Der Malaiische Archipel

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Selbst diese scheinbar unbedeutenden Dinge können dazu dienen, uns eine der Wahrheit entsprechendere, günstige Ansicht von dem Charakter und den sozialen Verhältnissen der Dajaks zu bilden. Wir lernen daraus, dass diese Völker über die erste Stufe des wilden Lebens herausgekommen sind, auf welcher der Kampf ums Dasein alle Kräfte absorbiert und jeder Gedanke mit Krieg und Jagd oder mit der Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse zusammenhängt. Diese Unterhaltungen weisen auf eine Fähigkeit zur Zivilisation, eine Anlage, sich anderer als nur sinnlicher Vergnügungen zu erfreuen, welche man vorteilhaft dazu verwenden könnte, ihr ganzes intellektuelles und soziales Leben zu heben.
Der moralische Charakter der Dajaks steht zweifellos hoch – eine Behauptung, die denen sonderbar vorkommen wird, die nur von ihnen als von Kopfabschneidern und Piraten gehört haben. Die Hügel-Dajaks aber, von denen ich spreche, sind nie Seeräuber gewesen, da sie sich nie der See nähern; und das Kopfabschneiden ist eine Sitte, die in den kleinen Kriegen zwischen Dorf und Dorf und Stamm und Stamm entstand und welche nicht in höherem Maße einen schlechten moralischen Charakter dokumentiert, als etwa die Sitte des Sklavenhandels vor hundert Jahren einen Mangel allgemeiner Sittlichkeit bei allen denen, welche daran teilnahmen, beweist. Gegen diesen einen Flecken in ihrem Charakter (der bei den Sarawak-Dajaks z. B. nicht mehr existiert) haben wir viele lichte Stellen zu verzeichnen. Sie sind wahrhaft und ehrlich in einem bemerkenswerten Grade. Aus diesem Grund ist es oft unmöglich, von ihnen irgendeine bestimmte Auskunft oder nur eine Meinung zu erhalten. Sie sagen: »Wenn ich erzählen wollte, was ich nicht weiß, so würde ich lügen.« Und wenn immer sie freiwillig eine Tatsache berichten, so kann man sicher sein, dass sie die Wahrheit sprechen. In einem Dajak-Dorf haben alle Fruchtbäume ihre Eigentümer, und es ist mir oft passiert, dass, wenn ich einen Einwohner bat, mir etwas Obst zu pflücken, er mir antwortete: »Ich kann es nicht, denn der Eigentümer des Baumes ist nicht hier.« Und sie schienen nie die Möglichkeit einer anderen Handlungsweise auch nur zu überlegen. Auch werden sie nicht das Geringste von dem nehmen, was einem Europäer gehört. Als ich am Simunjon wohnte, kamen sie beständig in mein Haus und sammelten Stückchen zerrissener Zeitung oder verbogene Stecknadeln, welche ich weggeworfen hatte, auf und erbaten es sich als große Gunst, sie behalten zu dürfen. Verbrecherische Gewalttätigkeiten (andere als Kopfabschneiden) sind fast unbekannt; denn in zwölf Jahren war unter Sir James Brookes Regierung nur ein Fall von Mord in einem Dajak-Stamm vorgekommen, und dieser eine war von einem in den Stamm adoptierten Fremden begangen worden. In verschiedenen anderen Punkten der Sittlichkeit stehen sie über den meisten unzivilisierten und selbst über vielen zivilisierten Nationen. Sie sind mäßig in Speise und Trank, und die grobe Sinnlichkeit der Chinesen und Malaien ist unter ihnen unbekannt. Sie haben den gewöhnlichen Fehler aller Völker in einem halbwilden Zustand – Apathie und Trägheit; aber wie langweilig das auch für einen Europäer sein mag, der mit ihnen in Berührung kommt, so kann es doch nicht als eine sehr belastende Sünde angesehen werden oder ihre vielen vortrefflichen Eigenschaften überdecken.
