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217
Denkbar ist wiederum eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 StGB. Ein Teil der Literatur erachtet den § 266 StGB auch als einschlägig, insbesondere in der Form des Treubruchtatbestandes.[19] Dem ist zu widersprechen, da es sich bei § 266 StGB nicht um ein Schutzgesetz zu Gunsten der Aktionäre bzw. Gesellschafter handelt. Zwar handelt es sich, wie bereits gezeigt, bei § 266 StGB um ein Schutzgesetz. Allerdings schützt es nur denjenigen, gegenüber dem ein Treueverhältnis besteht. Die personale Selbstständigkeit der Gesellschaft führt aber dazu, dass die Treuepflichten der Unternehmensleitung nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den einzelnen Aktionären bzw. Gesellschaftern bestehen.[20] Die Unternehmensleitung ist als handelndes Organ verpflichtet, die Vermögensinteressen der Gesellschaft zu wahren und zu verwalten. Eine Erstreckung der Treuepflicht des Vorstandes gegenüber den Aktionären und Gesellschaftern würde die Trennung von Aktionär/Gesellschafter und Gesellschaft verkennen.[21] Der BGH hat zu dieser Frage bislang noch keine Stellung nehmen müssen. Sieht man mit der erstgenannten Meinung § 266 StGB als Schutzgesetz zugunsten der Anteilsinhaber an, liegt der Schaden des Aktionärs bzw. Gesellschafters insbesondere darin, dass sein Anteil entwertet wird.[22] Grds. gilt der Haftungsmaßstab des § 93 Abs. 2 AktG nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den Gesellschaftern.[23] Somit gilt im Verhältnis zu den Gesellschaftern der allgemeine Haftungsmaßstab des § 276 BGB und die Business Judgement Rule ist nicht unmittelbar anwendbar. Allerdings setzt eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB eine vorsätzliche Untreuehandlung des Schädigers voraus.[24] Fehlt es hieran, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus, da das Schutzgesetz nicht verletzt ist. Zudem ist auch die Business Judgement Rule bei der Beurteilung einer Strafbarkeit nach § 266 StGB anzuwenden (Rn. 207).[25]
2. Haftung des Aufsichtsrats
218
Soweit den Aufsichtsrat wie dargestellt eine Pflicht im Hinblick auf unternehmensinterne Untersuchungen trifft, so ändert sich die Haftung im Vergleich zur Unternehmensleitung nicht. Insofern kann auf dortige Ausführungen verwiesen werden. Gem. § 116 S. 1 AktG gilt § 93 mit Ausnahme des Abs. 2 S. 3 AktG. Hierfür enthält § 116 AktG eigene Regelungen zur Verschwiegenheit in S. 2. Insbesondere findet auch die Business Judgement Rule Anwendung auf den Aufsichtsrat.
219
Auch in Bezug auf eine Haftung des Aufsichtsrats wegen Untreue ergeben sich keine Unterschiede, da aufgrund der Funktion und den Befugnissen des Aufsichtsrats eine strafrechtliche Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft i.S.d. § 266 StGB besteht.[26] Somit kann sich eine Haftung des Aufsichtsrates gegenüber der Gesellschaft aus § 116 S. 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB ergeben. Für die Haftung gegenüber den Gesellschaftern kann ebenfalls auf die Ausführungen zur Unternehmensleitung verwiesen werden.
3. Haftung der Gesellschafter/Aktionäre
220
Da Aktionäre und Gesellschafter wie bereits dargestellt keine Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung trifft, scheidet auch eine entsprechende Haftung aus. Die allgemeine gesellschaftsrechtliche Haftung von Gesellschaftern und Aktionären gegenüber der Gesellschaft bleibt hiervon unberührt.[27]
4. Haftung im Konzern
221
Auch im Konzern hat die Unternehmensleitung der Konzernmutter das Recht und die Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte. Wie bereits dargestellt, besteht diese Pflicht aber nur gegenüber der herrschenden Gesellschaft und nicht gegenüber Tochter- oder Enkelgesellschaften.[28] Eine in Betracht kommende unmittelbare Haftung der Konzernleitung gegenüber der Konzernmutter für eine sorgfaltswidrig unterlassene Anweisung zur Durchführung einer Untersuchung richtet sich auch im Konzern nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG oder §§ 43 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 708 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB.[29]
222
Ist die Konzernleitung hingegen berechtigt, die nachgeordneten Konzerngesellschaften anzuweisen und macht sie hiervon Gebrauch, so kann es bei Pflichtverstößen auch zu einer Haftung gegenüber der Tochtergesellschaft kommen. Hierbei ist wiederum entscheidend, ob das beherrschte Unternehmen eine AG oder GmbH ist und ob es sich um einen faktischen oder Vertragskonzern handelt.
