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193
Ob eine Anzeige als Aufklärungsoption in Frage kommt, entscheidet sich wiederum nach den vom Unternehmensinteresse getragenen Erfolgsaussichten. Zu berücksichtigen ist dabei einerseits, dass staatliche Behörden über ein umfangreiches Instrumentarium an Eingriffs- und Zwangsmöglichkeiten verfügen, die im Unternehmen gerade nicht zur Verfügung stehen. Andererseits ist zu bedenken, dass bei staatlicher Ermittlungstätigkeit eine planvolle Lenkung der Untersuchung im Unternehmensinteresse kaum mehr möglich ist.[4] Bei Wettbewerbsverstößen ist außerdem die kartellrechtliche Kronzeugenregelung in Betracht zu ziehen, die einen vollumfänglichen Erlass des drohenden Bußgeldes ermöglicht.[5]
194
Im Falle einer gesetzlichen Anzeigepflicht reduziert sich das Ermessen des Vorstands auf Null, sodass der Verdacht eines betrieblichen Rechtsverstoßes im erforderlichen Umfang aufzuklären und bei Bestätigung anzuzeigen ist.[6] Eine Anzeigepflicht existiert etwa gem. § 138 StGB bei schweren Verbrechen (z.B. Mord, Totschlag, Raub), sofern der Erfolg noch abgewendet werden kann, im Falle eines auf Tatsachen gestützten Verdachts der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung (§ 11 GWG) sowie eines Insidergeschäftes oder einer Marktmanipulation (§ 10 WpHG) und gem. § 153 AO auch für die Erkenntnis, dass die betriebliche Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist.
195
Im Einzelfall kann sich unabhängig von den genannten gesetzlichen Anzeigepflichten die Möglichkeit zur Anzeige auch zu einer Anzeigepflicht verdichten. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass sich das grundsätzlich bestehende Auswahlermessen im Hinblick auf das "Wie" der Aufklärung dann zu einer Pflicht verdichten könne, eine bestimmte Aufklärungsmethode zu wählen, wenn andere Formen der Aufklärung nicht den gebotenen Erfolg versprächen.[7] In der Rechtsprechung ist diese Frage bislang nicht abschließend geklärt. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf[8] hat der Aufsichtsrat insbesondere in einer Krisensituation alle ihm nach §§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Insbesondere in Fällen, in denen die dem Unternehmen selbst zur Verfügung stehenden Aufklärungsmethoden nicht zu einer hinreichenden Klärung ausgereicht haben und gleichzeitig dem Unternehmen deswegen ein erheblicher Schaden droht, dürfte daher eine Pflicht der Unternehmensleitung bestehen, den Sachverhalt über den Weg der Strafanzeige weiter aufzuklären.
b) Laufendes Ermittlungsverfahren
196
Läuft hingegen bereits ein behördliches Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen oder seine Angehörigen, so wird den Unternehmen häufig anzuraten sein, mit den Behörden zu kooperieren. Die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden kann das Strafmaß im Falle einer Verurteilung oder drohende Unternehmensgeldbußen erheblich reduzieren. Das Kartellrecht sieht hierfür beispielsweise „Kronzeugenregelungen“ bzw. „Bonusregelungen“ vor, wodurch die Geldbuße der kooperierenden Unternehmen verringert werden kann.[9] Für die Unternehmensleitung ist auch zu berücksichtigen, dass die Behörden aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel in aller Regel die begangenen Verstöße aufdecken werden, wenn ein Ermittlungsverfahren erst einmal begonnen hat. So lassen sich bei Korruptionshandlungen die Zahlungsflüsse häufig unproblematisch den vorhandenen Buchhaltungsunterlagen entnehmen. Zudem bestehen regelmäßig keine Beschlagnahmeverbote zugunsten des Unternehmens, sodass die aufgefundenen Unterlagen von der Staatsanwaltschaft verwertet werden können. Schließlich steht den Gesellschaftsorganen auch kein Aussageverweigerungsrecht zu, es sei denn, sie belasten sich durch eine Aussage selbst.
