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40
Die BRAK empfiehlt auch, den Mitarbeiter darüber zu belehren, dass Aufzeichnungen der Befragung gegebenenfalls an Behörden weitergegeben werden und dort zu seinem Nachteil verwertet werden können.[17] Bei Anhörungen im Rahmen sog. Amnestieprogramme soll der Mitarbeiter zusätzlich darüber belehrt werden, dass das Unternehmen keine strafrechtliche Amnestie gewähren kann.[18]
41
Soweit die Befragung dokumentiert wird, soll – ebenfalls nach Empfehlung der BRAK – in Abschriften Einsicht gewährt werden. Die Auskunftsperson soll die Abschrift genehmigen. Darüber sei die Auskunftsperson zu belehren.[19] Diese Belehrungsobliegenheit erscheint schon deshalb zweifelhaft, da es keinen (arbeits- oder zivilrechtlichen) Anspruch auf Einsicht in ein von dem Befragenden verfasstes Protokoll gibt.[20] Selbstverständlich kann der Arbeitnehmer dementsprechend auch nicht gezwungen werden, ein Protokoll zu genehmigen. Im Übrigen steht es ihm oder seinem Rechtsbeistand frei, ein eigenes anzufertigen.[21] Allerdings sollte der Interviewende bedenken, dass ein genehmigtes Protokoll die Beweiskraft erhöht.
42
Unterbleibt eine Belehrung ist dies für die spätere strafprozessuale Verwertung ohne Belang[22] – jedenfalls solange die Grenzen des § 136a StPO nicht überschritten werden. So stellt sich die Rechtslage de lege lata dar.
43
Jenseits einer förmlichen Belehrung, bietet es sich für eine zielführende Gestaltung des Interviews häufig an, zu Beginn des Interviews den Verfahrens- und ggf. auch Kenntnisstand einführend zusammenzufassen.
3. Durchführung der Befragung
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Für die Durchführung gelten nur die allgemeinen Gesetze und keine spezifische Kodifikation, insbesondere gilt nicht die StPO. Der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) formuliert in seinen „Thesen zum Unternehmensanwalt im Strafrecht“ lediglich: „Bei internen Erhebungen, insbesondere bei der Befragung von Mitarbeitern des Unternehmens, wahrt der Unternehmensanwalt die allgemeinen Gesetze und die sich aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen ergebenden Standards.“[23] Diese Thesen begründen einen hohen und zweckmäßigen Standard für unternehmensinterne Ermittlungen. Der Untersuchungsführer hat kein Interesse an unlauteren Einwirkungen und unzulässigen Methoden, wie sie § 136a StPO für das Strafverfahren kennzeichnet. Zu Recht betont die BRAK, dass eine Auskunftsperson nicht eingeschüchtert, nicht getäuscht, nicht bedroht und erst recht keinem unzulässigen Zwang ausgesetzt werden darf.[24] Die „BRAK-Thesen“ haben keinen rechtlich verbindlichen Charakter.[25] Befragt jedoch ein Rechtsanwalt die Mitarbeiter, so können die „BRAK-Thesen“ indiziellen Charakter für eine etwaige Berufsrechtswidrigkeit des Vorgehens entfalten.
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Um die gerichtliche Verwertbarkeit der Aussagen im Interview zu gewährleisten, sollten alle Gespräche von wenigstens zwei Personen geführt werden.[26]
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Die Vernehmung ist ein kommunikativer Prozess. Dies ist keine Neuigkeit und doch wird dieses Wissen oft nicht genutzt bzw. es werden zu selten die Konsequenzen daraus gezogen. Eine Kommunikation bringt immer einen Austausch mit sich. Die Menschen (re)agieren aufeinander und beeinflussen sich gegenseitig, oft ohne dies zu wollen oder zu bemerken. Diese Erkenntnis ist Grundlage einer jeden Vernehmung. Je nach Ziel einer Vernehmung sollten die Verhaltensweisen, also nicht nur die verbale Sprache, angepasst werden.