a) Haftung im Vertragskonzern
223
Besteht im Konzern ein Beherrschungsvertrag, so ergibt sich die Haftung der gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens aus § 309 Abs. 2 S. 1 AktG. Bei der Erteilung von Weisungen muss die Unternehmensleitung des herrschenden Unternehmens gegenüber der beherrschten Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden (§ 309 Abs. 1 AktG). Diesen Anspruch kann gem. § 309 Abs. 4 S. 1 AktG auch jeder Aktionär geltend machen.[30] Jedoch darf er gem. S. 2 Leistung nur an die Gesellschaft fordern. Soweit Gläubiger der beherrschten Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können, können sie den Anspruch gem. § 309 Abs. 4 S. 3 AktG geltend machen. Handelt es sich bei der beherrschten Gesellschaft um eine GmbH, so finden die Regelungen analoge Anwendung.[31]
224
Daneben kann eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB bestehen. Eine Vermögensbetreuungspflicht im Vertragskonzern kann sich aus der in §§ 308 ff. AktG normierten Leitungsmacht ergeben.[32] Bejaht man zusätzlich eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gesellschaftern, so kann auch eine Haftung gegenüber den Gesellschaftern des beherrschten Unternehmens bestehen (Rn. 217).
b) Haftung im faktischen AG-Konzern
225
In einem faktischen AG-Konzern besteht grundsätzlich keine Weisungsbefugnis des herrschenden Unternehmens gegenüber seinen Tochter- oder Enkelunternehmen.[33] Übt die Unternehmensleitung aber trotzdem Druck auf den Vorstand der abhängigen Gesellschaft aus und erreicht so die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung, obwohl diese nicht geboten war, sieht der § 311 Abs. 1 a.E. AktG eine Ausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens vor. Gem. § 317 Abs. 3 AktG haften die handelnden gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens neben dem herrschenden Unternehmen, wenn der Verlust nicht bis zum Ende des Geschäftsjahres durch das herrschende Unternehmen ausgeglichen worden ist. Die Ersatzpflicht scheidet aber wiederum aus, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft auch vorgenommen oder die Maßnahme getroffen hätte.
c) Haftung im faktischen GmbH-Konzern
226
Im Gegensatz zu § 317 AktG knüpft das GmbH-Recht keine Rechtsfolgen an den Begriff der Abhängigkeit.[34] Deshalb scheidet eine analoge Anwendung der §§ 311, 317 AktG aus.[35] Im faktischen GmbH-Konzern gilt deshalb nur die Treubindung des herrschenden Unternehmens in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der GmbH.[36] Das herrschende Unternehmen unterliegt im Hinblick auf den Schutz der abhängigen GmbH jedoch einem umfassenden Schädigungsverbot, welches entweder aus der Treuepflicht[37] oder dem Mitgliedschaftsrecht[38] abgeleitet wird.[39] Insofern kann es in Ausnahmefällen auch zu einer Haftung der Geschäftsleitung des herrschenden Unternehmens wegen der Nichtdurchführung oder der fehlerhaften Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung im faktischen GmbH-Konzern kommen.
5. Ergebnis
227
Bei der Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen können einer Gesellschaft somit Schäden entstehen. War die Durchführung einer internen Untersuchung nicht notwendig, so stellen die angefallenen Kosten für die Durchführung einen Schaden dar. Wird allerdings eine unternehmensinterne Untersuchung unterlassen, obwohl eine Durchführung geboten war, können der Gesellschaft ebenfalls erhebliche Schäden, wie Reputationsschäden, höhere Bußgelder und längere Verfahrensdauer entstehen. Die Durchführung von unternehmensinterner Untersuchungen ist grundsätzlich Aufgabe der Unternehmensleitung und teilweise auch des Aufsichtsrates. Verletzen diese bei der Entscheidung, ob und wie eine unternehmensinterne Untersuchung durchzuführen ist, ihre Pflichten, so haften sie auch gegenüber der Gesellschaft für die entstandenen Schäden.