Während meines Aufenthalts unter den Hügel-Dajaks frappierte mich sehr die scheinbare Abwesenheit jener Ursachen, von denen man gewöhnlich annimmt, dass sie der Vermehrung der Bevölkerung Einhalt tun, trotzdem ganz bestimmte Anzeichen davon da waren, dass die Zahl stationär blieb oder nur sehr langsam wuchs. Die günstigsten Bedingungen für eine rapide Vermehrung der Bevölkerung sind: Überfluss an Nahrung, gesundes Klima und frühzeitige Heiraten. Alle diese Bedingungen sind hier vorhanden. Das Volk produziert viel mehr Nahrung, als es konsumiert, und tauscht den Überschuss gegen Gongs und Metallkanonen, alte Krüge und Gold- und Silberschmuck ein, in welchen Dingen ihr Reichtum besteht. Im Ganzen scheinen sie sehr frei von Krankheit zu sein, Heiraten werden früh geschlossen (aber nicht zu früh) und alte Junggesellen und alte Jungfern sind ebenfalls unbekannt. Wieso also, so müssen wir fragen, resultierte nicht eine größere Bevölkerung daraus? Wieso sind die Dajak-Dörfer so klein und so weit auseinander, während noch

Von allen Ursachen zur Abnahme der Bevölkerung unter wilden Nationen, die Malthus nennt – Hungersnot, Krankheit, Krieg, Kindermord, Unsittlichkeit und Unfruchtbarkeit der Frauen – scheint er die letztgenannte als die am wenigsten wichtige anzusehen und als eine von zweifelhafter Bedeutung; und doch scheint sie mir die einzige zu sein, die den Stand der Bevölkerung unter den Sarawak-Dajaks erklären kann. Die Bevölkerung Großbritanniens wächst derart an, dass sie sich in ungefähr fünfzig Jahren verdoppelt. Damit das zustande kommt, muss jedes verheiratete Paar durchschnittlich drei Kinder im Alter von ungefähr 25 Jahren verheiraten. Zieht man noch die in Rechnung, welche im Kindesalter sterben, welche nie heiraten, oder welche spät heiraten und keine Kinder bekommen, so müssen aus jeder Ehe im Durchschnitt vier oder fünf Kinder hervorgehen, und wir wissen ja, dass Familien mit sieben oder acht Kindern gewöhnlich und mit zehn und zwölf durchaus nicht selten sind. Aber ich erfuhr durch meine Nachforschungen bei fast jedem Dajak-Stamm, den ich besuchte, dass die Frauen selten mehr als drei oder vier Kinder bekommen, und ein alter Häuptling versicherte mich, dass er nie eine Frau gekannt habe mit mehr als sieben. In einem Dorf von hundertundfünfzig Familien lebte nur eine mit sechs Kindern und nur sechs mit fünf Kindern, die Majorität hatte zwei, drei oder vier. Vergleicht man diese Tatsachen mit den bekannten Verhältnissen in europäischen Ländern, so leuchtet ein, dass die Zahl der Kinder aus jeder Ehe kaum im Durchschnitt mehr als drei oder vier sein kann; und da selbst in zivilisierten Ländern die Hälfte der Bevölkerung vor dem fünfundzwanzigsten Lebensjahre stirbt, so würden nur zwei übrig bleiben, um ihre Eltern zu ersetzen; solange dieser Zustand anhält, muss die Population stationär bleiben. Dies soll die Sache natürlich nur illustrieren, aber die Tatsachen, die ich festgestellt habe, scheinen anzudeuten, dass etwas der Art in Wirklichkeit stattfindet, und wenn dem so ist, so kann man unschwer die kleine und fast stationäre Bevölkerungszahl der Dajak-Stämme verstehen.