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Der Vernehmer sollte eine Grundstruktur (Bericht und Verhör) einhalten und sich der Wirkungen unterschiedlicher Fragetypen bewusst sein. Hinzu kommen einige Grundregeln, die der Vernehmer einhalten sollte.
a) Grundregeln
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Der Fragesteller hat ein Interesse daran, den Sachverhalt aufzuklären und richtige Informationen von dem Mitarbeiter zu erhalten. Die Auskunftsfreudigkeit kann durch das Verhalten des Vernehmers gefördert oder eingeschränkt werden. Immer muss man sich der Wirkungen des eigenen Auftretens und der anderen Anwesenden bewusst sein und sich ggf. der Situation anpassen.
aa) Kontaktaufnahme
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Selbst wenn die Aufklärung im Interesse der Auskunftsperson liegt, verlangt der Vernehmer etwas und fordert eine Auskunft. Daher initiiert der Vernehmer die Befragung und nimmt zum Informationsträger Kontakt auf. Damit ist (nicht nur) die Aufforderung zum Interview gemeint, sondern eine das gesamte Gespräch umfassende Haltung. Die Kontaktaufnahme in diesem Sinne wird erleichtert oder teilweise auch erst eröffnet, wenn sich der Vernehmer auf die Persönlichkeit der Auskunftsperson einlässt.[27] Der Fragesteller muss sich um seinen Gesprächspartner bemühen.[28] Er ist dafür verantwortlich, dass Bedingungen geschaffen werden, bei denen der Mitarbeiter eher bereit ist, sein Wissen zu teilen. Die Begleitumstände der Befragung beeinflussen das Ergebnis und können gestaltet werden.[29] Der Mitarbeiter soll vermittelt bekommen, dass seine Belange berücksichtigt und seine Bemühungen gewürdigt werden.
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Eine neutrale Position ist anzustreben, denn eine parteiische Haltung wirkt kontraproduktiv und ist für eine Wahrheitsfindung nicht förderlich. Jedoch muss sich der Vernehmer immer vergegenwärtigen, dass jegliche Verhaltensweise seinerseits eine Wirkung auf die Auskunftsperson entfaltet und eine Neutralität nicht durchgehend eingehalten werden kann. Die aus Neutralität oft resultierende distanzierte Haltung von Vernehmern wirkt manchmal hemmend auf die Auskunftsperson.[30] Teilweise kann eine gesunde Distanz beruhigend wirken, doch verhindert eine zu strenge Distanz die Kontaktaufnahme zur Auskunftsperson.
51
Der Vernehmer sollte aktiv werden und verdeutlichen, dass er an der Auskunftsperson interessiert ist. Entscheidend wird der Ton bzw. die Art und Weise der Ansprache sein und weniger der konkrete Anknüpfungspunkt. Die Belehrung oder der Einstieg zur Sache kann zu einem persönlichen Verbindungspunkt genutzt werden. So kann etwa die Wichtigkeit der Person/Auskunft betont und nach dem aktuellen Befinden gefragt werden.
bb) Freundlichkeit und Geduld
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Die Auskunftsbereitschaft steigt, umso mehr Vertrauen die Auskunftsperson zum Vernehmer hat. Daher sollte Wert darauf gelegt werden, eine Vertrauensgrundlage zu entwickeln und sie nicht durch unnötige Bloßstellungen oder Vorwürfe zu zerstören.[31] Das bedeutet, dass der Vernehmer zunächst eine vertrauenserweckende und verstehende Haltung einnehmen sollte. Dies bringt nicht den Verlust von Kontrolle oder Ansehen mit sich, sondern schafft eine produktive Atmosphäre. Wie der Vernehmer selbst, weiß die Auskunftsperson oft nicht, welchen konkreten Ablauf sie erwartet. Eine gewisse Nervosität und Unsicherheit ist normal. Dies sollte gegebenenfalls auch vermittelt werden.
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Ein entscheidender Faktor für eine wahrheitsgemäße Aussage ist die Möglichkeit, aus freien Stücken berichten zu können, ohne die Angst zu haben, einen Fehler zu machen oder auch das Gesicht zu verlieren.[32] So sollte der Auskunftsperson bei unangenehmen Situationen, die schon bei Erinnerungslücken oder Verwechslungen entstehen können, mit Rücksicht begegnet werden. Überlegene Gesten des Vernehmers sollten aus diesem Grund vermieden werden. Dies gilt ebenfalls für Vorwürfe und Bloßstellungen, wenn etwa die Auskunftsperson eine Frage oder eine Erläuterung nicht verstanden hat.
