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a) Berichterstattung
19
Über die Durchführung von Befragungen wird auch innerhalb der Internal Investigation im Rahmen des Arbeits- und Projektfortschritts berichtet. Ob und in welchem Umfang neben dem statistischen Faktum auch Einzelheiten bekannt gegeben werden, muss im Einzelfall entschieden werden. Welche Details berichtet werden können, hängt von mehreren Überlegungen ab:
– individuell vereinbarter oder gebotener Vertraulichkeitsschutz (bspw. mit Rücksichtnahme auf familiäre Belange, Reputationsschaden etc.); – notwendige Grundlage für weitere Untersuchungsansätze oder neue Beweisrichtungen; – Objektivierungsnotwendigkeit im Abgleich mit anderen Informationen und Beweisen (insbesondere eine Art „Kreuzverhör“); – integraler oder verzichtbarer Bestandteil von Zusammenfassungen und Berichten.20
Liegt in der durch die Befragung erlangten Information ein ausdrückliches Geständnis eines Fehlverhaltens oder eine geständnisgleiche Aussage, so ist der Arbeitgeber darüber zu informieren. Ihm obliegt es, im Rahmen der Möglichkeiten zu Verdachtskündigung oder einer Tatkündigung zu entscheiden, ob er das Arbeitsverhältnis angesichts der neuen Erkenntnisse aufrechthält. Da jedoch der Arbeitgeber die Ergebnisse der Internal Investigation insgesamt abwarten darf und eine Kenntnis nicht schon dann angenommen wird, wenn sie bei dem Untersuchungsführer angelangt ist, darf durchaus der Abschluss der Untersuchung abgewartet werden.
b) Auskunfts- und Anzeigepflichten
21
Tritt bei einer Befragung zutage, dass in der Vergangenheit ein Straftatbestand verwirklicht wurde, so besteht außerhalb des § 138 StGB keine gesetzliche Anzeigepflicht.[22] Aber gesellschafts-, haftungs-, kapitalmarkt-, steuerrechtliche (§ 153 AO) und nach ausländischen Rechtsordnungen bestehende Klärungs-, Informations- und Anzeigepflichten sind dennoch zu beachten, die das Unternehmen bei Bekanntwerden einer Straftat zu Aufdeckungs- und Berichtigungsmaßnahmen verpflichten.[23]
22
Eine etwaige Anzeigepflicht kann aber auch aus einer strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung (besonders wegen §§ 13, 14 StGB) oder einer bußgeldrechtlichen Aufsichtspflicht (insb. §§ 9, 30, 130 OWiG)[24] erwachsen. Nach der bisher veröffentlichen Rechtsprechung und Literatur kann eine solche Pflicht angenommen werden, wenn
– eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben oder andere bedeutende Rechtsgüter Dritter (bspw. Arbeitnehmer, Vertragspartner) durch das (evtl. fortgesetzte) Handeln des Unternehmens oder seiner Organe und Vertreter entstanden ist;[25] – im Unternehmen eine systemhafte, durchorganisierte Kriminalität beobachtet wird, die auf das Versagen der unternehmensinternen Delegationsstrukturen, Präventionsmaßnahmen und Kontrollen hinweist;[26] – durch (die Fortsetzung) einer unrichtigen Berichterstattung des Unternehmens gegenüber den Kapitalmarktbehörden (Börse, DPR, BaFin) dauerhaft eine unrichtige Lage des Unternehmens dargestellt werden würde[27] und – die Unterlassung einer Sachklärung als pflichtwidriges Verhalten eines Garanten i.S.d. § 13 StGB zum Nachteil des Unternehmens anzusehen wäre.[28]23
Dass in Korruptionsfällen die Inkaufnahme eines vergaberechtlichen Ausschlusses wegen Unzuverlässigkeit (§ 6 AEntG; § 21 SchwArbG; § 5 VOB/A) droht, ist ein außerstrafrechtlicher Grund für eine Berichterstattung, evtl. eine Selbstanzeige. Die steuerrechtliche Anzeigepflicht des § 153 AO soll hier nur erwähnt werden. Die schadensersatzrechtliche Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat bei fortgesetzter Beschäftigung von kriminell handelnden Personen im Unternehmen (§ 93 AktG, § 43 GmbHG) mag hier ebenfalls als Entscheidungsgrundlage für eine Offenlegung dienen. Dem Befragten sollte zu Beginn der Befragung keinesfalls verheimlicht werden, dass seine Angaben zu einer solchen Offenlegungspflicht führen können. Dies wird in vielen Fällen Anlass dafür sein, im Unternehmen über einen Vertrauensschutz des Mitarbeiters in Form einer Kronzeugenregelung oder Amnestie nachzudenken.
