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Auch wenn es auf den ersten Blick paradox wirkt: Mit einer gewissenhaften und zielgerichteten Vorbereitung kann die Erheblichkeit des rechtlichen Eingriffs minimiert werden. Je zielgerichteter die Vorbereitung und Recherche ist, desto „minimalinvasiver“ kann die eigentliche Observation angesetzt werden. Je größer die Recherchekreise sind, die gezogen werden, umso größer sind die Anforderungen an die Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit.
a) Methoden der Informationsgewinnung
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Um im Vorfeld einer Observation an erforderliche Auskünfte zu gelangen, ergeben sich diverse Methoden der Informationsgewinnung. Die wichtigsten Methoden auf die externe Ermittler zurückgreifen können, orientieren sich an einem nachrichtendienstlichen Modell, das unter dem Begriff „intelligence“ bzw. „intelligence cycle“ bekannt ist.[1] Hierbei handelt es sich um ein prozessorientiertes Phasenmodell, dass die einzelnen Schritte von der Informationserhebung über Analyse und Aufbereitung bis zur Nutzung der Daten aufgreift und in einem Gesamtmodell zusammenfasst.
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Die Informationsgewinnung umfasst in der Regel folgende Techniken
– OSINT (Open Source Intelligence): OSINT wird als: „die systematische und gezielte Beschaffung von frei verfügbaren Informationen“[2] definiert und umfasst klassische Berichte und Meldungen aus den Printmedien, Rundfunkbeiträge, sowie beispielsweise Einträge in Telefonbüchern und öffentlichen Registern oder Mitgliederlisten von Vereinen. Das größte Datenvolumen bietet aber das Internet mit zahlreichen staatlichen und kommerziellen Datenbanken, online Nachrichtenseiten, Blogeinträgen, etc. Außerdem können geschulte Rechercheure durch gezielte Suchabfragen mit Hilfe von bspw. Google Hacks (spezielle Suchoperatoren) relevante Informationen finden, die sonst Online nicht auffindbar wären. – Social Media Intelligence (SOCMINT) wird entweder als Bestandteil von OSINT oder als eine separate Informationsgewinnungsmethode betrachtet. Hierbei handelt es sich um Informationen auf Social-Media-Plattformen, wie beispielsweise Facebook oder Twitter. Derartige Informationen können öffentlich sein, d.h. sie sind für registrierte Nutzer frei zugänglich, bzw. können sogar für nicht-registrierte Anwender einsehbar sein. Die Analyse von persönlichen Webauftritten in den sozialen Netzwerken ermöglicht den Ermittlern sich ein Bild über die Zielperson zu verschaffen. So können bspw. die Zugehörigkeit zu einem Verein, ein Lieblingsrestaurant oder ähnliches ermittelt werden. Rechtliche Grenzen ergeben sich, wenn Ermittler an private Informationen, beispielsweise in geschlossenen Gruppen oder auf für Außenstehende nur eingeschränkt einsehbare Profilseiten, gelangen wollen. Wird etwa versucht, mittels Vortäuschung einer falschen Identität an Informationen zu gelangen, die der Ermittler auf regulärem Wege nicht erhalten hätte, wird in der Regel eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorliegen.[3] – Human Intelligence (HUMINT): Der Begriff HUMINT[4] bezeichnet die Auswertung von Informationen, die durch menschliche Quellen bereitgestellt werden. Im Falle von Vorabrecherchen für eine Observation kann dies beispielsweise in Form des sog. Social Engineering[5] oder einer legendierten Kontaktaufnahme erfolgen, um an Informationen zu gelangen. HUMINT wird oft dann eingesetzt, wenn vorhandene Informationen verifiziert oder verdichtet werden sollen. So könnte beispielsweise eine direkte Kontaktaufnahme zur Zielperson durch einen Telefonanruf am Wohnort deren gegenwärtigen Aufenthaltsort bestätigen.106
