Der Malaiische Archipel

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Die Philippinen stimmen in vielen Punkten mit Asien und den anderen Inseln überein, aber bieten einige Anomalien, welche anzudeuten scheinen, dass sie in einer früheren Periode losgelöst wurden; sie sind seitdem vielen Umwälzungen in ihrer physischen Geographie unterworfen gewesen.
Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit auf den übrigen Teil des Archipels, so finden wir, dass alle Inseln von Celebes und Lombok östlich fast eine ebenso große Ähnlichkeit mit Australien und Neuguinea zeigen wie die westlichen Inseln mit Asien. Es ist allbekannt, dass die Naturprodukte Australiens von denen Asiens mehr verschieden sind als diejenigen irgendeines der vier Erdteile von jedem anderen. In der Tat steht Australien allein: Es besitzt weder anthropomorphe noch andere Affen, weder Katzen noch Tiger, Wölfe, Bären oder Hyänen; weder Hirsche noch Antilopen, Schafe oder Ochsen; weder den Elefanten noch das Pferd, das Eichhörnchen oder das Kaninchen; kurz, keine jener wohlbekannten Typen von Vierfüßern, welche man in jedem anderen Teil der Erde antrifft. Stattdessen hat es nur Beuteltiere, Kängurus und Opossums, Wombats und das Schnabeltier. An Vögeln ist es fast ebenso eigenartig. Es besitzt keine Spechte und Fasanen, Familien, welche in jedem anderen Teil der Erde vorkommen; stattdessen die Hügel aufwerfenden Großfußhühner, die Honigsauger, die Kakadus und die bürstenzüngigen Loris, welche sonst nirgendwo auf der Erde gefunden werden. Alle diese in die Augen springenden Besonderheiten sind auch jenen Inseln eigen, welche die austromalaiische Abteilung des Archipels bilden.
Der große Gegensatz zwischen den beiden Abteilungen des Archipels springt nirgends so sehr in die Augen, als wenn man von der Insel Bali nach Lombok übersetzt, wo diese beiden Regionen dicht aneinandergrenzen. Auf Bali haben wir Bartvögel, Fruchtdrosseln und Spechte; wenn wir nach Lombok übersetzen, sehen wir diese nicht mehr, aber Mengen von Kakadus, Honigsaugern und Großfußhühnern, welche ebenso unbekannt auf Bali4 wie auf irgendeiner mehr westlich gelegenen Insel sind. Die Meerenge ist hier fünfzehn Meilen breit, sodass wir in zwei Stunden von einer großen Abteilung der Erde zu der anderen gelangen können, Abteilungen, die ebenso wesentlich sich voneinander unterscheiden wie Europa von Amerika. Wenn wir von Java oder Borneo nach Celebes oder den Molukken reisen, so sind die Unterschiede schlagender. Auf den erstgenannten Inseln haben die Wälder Überfluss an vielen Affenarten, wilden Katzen, Hirschen, Zibets und Ottern, und man trifft beständig zahlreiche Eichhörnchen-Varietäten. Auf den Letzteren kommen alle diese Tiere nicht vor; der mit einem Greifschwanz versehene Cuscus5 ist fast das einzige Säugetier, wilde Schweine, welche auf allen Inseln leben, und Hirsche (die wahrscheinlich erst in neuerer Zeit eingeführt worden sind) auf Celebes und den Molukken ausgenommen. Die auf den westlichen Inseln am meisten vorkommenden Vögel sind Spechte, Bartvögel, Surukus, Fruchtdrosseln und Blattdrosseln: Man sieht sie täglich, und sie bilden die großen ornithologischen Kennzeichen des Landes. Auf den östlichen Inseln sind diese wieder absolut unbekannt, Honigsauger und kleine Loris sind die gewöhnlichsten Vögel, sodass der Naturforscher sich in eine neue Welt versetzt sieht und es sich kaum vergegenwärtigen kann, dass er in wenigen Tagen, und nie außer Sicht von Land, von einer Region in die andere gekommen sei.