Anmerkungen
[1]
Vgl. dazu Engelhart ZIP 2010, 1832, 1839; nunmehr auch BaFin MaComp BT 1.2. Nr. 7-9.
[2]
Der Kriminalist spricht von Versionsbildung, vgl. dazu Ackermann/Clages/Roll Handbuch der Kriminalistik, S. 151 ff.
[3]
Vgl. Rn. 60 f.
[4]
BGHSt 43, 36 und 43, 360; Nr. 126 Abs. 3 RiStBV.
[5]
Vgl. Rn. 25 ff.
[6]
Vgl. die arbeitsrechtlichen Kap. 14 und 15.
[7]
Vgl. dazu das 9. Kap.
[8]
Vgl. dazu Rn. 74 ff.
[9]
BVerfGE 63, 266, 282.
[10]
Moosmayer S. 5 f. zur Präventionspflicht; S. 7 f. zur kapitalmarktrechtlichen Pflichten, S. 12 f. zu vergaberechtlichen Pflichten; S. 14 ff. zu schadensersatzrechtlichen Pflichten, jeweils m.w.N.; ergänzend BGH GmbHR 1985, 143; OLG Koblenz ZIP 1991, 870; Walisch Organisatorische Prävention gegen strafrechtliche Haftung deutscher Unternehmen und ihrer Leitungen nach US-Recht, 2004; eingehend zur Unternehmensaufgabe: Bürkle BB 2005, 565; Bussmann/Matschke wistra 2008, 88 ff.; Eidam Rn. 1936 ff.; Hauschka/Hauschka § 1 Rn. 21 ff., 24 ff.; ders. NJW 2004, 257, 259; ders. DB 2006, 1143, 144 f.; Hauschka/Greeve BB 2007, 165, 166 f.; von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1912 f.; Lösler NZG 2005, 104; Sieber in FS Tiedemann S. 454 ff.; Schulte/Görts RJW 2006, 567; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, 2009, S. 907, 909 ff.; kritisch Pfordte in Wessing FS 25 Jahre AG Strafrecht im DAV, S. 740, 742 ff.; Wehnert FS Strafrechtsausschuss, 2006, S. 175 ff. (vergabe- und kapitalmarktrechtliche Pflichten).
[11]
So Dann/Schmidt NJW 2009 1851; Hamm NJW 2010, 1332; Schneider NZG 2009, 1321; Wehnert in FS Egon Müller, 2009, S. 629; dies. in FS zu Ehren des Strafrechtsausschusses der BRAK, 2006, S. 175, und NJW 2009, 1190; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, 2009, S. 907 ff.
[12]
Vgl. dazu 2. Kap.
[13]
BVerfGE 56, 37; BGH NStZ 2009, 705; NStZ 2009, 343; NStZ 2007, 714; BGHSt 38, 214, 226; 34, 362; 27, 357; KK-StPO/Senge Vor § 48 Rn. 52; Eisenberg Beweisrecht der StPO, 6. Aufl. 2008, Rn. 357 ff.; Huber JuS 2007, 711; Spehl/Momsen/Grützner CCZ 2014, 2, 3; Vogel/Glas DB 2009, 1747, 1749; Müller-Bonanni AnwBl 2010, 651, 653; Lützeler/Müller-Sartori CCZ 2011, 19; Möller JR 2005, 314; Sieber NJW 2008, 881, 886; Roxin NStZ 1997, 18; Hohnel NZI 2005, 152; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, S. 907, 923; Widmaier/Hiebl/Becker/Hiebl/Becker § 30 Rn. 97; Widmaier/Widmaier § 9 IV 2 Rn. 184; im Zivilrecht OLG München NJOZ 2008, 6170; LG Karlsruhe BeckRS 2010, 10943.