Neben diesen Methoden können weitere Formen der Informationsgewinnung zum Einsatz kommen, sofern sie aus Sicht des Ermittlerteams geeignet sind und rechtlich zulässig und verhältnismäßig sind: so steht beispielsweise der Einsatz von Fernmeldeaufklärung (Communication Intelligence, COMINT) aufgrund der hohen technischen Anforderungen und der immensen juristischen Hürden bei kaum einer privaten Ermittlung zur Debatte. Eine Analyse von Standortdaten (Location Intelligence, LOCINT), die etwa bei Beiträgen in sozialen Netzwerken mitgeteilt werden, kann allerdings dabei helfen, den Standort oder das Bewegungsprofil einer Zielperson zumindest in Teilen zu ermitteln.[6]
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Je nach Menge der recherchierten Informationen, kann es sinnvoll sein, die Daten zu visualisieren. So können etwa Netzwerke und Beziehungsgeflechte, die sich aus Personenverbindungen, Firmengeflechten oder sonstigen Beziehung ergeben mittels spezieller Software dargestellt werden. Geodaten können ebenfalls visualisiert werden. Dies kann beispielsweise mittels sog. Geotools wie Google Earth geschehen. Des Weiteren ist es gerade bei komplexeren Fällen sinnvoll, zeitliche Abläufe anhand eines Zeitstrahls zu visualisieren. Hoch komplexe Datenbanksysteme sind mittlerweile darauf ausgerichtet, aus unterschiedlichen Quellen sog. Metadaten miteinander zu verknüpfen und in dynamischen Schaubildern aufzubereiten.
b) Raumbezogene Aspekte
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Die erfolgreiche Durchführung einer Observation ist entscheidend von den Örtlichkeiten abhängig. Observanten müssen mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Geländes und der vor Ort vorgefundenen Situation vertraut sein. Nur dann können sie sich zu Beginn einer Observation so positionieren, dass zwar einerseits der Blick auf Zielobjekte oder Zielpersonen möglich ist, sie aber andererseits auch lange Zeit unentdeckt bleiben können. Soll beispielsweise ein frei stehender Übergabeort observiert werden, stellt sich häufig das Problem, Observanten so zu positionieren, dass sie auch unbeteiligten Personen nicht als „verdächtig“ erscheinen, aber dennoch nah genug an das Objekt herankommen, um eventuelle Besucher eines Hauses zweifelsfrei zu identifizieren. Hier spielt die Bebauung des Umfeldes eine ebenso zentrale Rolle wie die angrenzenden Verkehrsflächen und sonstige geographische Besonderheiten.
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Um die vielfältigen objekt- und raumbezogenen Fragestellungen zu beantworten, sollten bereits im Vorfeld einer geplanten Observation sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel der Recherche genutzt werden. Hier sind in erster Linie Geotools wie Google Earth zu nennen. Das Programm bietet erste Anhaltspunkte über die Geländebeschaffenheit am Zielobjekt. Das Programmmodul StreetView gestattet zusätzlich einen ersten Überblick über die Infrastruktur vor Ort. Durch sorgfältige Analyse der hier enthaltenen Informationen lassen sich im günstigsten Fall sogar mögliche Beobachtungsstandorte vorher identifizieren.
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Da die Programme in der Freeware-Version[7] kaum aktuelle Daten liefern können und aufgrund des Umstands, dass sich die Verhältnisse vor Ort innerhalb kurzer Zeit z.B. durch Einrichtung von Baustellen oder Umleitungen vollkommen verändern können, reicht ein Blick auf den Stadtplan oder eine digitale Karte nicht aus. Ob die Örtlichkeit für eine Observation geeignet ist oder nicht, lässt sich nur durch Recherchen vor Ort klären. Ergänzend können Katasterauskünfte, Liegenschaftspläne, Stadtpläne, etc. genutzt werden, um einen umfassenden Eindruck von den Verhältnissen vor Ort zu bekommen.