c) Freiwillige Meldung von Verstößen durch Unternehmensleitung
197
Haben die Behörden hingegen noch keine Kenntnis von den Verstößen, so stellt sich der Unternehmensleitung die Frage, ob eine Meldung an die Behörden dennoch angezeigt ist. Eine Pflicht hierzu besteht jedenfalls grds. nicht (Rn. 191). Die grds. Berechtigung der Unternehmensleitung zur Meldung an die Behörden richtet sich nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen, also insbesondere der Leitungssorgfaltspflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG. Die Unternehmensleitung ist stets dem Gesellschaftswohl, also insbesondere dem Bestand und der Rentabilität des Unternehmens,[10] verpflichtet. Die Beurteilung, ob eine Kooperation mit den Behörden oder das Zurückhalten jeglicher Informationen besser für die Wahrung des Unternehmenswohls geeignet ist, steht im Ermessen der Leitungsorgane. Hier gilt die Business Judgement Rule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bzw. einer dementsprechenden Auslegung des § 43 Abs. 1 GmbHG. Bei der Abwägung der Risiken und Vorteile einer Information der staatlichen Behörden für das Unternehmen sollte die Unternehmensleitung insbesondere die Art des Verstoßes und das Risiko der anderweitigen Kenntniserlangung durch die Behörden in den Blick nehmen. Korruptionsvergehen können beispielsweise bei einer Steuerprüfung ans Licht kommen, da bei Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für eine Straftat das Finanzamt zu einer Meldung an die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist. Für eine Meldung an die Behörden kann in einem solchen Fall sprechen, dass dem Unternehmen bei einer Kooperation eine „Bonusregelung“ und ggf. eine Milderung der Unternehmensgeldbuße zugute kommen kann. Häufig wird ein Unternehmen versuchen, einen „Deal“ mit den Behörden abzuschließen.[11] Besteht jedoch nur eine sehr geringe Gefahr, dass die Behörden überhaupt von den Verstößen erfahren könnten, so wird es in aller Regel zweckmäßig sein, von einer Mitteilung an die Behörden abzusehen. Ob eine Meldung an die Behörden im Interesse des Unternehmens ist, wird jedoch regelmäßig von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängen.
3. Weitergabe an Geschäftspartner
198
Auch gegenüber ihren Geschäftspartnern und Kunden besteht für das Unternehmen in der Regel keine Pflicht zur Weitergabe von Erkenntnissen über Gesetzesverstöße. Etwas anderes kann aber gelten, wenn das Unternehmen vertraglich über sog. Compliance-Klauseln zu einer Mitteilung aller Verstöße verpflichtet ist. Bei einem Verstoß gegen solche Meldepflichten kann sich das Unternehmen schadensersatzpflichtig machen und sogar die Kündigung bestehender Verträge riskieren. Zudem kann das Unternehmen mit Geschäftspartnern sog. Audit-Klauseln vereinbart haben, durch die die Geschäftspartner z.B. zur jederzeitigen Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft berechtigt werden. In diesem Fall besteht dann ein hohes Risiko, dass das Fehlverhalten durch die Geschäftspartner selbst aufgedeckt wird.