[14]
BVerfGE 56, 37; BGH NStZ 2009, 705; NStZ 2009, 343; NStZ 2007, 714; BGHSt 38, 214, 226; BGHSt 34, 362; BGHSt 27, 357; KK-StPO/Senge Vor § 48 Rn. 52; Eisenberg Rn. 357 ff.; Huber JuS 2007, 711; Möller JR 2005, 314; Sieber NJW 2008, 881, 886; Roxin NStZ 1997, 18; Hohnel NZI 2005, 152; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, S. 907, 923; Widmaier/Hiebl/Becker § 30 Rn. 97; Widmaier/Widmaier § 9 IV 2 Rn. 184.
[15]
Pfordte FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, 2009, S. 752 ff. favorisiert eine Lösung i.S.d. Gemeinschuldnerbeschlusses des BVerfG (BVerfGE 56, 37), konstatiert aber de lege lata die von der Rechtsprechung geprägte gegenteilige Auffassung.
[16]
Dahs Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. 2005, Rn. 290.
[17]
Dazu Ackermann/Clages/Roll Handbuch der Kriminalistik, 4. Aufl. 2011, Kap. 10. Rn. 105.
[18]
BGH NJW 2000, 2435.
[19]
Ackermann/Clages/Roll Handbuch der Kriminalistik, 4. Aufl. 2011, S. 151 ff.; Prüfer Sachverhaltsermittlung, StV 1993, 602.
[20]
Krekeler NStZ 1989, 146/147.
[21]
Foth Richter und Sachbeweis, BKA-Heft 24 (1979), S. 25 f.
[22]
Bspw. Moosmayer S. 5 f. m.w.N., ergänzend BGH GmbHR 1985, 143; OLG Koblenz ZIP 1991, 870; Achenbach/Ransiek/Salvenmooser/Schreier 15. Teil Rn. 13 ff., 21 ff.; Walisch Organisatorische Prävention gegen strafrechtliche Haftung deutscher Unternehmen und ihrer Leitungen nach US-Recht, 2004; eingehend zur Unternehmensaufgabe: Bürkle BB 2005, 565; Eidam Rn. 1936 ff.; Hauschka/Hauschka Corporate Compliance, 2007, § 1 Rn. 21 ff., 24 ff.; ders. NJW 2004, 257, 259; ders. DB 2006, 1143, 144 f.; Hauschka/Greeve BB 2007, 165, 166 f.; Lösler NZG 2005, 104; Sieber FS Tiedemann, 2008, S. 454 ff.; Zweifel am Wert der Compliance und Kritik wegen der Verletzung strafprozessualer Garantien äußern Dann/Schmidt NJW 2009 1851; Hamm NJW 2010, 1332; Schneider NZG 2009, 1321; Wehnert FS Egon Müller, 2009, S. 629; dies. FS zu Ehren des Strafrechtsausschusses der BRAK, 2006, S. 175, und NJW 2009, 1190; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, 2009, S. 907 ff.
[23]
Moosmayer S. 5 ff., S. 7 f. zur kapitalmarktrechtlichen Pflichten, S. 12 f. zu vergaberechtlichen Pflichten; S. 14 ff. zu schadensersatzrechtlichen Pflichten, jeweils m.w.N.; Bussmann/Matschke wistra 2008, 88 ff.; von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1912 f.; Schulte/Görts RJW 2006, 567; Salvenmooser/Schreier 15. Teil Rn. 19 ff.; Wessing FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, 2009, S. 907, 909 ff.; kritisch Pfordte ebd., S. 740, 742 ff.; Wehnert FS Strafrechtsausschuss, 2006, S. 175 ff. (vergabe- und kapitalmarktrechtliche Pflichten).
[24]
Auch nach § 81 GWB; vgl. Eidam Rn. 771 ff.
[25]
Spring Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 2009, S. 208 ff.; Wessels/Beulke AT Rn. 724; Kienle/Kappel NJW 2007, 3530 zum „Geschäftsherrnbegriff“ in § 299 StGB; vgl. auch BGHSt 37, 103 – Lederspray; BGHSt 47, 224 – Wuppertaler Schwebebahn; BGH 17.7.2009, 5 StR 394/08 BeckRS 2009, 21880 (Straßenreinigungsfall, Innenrevisionsleiter). Hier sind auch Fälle des Produktrisikos und der Umweltverantwortung zu nennen; vgl. bspw. die detaillierten Anforderungen an das Notfall-Management (Störfäll-VO (12. BImSchV), die TA Abfall [Stand 15.7.2009] bzw. Nachfolgeregelungen).