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Eine Ortsbesichtigung zur Vorbereitung einer stationären Objektobservation sollte mindestens folgende Fragestellungen beantworten:
– Ist ein Gebäude vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar, oder liegt es innerhalb einer Einfriedung oder Umzäunung und kann von außen eventuell gar nicht beobachtet werden? – Besteht die Möglichkeit, sich auch längerfristig unauffällig in der Nähe des Objektes aufzustellen oder wird dies sofort von Anwohnern bemerkt? – Können Fahrzeuge in Sichtweite des Zielobjektes unauffällig geparkt werden? – Wird das Zielobjekt durch eine Einbruchmeldeanlage gesichert? Sind Bewegungsmelder erkennbar? – Wie sind die Lichtverhältnisse vor Ort? – Wie viele Ein- und Ausgänge existieren? – Gibt es Hinweise auf eine regelmäßige Bestreifung zum Beispiel durch einen Wachdienst?112
Sofern eine rollende Observation geplant ist, sollte vorher geklärt werden, wie der Fahrweg beschaffen ist. An dieser Stelle wären folgende Fragestellungen möglichst im Vorfeld der geplanten Observation zu klären:
– Sind weite Strecken durch freies Gelände enthalten, die Verfolgerfahrzeuge weithin sichtbar machen oder geht es durch enge Stadtbebauung? – Wird der mutmaßliche Fahrweg durch dichten Verkehr geprägt sein oder nicht? Sind Baustellen zu befürchten, die eine Verfolgung erschweren könnten? Bestehen besondere Tempo-Limits? – Besteht die Möglichkeit Observationsfahrzeuge an der vermuteten Strecke zu positionieren? – Gibt es besonders unübersichtliche Knotenpunkte, die eine Verfolgung erschweren könnten?113
Es versteht sich von selbst, dass alle Erkenntnisse dokumentiert und den Observanten in geeigneter Form überlassen werden müssen. Es sind also neben Stadtplanausschnitten auch kartografische Daten der Zielobjekte, bereits bekannte mutmaßliche Fahrtrouten, Geländepläne etc. anzufertigen und durch aktuelle Fotos zu ergänzen. Es empfiehlt sich sog. Objektakten zu erstellen. Sollte aus rechtlichen Gründen eine Observation an bestimmten Orten unzulässig sein, so kann auch dies in den Unterlagen vermerkt werden. Hierdurch dokumentiert der Leiter einer Untersuchung den wohl abgewogenen Umgang mit dem Observationsauftrag. Rechtliche Indikationen einer raumbezogenen Betrachtung wurden unter Rn. 60 im Rahmen der sog. Sphärentheorie diskutiert.
c) Zeitliche Aspekte
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In der Praxis wird man nicht selten vor der Frage stehen, wann der beste Zeitpunkt für eine geplante Observation ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es bestimmte Parameter gibt, die bereits für sich ein Ausschlusskriterium darstellen können. So sind Feiertage oder auch persönliche Festtage (Geburtstag der ZP) per se kritisch, da sie oft dazu führen, dass Menschen ihren gewohnten Tagesablauf ändern und damit die Berechenbarkeit auch für die Observanten abnimmt.
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Die Observation eines Objektes an einem Tag, an dem dieses geschlossen ist, verursacht in aller Regel nur Kosten und führt zu keinen Ergebnissen. Auch wenn dieser Widerspruch evident ist, sollte er sehr wohl berücksichtigt werden.
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Wenn es sich vermeiden lässt, sollten Observationsmaßnahmen nicht zwingend in Zeitfenstern erfolgen, in denen mit schlechten Sichtverhältnissen gerechnet werden muss. Sofern für die kommenden Tage Unwetter zu erwarten sind, kann eine Verschiebung der Observationsmaßnahmen durchaus eine Option sein.