Wir müssen zunächst nach der Ursache der geringen Anzahl von Geburten und von in einer Familie lebenden Kindern fragen. Klima und Rasse können wohl Einfluss darauf haben, aber ein mehr den Tatsachen entsprechender und ausreichender Grund scheint mir in der harten Arbeit der Frauen und in den schweren Lasten zu liegen, welche sie beständig tragen. Eine Dajak-Frau verbringt im Allgemeinen den ganzen Tag im Feld, trägt jede Nacht eine schwere Last von Gemüse und Holz zum Feuern nach Hause, oft mehrere Meilen weit über raue und hügelige Pfade, und hat nicht selten felsige Berge auf Leitern zu erklimmen und über schlüpfrige Schrittsteine Erhöhungen von tausend Fuß anzusteigen. Daneben hat sie abendlich eine Stunde zu tun, um den Reis mit einem schweren Holzstampfer zu zerstoßen, was jeden Teil des Körpers heftig anstrengt. Schon mit neun oder zehn Jahren tut sie es und ohne Unterbrechung bis ins äußerst gebrechliche Alter. Sicherlich brauchen wir uns nicht über die begrenzte Zahl ihrer Kinder zu wundern, sondern müssen eher staunen über die Zähigkeit ihrer Natur, die ein Aussterben der Rasse nicht zulässt.
Eine der sichersten und wohltätigsten Wirkungen vorschreitender Zivilisation ist die Verbesserung der Lage dieser Frauen. Die Lehre und das Beispiel höherer Rassen wird den Dajak beschämen über sein verhältnismäßig träges Leben, während seine schwächere Hälfte wie ein Lasttier arbeitet. Wenn seine Bedürfnisse wachsen und sein Geschmack sich verfeinert, so werden die Frauen mehr Haushaltspflichten zu erfüllen haben und aufhören, Feldarbeit zu machen – eine Änderung, welche schon zum großen Teil in den verwandten malaiischen, javanischen und Bugis-Stämmen Platz gegriffen hat. Dann wird die Bevölkerung sich sicherlich rascher vermehren, verbesserte Methoden des Landbaus, eine mäßige Teilung der Arbeit wird notwendig werden, um die Mittel zum Leben herbeizuschaffen, und ein komplizierterer sozialer Zustand wird an die Stelle der einfachen gesellschaftlichen Verhältnisse, welche jetzt unter ihnen gelten, treten. Aber wird mit dem tätigeren Kampf ums Dasein, der dann eintritt, das Glück des Volkes im Ganzen sich vermehren oder vermindern? Werden nicht schlechte Leidenschaften durch den Geist des Wettkampfes erregt und Verbrechen und Laster, die jetzt unbekannt sind oder schlummern, ins Leben gerufen werden? Das sind Probleme, welche die Zeit allein lösen kann; aber man muss hoffen, dass Erziehung und das Beispiel der höher organisierten Europäer viel von dem Übel, das oft in analogen Fällen entsteht, beseitigt und dass wir schließlich imstande sein werden, auf ein Beispiel wenigstens hinweisen zu können, wo ein unzivilisiertes Volk nicht demoralisiert wurde und ausstarb durch die Berührung mit der europäischen Zivilisation.