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Neben der Vertrauensgrundlage stellt Geduld einen wichtigen Faktor bei einer Vernehmung dar. Fühlt sich die Auskunftsperson unter Druck gesetzt, kann ihre Aussagebereitschaft sinken bzw. die freie Erinnerung beeinträchtigt werden.[33] Die Auskunftsperson konzentriert sich nicht mehr allein auf ihre Erinnerungen und Angaben; vielleicht ist sie aufgrund der Umstände sogar verärgert. Soweit die Ausführungen der Auskunftsperson zu umschweifend werden, können vorsichtig Grenzen gesetzt werden. Doch sollte das Vorgehen immer der Persönlichkeit der Auskunftsperson angepasst werden.
cc) Interesse an und Bemühen um die Auskunftsperson
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Eine wichtige Grundregel eines jeden Vernehmers sollte sein, Interesse an der Auskunftsperson zu zeigen. Damit ist mehr als die anfängliche Kontaktaufnahme und ein freundlicher Umgang gemeint. Als Vernehmer will man eine Auskunft, die aller Voraussicht nach nur die Auskunftsperson geben kann. Diese wichtige Rolle sollte man vermitteln. Dazu gehört insbesondere das aktive Zuhören.[34] Soweit die Auskunftsperson Vorder- und Hintergrundinformationen mitteilt, sollte zunächst zugehört werden. Zum einen können sich überraschend wichtige Angaben ergeben, zum anderen kann ein vorschnelles Abtun oder Eingreifen den Redefluss und damit auch die freie Erinnerung beeinträchtigen. Hilfreicher ist es oft, die Auskunftsperson in dem Fortführen zu bestärken und Teilnahme zu zeigen. Dies sollte mit inhaltlich neutralen Formulierungen erfolgen. Die Auskunftsperson muss den Eindruck gewinnen, dass der Vernehmer den ernsthaften Willen besitzt, die Wahrheit zu erforschen und dazu ihre Auskunft notwendig ist. Insbesondere sollte das Mitteilungsbedürfnis des Vernehmers jedenfalls vorerst hintenan gestellt werden.[35] Umso weniger Unterbrechungen erfolgen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine eigene Aktivität entwickelt. Die Auskunftsperson gibt grundsätzlich mehr von sich und ihren Erinnerungen preis, wenn sie frei und ohne „Störungen“ berichten kann.
dd) Positive und negative Kritik – kommunikative Folgen
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Bei Rückmeldungen an die Auskunftsperson ist es wichtig, dass ein positives Feedback erfolgt. Dies kann etwa die umfangreiche Art der Darstellung betreffen, aber auch das ehrliche Eingestehen von Erinnerungslücken. Gerade Letzteres fällt vielen schwer, so dass eine Stärkung besonders wichtig ist. Viele Auskunftspersonen befinden sich in einem Interessenkonflikt. Dem Wunsch die Wahrheit sagen zu wollen, stehen mitunter andere Interessen entgegen. Dieser Konflikt ist oft zu Beginn der Vernehmung noch nicht abgeschlossen.[36] Im Laufe des Gesprächs wird sich die Auskunftsperson aber für einen Weg entscheiden müssen. Daher sollte direkt von Anfang an die Möglichkeit genutzt werden, die Auskunftsperson zu bestärken, die Wahrheit zu sagen. Ein nicht übertriebenes Lob kann die ausschlaggebende Wirkung auf die Auskunftsperson haben.
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Die Auskunftsperson sollte nicht unnötig angegriffen werden. Wird dem Mitarbeiter ein bestimmtes Verhalten vorgeworfen, wird er versuchen, sich zu verteidigen oder sogar die Bereitschaft verlieren, vollständig zu berichten.[37] Es entsteht die Gefahr, dass die Situation in einem anderen – für die Auskunftsperson positiveren – Licht dargestellt wird. Der Sachverhalt wird in seinen Einzelheiten (unbewusst) anders dargestellt oder auch mit einer anderen Schwerpunktsetzung berichtet. Es sollte also vermieden werden, die Auskunftsperson in eine Verteidigungsposition zu bringen. Ein Mittel dazu ist, die Mitteilungen aus der eigenen Position heraus zu formulieren und nicht einen Fehler bei dem Anderen zu suchen.[38]
ee) Verständlichkeit und klare Sprache
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Nicht zu unterschätzen ist die Verständlichkeit und Klarheit der Sprache bei einer Vernehmung. Der Vernehmer sollte lange, verschachtelte Sätze vermeiden.[39] Auch Fragehäufungen führen nicht zu einer effektiveren und schnelleren Vernehmung.[40] So wird die Auskunftsperson die einzelnen Fragen in der Regel nicht vollständig aufnehmen bzw. den Kern der Frage bei vielen Verschachtelungen und Zusätzen nicht erkennen können.
