- -
- 100%
- +
3. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates
93
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Tat- und Verdachtskündigung auch für die Betriebsratsanhörung. Jede ohne vorherige Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Sehr wahrscheinlich wird der Arbeitgeber die Ermittlungsergebnisse der internen Ermittler, zumindest in Teilen, für die Betriebsratsanhörung verwenden. Ist die Kündigung nur als Verdachtskündigung wirksam, muss der Betriebsrat dazu auch explizit angehört werden. Erfolgt die Anhörung nur zu einer Tatkündigung, ist die Verdachtskündigung unwirksam. Wurde der Betriebsrat umgekehrt nur zu einer Verdachtskündigung angehört, schließt dies die spätere Wirksamkeit der Kündigung als Tatkündigung nicht aus, wenn dem Betriebsrat alle Tatsachen mitgeteilt wurden und die Tat nach Auffassung des Gerichts erwiesen ist.[32] Es empfiehlt sich daher selbst bei einer aus Sicht des Arbeitgebers nachgewiesenen Tat immer, dem Betriebsrat den Sachverhalt – einschließlich etwaiger entlastender Umstände – zu schildern und den Betriebsrat im Abschlusssatz der Anhörung zur Tat- und hilfsweisen Verdachtskündigung anzuhören.[33] Die (angeblich) unzureichende Betriebsratsanhörung wird in den arbeitsgerichtlichen Instanzen gern als häufige Fehlerquelle genutzt. Selbst bei sich aufdrängendem Tatverdacht werden Zweifel an der Wirksamkeit der Betriebsratsanhörung angeführt, um den Arbeitgeber zu einem Vergleichsabschluss zu motivieren. Es empfiehlt sich daher immer, die Betriebsratsanhörung von einem mit der Sache bislang nicht befassten Arbeitsrechtler gegenlesen zu lassen. Für die Wirksamkeit einer Betriebsratsanhörung kann es entscheidend sein, dass sie aus sich heraus verständlich ist. Das gelingt dem Ermittler oder einem früh eingebundenen Personalleiter häufig nicht, da diesen Personen zu viele Sachverhaltsdetails so geläufig sind, dass sie in der Anhörung nicht mehr die notwendige Erwähnung finden.
94
Für den Arbeitgeber stellt sich die Frage, ob und wieweit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei internen Ermittlungen besteht. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist mit dem Betriebsrat eine Einigung zu erzielen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Davon zu unterscheiden ist das mitbestimmungsfreie bloße Arbeitsverhalten. Mitbestimmungsfrei sind daher bloße Arbeitsanweisungen, die lediglich die Arbeitspflicht konkretisieren. Das BAG hat ein Mitbestimmungsrecht einer Personalvertretung zum insoweit gleichlautenden § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG bejaht.[34] Die Personalvertretung hatte ihre Mitbestimmung bei Weisungen der Dienststelle gegenüber zivilen deutschen Arbeitnehmern verlangt. Die Arbeitnehmer waren angewiesen worden, gegenüber dem Ermittler einer amerikanischen Antidiskriminierungskommission auszusagen. Kein Mitbestimmungsrecht besteht in diesen Fällen, ob die Mitarbeiter überhaupt aussagen müssen. Ebenso wenig hat der Betriebsrat über den Inhalt und die Art der Befragungen mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht besteht aber hinsichtlich allgemeiner Verfahrensregelungen, etwa einer Ankündigungsfrist gegenüber den Mitarbeitern.[35] Dem Arbeitgeber ist daher anzuraten, sich mit dem Betriebsrat frühzeitig auf allgemeine Verfahrensfragen zu einigen. Generell dürfte sich eine frühzeitige und eingehende Einbindung der Mitarbeitervertretung in die geplanten Ermittlungen empfehlen, um die Akzeptanz der Ermittlungen in der Belegschaft zu erhöhen. Verhindern kann der Betriebsrat die Ermittlungen nicht. Scheitert die Einigung, entscheiden die Einigungsstelle und danach ggf. die Arbeitsgerichte (§ 87 Abs. 2 BetrVG).