Zum Schluss einige Worte über die Regierung von Sarawak. Sir James Brooke fand die Dajaks bedrückt und bedrängt von der grausamsten Tyrannei. Sie wurden von den malaiischen Händlern betrogen und von den malaiischen Häuptlingen beraubt. Ihre Frauen und Kinder wurden oft gefangen und in Sklaverei verkauft und feindliche Stämme erwirkten sich die Erlaubnis von ihren grausamen Beherrschern, sie ausplündern, in die Sklaverei führen und morden zu dürfen. Rechtsprechungen oder Abhilfe von diesen Schädigungen war durchaus unerreichbar. Seit der Zeit, dass Sir James das Land in Besitz nahm, hat das alles aufgehört. Gleiches Recht gilt für Malaien, Chinesen und Dajaks. Die grausamen Piraten von den Flüssen weiter nach Osten wurden bestraft, schließlich in ihrem eigenen Land eingeschlossen und der Dajak konnte zum ersten Mal ruhig schlafen. Sein Weib und Kind waren nun vor der Sklaverei sicher; sein Haus wurde ihm nicht mehr über dem Kopf angezündet; sein Getreide und seine Früchte gehörten nun ihm, und er durfte sie nach Gefallen verkaufen oder verzehren. Und wer konnte wohl der unbekannte Fremde sein, der alles dieses für sie getan hatte und nichts dafür verlangte? Wie war es ihnen möglich, seine Beweggründe zu begreifen? War es nicht natürlich, dass sie anstehen würden, ihn für einen Mann zu halten? Denn für reines Wohlwollen bei großer Macht gab es unter ihnen kein Beispiel. Sie schlossen daher ganz natürlich, dass er ein höheres Wesen sei, das herab auf die Erde gestiegen, um den Betrübten Glückseligkeit zu bringen. In vielen Dörfern, wo man ihn noch nicht gesehen hatte, fragte man mich ganz sonderbar über ihn. War er so alt wie die Berge? Konnte er die Toten nicht ins Leben zurückrufen? Und sie glauben standhaft, dass er ihnen gute Ernten bescheren und ihre Fruchtbäume reichlich tragen machen könnte.
Wenn man sich ein richtiges Urteil über Sir James Brookes Regierung bilden will, so darf man nicht vergessen, dass er Sarawak nur durch die Gunst der Eingeborenen innehielt. Er hatte es mit zwei Rassen zu tun, von denen die eine, die mohammedanischen Malaien, auf die andere, die Dajaks, als auf Wilde und Sklaven, die nur zum Rauben und Plündern gut sind, herabsahen. Er hat in Wirklichkeit die Dajaks beschützt und hat sie unabänderlich als in seinen Augen gleichberechtigt mit den Malaien behandelt; und doch hat er sich die Liebe und Gunst beider erworben. Trotz der religiösen Vorurteile der Mohammedaner hat er sie bewogen, viele ihrer schlechtesten Gesetze und Sitten zu modifizieren und ihr Kriminalgesetz dem der zivilisierten Welt ähnlich zu machen. Dass seine Regierung noch besteht nach siebenundzwanzig Jahren – trotz seiner häufigen Abwesenheit wegen Krankheit, trotz der Verschwörungen der malaiischen Häuptlinge und der Aufstände der chinesischen Goldgräber, die alle mithilfe der eingeborenen Bevölkerung überwältigt wurden, und trotz der finanziellen, politischen und häuslichen Störungen – das ist, glaube ich, nur den vielen bewunderungswerten Eigenschaften zuzuschreiben, welche Sir James Brooke besaß, hauptsächlich aber gelang es ihm dadurch, dass er die eingeborene Bevölkerung durch jede Handlung seines Lebens überzeugte, dass er sie nicht zu seinem Vorteil, sondern zu ihrem Besten beherrschte.
Seit ich dies geschrieben habe, ist sein edler Geist von hinnen geschieden. Aber wenn er auch von denen, welche ihn nicht kannten, als ein enthusiastischer Abenteurer bespöttelt oder als ein hartherziger Despot geschmäht wird, so kommt doch das allgemeine Urteil derer, welche in seinem Adoptiv-Vaterland mit ihm in Berührung standen, seien es Europäer, Malaien oder Dajaks, darin überein, dass Radscha Brooke ein großer, weiser und guter Herrscher gewesen – ein wahrer und treuer Freund, ein Mann, den man wegen seiner Talente bewundern, wegen seiner Ehrlichkeit und seines Mutes achten und wegen seiner echten Gastfreundschaft, seiner liebenswürdigen Gemütsart und seines weichen Herzens lieben musste.