Der Schluss, den wir aus diesen Tatsachen ziehen müssen, ist zweifellos der, dass alle Inseln östlich von Java und Borneo dem Wesen nach einen Teil eines früheren australischen oder pazifischen Festlands bilden, wenn auch einige derselben nie in Wirklichkeit mit diesem verbunden gewesen sind. Dieses Festland muss zerrissen worden sein, nicht nur ehe die westlichen Inseln von Asien getrennt wurden, sondern wahrscheinlich ehe die äußerste Südostspitze von Asien über die Gewässer des Ozeans gehoben war; denn ein großer Teil des Landes von Borneo und Java zeigt bekanntlich in geologischer Hinsicht ganz neue Formationen, während sowohl die große Verschiedenheit der Arten und in vielen Fällen auch der Gattungen auf den östlichen malaiischen Inseln und Australien als auch die große Tiefe der See, welche sie jetzt voneinander trennt, auf eine verhältnismäßig lange Periode der Isolation hindeuten.
Es ist innerhalb der Inselgruppen selbst interessant zu beobachten, wie ein seichtes Meer immer eine noch nicht alte Verbindung des Landes anzeigt. Sowohl die Aru Inseln, Misole und Wageu als auch Jobie stimmen in Betreff ihrer Säugetiere und Vogelarten weit genauer mit Neuguinea überein als mit den Molukken, und wir finden sie alle mit Neuguinea durch ein seichtes Meer verbunden. In der Tat zeichnet die Hundert-Faden-Linie um Neuguinea herum auch genau die Verbreitung des echten Paradiesvogels.
Man muss ferner hervorheben – und das ist ein sehr interessanter Gesichtspunkt zusammengehalten mit den Theorien der Abhängigkeit der besonderen Lebensformen von äußeren Bedingungen – dass diese Zweiteilung des Archipels, die durch schlagende Gegensätze seiner Naturprodukte charakterisiert wird, durchaus nicht der physischen oder klimatischen Einteilung seiner Oberfläche entspricht. Die große Vulkankette streicht durch beide Teile und scheint keine Wirkung auf die Verähnlichung ihrer Produkte gewonnen zu haben. Borneo gleicht genau Neuguinea, nicht nur in Betreff seiner ungeheuren Ausdehnung und seines Freiseins von Vulkanen, sondern auch in Betreff der Mannigfaltigkeit seiner geologischen Struktur, der Gleichmäßigkeit seines Klimas und des allgemeinen Charakters der Waldvegetation, welche seine Oberfläche bedeckt.
Die Molukken sind das Gegenstück zu den Philippinen in ihrer vulkanischen Struktur, ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, ihren üppigen Wäldern und ihren häufigen Erdbeben; und Bali mit dem Ostende von Java hat ein fast ebenso trockenes Klima und einen fast ebenso dürren Boden wie Timor. Dennoch besteht zwischen diesen sich entsprechenden Inselgruppen, die gleichsam nach demselben Muster angelegt, die demselben Klima unterworfen und von denselben Gewässern bespült sind, der größtmögliche Kontrast, wenn wir ihre Tierwelt vergleichen. Nirgendwo anders trifft die alte Doktrin – dass Verschiedenheiten oder Ähnlichkeiten in den mannigfaltigen Lebensformen, welche verschiedene Länder bewohnen, entsprechenden physischen Verschiedenheiten und Ähnlichkeiten in den Bodenverhältnissen selbst ihre Entstehung verdanken – auf einen so direkten und handgreiflichen Widerspruch. Borneo und Neuguinea, physisch so gleich, wie es zwei getrennte Länder nur sein können, liegen zoologisch so weit wie die Pole auseinander; während Australien mit seinen trockenen Winden, seinen offenen Ebenen, seinen steinigen Wüsten und seinem gemäßigten Klima dennoch Vögel und Vierfüßer hervorbringt, denen sehr nahe verwandt, welche die heißen, feuchten und üppigen Wälder bewohnen, die allerorten die Ebenen und Berge Neuguineas bekleiden.
Um die Mittel, durch welche ich diesen großen Kontrast hervorgebracht erachte, klarerzustellen, wollen wir einmal untersuchen, was geschehen würde, wenn zwei stark kontrastierende Teile der Erde durch natürliche Mittel in nahe Nachbarschaft gebracht würden. Nicht zwei andere Erdteile sind so radikal in ihren Produkten voneinander verschieden wie Asien und Australien, allein der Unterschied zwischen Afrika und Südamerika ist auch sehr groß und diese beiden Regionen sollen uns zur Illustration der uns beschäftigenden Frage dienen. Auf der einen Seite haben wir Paviane, Löwen, Elefanten, Büffel und Giraffen; auf der anderen Spinnenaffen, Pumas, Tapire, Ameisenfresser und Faultiere; während unter den Vögeln die Nashornvögel, die Turakos, die Pirole und die Honigsauger Afrikas aufs Stärkste mit den Tukanen, den Makaos, Ampeliden (chatterers) und den Kolibris Amerikas kontrastieren.