95
Der interne Ermittler sollte sich zudem vor seinen Ermittlungen immer vergewissern, welche kollektivrechtlichen Vereinbarungen auf sein Ermittlerhandeln anwendbar sind. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Will der Ermittler bspw. eine heimliche Videoüberwachung vornehmen, ist dies mit dem Betriebsrat abzustimmen. In der Praxis existieren häufig Betriebsvereinbarungen, die beim Verdacht doloser Handlungen eine bestimmte Vorgehensweise vorschreiben, etwa die Einschaltung des Betriebsrates, der internen Revision und ggf. der Polizei. Zwar führt die Missachtung einer solchen Betriebsvereinbarung nicht zur Unwirksamkeit einer späteren Kündigung.[36] Der Ermittler kann dadurch aber ein (für den Arbeitgeber teures) Unterlassungsverfahren durch den Betriebsrat heraufbeschwören. Zuweilen werden Ermittlungserfolge dadurch vereitelt, dass vor dem Beginn der Überwachungsmaßnahme zu viele Stellen informiert werden müssen. Bewährt haben sich daher Betriebsvereinbarungen, die im Verdachtsfall dem Arbeitgeber einen bestimmten Maßnahmenkatalog erlauben, ohne dass vorher Betriebsrat und Datenschutzbeauftragter einbezogen werden. Deren Rechte können dadurch gewahrt werden, dass die eingeleiteten Maßnahmen dokumentiert und hinterher mit den entsprechenden Stellen erörtert werden müssen.
4. Haftungsrisiken
96
Der interne Ermittler sollte auch eigene Haftungsrisiken beachten. Bedient sich der Arbeitgeber bei seinen Ermittlungen externer Berater wie Rechtsanwälten, sind diese bereits durch ihre gesetzliche Schweigepflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO gebunden. Anwälte können sich zudem ebenso wie Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar machen, wenn sie ihnen anvertraute Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbaren. Auch der angestellte interne Ermittler, etwa der Revisor, ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Aufgrund des arbeitsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes ist jeder Mitarbeiter verpflichtet, über Betriebsinterna Stillschweigen zu bewahren.[37] Ergänzt wird diese allgemeine Pflicht durch § 17 UWG, der die Geheimhaltung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen fordert. Dazu zählen nach h.M. alle Tatsachen, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen, zudem nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und nicht offenkundig sind und nach dem (ausdrücklichen oder vermuteten) Willen des Arbeitgebers auch geheim bleiben sollen.[38] Diese kumulativen Voraussetzungen treffen auf Ermittlungsergebnisse der internen Ermittler ohne weiteres zu. Der Ermittler sollte seine internen Erkenntnisse also weder gegenüber Familie oder Freunden noch gar gegenüber der Presse äußern, um sich nicht schadensersatzpflichtig zu machen.
97
Stellt sich der Verdacht nach den Ermittlungen als haltlos heraus, können sich daraus nur Schadensersatzpflichten ergeben, wenn der Ermittler schuldhaft Sorgfaltspflichten verletzt und dadurch einen Schaden verursacht hat. Während sich die Haftung eines externen Beraters allein nach zivilrechtlichen Grundsätzen bemisst, ist der angestellte Ermittler gegenüber seinem Arbeitgeber durch die Grundsätze der Haftungserleichterung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit geschützt.[39]
98
Entschieden ist, dass der Arbeitgeber nicht für einen nach einer Kündigung erfolgten Selbstmord des Arbeitnehmers haftet.[40] Dies gilt selbst bei einer erkennbar unwirksamen Kündigung. Bei einer Selbsttötung handelt es sich nämlich um einen derart seltenen und damit unwahrscheinlichen Geschehensablauf, dass er regelmäßig nicht als adäquat kausal durch im Arbeitsleben immer wieder vorkommende schädigende Handlungen, z.B. den Ausspruch und die Rücknahme einer sozial ungerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung, verursacht angesehen werden kann.[41] Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Suizidgefahr dem Arbeitgeber durch objektive Tatsachen bekannt sein musste. Diese Grundsätze lassen sich auf den internen Ermittler übertragen. Gleichwohl gibt es in der Praxis Revisoren, die bei schweren Verfehlungen die Ermittlungsgespräche mit Mitarbeitern aus Fürsorgegründen nur in Erdgeschossräumen durchführen und je nach Erregungszustand den Mitarbeiter bspw. anschließend von einem Taxi nach Hause bringen lassen.