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Es tritt bei Vernehmungen immer wieder das Problem auf, dass Fragen anders verstanden werden, als vom Vernehmer gewollt.[41] Diese Missverständnisse sind nicht zwingend auf einen niedrigen Bildungsstand zurückzuführen. Im Rahmen der Kommunikation kommen viele Faktoren wie Herkunft, Sprache, Dialekt, Hintergrundwissen, Fragestellung, Herangehensweise, Wortwahl etc. hinzu. Der Vernehmer sollte daher versuchen, sich auf die Auskunftsperson und ihre Persönlichkeit einzustellen. Da dies nicht immer ausreichend möglich ist, kann man sich durch Nach- oder Rückfragen versichern. Nicht immer wird mit gleichen Wörtern dieselbe Bedeutung verbunden. Dies lässt sich durch Empathie und Nachhaken klären.
ff) Kompetenz
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Die Vorbereitung in der Sache stellt die Grundlage einer jeden Vernehmung dar.[42] Zum einen können nur auf diese Weise die notwendigen Fragen bzw. Rückfragen gestellt werden, zum anderen führt die sachliche Kompetenz in der Regel zu mehr Autorität. Allein die Position der leitenden Person reicht nicht aus, um die notwendige Kompetenz zu vermitteln. Der Vernehmer, der neben seinem Wissen über den Akteninhalt bzw. des Sachverhaltes auch die ausreichende Kompetenz besitzt, eine Vernehmung qualifiziert zu führen, wird bei der Wahrheitsfindung Erfolg aufweisen können.[43] Die fachliche Kompetenz wird nicht dadurch erreicht, dass der Vernehmer besonders laut und streng auftritt. Ein ausgleichendes Auftreten, das Fehler und Schwächen zulässt, aber auch ein entschlossenes Vorgehen umfasst, wird die Auskunftsperson mehr beeindrucken und die Auskunftsbereitschaft steigern.
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Je nach Stellung des Vernehmers gegenüber der Auskunftsperson oder aufgrund großer Emotionalität kommt es nicht selten zu Provokationen. Auf diese Art und Weise sollte sich der Vernehmer nicht einlassen. Klare Grenzen sind zu formulieren, aber auf einer sachlichen Ebene.[44] Soweit Konsequenzen angekündigt werden, sollten sie eingehalten werden. Klare Regeln schaffen Transparenz und auch Vertrauen. Die Einhaltung der Regeln gelten selbstverständlich für alle Beteiligten, also auch für den Vernehmer. Soweit die Situation droht, dass die Vernehmung aus den Fugen gerät, kann eine Pause hilfreich sein. Im Anschluss sollte es dann in der Sache ohne Bezug auf die vorherigen Geschehnisse weitergehen.
b) Grundstruktur der Vernehmung
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Grundlage einer jeden Vernehmung sollte sein, zuerst einen Bericht der Auskunftsperson zu ermöglichen und erst im Anschluss das Verhör, d.h. Nachfragen, anzuschließen. Diese Grundstruktur ist für den Straf- sowie den Zivilprozess gesetzlich festgeschrieben (§ 69 Abs. 1 StPO und § 396 Abs. 1 ZPO). Dieser Anspruch wurde zwar für den gerichtlichen Prozess formuliert, doch sollte der Grundsatz für jede Vernehmung gelten. Er ist aussagepsychologisch von allgemeiner Gültigkeit: Die Fehlerquote ist bei einer Vernehmung grundsätzlich höher, wenn direkt mit dem Verhör begonnen wird.[45] Der Auskunftsperson sollte daher die Zeit gegeben werden, in Ruhe die Erinnerungen frei zu berichten. Soweit die Schilderung etwas kurz oder lückenhaft gerät, kann durch offene Fragen die Auskunftsperson zur Erweiterung des Berichtes aufgefordert werden. Dies kann etwa erreicht werden, indem an einer bestimmten Stelle des Berichtes angeknüpft wird und um genaueren Bericht gebeten wird. Konkrete Sachfragen verhelfen dabei weniger zu einer allgemeinen Erweiterung, da bei Einzelfragen durch Details, die in der Frage schon formuliert werden, immer die Gefahr steckt, die Auskunftsperson in irgendeiner Richtung zu beeinflussen.[46]
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Nicht alle Auskunftspersonen können in der Vernehmungssituation, die oft als belastend empfunden wird, ihre Erinnerungen in einen gesamten, vollständigen Bericht formulieren. An dieser Stelle gilt wieder, die Auskunftsperson in ihrer Aussagebereitschaft zu stärken. Je nach Persönlichkeit kann auch eine gewisse Hilfestellung sinnvoll sein. Dann sollten aber immer noch offene Fragen gestellt werden, die die Auskunftsperson ausfüllen kann (z.B. „Was ist an dem Tag genau vorgefallen?“ oder „Was haben Sie danach gemacht?“).