SIEBTES KAPITEL
JAVA
Ich verbrachte drei und einen halben Monat auf Java, vom 18. Juli bis zum 31. Oktober 1861, und will meine eigenen Reisen und meine Beobachtungen über das Volk und die Naturgeschichte des Landes kurz beschreiben. Allen jenen, welche zu wissen wünschen, wie die Holländer jetzt Java regieren und wie es möglich ist, dass sie ein großes jährliches Einkommen herausziehen, während die Bevölkerung sich vermehrt und die Einwohner zufrieden sind, empfehle ich das Studium des vortrefflichen und interessanten Werkes des Herrn Money, »How to Manage a Colony«. Den hauptsächlichen Tatsachen und Schlüssen dieses Werkes muss ich aufrichtig beistimmen, und ich glaube, dass das holländische System das Beste ist, welches angenommen werden kann, wenn eine europäische Nation ein Land, welches von einem betriebsamen, aber halb barbarischen Volk bewohnt wird, erobert oder sonst erwirbt. Bei meiner Schilderung von Nord-Celebes werde ich zeigen, wie erfolgreich dasselbe System bei einem Volk von einem ganz anderen Zivilisationsgrad als derjenige, der Javanern in Anwendung gekommen ist; und jetzt will ich in möglichster Kürze eine Darstellung dieses Systems geben.
Die jetzt auf Java angenommene Art zu regieren ist die, dass man die ganze Reihe der eingeborenen Herrscher beibehält, von dem Dorfhäuptling hinauf bis zu den Fürsten, welche unter dem Namen von Regenten die Häupter der Distrikte von der Größe einer kleinen englischen Grafschaft sind. An der Seite jedes Regenten steht ein holländischer Resident oder Assistentresident, den man als den »älteren Bruder« ansieht und dessen »Befehle« die Form von »Ratschlägen« haben, denen jedoch stets und unbedingt Folge geleistet wird. Neben jedem Assistentresidenten steht ein Kontrolleur, eine Art von Inspektor all der niedrigeren eingeborenen Herrscher, welcher periodisch jedes Dorf im Distrikt besucht, das Verfahren der inländischen Gerichtshöfe prüft, Klagen gegen die Häuptlinge oder andere eingeborene Große anhört und die Regierungs-Plantagen beaufsichtigt. Das führt uns auf das »Kultursystem«, welches die Quelle des ganzen Reichtums ist, den die Holländer aus Java ziehen und welches der Gegenstand vielen Missbrauchs in diesem Land wurde, da es die Kehrseite des »Freihandels« ist. Um seinen Nutzen und seine wohltätigen Wirkungen zu verstehen, ist es notwendig, die gewöhnlichen Resultate des freien europäischen Handels mit unzivilisierten Völkern zu skizzieren.
Eingeborene der Tropen haben wenig Bedürfnisse, und wenn diese befriedigt sind, so sind sie, wenigstens ohne starken Anreiz dazu, abgeneigt, um mehr als das Notwendigste zu arbeiten. Bei solchen Völkern kann man unmöglich eine neue oder systematische Kultur einführen außer durch die despotischen Befehle der Häuptlinge, denen sie zu gehorchen gewohnt sind wie Kinder ihren Eltern. Die freie Konkurrenz von europäischen Händlern aber führt zwei mächtige Beweggründe zur Arbeit ein. Spirituosen und Opium sind eine zu starke Versuchung für fast alle Wilden, um zu widerstehen, und um sie zu erlangen, verkauft er, was er hat, und arbeitet, um mehr zu bekommen. Eine andere Versuchung, der er nicht widerstehen kann, ist der Kredit auf Waren. Der Händler bietet ihm bunte Gewänder an, Messer, Gongs, Kanonen und Pulver und will sich bezahlt machen mit der Ernte, die vielleicht noch nicht gesät ist, oder mit Produkten, die jetzt noch im Wald stehen. Der Wilde hat nicht genügende Voraussicht, um nur eine mäßige Quantität zu nehmen, und nicht genug Energie, um früh und spät zu arbeiten, damit er schuldenfrei werde; und die Folge davon ist, dass er Schulden auf Schulden häuft und oft Jahre lang, ja sein Leben lang ein Schuldner und fast ein Sklave bleibt. Das ist der Zustand der Dinge, wie er sich sehr ausgesprochen in jedem Teil der Welt, in welchem Menschen einer höheren Rasse frei mit Menschen einer niederen handeln, ausgebildet hat. Allerdings wird der Handel dadurch zeitweilig ausgedehnt, aber er demoralisiert die Eingeborenen, hemmt wahre Zivilisation und führt nicht zu einer stetigen Vermehrung des Reichtums des Landes; sodass die europäische Regierung eines solchen Landes schließlich einen Verlust erleiden muss.
