitarbeiter vereinbart werden, auf welche Ansprüche verzichtet wird, welche Kosten unter welchen Umständen übernommen werden und für welchen Zeitraum die Vereinbarung gilt. Nur so wird das Verhältnis von Sachverhaltsaufklärung und Verzicht auf Sanktionierung gegenüber Arbeitnehmern, die sich falsch verhalten haben, gewahrt.
179
Eine von einem Unternehmen gewährte Amnestie gegenüber einem oder mehreren seiner Mitarbeiter beinhaltet regelmäßig die Zusage, auf arbeitsrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen zu verzichten. Häufig werden auch Verpflichtungen zur Übernahme von Verteidigerkosten, der vertraulichen Behandlung der gemachten Aussagen sowie dem Absehen von Strafanzeigen eingegangen. Mit seinen Aussagen zu eigenem Fehlverhalten wird sich der Arbeitnehmer häufig in die Gefahr arbeitsrechtlicher Sanktionen begeben. Die Bereitschaft zu einer wahrheitsgemäßen Aussage steigt deshalb, wenn ihm die Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen[8] und Schadensersatzansprüchen[9] genommen wird. Aus diesem Grund ist der Verzicht auf arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie Abmahnung und Kündigung regelmäßiger Bestandteil von Amnestieregelungen.
180
Vor strafrechtlichen Konsequenzen können die Arbeitnehmer im Rahmen eines Amnestieprogrammes grundsätzlich nicht bewahrt werden, da die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen (§§ 152 Abs. 2, 160 StPO) grds. nicht zur Disposition des Unternehmens steht und damit nur bedingt Gegenstand einer Amnestieerklärung sein kann. Immer wieder verpflichten sich Arbeitgeber jedoch, keine Strafanzeige oder Strafantrag gem. § 158 StPO zu stellen.[10] Die Übernahme von Rechtsanwaltskosten ist eine denkbare, zulässige und übliche Regelung von Amnestieprogrammen, sollte aber auf die zur Rechtsverteidigung notwendigen Kosten begrenzt werden.[11] Auch ist die Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen und Geldauflagen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, solange sie dem Ziel der unternehmensinternen Aufklärung bereits begangener Compliance-Verstöße dient.[12] Anders verhält es sich bei der im Vorfeld einer Tat zugesicherten Übernahme etwaiger Sanktionen, dies verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB und ist daher nichtig.
3. Gesellschaftsrechtliche Grenzen von Amnestieprogrammen
181
Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche sowie die Übernahme von Rechtsanwaltskosten der Mitarbeiter stellt grundsätzlich einen Schaden für die Gesellschaft dar, den die Unternehmensleitung durch die Gewährung der Amnestie zu verantworten hat.[13] Daher muss die Unternehmensleitung stets gründlich prüfen und abwägen, ob und in welcher Weise ein Amnestieprogramm eingeführt werden soll, damit eine solche Amnestie nicht als Pflichtverletzung i.S.d. § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG und als Untreue nach § 266 StGB zu werten ist.
182
Wie dargestellt, ist hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung von Untersuchungen (das „Wie“) die Business Judgement Rule gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG anwendbar. Da die Einführung von Amnestieprogrammen zur Durchführung der Untersuchung zählt, begeht die Unternehmensleitung keine Pflichtverletzung, wenn sie bei der Vornahme ihrer unternehmerischen Entscheidung für ein Amnestieprogramm vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.[14]
183
Die Unternehmensleitung muss daher abwägen, ob das Aufklärungsinteresse einer unternehmensinternen Untersuchung gegenüber dem Gesellschaftsinteresse der Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche, sowie Aufwendung der Rechtsanwaltskosten überwiegt. Hierbei muss jeweils der konkrete Einzelfall betrachtet werden und durch die Amnestie eine höhere Aufklärung als ohne eine Amnestie zu erwarten sein. Gerade bei der Entscheidung über die Anwendung von Amnestieprogrammen ist dabei eine ex ante Betrachtung mit geringer Sachverhaltskenntnis ausreichend, da das Amnestieprogramm die Kenntnis des Sachverhalts ermöglichen soll. Insbesondere kann Zeitdruck ein wichtiger Aspekt für die Entscheidung zugunsten einer Amnestie sein. Die bereits vorhandenen Kenntnisse und Aussagen müssen aber dahingehend ausgewertet werden, ob die Durchführung eines Amnestieprogrammes überhaupt notwendig ist. Nicht erforderlich ist es aber, zunächst eine (erfolglose) Mitarbeiterbefragung ohne Amnestieregelung durchzuführen, da eine schnelle Aufklärung stets im Interesse des Unternehmens ist.[15]
184
Sollen auch Mitgliedern der Unternehmensleitung, die Compliance-Verstöße begangen haben, Amnestie gewährt werden, sind gesellschaftsrechtliche Besonderheiten zu beachten. Da die Unternehmensleitung letztlich die Verantwortung für Compliance-Verstöße innerhalb des Unternehmens trägt, bedürfen Amnestien für die Mitglieder der Geschäftsleitung grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung.[16] Zudem muss beachtet werden, dass ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegenüber der Unternehmensleitung nicht ohne weiteres möglich ist.