228
Tab. 1: Zusammenfassung: Haftung bei unternehmensinternen Untersuchungen
Organisationsstruktur Organ Gesellschaft Gesellschafter Dritte Einheitsgesellschaft UL § 93 Abs 2 AktG/§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB – – AR §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG (analog) – – Vertragskonzern (gegenüber Tochtergesellschaft) UL § 309 Abs. 2 S. 1 AktG (analog); § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB § 309 Abs. 4 S. 1 AktG (analog) § 309 Abs. 4 S. 3 AktG (analog) AR – – – Faktischer Konzern AG (gegenüber Tochtergesellschaft) UL § 317 Abs. 3 AktG; u.U. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB AR – – – Faktischer Konzern GmbH (gegenüber Tochtergesellschaft) UL U.U.§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB AR – – –
Legende: UL= Unternehmensleitung; AR= Aufsichtsrat
Anmerkungen
[1]
Vgl. Kustor S. 25 f.
[2]
Siehe auch Hamann/Sigle/Werwigk § 17 Rn. 27 ff.
[3]
Siehe hierzu BGH DStR 1994 1272, 1273; BGH WM 1979, 853, 854; vgl. auch MK-AktG/Spindler § 91 Rn. 39; Spindler/Stilz/Fleischer § 91 Rn. 46.
[4]
BGH NJW 1953, 457; NJW 1987, 2008; BGH VersR 1995, 1205; BGH ZIP 2001, 1874, 1876 f.
[5]
Vgl. hierzu Hüffer § 84 Rn. 10; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 6 Rn. 82, § 13 Rn. 29.
[6]
Ebenso LK/Schünemann § 266 Rn. 33; MK-AktG/Dierlamm § 366 Rn. 152; Krieger/Schneider § 35 Rn. 32.
[7]
Hölters § 93 Rn. 248; MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 158; zur GmbH siehe Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG § 43 Rn. 18.
[8]
Siehe auch Annuß/Pelz BB Spezial 4/2010, 14, 17; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein NZG 2009, 721, 723 f.
[9]
Hüffer § 93 Rn. 15; Schüppen/Schaub/Ritter § 24 Rn. 103; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 2 Rn. 37.
[10]
Hüffer § 93 Rn. 15; MK-AktG/Hefermehl/Spindler § 93 Rn. 80; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 2 Rn. 37.
[11]
Schüppen/Schaub/Ritter § 24 Rn. 103.
[12]
Siehe auch Hauschka § 1 Rn. 24; Schüppen/Schaub/Ritter § 24 Rn. 27.
[13]
Vgl. hierzu ausführlich: Moosmayer/Hartwig Interne Untersuchungen; Kustor Unternehmensinterne Untersuchungen.
[14]
Siehe hierzu auch Moosmayer S. 5.
[15]
Hölters § 93 Rn. 264.
[16]
Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 43 Rn. 36.
[17]
BGH NJW 1990, 2877 für den Verein; siehe auch Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 26, § 10 Rn. 19.
[18]
Vgl. Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 26, § 10 Rn. 19.
[19]
Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 37; Hüffer § 93 Rn. 19; vgl. auch die Darstellung in MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 275 (i.E. auch ablehnend), mit Verweis auf OLG Celle GmbHR 2006, 377, 387; OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 1532, 1537 (die aber andere Konstellationen betreffen).
[20]
Ebenso MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 275.
[21]
So auch MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 275; GroßKomm-AktG/Hopt § 93 Rn. 476.
[22]
Vgl. Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 37.
[23]
Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 52 ff.; Palandt/Heinrichs § 280 Rn. 40, § 823 Rn. 41 f.
[24]
BGHZ 46, 21; Palandt/Heinrichs § 823 Rn. 60; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 3 Rn. 53 f.
[25]
Im Ergebnis ebenso MK-AktG/Spindler § 93 Rn. 277.
[26]
Siehe auch BGHSt 47, 187, 201; BGHSt 50, 331, 335 f.; Krause NStZ 2011, 57, 64.
[27]
Vgl. hierzu MK-AktG/Drescher § 47 Rn. 260 f.
[28]
Hüffer § 309 Rn. 10; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 4 Rn. 387.
[29]
Vgl. zur deliktischen Haftung Hamann/Sigle/Potinecke § 13 Rn. 44 ff.
[30]
Vgl. insgesamt Hamann/Sigle/Potinecke § 13 Rn. 29 ff.
[31]
Vgl. auch Roth/Altmeppen Anh. § 13 Rn. 79 f.; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 11 Rn. 201.
[32]
Siehe hierzu MK-StGB/Dierlamm § 266 Rn. 233 m.w.N.
[33]
Vgl. Hamann/Sigle/Potinecke § 13 Rn. 38.