[26]
BGH NJW 1995, 2933 – Glykolwein; Schönke/Schröder/Eisele Vorb. § 13 Rn. 100 ff. („Lehre von den Verantwortungsbereichen“).
[27]
Lechner DStR 2006, 1854; zu Sonderprüfungen als Mittel der Informationsbeschaffung: Duve/Basak BB 2006, 1345; Spindler NZG 2005, 865.
[28]
Ausführlich Spring Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 2009, S. 195 ff.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 7. Kapitel Ermittlungen und Beweissicherungen – Personenbefragungen › II. Vernehmungslehre
II. Vernehmungslehre
24
Eine Vernehmungslehre für die Befragung bei einer unternehmensinternen Untersuchung gibt es bislang nicht. Sie könnte auch nicht bloß ein kurzes Teilkapitel eines solchen Handbuchs bleiben und sie wäre in ihrem Kern auch keine juristische Abhandlung, sondern eine psychologische. Neben den spezifischen Eckpunkten einer Personenbefragung bei internen Ermittlungen (Vorbereitung, Belehrung, Dokumentation) soll in dem Abschnitt „Durchführung“ wenigstens ein Minimum an Kenntnissen einer Vernehmungslehre in der Form einfach zu befolgender Grundregeln vermittelt werden.
1. Vorbereitung der Befragung
25
Das Ziel des Interviews ist es, wahrheitsgemäße Informationen zu erhalten. Da dieses Ziel selbst bei idealen Bedingungen nicht immer erreicht werden kann, wäre zu präzisieren: Der Interviewer muss Angaben anstreben, die optimal auf ihren Wahrheitsgehalt und Irrtumsfreiheit geprüft werden können.[1] Nur so kann der Untersuchungsführer am Ende feststellen und würdigen, was wirklich geschehen ist.
26
Die gewonnenen Auskünfte müssen so dokumentiert werden, dass sie für Unternehmenszwecke weiter verwendet werden können. Das bedeutet in der Regel, dass die Informationen in einer Form verarbeitet werden, die es ermöglicht, sie später bei Bedarf forensisch nutzen zu können. Denn die Ergebnisse einer Untersuchung werden in der Regel nicht nur für unternehmensinterne Prozesse genutzt, sondern auch in anschließenden zivil-, straf- oder arbeitsgerichtlichen Verfahren benötigt.
27
Auch wenn vorrangig wahrheitsgemäße Antworten erstrebt werden, wird dies nicht immer gelingen. Die Interessen des Informationsträgers können anders gelagert sein. Der Interviewer würde seine Aufgabe missverstehen, wenn er nun das Interview dazu nutzen würde, eigene vermeintlich bessere Erkenntnisse als Interviewergebnis durchzusetzen. Das Interviewprotokoll soll die Aussage des Informationsträgers wiedergeben. Alles andere ist eine Aufgabe späterer Beweiswürdigung des Untersuchungsführers. Beweisgewinnung und -bewertung müssen streng unterschieden werden. Das Interview dient der Beweisgewinnung, die Dokumentation bereitet die nachfolgende Bewertung vor. Diese kann Dritte nur überzeugen, wenn nachvollziehbar bleibt, was Ermittlungsergebnis und was Würdigung ist. Außerdem erfüllt das Interview z.T. weitere Funktionen. So kann es z.B. zugleich die rechtlich notwendige Anhörung für eine sog. Verdachtskündigung sein.[2] Das Interview trägt also den Aspekt des rechtlichen Gehörs in sich bzw. ist gerade bei Befragung eines Verdächtigen ein Ausfluss des Grundsatzes audiatur et altera pars. Das Interview dient nicht der Selbstdarstellung des Untersuchenden, sondern ist eine fokussierte Arbeitstechnik zur weiteren Informationsgewinnung. Kritische Nachfragen im Interview sind selbstverständlich erlaubt und notwendig. Nur: Die Antworten bestimmt der Befragte selbst.