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Zu beachten ist, dass nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG der Vorstand über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren hat. Eine Offenbarung dieser Geheimnisse kann zu Schadensersatzansprüchen seitens der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 AktG und nach § 404 AktG zu Freiheits- oder Geldstrafen führen. Unter den Geheimnisbegriff fallen hierbei „alle Tatsachen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb der AG stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen der AG geheim gehalten werden sollen“.[12] Hierunter können auch Informationen über Gesetzes- oder Richtlinienverstöße fallen, die in einer unternehmensinternen Untersuchung aufgedeckt werden. Für eine Strafbarkeit nach § 404 AktG kommt es darauf an, dass die Weitergabe der Geheimnisse im objektiven Interesse der AG nachteilig sein kann.[13] Offenbart werden kann das Geheimnis natürlich nur gegenüber Personen, die noch keine Kenntnisse von den bekanntgewordenen Tatsachen hatten.[14] Die Geheimhaltungspflicht besteht aber nur dann, wenn die Offenbarung die Gesellschaft schädigt. Die Schweigepflicht dient grundsätzlich nur dem Schutz der Gesellschaft. Somit tritt die Schweigepflicht zurück, wenn das Interesse der Gesellschaft eine Offenbarung gebietet.[15] Dient die Offenbarung also dazu, das Unternehmen selbst zu entlasten und Schaden von der Gesellschaft – wie z.B. Schadensersatzforderungen durch Kunden – abzuwenden, so ist eine Preisgabe von Informationen von Gesellschaftsseite her zulässig. Eine Weitergabe von gewonnenen Erkenntnissen an geschädigte Dritte kann zudem auch die Compliance des Unternehmens verbessern und die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden verbessern und dadurch dem Unternehmen selbst dienen. Es ist in solchen Fällen also eine Art Güterabwägung anzustellen.
200
Ob das Unternehmen Informationen und Unterlagen tatsächlich an die Geschäftspartner herausgibt, ist immer eine im Einzelfall zu treffende Abwägungsentscheidung.[16] Hierbei ist zum einen zu bedenken, dass den Kunden durch eine Weitergabe von Informationen die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft erleichtert werden kann. Andererseits kann ein unkooperatives Verhalten seitens des Unternehmens die Geschäftsbeziehungen zu einem Kunden aber auch erheblich gefährden. Schließlich können aus dem Verschweigen von Informationen gegenüber Geschäftspartnern unter Umständen neue Schadensersatzansprüche erwachsen.
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Da die im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen gewonnenen Informationen originär Firmeneigentum sind, stehen sie zur Disposition des Unternehmens. Das Unternehmen kann mit diesen Unterlagen nach eigenem Ermessen verfahren und somit auch seinen Geschäftspartnern zur Verfügung stellen. Ist eine solche Weitergabe aus Unternehmenssicht geboten, so ist insbesondere auf die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen zu achten. Sofern nicht personenbezogene Daten von Interesse sind, kann eine Anonymisierung von Unterlagen sinnvoll und notwendig sein. Wegen der besonderen datenschutzrechtlichen Anforderungen wird auf das Kapitel zum Datenschutz (12. Kap.) verwiesen.
Anmerkungen
[1]
Lösler NZG 2005, 104; Hauschka § 1 Rn. 2; Passarge NZI 2009, 86; Schneider ZIP 2003, 645, 646.
[2]
Für die Umfassung der Reaktion durch Compliance Schaupensteiner NZA Beil. 2011, 8, 12; Fleischer NZG 2014, 321, 329; LG München NZG 2014, 345, 347.
[3]
Arnold ZGR 2014, 76 (83 f.); Spindler/Stilz/Fleischer § 91 Rn. 57.
[4]
Reichert/Ott NZG 2014, 241, 243.
[5]
Vgl. Schockenhoff NZG 2015, 409, 410.
[6]
So auch Arnold ZGR 2014, 76, 85.
[7]
Reichert/Ott NZG 2014, 241, 242.
[8]
OLG Düsseldorf AG 2013, 171.
[9]
Zu den Voraussetzungen der Inanspruchnahme einer Bonusregelung s. Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7.3.2006; abrufbar unter: www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Merkblaetter/Merkblaetter_deutsch/06_Bonusregelung.pdf; Potinecke/Gottschalk CB 2015, 444, 446.
[10]
Bürgers/Körber/Israel § 76 Rn. 11; Hüffer § 76 Rn. 13.
[11]
Inderst/Bannenberg/Poppe/Poppe 7. Kap. Rn. 20.
[12]
Bürgers/Körber/Pelz § 404 Rn. 2, § 93 Rn. 47 ff.
[13]
Hüffer § 93 Rn. 7.
[14]
Bürgers/Körber/Pelz § 404 Rn. 3.
[15]
MK-AktG/Hefermehl/Spindler § 93 Rn. 62.