Das von den Holländern eingeführte System beabsichtigte, das Volk durch seine Führer dazu zu veranlassen, dass es einen Teil seiner Zeit auf die Kulturen von Kaffee, Zucker und anderen wertvollen Produkten verwendete. Ein bestimmter Tagelohn – zwar niedrig, aber ungefähr dem gleich, der allerorten bezahlt wird, wo europäische Konkurrenz ihn nicht künstlich gesteigert hat – wurde den Arbeitern ausgesetzt für das Urbarmachen des Bodens und für den Anbau von Plantagen unter der Oberaufsicht der Regierung. Die Erträgnisse werden der Regierung zu einem niedrigen bestimmten Preise verkauft. Von dem Nettogewinn erhalten die Häuptlinge einen gewissen Prozentsatz, und der Rest wird unter die Arbeiter verteilt. Dieser Überschuss ist in guten Jahren ziemlich bedeutend. Im Allgemeinen ist das Volk wohlgenährt und anständig gekleidet; es hat sich an eine regelmäßige Industrie gewöhnt und betreibt einen rationellen Landbau, der in Zukunft seinen Nutzen bringen wird. Man muss nicht vergessen, dass die Regierung jahrelang Kapitalien hergegeben hat, ehe sie irgendetwas zurückerhielt; und wenn sie jetzt große Revenuen bezieht, so geschieht es in einer Weise, die dem Volk weit weniger lästig und ihm viel wohltätiger ist als irgendeine andere Steuer.
Aber wenn dieses System auch gut sein mag und ebenso wohl geeignet zur Entwicklung von Kunst und Industrie bei einem halbzivilisierten Volk, als es auch vorteilhaft ist für das regierende Land selbst, so kann man doch nicht verlangen, dass es praktisch überall durchgeführt werde. Die Neigung zum Herrschen und zum Dienen, die vielleicht schon seit tausend Jahren Beziehungen zwischen den Häuptlingen und dem Volk geknüpft hat, kann nicht auf einmal unterdrückt werden; und aus diesen Beziehungen müssen Nachteile hervorgehen, bis die Verbreitung der Erziehung und der allmähliche Einfluss des europäischen Blutes sie auf natürlichen Wegen und unmerklich verschwinden lassen. Man sagt, dass die Residenten, von dem Wunsch beseelt, ein starkes Wachsen der Produktion in ihrem Distrikt aufzuweisen, oft das Volk zu so ununterbrochener Arbeit in den Plantagen gezwungen haben, dass ihre Reisernten wesentlich kleiner wurden und Hungersnot daraus entstand. Wenn das vorgekommen ist, so ist es sicherlich nicht die Regel, und man muss es einem Missbrauch des Systems zuschreiben, hervorgegangen aus einem Mangel an Verständnis oder einem Mangel an Humanität bei dem Residenten.