Anmerkungen
[1]
BAG NZA 2009, 1136.
[2]
ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 176.
[3]
BAG NZA 2009, 1136, 1142 Rn. 51.
[4]
BAG NZA 2009, 1136; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 177 m.w.N.
[5]
LAG Berlin-Brandenburg 30.3.2012 – 10 Sa 2272/11, die unter dem Az. 2 AZN 1141/12 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen.
[6]
Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB, 2012, Rn. 18.
[7]
LAG Berlin-Brandenburg LAGE § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10.
[8]
BAG NZA 2015, 741, 745 Rn. 58.
[9]
BAG NZA 2015, 741, 746 Rn. 61.
[10]
BAG NZA 2015, 741, 746 Rn. 62.
[11]
BAG NZA 2008, 809, 810 Rn. 15; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 178.
[12]
BAG NZA 2008, 809.
[13]
BAG NZA 2008, 809, 811 Rn. 20.
[14]
BAG NZA 2008, 809, 811 Rn. 18.
[15]
BAG NZA-RR 2008, 630; Küttner/Schmidt Personalbuch 2016, Verdachtskündigung, Rn. 11.
[16]
BAG NZA 2008, 809.
[17]
BAG NZA 2014, 1015, 1016 Rn. 14; Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB 2012, 18, 19.
[18]
BAG NZA 2014, 1015, 1016 Rn. 14; Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB 2012, 18, 19.
[19]
BAG NZA 2014, 1015, 1016 Rn. 14.
[20]
Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB 2012, 18, 19.
[21]
BAG NZA 2014, 1015, 1016, Rn. 26.
[22]
ArbG Köln 19.11.2008 – 7 Ca 3002/08.
[23]
Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB, 2012, Rn. 18, 21.
[24]
BAG NZA 2005, 416, 418.
[25]
So aber Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB, 2012, Rn. 18, 20.
[26]
BAG NZA 2005, 416, 418.
[27]
BAG NZA 2005, 416, 419.
[28]
BAG NZA 2005, 416, 419.
[29]
BAG NZA 2008, 809, 811, Rn. 18, zuständig Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB, 2012, Rn. 18, 20; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 178b.
[30]
BAG DB 2009, 1544.
[31]
BAG DB 2009, 1544.
[32]
BAG NZA 2009, 1136.
[33]
Küttner/Kreitner Personalbuch 2016, Mitbestimmung, personelle Angelegenheiten, Rn. 32.
[34]
BAGE 116, 36.
[35]
BAGE 116, 36.
[36]
BAG NZA 2008, 1008.
[37]
Küttner/Kania Personalbuch 2016, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 2.
[38]
Küttner/Kania Personalbuch 2016, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 2.
[39]
Einzelheiten bei Küttner/Griese Personalbuch 2016, Arbeitnehmerhaftung, Rn. 8 ff.; ErfK/Preis § 619a BGB Rn. 9 ff.
[40]
BAG NZA 2009, 38.