5. Auswahl der Observanten
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Der Ermittlungsführer einer internen Untersuchung verfügt im günstigsten Fall über unternehmenseigene Ermittlungsressourcen. Mit entsprechend ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeitern lassen sich ggf. viele Ermittlungsschritte zur Vorbereitung einer Observation durchführen und auch professionell umsetzen.
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Die eigentliche Observation erfordert aber, wie bereits dargestellt, erhebliches theoretisches Wissen und auch praktische Erfahrung. Wie nah darf man sich einer Zielperson nähern, ohne aufzufallen; in welchem Rhythmus sollten die Observationsfahrzeuge gewechselt werden, wo sind die Observanten zu platzieren und mit welchem Kräfteansatz sollten einzelne Zielobjekte überwacht werden sind alles Fragestellungen, die von nicht ausgebildeten und unerfahrenen Ermittlern kaum korrekt zu beantworten sind. Auch das häufig im Rahmen einer Observation erforderliche „Eintauchen in eine anonyme Menschenmasse“ muss geübt und praktiziert werden, bevor es in einer Observation professionell eingesetzt werden kann. Nicht zuletzt muss ausgeschlossen werden, dass die Zielperson einzelne Observanten bereits persönlich kennt oder als Mitarbeiter wahrgenommen haben könnte.
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Qualifizierte Observanten sind zudem in der Lage die rechtlichen Konsequenzen ihres Handelns einzuschätzen und auch in unvorhersehbaren Situationen rechtssicher entscheiden zu können. Sofern sie über ausreichendes Erfahrungswissen verfügen werden sie die den Auftraggeber einer Observation bereits in der Vorbereitung sorgsam beraten.
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Aus den genannten Gründen dürfte sich die Durchführung einer Observation mit unternehmenseigenen Mitarbeitern in aller Regel verbieten. Der Untersuchungsführer wird folglich auf Dritte zugreifen müssen. Bei diesen wird es sich in der Regel um Detektive handeln, die eine überwachungsbedürftige Tätigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 GewO wahrnehmen. Bei der Auswahl geeigneter Observanten ist darauf zu achten, dass die einschlägigen Gewerbevorschriften ebenso erfüllt werden, wie die notwendige Sachkunde und Zuverlässigkeit.
Anmerkungen
[1]
Fleischer S. 29 ff.
[2]
BND Arbeitsfelder Informationsgewinnung, online unter: www.bnd.bund.de/DE/Auftrag/Informationsgewinnung/Informationsgewinnung_node.html;jsessionid=A654D394C4ABDDE8287C802621B1CF9C.2_cid386; letzter Zugriff am 3.3.2016.
[3]
Vgl. BVerfG 27.2.2008, 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, Absatz-Nr. 310.
[4]
Umfassend beschrieben u.a. im FM 2-22.3 Human Intelligence Collector Operations Handbuch des HQ des Department of the Army (09/2006); siehe auch Margolis S. 45 f.
[5]
Der Begriff Social Engineering kann als Konstruktion sozialer Beziehungen verstanden werden, um hierdurch Informationen zu erlangen, die der Betroffene sonst nicht freiwillig preisgegeben hätte. Umfassend zu den Techniken und rechtlichen Aspekten bei Fleischer S. 37 ff.
[6]
Einen umfassenden Überblick bietet Worcester in: www.wiwo.de/technologie/digitale-welt/mehr-oder-weniger-intelligence-ueber-die-rolle-der-geheimdienste/12159738.html, letzter Zugriff am 15.3.2016.
[7]
Es sollte im Einzelfall geprüft werden, ob die Lizenzbestimmungen der Freeware-Versionen den Einsatz zu gewerblichen Recherchezwecken erlauben. Im Zweifelsfall sind kostenpflichtige Versionen zu verwenden, die oft einen größeren Anwendungsbereich erlauben und auf aktuellere Datenbanken zugreifen.
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