[16]
Bürgers/Körber/Pelz § 404 Rn. 5 zur Offenlegung von Informationen im Rahmen der due diligence.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen und Beratung der Unternehmensführung › VI. Haftung im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen
VI. Haftung im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen
202
Kommt die Unternehmensleitung ihrer Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung nicht oder nicht ausreichend nach oder wird eine Untersuchung ohne Berechtigung durchgeführt, stellen sich aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Haftungsfragen. Da die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung Teil der Sorgfalts- und Treuepflichten der Unternehmensleitung ist, kann somit eine diesbezügliche Pflichtverletzung zu einer persönlichen Haftung der Organe führen. Meistens wird es dabei um eine unterlassene, aber sachlich gebotene unternehmensinterne Untersuchung gehen. Denkbar sind aber auch Konstellationen, in denen eine Untersuchung nicht in der gebotenen Art und Weise durchgeführt worden ist oder durchgeführt wurde, obwohl sie in diesem Ausmaß nicht notwendig war und nicht im Unternehmensinteresse stand.[1] Als Haftungssubjekte kommen grds. der Vorstand bzw. die Geschäftsführung, der Aufsichtsrat und die Gesellschafter in Betracht.
1. Haftung der Unternehmensleitung
203
Wie dargestellt, ist der Vorstand einer AG oder die Geschäftsführung einer GmbH als Unternehmensleitung beim Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für Gesetzesverstöße zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung berechtigt und verpflichtet. Wird diesen Pflichten nicht ordnungsgemäß entsprochen oder bei der Durchführung einer Untersuchung eine Pflichtverletzung begangen, ist eine Haftung der Unternehmensleitung gegenüber der Gesellschaft, Aktionären bzw. Gesellschaftern sowie gegenüber Dritten denkbar.
a) Haftung der Unternehmensleitung gegenüber der Gesellschaft
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In Betracht kommen Schadensersatzansprüche der Gesellschaft aus § 93 Abs. 2 AktG (bei der AG), aus § 43 Abs. 2 GmbHG (bei der GmbH), aus § 43 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 708 BGB (bei der GmbH & Co. KG) sowie deliktrechtliche Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz.[2] Für die Haftung der Unternehmensleitung gegenüber der eigenen Gesellschaft sind insbesondere die Fragen, wann die Unternehmensleitung eine Pflichtverletzung begangen hat und welcher Schaden der Gesellschaft hieraus entstanden ist, von Bedeutung.
aa) Anspruchsgrundlagen
205
Begeht die Unternehmensleitung im Rahmen einer unternehmensinternen Untersuchung eine schuldhafte Pflichtverletzung und entsteht der Gesellschaft dadurch ein Schaden, dann ergibt sich die Haftung des Vorstandes einer AG aus § 93 Abs. 2 AktG, der Geschäftsführung einer GmbH aus § 43 Abs. 2 GmbHG und der Geschäftsführung einer GmbH & Co. KG aus §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 708 BGB.
206
Daneben ist eine Haftung des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz denkbar. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet bei einer internen Untersuchung aus, da der Vermögensschaden nicht zu den geschützten absoluten Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB gehört. Schutzgesetze können grds. aus allen Rechtsbereichen stammen. Zunächst ist dabei insbesondere an die Normen §§ 91 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG und § 130 OWiG zu denken. Alle diese Normen begründen eine gesellschaftsinterne Organisationspflicht, die grds. nur gegenüber der Gesellschaft und nicht im Verhältnis zu Außenstehenden oder den Gesellschaftern besteht.[3] Deshalb handelt es sich bei §§ 91 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG und § 130 OWiG nicht um allgemeine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft wird insofern auch nicht beeinträchtigt, da sich diese bereits aus § 93 Abs. 2 AktG bzw. aus § 43 Abs. 2 GmbHG ergibt.