Kürzlich ist in Holland eine Geschichte erzählt und auch ins Englische übersetzt worden unter dem Titel: »Max Hawelaar oder die Kaffee-Auktionen der holländischen Handels-Gesellschaft«, und mit unserer gewöhnlichen Einseitigkeit bei allem, was das holländische Kolonialsystem betrifft, wurde dieses Werk in hohem Maß gerühmt sowohl seines eigenen Wertes wegen als auch wegen seiner vermeintlichen vernichtenden Bloßstellung der Ungerechtigkeiten der holländischen Regierung auf Java. Aber zu meinem großen Erstaunen fand ich, dass diese Geschichte sehr langweilig, lang ausgesponnen und voll von Abschweifungen ist; dass ihr einziger Zweck der ist zu zeigen, wie die holländischen Residenten und Assistentresidenten zu den Erpressungen der eingeborenen Fürsten ein Auge zudrücken; und wie in einigen Distrikten die Eingeborenen ohne Bezahlung arbeiten und sich ihr Eigentum ohne Entgelt wegnehmen lassen müssen. Jede Tatsache dieser Art ist reichlich mit Kursivschrift und mit fetten Buchstaben verbrämt; aber da alle Namen fingiert sind und weder Daten, noch Personen, noch Einzelheiten angegeben werden, so ist es unmöglich, sie zu verifizieren oder ihnen zu antworten. Und selbst wenn die Tatsachen nicht übertrieben wären, so sind sie nicht annähernd so gravierend wie jene, die infolge der Unterdrückung durch freihändlerische Indigo-Pflanzer und infolge der Quälereien der eingeborenen Steuereinnehmer unter britischer Regierung in Indien ans Tageslicht kamen, Tatsachen, mit denen die Leser englischer Zeitungen vor einigen Jahren sehr vertraut waren. Eine solche Bedrückung aber ist in keinem dieser Fälle der besonderen Regierungsform in die Schuhe zu schieben, sondern sie ist vielmehr eine Folge der Mangelhaftigkeit der menschlichen Natur überhaupt und eine Folge der Unmöglichkeit, mit einem Schlag jede Spur wegzuwischen des Jahrhunderte alten Despotismus auf der einen Seite und des sklavischen Gehorsams gegen die Häupter auf der anderen.
Man darf nicht vergessen, dass die unbestrittene Herrschaft der Holländer in Java viel jüngeren Datums ist als die unsere in Indien, und dass die Regierung und die Methode des Bezuges von Einkünften mehrere Male gewechselt wurde. Die Einwohner haben so lange Zeit unter der Herrschaft der eingeborenen Fürsten gestanden, dass es nicht leicht ist, auf einmal die außerordentliche Verehrung zu verwischen, welche sie für ihre alten Herren hegen, oder die drückenden Erpressungen zu vermindern, welche die Letzteren stets gewohnt waren zu betreiben. Es gibt jedoch ein ins Gewicht fallendes Zeugnis für das Gedeihen, ja für das bestehende Glück einer Gemeinschaft, das wir hier beibringen können – das Wachstums-Verhältnis der Bevölkerung.
Man nimmt allgemein an, dass wenn die Bevölkerung eines Landes rapide zunimmt, diese nicht sehr bedrückt und schlecht regiert sein kann. Das gegenwärtige System, durch den Anbau von Kaffee und Zucker, die zu einem bestimmten Preis der Regierung verkauft werden, ein Einkommen zu erzielen, begann 1832. Gerade vorher im Jahre 1826 betrug die Bevölkerungszahl nach einem Zensus 5 500 000, während sie zu Beginn des Jahrhunderts auf 3 500 000 geschätzt wurde. 1850, als das Kultursystem achtzehn Jahre lang betrieben worden war, betrug die Bevölkerung nach einem Zensus über 9 500 000, also in vierundzwanzig Jahren ein Anwachsen von dreiundsiebzig Prozent. Bei der letzten Zählung 1865 war sie auf 14 168 416 gestiegen, ein Wachsen von fast fünfzig Prozent in fünfzehn Jahren – ein Verhältnis, nach welchem die Bevölkerung in ungefähr sechsundzwanzig Jahren sich verdoppeln würde. Da Java (mit Madura) ungefähr 38 500 geographische Quadratmeilen fasst, so macht das durchschnittlich 368 Personen auf die Quadratmeile, gerade das Doppelte von der bevölkerten und fruchtbaren Präsidentschaft Bengalen, wie es in Torntons Gazetteer of India angegeben ist, und voll ein Drittel mehr als die Bevölkerungszahl von Großbritannien und Irland nach dem letzten Zensus. Wenn, wie ich glaube, diese bedeutende Bevölkerung im Großen und Ganzen zufrieden und glücklich ist, so sollte sich die holländische Regierung wohl vorher bedenken, ehe sie plötzlich ein System aufgibt, das zu so bedeutenden Resultaten geführt hat.