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Beim Bericht gilt es ganz besonders, sich als Vernehmer zurückzunehmen und die Fragen erst einmal zu notieren. Oft werden viele Fragen im Laufe des Berichtes beantwortet. Die Ausführungen sind dann in freier Erinnerung – ohne Detailfragen – wiedergegeben worden, so dass die Aussagekraft nicht aufgrund möglicher Beeinflussung in Frage gestellt werden sollte.
c) Fragetypen
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An den Bericht schließt sich das Verhör an. Sind bestimmte Fragen noch offen, können diese nun konkret gestellt werden. Dies ermöglicht die ggf. notwendige detailliertere Ausklärung des Sachverhaltes. Auch können Fragen genutzt werden, um die Glaubhaftigkeit der Aussage zu überprüfen.
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Bei der Formulierung der Fragen sollten die oben aufgeführten Regeln der Vernehmung besonders beachtet werden. Jedes einzelne Wort hat eine Wirkung auf die Auskunftsperson. Dies sollte sich der Vernehmer immer wieder bewusst machen. Die Fragen sollten klar, kurz und freundlich gestellt werden. Festlegungen sind nach Möglichkeiten zu vermeiden. So verhilft etwa schon das Weglassen von bestimmten Artikeln zu einer offeneren Frage. Bestenfalls formuliert der Vernehmer sog. W-Fragen (wer, wie, was, wo). Dann ist gesichert, dass die Auskunftsperson Informationen bekunden muss, außer sie hat keine Erinnerung. Eine Reduzierung auf einen bestimmten Gegenstand oder Person wird dann nicht suggeriert.
67
Vermeiden sollte der Vernehmer negativ formulierte Fragen. Darin könnte die Auskunftsperson eine Wertung, vielleicht sogar einen Angriff sehen. Die Antwort wird aller Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt, die nicht unbedingt gewollt war und jedenfalls nicht ganz unbefangen ist.[47]
68
Es besteht die Möglichkeit, nebensächliche Fragen zu stellen, um zu überprüfen, ob die Erinnerungen der Auskunftsperson echt sind. So können nach dem Bericht zum Kerngeschehen, das der Vernehmer im Ergebnis aufklären will, Fragen zum Rahmengeschehen gestellt werden. Das ist in der Sache zwar für den Vernehmer nicht interessant. Allerdings bietet diese Vorgehensweise eine Variante, die Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Hat sich jemand einen Sachverhalt nur ausgedacht, wird es ihm schwer fallen, über unwichtige Details wie das Wetter, die Kleidung anderer Leute, über Gerüche oder ähnliches zu berichten. Umso mehr Details erwähnt werden, umso schwieriger hat es der Lügner, sich nicht in Widersprüche zu verstricken.[48] Es dürfen allerdings nicht zu schnell Rückschlüsse gezogen werden, wenn bestimmte Angaben nicht gemacht werden können, da es realitätsfern wäre, wenn keine Erinnerungslücken bestehen.
69
Hilfreich für eine Vernehmung ist, wenn sich der Vernehmer grundsätzliche Fragetypen verinnerlicht und sie auch bewusst einsetzt. Die Fragearten können detailliert aufgeschlüsselt werden. Vorliegend soll eine grobe Einordnung der wichtigsten Typen dargestellt werden:[49]
70
Die sog. Filterfrage stellt die Eingangsfrage zu Beginn des Berichtes dar. Es ist zu klären, aus welchem Grund die Auskunftsperson zur Sache etwas beitragen kann und worauf ihr Wissen beruht. Der Vernehmer muss klären, ob die Auskunftsperson vor Ort war und was sie selbst wahrnehmen konnte.
71
Im Fall einer Auswahlfrage bietet der Vernehmer der Auskunftsperson mehrere Möglichkeiten zur Auswahl an. Die Auskunftsperson kann dann eine Variante auswählen. Hierbei sollte der Vernehmer beachten, dass eine offene Variante angeboten wird, wie etwa „… oder war es anders?“. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Auskunftsperson auf die nächstliegende Variante festlegt, obwohl der Sachverhalt sich für sie etwas anders darstellt.