[34]
Wellhöfer/Peltzer/Müller § 11 Rn. 203; vgl. auch Hamann/Sigle/Potinecke § 13 Rn. 38.
[35]
Ausnahme bei § 317 Àbs. 3 AktG bei Insolvenz; vgl. hierzu: Roth/Altmeppen Anh. § 13 Rn. 141, 154; siehe auch Wellhöfer/Peltzer/Müller § 11 Rn. 203.
[36]
Wellhöfer/Peltzer/Müller § 11 Rn. 203.
[37]
So etwa BGHZ 65, 15.
[38]
So Flume ZIP 1996, 161 ff. m.w.N.
[39]
Vgl. insgesamt Roth/Altmeppen Anh. § 13 Rn. 140 m.w.N.; Wellhöfer/Peltzer/Müller § 11 Rn. 205.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 3. Kapitel Versicherungsrechtliche Rahmenbedingungen
3. Kapitel Versicherungsrechtliche Rahmenbedingungen
Inhaltsverzeichnis
I. Vorbemerkung
II. Das Deckungskonzept der D&O-Versicherung
III. Deckungsrechtliche Fragen im Rahmen der Durchführung von „Internal Investigations“
IV. Zusammenfassung
Literatur:
Baumann Versicherungsfall und zeitliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes in der D&O-Versicherung, NZG 2010, 1366; Brand Grenzen der vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, VersR 2009, 715; Bruck/Möller VVG – Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 2012; Goette Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers in der Rechtsprechung des BGH, DStR 1998, 1308; Günther/Spielmann Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung, r+s 2008, 177; Honsell Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1999; Koch Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung, GmbHR 2004, 19; ders. Das Claims-made-Prinzip in der D&O-Versicherung auf dem Prüfstand der AGB-Inhaltskontrolle, VersR 2011, 295; Lange Die D&O-Selbstbehalt-Versicherung, r + s 2010, 92; Langheid/Wandt Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 2010; Lenz/Weitzel Zur Unwirksamkeit von Anfechtungsverzichtsklauseln in der D&O-Versicherung, PHi 2012, 122, 123; Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 2010; Mayer Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers, Versicherungspraxis 2012; Prölss/Martin Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010; Römer/Langheid Versicherungsvertragsgesetz, 3. Aufl. 2012; Rüffer/Halbach/Schimikowski Versicherungsvertragsgesetz, 2. Aufl. 2011; Schirmer Zur Versicherbarkeit des Sachersatzinteresses in der Sachversicherung, ZVersWiss 1981, 637; Schramm Das Anspruchserhebungsprinzip, 2009; Schüppen/Sanna D&O-Versicherungen: Gute und schlechte Nachrichten!, ZIP 2002, 550; Schwintowski/Brömmelmeyer Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2010; Steinkühler/Kassing Das Claims-Made-Prinzip in der D&O-Versicherung und die Auslegung der Begriffe Anspruchs- sowie Klageerhebung, VersR 2009, 607; Weiberle Änderung der Antragsfragenpraxis der Versicherer in Folge der Reform des VVG, VuR 2008, 170; Graf von Westphalen Wirksamkeit des Claims-made-Prinzips in der D&O-Versicherung, VersR 2011, 145.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 3. Kapitel Versicherungsrechtliche Rahmenbedingungen › I. Vorbemerkung
I. Vorbemerkung
1
Die Rechtsfragen und Rechtsfolgen, die an die moderne Terminologie von den „Internal Investigations“ anschließen, sind derzeit noch weitgehend ungeklärt. Auf „altdeutsch“ gesprochen handelt es sich um interne Untersuchungen innerhalb des Unternehmens, die zunächst ohne die Einschaltung staatlicher Stellen die bestehenden Missstände aber auch und insbesondere die sich aus diesen Missständen ergebenden Haftungsrisiken aufdecken sollen.[1] Interne Untersuchungen können dabei zum einen Folge eines Ereignisses sein, welches von außen auf das Unternehmen einwirkt. So haben insbesondere Hackerangriffe eine stetig steigende Bedeutung erlangt. Auch behördliche Ermittlungen, insbesondere wegen des Verdachts von Kartellverstößen, können die Notwendigkeit einer internen Untersuchung hervorrufen. Zum anderen aber können die hier angesprochenen Internal Investigations auch dann angezeigt sein, wenn das Unternehmen noch nicht Objekt von Angriffen oder behördlichen Untersuchungen ist, um präventiv eine Prüfung der bestehenden Unternehmensstrukturen vorzunehmen.