185
In der GmbH ist der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegenüber der Unternehmensleitung grds. möglich. Dieser obliegt allerdings der Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 8 GmbHG, sofern nicht die Satzung etwas anderes regelt.[17] In der AG hingegen können die Organe nicht ohne weiteres auf Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vorstand verzichten. Gem. § 93 Abs. 4 AktG kann die Hauptversammlung zwar auch nachträglich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand verzichten, allerdings erst nach Ablauf von drei Jahren, sofern nicht eine Minderheit von Aktionären, deren Anteil zusammen 10 % des Grundkapitals ergeben, dagegen stimmt (§ 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG). Zu beachten ist auch, dass der Vorstand die Gesellschaft gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern beim Abschluss von Amnestieregelungen nicht vertreten darf, da gem. § 112 AktG allein der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand vertritt.
186
Einer gesonderten Überprüfung bedarf auch der Verzicht der Gesellschaft auf Schadensersatzansprüche gegenüber den Vorstandsmitgliedern im Rahmen von Amnestieprogrammen. Auch wenn größere Schäden in der Praxis wohl nur selten vollständig durch Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder abgedeckt werden, wird in der Praxis zunehmend häufiger gegen ehemalige Vorstände vorgegangen. Prominente Beispiele hierfür sind Schadensersatzklagen des Solarherstellers Conergy gegen vier ehemalige Vorstände in Höhe von 280 Mio. EUR. MAN hat von seinen ehemaligen Vorständen 237 Mio. EUR gefordert, die Bayern LB 200 Mio und der Insolvenzverwalter von Arcandor 175 Mio. EUR.[18] Auch Siemens hat bereits eine Reihe von ehemaligen Vorständen auf Schadensersatz verklagt. Auslöser dieser Entwicklung ist die ARAG-Garmenbeck-Entscheidung des BGH, in welcher der BGH klarstellte, dass der Aufsichtsrat einer AG grundsätzlich durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand der AG geltend zu machen hat.[19] Obwohl die Werthaltigkeit der Ansprüche oftmals fraglich sein wird, darf der Aufsichtsrat von der Geltendmachung nur ausnahmsweise absehen, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls für eine Amnestie sprechen und die Pflicht zur Rechtsverfolgung überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind.[20] Gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls können möglicherweise dann angenommen werden, wenn die Unternehmensleitung zur internen Aufklärung oder wegen besonderer Expertise zur Fortführung des Geschäftsbetriebes zwingend benötigt wird. Eine Einzelfallabwägung ist hier aber in jedem Fall notwendig.
187
Bei der AG ist zudem die Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen oder Geldauflagen, die einem Vorstandsmitglied im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens auferlegt wurden, nur mit Einschränkungen möglich. Nach aktueller Rechtsprechung des BGH bedarf die Übernahme einer Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage gegen den Vorstand durch die AG der Zustimmung der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG immer dann, wenn die Handlung, die Gegenstand des Ermittlungs- oder Strafverfahrens war, gleichzeitig eine Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft darstellt.[21]
Anmerkungen
[1]
Vgl. Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14.
[2]
Göpfert/Merten/Siegrist NJW 2008, 1703, 1704.
[3]
Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14, 15.
[4]
Vgl. Lutz BB 200, 677, 682; Göpfert/Merten/Siegrist NJW 2008, 1703, 1704; Reichert/Ott NZG 2014, 241, 247.
[5]
Vgl. hierzu Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14, 18; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 723.
[6]
Zur arbeitsrechtlichen Problematik bei Amnestieprogrammen vgl. Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14, 20; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 724 f.; Göpfert/Merten/Sigrist NJW 2008, 1703 ff.; Lützeler/Müller-Sartori CCZ 2011, 19 ff.; Wastl/Pusch RdA 2009, 376 ff.
[7]
So auch Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14; Göpfert/Merten/Siegrist NJW 2008, 1703, 1704.
[8]
Siehe auch Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14 f.; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 722; siehe auch Annuß S. 170 ff.
[9]
Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 722; Wastl/Putsch RdA 376, 377 ff.; rechtlich lässt sich dies in Form einer dauerhaften Stillhaltevereinbarung oder einem Verzicht auf Schadensersatzforderungen gestalten, siehe zur Abgrenzung der beiden Rechtsgebilde Staudinger/Rieble BGB, 13./14. Bearbeitung 1990 ff., § 397 Rn. 26, 31.