Als Ganzes genommen und von allen Seiten betrachtet ist Java vielleicht die schönste und interessanteste tropische Insel der Erde. Sie steht hinsichtlich ihrer Größe nicht in erster Linie, aber sie ist mehr als sechshundert Meilen lang und sechzig bis hundertundzwanzig Meilen breit, und ihr Flächenraum ist fast so groß wie der von England; zweifellos aber ist sie die fruchtbarste, die produktivste und die bevölkertste Insel der Tropen. Über ihre ganze Oberfläche hin bietet sie eine herrliche Abwechslung an Berg- und Waldansichten. Sie besitzt achtunddreißig Vulkane, von denen manche bis zu zehn- oder zwölftausend Fuß ansteigen. Einige sind in beständiger Tätigkeit und sie bieten – der eine oder der andere – fast ein jedes Phänomen dar, das durch die Tätigkeit unterirdischen Feuers hervorgebracht werden kann, regelmäßige Lavaströme ausgenommen, welche nie auf Java vorkommen. Die übermäßige Feuchtigkeit und die tropische Hitze des Klimas bekleidet diese Berge oft bis zu ihren Gipfeln mit üppigem Pflanzenwuchs, während Wälder und Plantagen ihre niedrigeren Abhänge bedecken. Die Tierwelt, hauptsächlich Vögel und Insekten, ist schön und mannigfaltig und enthält viele eigenartige Formen, die nirgendwo anders auf der Erde gefunden werden. Der Boden auf der ganzen Insel ist äußerst fruchtbar, und alle Produkte der Tropen, neben vielen der gemäßigten Zonen, können leicht gezogen werden. Java besitzt ferner eine Zivilisation, eine Geschichte und Altertümer von großem Interesse. Die Religion der Brahminen blühte dort seit einer Zeit, die sich nicht bestimmen lässt, bis ungefähr ums Jahr 1478, als die mohammedanische an ihre Stelle trat. Die frühere Religion war von einer Zivilisation begleitet gewesen, die von den Eroberern nicht vernichtet werden konnte; denn durch das Land hin verstreut, hauptsächlich im Osten, findet man in hohen Wäldern vergraben Tempel, Gräber und Statuen von großer Schönheit und bedeutendem Umfang; ferner Reste ausgedehnter Städte an Stellen, wo heute der Tiger, das Rhinozeros und der wilde Ochse ungestört ihr Wesen treiben. Eine moderne Zivilisation anderer Art breitet sich jetzt über das Land aus. Gute Straßen ziehen durch die Insel von einem Ende zum anderen; die europäischen und inländischen Herrscher arbeiten Hand in Hand; und Leben und Eigentum sind so sicher wie in den bestregierten Staaten Europas. Ich glaube daher, dass Java wohl den Anspruch erheben darf, das schönste tropische Eiland der Erde zu sein und in gleichem Maße interessant für den Reisenden, der neue und schöne Eindrücke sucht, als auch für den Naturforscher, welcher die Mannigfaltigkeit und Schönheit der tropischen Natur kennenzulernen wünscht, als endlich für den Moralisten und den Politiker, welche das Problem lösen wollen, wie die Menschen unter neuen und veränderten Bedingungen am besten regiert werden können.