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Bei zu langen Ausschweifungen der Auskunftsperson kann es notwendig sein, dass der Vernehmer die Richtung auf das eigentliche Thema lenken sollte. Dies kann er mit einer Lenkungsfrage erreichen. Die sogenannte Rangierfrage ermöglicht dem Vernehmer, die Auskunftsperson auf einen bestimmten Punkt zu lenken. Es sollte ein fließender Übergang von den Ausführungen der Auskunftsperson zu dem fraglichen Thema formuliert werden.[50] Hierbei muss der Vernehmer Acht geben, die Auskunftsperson nicht zu abrupt zu unterbrechen und den Redefluss nicht zu sehr zu stören. Steigen die Emotionen bei der Auskunftsperson zu stark, kann eine Ablenkungsfrage, ggf. mit kleiner Pause, wieder Sachlichkeit in die Vernehmung bringen. Der Vernehmer sollte die Emotionen ernst nehmen, aber auch nicht verstärken.
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Abschließend ist auf die Suggestivfrage hinzuweisen, die trotz des Wissens um ihre Folgen immer wieder auftaucht. In der Suggestivfrage wird immer eine Tatsache schon angenommen, die für die Antwort eine Voraussetzung ist. Wird nach dem Aussehen eines Kleidungsstücks gefragt, setzt diese Frage voraus, dass die fragliche Person das Kleidungsstück überhaupt trug. Die Suggestivfrage ist nicht per se ohne Beweiswert. Allerdings muss bei der Würdigung beachtet werden, dass allein die Überhangantwort Aussagekraft hat. Also nur der Inhalt der Antwort, der in der Frage noch nicht vorausgesetzt wurde, ist zu berücksichtigen.[51]
4. Dokumentation
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Die Anhörung der Auskunftsperson ist in der Regel schriftlich zu dokumentieren. Nach der Begründung der zitierten BRAK-These muss die Dokumentation den Anschein einer „amtlichen“ Handlung vermeiden. Ob dem Mitarbeiter auf Verlangen später Einsicht zu gewähren ist, mag im Einzelfall entschieden werden. Die BRAK empfiehlt das.
Wie bei den meisten Einzelfragen rund um das Interview gibt es keine Pauschallösungen. So sind Fälle denkbar, in denen Befragungen von Mitarbeitern nicht weiter dokumentiert werden müssen. Die Motivation dafür kann unterschiedlich sein. In der Regel soll die Untersuchung Ermittlungsergebnisse generieren, die zu Beweis- oder anderen Untersuchungszwecken in Schriftform festgehalten werden.
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Eine authentische Dokumentation ist heutzutage technisch problemlos durch Bild-Ton-Aufnahmen gewährleistet. Dennoch gibt es Gründe, die gegen eine solche Dokumentationsform sprechen. Faktisch wird die Atmosphäre extrem formalisiert und insgesamt sinkt die Auskunftsfreude spürbar. Während bei aussagepsychologischen Begutachtungen die Audio- oder Videoaufnahme mit anschließender Transkription dem wissenschaftlichen Standard entspricht, ist diese Form bei den meisten unternehmensinternen Untersuchungen nicht das Mittel der Wahl. Hinzu treten rechtliche Probleme: Eine (Bild-)Ton-Aufnahme der Befragung ist ohne die ausdrückliche Einwilligung aller Gesprächsteilnehmer unzulässig. Außerdem ist bei grenzüberschreitenden Untersuchungen für die SEC oder das DOJ zu beachten, dass eine Abschrift oder (Bild-)Ton-Aufnahme nicht unter das „Attorney-Client-Privilege“ fallen würde, da sie keine juristische Bewertung durch den Anwalt enthält.[52] Damit wären die Aufnahmen bzw. Transkriptionen nicht beschlagnahmefrei.
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Derzeit werden Mitarbeiterbefragungen vorzugsweise durch Gesprächsprotokolle dokumentiert, die der Interviewer verfasst. Um späteren Streitigkeiten über den Inhalt, soweit es geht, bereits im Vorfeld zu begegnen, sollte das Gesprächsprotokoll vom Mitarbeiter abgezeichnet werden. So werden auch Missverständnisse vermieden. Die Aussagen des Mitarbeiters sollten möglichst wortgetreu und wertneutral dargestellt werden. Es ist für die spätere Bewertung der Auskünfte besser, wenn die Fragen ebenfalls protokolliert werden.