[10]
KK-StPO/Griesbaum § 158 Rn. 25; vgl. auch Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 727; RGSt 77, 157, 159; LG Kiel NJW 1964, 263; BGH NJW 1991, 1046; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben § 77 Rn. 31; MK-StGB/Mitsch § 77d Rn. 7.
[11]
Vgl. hierzu BGH NJW 1991, 990; Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14, 16; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 722 f.; Göpfert/Merten/Sigrist NJW 2008, 1703, 1704; Kapp NJW 1992, 2796 ff.; Scholl NStZ 1999, 599 ff.
[12]
Vgl. hierzu BAG NJW 2001, 1962, 1963.
[13]
Siehe hierzu Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 723.
[14]
Vgl. Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 724.
[15]
Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 724.
[16]
Vgl. auch Moosmayer S. 101.
[17]
Siehe dazu auch MK-GmbHG/Liebscher § 48 Rn. 1.
[18]
Vgl. hierzu www.handelsblatt.com/unternehmen/management/strategie/fehlentscheidungen-manager-fuerchten-klagen-wegen-missmanagement/4674900.html, zuletzt besucht am 10.5.2012.
[19]
BGH NJW 1997, 1926.
[20]
BGH NJW 1997, 1926, 1927.; siehe auch KöKo–AktG/Mertens § 111 Rn. 37; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff § 112 Rn. 12; Münch. Hdb. AG/Wiesner § 26 Rn. 24.
[21]
BGH NZG 2014, 1058.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen und Beratung der Unternehmensführung › V. Verwendung der gewonnenen Ergebnisse
V. Verwendung der gewonnenen Ergebnisse
188
Nach Abschluss der unternehmensinternen Untersuchungen stellt sich regelmäßig die Frage, wie die gewonnenen Ergebnisse durch das Unternehmen verwendet werden können und dürfen. Die Frage nach der zulässigen Verwendung stellt sich zum einen unternehmensintern, zum anderen gegenüber den staatlichen Behörden sowie gegenüber den Geschäftspartnern des Unternehmens.
1. Unternehmensinterne Verwendung
189
Zunächst muss im Nachgang einer unternehmensinternen Untersuchung sichergestellt werden, dass das Unternehmen aufgrund der erlangten Erkenntnisse intern die angemessenen Konsequenzen zieht. Hat ein Unternehmen durch eine unternehmensinterne Untersuchung zuverlässige Informationen über das Vorliegen von Gesetzes- und/oder Richtlinienverstößen durch Unternehmensangehörige erhalten, so sollten hieraus drei Konsequenzen gezogen werden: Zum einen sollte das Unternehmen die bekannt gewordenen Verstöße – sofern sie nicht in der Vergangenheit liegen und keinerlei Auswirkungen mehr haben – abstellen. Das Unternehmen sollte zudem die notwendigen Konsequenzen gegenüber den betroffenen Mitarbeitern ziehen. Konsequenz des Fehlverhaltens kann eine Abmahnung oder sogar Entlassung, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder eine andere Maßnahme (wie z.B. Versetzung) sein. Lassen die aufgedeckten Verstöße auf einen Fehler in der Unternehmensorganisation oder im bestehenden Compliance-System schließen, so sollte die Unternehmensorganisation überarbeitet und das Compliance-System angepasst werden, damit zukünftige Verstöße vermieden werden.
190
Diese drei Maßnahmen sind Teil der allgemeinen Compliance-Verpflichtung. Geht man nicht von einer rein präventiven Funktion der Compliance aus, sondern definiert Compliance weiter auch als Sicherstellung des gesetzestreuen Verhaltens eines Unternehmens,[1] so gehört auch die Reaktion auf Verstöße und die Anpassung des aktuellen Systems zur Compliance, wie auch das Siemens/Neubürger-Urteil zeigt.[2]
2. Einschaltung staatlicher Behörden
191
Bei der Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Es ist von großer Bedeutung für die Handhabung der Informationsweitergabe durch das Unternehmen, ob staatliche Behörden, seien es die Kartellbehörden oder die Staatsanwaltschaft, bereits Kenntnis von Verstößen erlangt und daraufhin Ermittlungen gegen das Unternehmen bzw. dessen Angehörige eingeleitet haben oder ob das Unternehmen proaktiv die Behörden erst über festgestellte Verstöße in Kenntnis setzt.
a) Keine Verpflichtung zur Meldung
192
Zu den in Betracht kommenden Aufklärungsmaßnahmen zählt auch die Option, den Verdachtsfall gegenüber den staatlichen Ermittlungsbehörden anzuzeigen. Seiner Aufklärungspflicht kann sich der Vorstand auf diesem Wege allerdings nicht entledigen, da staatliche Behörden nicht im Auftrag des Unternehmens tätig werden. Vielmehr bedarf es in aller Regel auch weiterhin einer eigenen internen Untersuchung, um ein angemessenes Informationsniveau zu schaffen und risikoadäquate Handlungs- und Kooperationsstrategien entwickeln zu können.[3]