[41]
BAG NZA 2009, 38, 43 Rn. 54.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 8. Kapitel Personenüberwachung durch Observationen
8. Kapitel Personenüberwachung durch Observationen
Inhaltsverzeichnis
I. Begriffsbestimmung
II. Rechtliche Überlegungen
III. Planung der Observation
IV. Umsetzung/Durchführung
V. Nacharbeitung
VI. Schlussbetrachtung
Literatur:
Balzer/Nugel Observierung und Datenschutz – Rechtliche Grenzen und Verwertbarkeit von Ermittlungsergebnissen, NJW, 2013; Brauser-Jung Das überwachungsbedürftige Sicherheitsgewerbe des § 38 I Nr. 2 und 5 GewO – zum rechtlichen Rahmen des Detektivgewerbes und des Gebäudesicherungseinrichtungsgewerbes, in Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, 2004, S. 207; Dendorfer/Moll Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2012; Fleischer Wirtschaftsspionage – Phänomenologie, Erklärungsansätze und Handlungsoptionen, 2016; Department of the Army (Hrsg.) FM 2-22.3 Human Intelligence Collector Operations, 2006; Glitza Observation – Praxisleitfaden für private und behördliche Ermittlungen, 3. Aufl. 2009; Grübler/Howorka/Lammel/Roll/Soinë/Steffen/Stümper Kriminalistik-Lexikon, 2013; Heesen/Hönle/Peilert/Martens Bundespolizeigesetz, 5. Aufl. 2012; Heider Wirksame Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verringerung von Fehlzeiten, NJW 2015, 1051; Kleinknecht/Meyer-Goßner Strafprozessordnung, 57. Aufl. 2014; Lunk Prozessuale Verwertungsverbote im Arbeitsrecht, NZA 2009, 471 ff., Margolis The Lack of HUMINT in Global Security Studies, Spring 2013, Volume 4, Issue 2, S. 43; Notzon Arbeitsrecht meets Facebook, 2013; Peilert Das Datenschutzrecht des Sicherheitsgewerbes und Videoüberwachung in Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, 2004, S. 223; Sauer Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 4. Aufl. 2014; Stober/Olschok Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, 2004; Thüsing Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 8. Kapitel Personenüberwachung durch Observationen › I. Begriffsbestimmung
I. Begriffsbestimmung
1
Observationen sind seit vielen Jahren ein klassisches Mittel der Kriminalistik und der internen Ermittlungen. Von Observation (lat. Observatio, bedeutet u.a. Beobachtung, Wahrnehmung) spricht man immer dann, wenn Personen oder Sachen zur Sachverhaltsaufklärung (aus präventiven Gründen oder zur Erforschung von Straftaten, Pflichtwidrigkeiten o.Ä.) planmäßig beobachtet/überwacht werden.
2
Für den Bereich interner Ermittlungen lohnt sich ein Blick in polizeispezifische Definitionen, die naturgemäß in ihren Dienstvorschriften auch diese Form polizeilichen Handelns beschrieben haben. So wird in der zentralen Polizeidienstvorschrift die Observation wie folgt definiert:
„Planmäßige, im allgemeinen unauffällige Beobachtung von Personen, Personengruppen, Objekten usw.“[1]
3
An anderer Stelle findet sich folgende Definition: „Die kriminalpolizeiliche Observation ist die gewissenhafte Beobachtung von Personen, Einrichtungen und Sachen mit dem Ziel, unter grundsätzlicher Wahrung der Unauffälligkeit grundlegende oder ergänzende Erkenntnisse für polizeiliche oder juristische Maßnahmen zu gewinnen.“[2]
4
Observationen dienen überwiegend dazu, durch beobachtende Teilhabe Erkenntnisse zu gewinnen, die dazu genutzt werden können, einen unbekannten Täter oder Tatbeteiligten zu identifizieren bzw. einem bekannten Täter eine konkrete Tathandlung nachzuweisen.