2
Die Notwendigkeit solcher Untersuchungen hat sich im Ergebnis als Reflex einer stetig strenger werdenden Judikatur und Gesetzgebung ergeben. Die Fälle Mannesmann,[2] Siemens,[3] MAN,[4] aber auch und insbesondere die in den Jahren 2014 und 2015 angestiegenen Kartellbußen[5] verdeutlichen, welche Konsequenzen sich für Unternehmen wegen der Verletzung von gesetzlichen Vorschriften ergeben können. Viele Gesellschaften sind daher präventiv dazu übergegangen, professionelle Compliance-Abteilungen zu etablieren, die eine Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sicherstellen sollen.
3
Vornehmlichste Aufgabe des Unternehmensleiters ist es nämlich, das Unternehmen so zu führen, dass dieses sich im Außenverhältnis rechtmäßig verhält und die gesetzlichen und behördlichen Vorgaben eingehalten werden.[6] Besondere Bedeutung hat diese Frage in dem viel zitierten Urteil des LG München I im Falle „Siemens/Neubürger“[7] erhalten. Der Beklagte ist in diesem Urteil dafür haftbar gemacht worden, dass innerhalb des Unternehmens schwarze Kassen existierten und Bestechungsgelder gezahlt wurden. Dabei ist dem Vorstand keineswegs vorgeworfen worden, er habe von diesen Vorgängen gewusst. Vielmehr soll er sich deshalb pflichtwidrig verhalten haben, weil er keine Compliance-Organisation geschaffen hatte, die das System schwarzer Kassen verhindern konnte. Es gibt sehr starke rechtliche Argumente dafür, die Richtigkeit dieser Entscheidung in Zweifel zu ziehen.[8] Das LG München I hat jedenfalls verkannt, dass ein Unternehmensleiter nur für eigenständige Pflichtverletzungen in die Haftung genommen werden kann und das Zepter der Organisationspflicht nicht dazu dienen darf, eine Art Sippenhaftung für das Fehlverhalten von Mitarbeitern zu etablieren. Ein Vorstandsmitglied haftet also keineswegs für das Verschulden seiner Mitarbeiter. Der Vorstand ist allerdings – und insoweit ist dem LG München I beizupflichten – dazu verpflichtet, eine Organisation aufzubauen und zu unterhalten, die den Anforderung gerecht wird, wie sie in den §§ 76, 93 AktG normiert werden. Welche Anforderungen aber an eine ordnungsgemäße Unternehmensorganisation zu stellen sind, gehört bis heute zu den ungeklärtesten Fragen im Bereich der Vorstands- und Geschäftsführerhaftung und genau darauf hat das Gericht im vorgenannten Falle keine Antwort gegeben. Anerkannt ist, dass der Unternehmensleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass Gesetzesverletzungen nach Möglichkeit überhaupt nicht auftreten oder aber sofort entdeckt werden, um etwaige Missstände beseitigen zu können.[9] Ganz sicher nicht zulässig ist es aber – und dies jedenfalls wird durch die Entscheidung des LG München I suggeriert – von dem Vorliegen einer Gesetzesverletzung auf das Vorliegen einer Organisationspflichtverletzung rückzufolgern. Nicht jedes Fehlverhalten des Unternehmens im Außenverhältnis kann also dem Vorstand angelastet werden. Die sogenannten Internal Investigations von denen der Titel dieses Werkes handelt, sind ein nahezu als unabdingbar anzusehendes Mittel, um feststellen zu lassen, ob denn der Unternehmensleiter der soeben beschriebenen Organisations- und Leitungspflicht gerecht geworden ist. Auch und gerade in Anbetracht der derzeitig mangels höchstrichterlicher Rspr. zwangsläufig bestehenden Rechtsunsicherheit, ist es allerdings wichtig, dass der Vorstand auch darüber nachdenkt, Versicherungen abzuschließen, welche die bestehenden Risiken abdecken. Dabei ist keineswegs ein einzelnes Versicherungsprodukt alleine dazu geeignet, der Komplexität der Risiken Rechnungen zu tragen. Vielmehr ergänzen sich verschiedene Versicherungsprodukte, die erst kumuliert eine umfassende Absicherung etablieren.[10] Da der D&O-Versicherung insoweit eine Schlüsselstellung zukommt, soll nachfolgend das Deckungskonzept näher beleuchtet werden.
Anmerkungen
[1]
Zu der stetigen Bedeutung solcher internen Untersuchungen vgl. etwa Budras FAZ v. 3.6.2012: „Hat man die Beamten erst einmal im Haus wird man sie schließlich nicht mehr so schnell los“.