28
„Der Abgeordnete Horst Eylmann, Vorsitzender des 1. Untersuchungsausschusses im 12. Deutschen Bundestag, ist sichtlich irritiert, als der Zeuge Alexander Schalck Golodkowski den Parlamentariern zuruft: ‚Sie bestimmen die Fragen, und ich bestimme die Antworten‘. Mit dieser selbstverständlichen Feststellung zieht der Zeuge Schalck nicht zum ersten Mal die Lacher — die Zuhörer im großen Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion — auf seine Seite. Die nämlich haben die Ironie der Schalckschen Bemerkung sofort erkannt. Die Mehrzahl der Abgeordneten ist schlecht vorbereitet.“[3]
29
Diese Episode kennzeichnet den Schlüssel für erfolgreiche Befragungen. Bei unternehmensinternen Untersuchungen stehen die Interviews meist am Ende der Ermittlungsmaßnahmen. Zuerst sind sorgfältig alle anderen zur Verfügung stehenden Informationsquellen auszuwerten. Dies umfasst eine gründliche Dokumentenauswertung und eine Kenntnis der wesentlichen Begleitumstände der in Rede stehenden Vorgänge. Diese Vorarbeit ermöglicht es meist überhaupt erst, das Interview effizient durchführen zu können. Der Interviewer legt für sich vorher fest, auf welche Fragen er eine Antwort am Ende bekommen möchte. Die Erstellung eines Fragenkatalogs ist nahezu unentbehrlich. Er ist themenbezogen und vorwurfsfrei zu gestalten, bleibt aber kein Dogma. Der Fragesteller muss offen sein für alle Wendungen, die ein Interview mit sich bringt. Das wird umso besser gelingen, je detaillierter er vorbereitet ist. Der Vernehmer muss die Dokumentenlage beherrschen und abrufbar halten. Teil der Befragung kann es sein, den Mitarbeiter mit Dokumenten zu konfrontieren, die sich aus der vorhergehenden Auswertung von Unternehmensunterlagen ergeben. All dies will vorbereitet sein. Alle wichtigen Daten müssen greifbar und in das Fragekonzept integriert sein. Aussagepsychologen würden die Vorbereitung wahrscheinlich in folgende drei Abschnitte unterteilen: (1) Aktenanalyse, (2) Hypothesenbildung, (3) Entwicklung eines einzelfallspezifischen Untersuchungsdesigns.[4]
30
Soweit zutreffend eine besondere Herausforderung in der Überführung des Verdächtigen im Interview gesehen wird,[5] kann nur vor Übermut gewarnt und zur Zurückhaltung geraten werden. Es wird in den seltensten Fällen gelingen, allein durch geschickte Befragung einen Lügner zu überführen oder zu einem Geständnis zu treiben. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der akribischen Vorbereitung. Erst die Detailkenntnis ermöglicht es dem Interviewer, Schwachstellen eines Antwortkonstrukts zu erkennen und zu widerlegen. Insofern bedarf es auch keiner Differenzierung danach, ob das Interview „lediglich“ der weiteren Sachverhaltsaufklärung dient oder ob der (vermeintlich) Verdächtige vernommen wird. Zwar wird die Vorbereitung erste Hypothesen des Untersuchungsführers gebären, aber jedes Interview wird ergebnisoffen und wertneutral geführt; ursprüngliche Hypothesen müssen überprüft und hinterfragt werden. Sie dienen in erster Linie dazu, das Interview zu strukturieren.
31
Ein aggressiver Vernehmungsstil verbietet sich, weil er die Erinnerungsleistung der Auskunftsperson schmälern kann. Bei vermeintlich falsch aussagenden Mitarbeitern gilt nichts anderes. Auch lügende Menschen müssen Details und Aussagematerial liefern, um falsifiziert werden zu können.[6] Die Aussagebereitschaft wird durch einen freundlichen Grundton verbessert und verschließt nicht den dann möglicherweise auch effektvolleren Übergang zu plötzlicher Schärfe.[7]
32
Die Vorbereitung des Interviews dient also zum einen dazu einzugrenzen, welche Informationen relevant sind. Das schont nicht nur die Ressourcen aller Beteiligter, sondern steigert auch die Qualität der Befragung. Dazu werden die vorhandenen Daten gesichtet und thematisch gegliedert. Alle Unterlagen, die für das Interview benötigt werden, werden im Vorfeld gesammelt und geordnet, damit sie bei Bedarf griffbereit zur Verfügung stehen. Die für das Interview genutzten Unterlagen sind für den Untersuchungsführer getrennt von den Interviewergebnissen zu dokumentieren, damit die unterschiedlichen Erkenntnisquellen in der späteren Bewertung unterschieden werden können.