5
Sobald sich im Rahmen einer internen Untersuchung ein konkreter Tatverdacht gegen einen Mitarbeiter eines Unternehmens oder auch gegen einen sonstigen Dritten ergibt, wird der Untersuchungsführer sehr schnell in die Situation kommen, bereits bestehende Verdachtsmomente im Hinblick auf ihre Qualität überprüfen zu wollen. Nicht selten wird es auch darauf ankommen, bestimmte Indizien zu verifizieren, personelle Verflechtungen aufzudecken, Aussagen zu validieren usw. Spätestens jetzt wird er auch über die Möglichkeit einer Observation nachdenken. Sofern er an eine zielgerichtete, planmäßige und heimliche Beobachtung[3] denkt, ist von einer Observation auszugehen.
6
Die Überwachung des in Verdacht geratenen Mitarbeiters steht dann häufig auf der Liste der in Betracht kommenden Maßnahmen zur Beweiserhebung. Dass eine Person unerwünschten Kontakt zu Wettbewerbern hat, sich im Rotlichtmilieu aufhält, heimlich illegale Spielclubs besucht oder mutmaßlich entwendetes Firmeneigentum bei Hehlern verkauft, sind alles Fragestellungen, die vermeintlich im Rahmen einer Observation geklärt werden könnten.
7
Die nahezu alltägliche Darstellung von Observationsmaßnahmen der Polizei und privater Detektive[4] in vielen Fernsehfilmen trägt dazu bei, dass diese Form der Ermittlungshandlungen mittlerweile zum gedanklichen Standardrepertoire jedes Sicherheitsbeauftragten, Compliance Officers oder Revisionsmitarbeiters gehört. Dabei sind die Hürden und Anforderungen an eine professionelle Observation nicht so trivial wie die Mediendarstellung es vermuten lässt.
1. Ziel der Observation
8
Ob die Observation nach Abwägung aller Aspekte einer ausgewogenen Mittel-Zweck-Relation eine geeignete und zulässige Maßnahme ist, muss sorgsam geprüft werden.
9
Zunächst sollte das Ziel der Maßnahme eindeutig definiert sein. Ferner muss geklärt werden, ob dieses Ziel nicht auch durch alternative Ermittlungsmaßnahmen erreicht werden kann. Neben den noch darzustellenden rechtlichen Überlegungen (vgl. Rn. 24) müssen auch ermittlungstaktische Fragen beantwortet werden: Welche Folge kann das vorzeitige Bekanntwerden der Observationsmaßnahmen haben? Was passiert, wenn der Betroffene die Observation bemerkt? Können durch die Observation andere Beweismittel beschädigt werden? Müssen Dritte mit in die Observation einbezogen werden?
10
Wie im Folgenden noch darzustellen sein wird, handelt es sich bei einer professionell durchgeführten Observation nicht nur um eine theoretisch anspruchsvolle Maßnahme. Anders als bei anonym durchgeführten Online-Recherchen sucht der Ermittler die persönliche Nähe zum vermeintlichen Täter, um diesen einer konkreten Tathandlung zu überführen. Dies setzt ein hohes Maß an Professionalität und Erfahrungswissen voraus, um nicht als Observant erkannt zu werden, also „nicht zu verbrennen“.
11
Die Observation sollte daher stets nur dann eine Maßnahme zur Beweiserhebung sein, wenn alle anderen Ermittlungsmethoden ausgeschöpft sind und das Ermittlungsziel auf anderem Wege nicht erreicht werden kann. Zudem sollte sie nur von qualifizierten und trainierten Observanten (vgl. auch Rn. 118) durchgeführt werden.
12
Neben den oben dargestellten rein praktischen Gesichtspunkten müssen bei der Frage, ob eine Observation eine geeignete operative Maßnahme ist, in jedem Fall die rechtlichen Aspekte Eingang in die Bewertung finden, da die planmäßige Beobachtung eines Menschen stets ein erheblicher Eingriff in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Rn. 29 ff.) ist.
2. Arten von Observationen und andere Begrifflichkeiten
13
Observationen werden öffentlich rechtlich als Maßnahmen zur Erhebung personenbezogener Daten verstanden, wenn dies zur Verhinderung oder Erforschung von Straftaten geboten ist.