207
Denkbar ist allerdings ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB. § 266 StGB stellt ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar.[4] Durch ihre Bestellung trifft die Unternehmensleitung eine besondere Treuepflicht i.S.d. § 266 StGB gegenüber der Gesellschaft.[5] Somit ist eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB durchaus denkbar, wenn die Unternehmensleitung der Gesellschaft einen Schaden im Zusammenhang mit unternehmensinternen Untersuchungen zufügt. Im Rahmen des subjektiven Tatbestandes des § 266 StGB kann sich die Unternehmensleitung jedoch wiederum auf die Business Judgement Rule berufen. Diese wurde zwar im Bereich des Gesellschaftsrechts entwickelt, ist jedoch im Rahmen des § 266 StGB auch anwendbar, da der Sorgfaltsmaßstab des Strafrechts nicht weiter gehen kann, als das vorgelagerte zivilrechtliche Pflichtenprogramm.[6]
bb) Pflichtverletzung
208
Die Unternehmensleitung begeht eine Pflichtverletzung entweder, wenn sie keine unternehmensinterne Untersuchung vorgenommen hat, obwohl nach Betrachtung der Gesamtumstände eine Verpflichtung hierzu bestanden hätte oder wenn sie eine unternehmensinterne Untersuchung durchgeführt hat, obwohl sie hierzu nicht oder nicht in der Art und Weise berechtigt gewesen ist. Nicht in der Art und Weise berechtigt bedeutet dabei, dass entweder die bestehende Berechtigung überschritten wurde und etwa ohne sachlichen Grund zu umfassende Amnestieregelungen vereinbart wurden oder dass eine unternehmensinterne Untersuchung nicht gründlich durchgeführt, insbesondere, wenn notwendige Aufklärungsmaßnahmen unterlassen wurden.
209
Die Pflichtverletzung ist verschuldet, wenn die Unternehmensleitung gegen die ihr obliegende Pflicht einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung verstoßen hat.[7] Führt die Unternehmensleitung z.B. trotz eindeutiger Hinweise auf ein dauerhaftes Fehlverhalten von Mitarbeitern keine unternehmensinterne Untersuchung durch, stellt dies eine verschuldete Pflichtverletzung dar. Die Unternehmensleitung begeht aber z.B. auch dann eine Pflichtverletzung, wenn sie die Untersuchung nur in einem Unternehmensteil durchführt, obwohl es Hinweise gegeben hat, dass es auch in anderen Unternehmensteilen zu der Begehung von Straftaten durch Mitarbeiter gekommen ist.
210
Durfte die Unternehmensleitung hingegen vernünftigerweise und auf der Grundlage angemessener Informationen annehmen, dass die durchgeführten Untersuchungen nach Art und Umfang ausreichend waren und dass sie zum Wohle der Gesellschaft durchgeführt wurden, fehlt es an einer Pflichtverletzung. Insoweit ist die Business Judgement Rule einschlägig.[8]
cc) Schaden
211
Neben einer Pflichtverletzung ist stets ein konkreter Schaden des Unternehmens Voraussetzung jedes Anspruches gegen die Unternehmensleitung. Es gilt der allgemeine Schadensbegriff der §§ 249 ff. BGB. Schaden ist somit jede Minderung des Gesellschaftsvermögens, so wie auch jede unterlassene Mehrung.[9] Unerheblich ist in einer Gesellschaft, ob sich der Wert der Anteile erhöht hat, da das Vermögen der Gesellschafter und das der Gesellschaft stets zu trennen ist.[10] Die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt und die Höhe des entstandenen Schadens trägt die Gesellschaft.[11]
212
Führt die Unternehmensleitung eine Untersuchung durch, obwohl diese nicht oder nicht in diesem Ausmaß geboten war, so liegt der Schaden der Gesellschaft mindestens in der Höhe der zu viel getätigten Aufwendungen. Unterlässt die Gesellschaft hingegen eine unternehmensinterne Untersuchung, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen ist, dann ist die Bestimmung des Schadens weitaus schwieriger. Unternehmensinterne Untersuchungen als Teil der allgemeinen Corporate Compliance haben insbesondere eine Risikobegrenzungsfunktion.[12] Ziel einer unternehmensinternen Untersuchung ist die unternehmensinterne Sachverhaltsaufklärung und Ahndung des Fehlverhaltens. Hierdurch soll zum einen präventiv Fehlverhalten in der Zukunft verhindert werden, zum anderen eine bestmögliche Verteidigung des Unternehmens gegen drohende Bußgelder gewährleistet sein.[13] Anhand dieser Ziele lässt sich der potentielle Schaden bestimmen. Wird ein bereits begangenes Fehlverhalten nicht endgültig aufgeklärt, wiederholt es sich möglicherweise. Hierdurch drohen dem Unternehmen weitergehende Schäden, die bei Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung, Einstellung der Verstöße und ggf. Anpassung des Compliance-Systems möglicherweise nicht angefallen wären.