33
Dazu wird ein erster Fragenkatalog entworfen. An ihm wird man sich nicht zwanghaft festhalten. Er dient aber der weiteren Strukturierung und schützt davor, dass einzelne Details im Eifer vergessen werden. Zum anderen erlangt der Interviewer erst durch die Sichtung eine vergleichbare Wissensbasis wie der Informationsträger. Ein zu großes Wissensgefälle kann zu suboptimalen Ergebnissen führen. In dieser Vorgehensweise spiegelt sich das eingangs dargestellte Auditierungsschema wieder,[8] in dem auf das self assessment (1) ein document review (2) dem interview (3) vorausgeht. Im Einzelfall müssen einzelne informatorische Interviews zu Beginn einer Untersuchung durchgeführt werden, wenn sonst eine Orientierung nicht möglich erscheint. Dies wird aber die Ausnahme sein.
34
Schließlich muss entschieden werden, inwieweit der Mitarbeiter im Vorfeld über die Befragung in Kenntnis gesetzt wird. Wie bei all den Themen rund um das Interview gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Es gibt aber Erfahrungswerte. Richtet man sich nach ihnen, wird man meist nichts falsch machen. Selbstverständlich muss im begründeten Einzelfall davon abgewichen werden. Rechtliche Vorgaben gibt es nur, soweit die Befragung gleichzeitig als Anhörung im Vorfeld einer Verdachtskündigung dient.[9] Dann ist der Mitarbeiter zwingend vorher über das Thema der Befragung zu informieren, damit die Anhörung wirksam ist. Aber auch sonst empfiehlt sich eine Ankündigung. Das ist ein Gebot der Fairness und erhöht damit die innere Bereitschaft zur Mitwirkung und verbessert dadurch das Ergebnis der Befragung. Liegt von vornherein keine Mitwirkungsbereitschaft vor, ändert die Ankündigung daran wenig. Nur wenn es geboten erscheint, den Betroffenen zu überraschen, sollte jede Vorbereitungszeit entfallen. Eine Täuschung über den Zweck des Gesprächs ist in allen Fällen inakzeptabel.
35
Manchmal empfiehlt es sich, die einschlägigen Dokumente oder den erarbeiteten Fragekatalog dem Mitarbeiter vorbereitend an die Hand zu geben. Der Regelfall wird das nicht sein.
36
Insgesamt ist es unentbehrlich mit dem Abschluss der Vorbereitung und vor Beginn des Interviews eine möglichst valide Einschätzung der Interessenlage des Informationsträgers vorzunehmen. Viele Abwägungsfragen über die konkrete praktische Vorgehensweise werden von dieser Teilanalyse abhängen.
2. Belehrung
37
Bevor die Befragung beginnt, stellt sich die Frage, über welche Rechte der Mitarbeiter zu belehren ist. Da keine rechtlich zwingenden Vorgaben bestehen[10] und insbesondere die Strafprozessordnung keine Anwendung findet,[11] bleibt vieles Geschmacksfrage. Rechtlich folgen die Kompetenzen des Fragestellers dem Rechtskreis des Auftraggebers.[12] Allerdings sollte eine Untersuchung nicht nach Geschmack geführt werden, sondern nach vorher aufgestellten konkreten Grundsätzen. Einer davon ist Effizienz. Prinzipiell sollte in einer Investigation nichts Überflüssiges getan werden. Und so könnte man der Idee verfallen, die Befragung ganz ohne Belehrungen zu beginnen. Dabei sollte man zweierlei bedenken. Erstens: Eine Belehrung über Rechte kann das Vertrauen des Informationsträgers in den Fragesteller stärken und damit zu einem besseren Ergebnis beitragen. Zweitens: Eine gute Untersuchung folgt neben der Effizienz auch den Grundsätzen der Legalität, Objektivität und Neutralität.[13] Dies kann Belehrungen im Einzelfall erfordern. Die folgenden Inhalte einer möglichen Belehrung bedürfen näherer Betrachtung:
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Soweit vertreten wird, der verdächtige Arbeitnehmer habe zur Befragung zu erscheinen, dürfe aber schweigen, soweit er sich selbst belasten müsste,[14] besteht keine korrespondierende Belehrungspflicht.
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Der Mitarbeiter hat jedenfalls bei Befragungen, die zugleich Anhörungen im Vorfeld einer Verdachtskündigung sind, das Recht, einen eigenen Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens zu konsultieren.[15] Der Mitarbeiter ist nach Empfehlung der BRAK hierüber zu belehren.[16]