In der Kriminalistik werden folgende Formen von Observationen unterschieden:[5]
– stehende oder auch Standobservation, – rollende oder auch fließende Observation, – offene oder offensive Observation, – Ziel- und Quellobservation.14
Die stehende Observation bezeichnet jene Form der Beobachtung, in der Gebäude, stehende Fahrzeuge oder Objekte observiert werden. Ziel ist in diesen Fällen die Feststellung, wer ein bestimmtes Gebäude betritt oder verlässt, wer z.B. der Nutzer eines Fahrzeuges oder Bootes ist oder wer sich wann an einem bestimmten Ort aufhält.
15
Die sogenannte rollende oder auch fließende Observation bezieht sich auf bewegliche Objekte oder Personen, die sich fortbewegen. Sie wird in der Mehrzahl der Fälle zur Anwendung kommen, allein deshalb, weil stehende Observationen nicht selten in fließende Observationen einmünden.
16
Die offene oder offensive Observation ist eine Sonderform und kommt nahezu ausschließlich als Präventivmaßnahme in Betracht. Hier wird bewusst so observiert/beobachtet, dass der Betroffene die Maßnahme bemerkt. Der Zweck ist, zu verdeutlichen, dass man die Person oder das Objekt im Auge hat und damit eine gewisse Abschreckungswirkung besteht.
17
Die Zielobservation setzt am möglichen Endpunkt einer zu erforschenden Handlung an. Denkbar ist zum Beispiel die Beobachtung eines Ablageorts oder eines Arbeitszeiterfassungsgeräts. Die Zielobservation kann sich immer auch gegen einen unbekannten Täter/Verdächtigten oder sonstigen Beteiligten richten. Bei der Quellobservation wird in der Regel ein bekannter Täter/Verdächtigter oder sonstiger Beteiligter während einer bestimmten Tätigkeit von Beginn an beobachtet/überwacht.
18
Aus juristischer Sicht muss darüber hinaus auch eine Differenzierung nach kurzfristigen und langfristigen Observationen vorgenommen werden (vgl. Rn. 39).
19
Die zu überwachenden Personen und Objekte werden standardmäßig als Zielpersonen bzw. Zielobjekte bezeichnet und – sofern jeweils mehrere vorhanden sind – als Zielperson 1 oder Zielperson 2 usw. durchnummeriert. Entsprechend spricht man auch von Zielobjekt 1, Zielobjekt 2 usw.[6]
20
Sofern es sich um eine rollende Observation handelt, findet auch der Begriff Zielfahrzeug Verwendung.
21
In der stets erforderlichen Dokumentation einer Observationsmaßnahme hat sich die Verwendung der Abkürzungen ZP für Zielperson und ZO für Zielobjekt sowie ZF für Zielfahrzeug allgemein durchgesetzt.
22
Die Personen, die eine Observation durchführen, werden als Observanten bezeichnet[7]. Auch hier werden – zumindest für die schriftliche Dokumentation – die einzelnen Observanten durchnummeriert und dann entsprechend als Observant 01 oder Observant 02 usw. bezeichnet.
23
Kontrovers kann der Begriff des Bewegungsbildes aufgenommen werden. Beim Bewegungsbild geht es darum, durch die längerfristige Erfassung von Geodaten, die Bewegung einer bestimmten Person in einem geographischen Raum zu bestimmbaren Zeitpunkten zu erfassen. Mittlerweile hat der Begriff auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden.[8] Da der Begriff impliziert, über einen längeren Zeitraum zahlreiche personenbezogene Daten zu erheben, sind die rechtlichen Anforderungen erheblich.
Anmerkungen
[1]
Polizeidienstvorschrift (PDV) 100, Anlage 6.
[2]
Glitza S. 17, mit Verweis auf die PDV 100, Ziff. 2.1.2.
[3]