213
Eine weitere Schadensquelle liegt in der Schadensminderungsfunktion unternehmensinterner Untersuchungen. Über die Zurechnungsnorm des § 30 OWiG besteht bei Gesetzesverstößen regelmäßig die Gefahr der Bußgeldsanktion des Unternehmens. Nur wer den gesamten Sachverhalt kennt, kann sich gegen diesen optimal gegenüber den Behörden und vor Gericht verteidigen. Je weniger ein Unternehmen hingegen den vorgefallenen Sachverhalt kennt, desto weniger kann es zur eigenen Verteidigung beitragen und ist den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „ausgeliefert“. Zudem kann das Unternehmen aufgrund des regelmäßig besseren Einblicks meist schneller als die Staatsanwaltschaft ermitteln. Eine unternehmensinterne Untersuchung kann somit dazu führen, dass Ermittlungen und Verfahren gegen Unternehmen möglichst zeitnah abgeschlossen sind und das Unternehmen sich wieder dem operativen Geschäft als der eigentlichen Aufgabe widmen kann. Bei vollständiger Sachverhaltskenntnis kann sich das Unternehmen gegenüber den Behörden und vor Gericht besser verteidigen und möglicherweise durch eine Kooperation die Folgen für das Unternehmen erheblich mildern. Besonderes Beispiel ist hier das Kartellrecht, in welchem die Kronzeugenregelung in Kombination mit einer schnellen Sachverhaltsaufarbeitung große Vorteile bringt.[14]
214
Der Nachweis der Kausalität zwischen Nichtdurchführung einer unternehmensinternen Untersuchung und Schadenseintritt wird oftmals schwer zu führen sein. Die Gesellschaft muss den Eintritt und Höhe des Schadens und die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vorstandsmitglieds und dem Schaden beweisen. Die betroffene Unternehmensleitung muss hingegen gem. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG darlegen, dass sie nicht pflichtwidrig gehandelt hat.[15] Die Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG ist im Rahmen des § 43 Abs. 2 GmbHG analog anzuwenden und gilt damit nicht nur für die AG, sondern auch für die Unternehmensleitung einer GmbH und einer GmbH & Co. KG.[16] Also ist auch der Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet nachzuweisen, dass er nicht pflichtwidrig gehandelt hat, wenn die Gesellschaft Eintritt, Höhe und Kausalität des Schadens bewiesen hat. Für die Geschäftsführer bedeutet dies, dass alle unternommenen Maßnahmen zur Aufklärung von Verstößen möglichst gründlich dokumentiert werden sollten.
b) Haftung der Unternehmensleitung gegenüber Aktionären bzw. Gesellschaftern
215
Verstößt die Unternehmensleitung im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen gegen ihre Pflichten, ist neben der Haftung gegenüber der Gesellschaft auch eine Haftung gegenüber den Aktionären bzw. Gesellschaftern denkbar.
216
Eine solche Haftung kann sich zum einen aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben, da die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft ein sonstiges Recht im Sinne der Vorschrift ist.[17] Handelt die Unternehmensleitung pflichtwidrig, bedeutet dies allerdings keinen Eingriff in die Mitgliedschaft, da die Mitgliedschaft nicht das Recht auf pflichtgemäße Unternehmensleitung beinhaltet.[18] Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB im Rahmen einer Pflichtverletzung bzgl. der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung scheidet somit aus.