Wir wollen uns jetzt vorzustellen versuchen (was sehr wahrscheinlich in künftigen Zeitaltern geschehen wird), dass ein langsames Heben des Bettes des Atlantischen Ozeans Platz griffe, während zur selben Zeit Erdstöße und vulkanische Tätigkeiten auf dem Land bewirken, dass vermehrte Mengen von Sediment die Flüsse hinabgeschwemmt würden, sodass die zwei Kontinente sich allmählich durch das Anlagern neugebildeten Landes ausbreiteten und auf diese Weise den Atlantischen Ozean, welcher sie jetzt trennt, auf einen Meeresarm von wenigen Hundert Meilen reduzierten. Wir wollen weiter annehmen, dass zu derselben Zeit Inseln in der Mitte des Kanales sich erhöben; und da die unterirdischen Kräfte an Intensität nicht stets gleich bleiben und ihre Hauptangriffspunkte wechseln, so würden diese Inseln bald mit dem Land der einen oder anderen Seite der Meerenge verbunden, bald von demselben getrennt sein. Eine Reihe von Inseln würden jetzt zusammenhängen, dann wieder auseinandergerissen werden, bis wir zuletzt nach vielen und langen Perioden solcher intermittierenden Tätigkeit einen unregelmäßigen Inselarchipel den Kanal des Atlantischen Ozeans füllen sähen, an dessen Gestalt und Verteilung wir nichts entdecken könnten, was uns davon Kunde gäbe, welche Teile mit Afrika und welche mit Amerika in Verbindung gewesen wären. Allein die diese Inseln bewohnenden Tiere und Pflanzen würden sicherlich diesen Teil der früheren Geschichte offenbaren.
Auf jenen Inseln, welche früher Teile von Südamerika gebildet hätten, würden wir gewiss als gewöhnliche Vögel Ampeliden, Tukane und Kolibris finden und einige der Amerika eigentümlichen Vierfüßer; während auf jenen, welche von Afrika losgelöst worden wären, Nashornvögel, Pirole und Honigsauger sicherlich vorkämen. Einige Teile des gehobenen Landes hätten vielleicht zu verschiedenen Zeiten eine vorübergehende Verbindung mit beiden Kontinenten gehabt und würden dann bis zu einem gewissen Grad eine Vermischung ihrer lebenden Einwohner erfahren haben. Das scheint der Fall gewesen zu sein mit der Insel Celebes und den Philippinen. Andere Inseln wiederum könnten, wenn auch in so naher Nachbarschaft wie Bali und Lombok, Beispiele davon bieten, wie die Produkte der Kontinente, von denen sie direkt oder indirekt einst Teile gebildet haben, sich fast gar nicht vermischen.
Im Malaiischen Archipel haben wir, glaube ich, einen diesem hier vorausgesetzten genau parallelen Fall. Wir haben die Spuren eines ungeheuren Festlands mit einer ihm eigentümlichen Fauna und Flora, das nach und nach und in unregelmäßiger Weise zerrissen wurde; die Insel Celebes bildete wahrscheinlich seine äußerste westliche Grenze, jenseits welcher ein großer Ozean lag. Zu derselben Zeit scheinen die Grenzen Asiens in einer südöstlichen Richtung ausgedehnt gewesen zu sein, zuerst in einer kompakten Masse, dann in Inseln zerrissen, wie wir sie jetzt sehen, und beinahe in unmittelbarer Berührung mit den zerstreuten Bruchstücken des großen südlichen Landes.
Aus dieser Skizze des Gegenstandes wird es klar geworden sein, wie wertvoll die Naturgeschichte für die Geologie ist; nicht allein um die Überreste ausgestorbener in der Erdrinde gefundener Tiere zu deuten, sondern auch um frühere Veränderungen an der Erdoberfläche, welche keine geologischen Urkunden hinterlassen haben, festzustellen. Es ist sicherlich eine wunderbare und unerwartete Tatsache, dass eine genaue Kenntnis der Verbreitung der Vögel und Insekten uns in den Stand setzen kann, Länder und Kontinente aufzuzeichnen, welche längst vor den frühesten Traditionen der menschlichen Rasse unter dem Ozean verschwunden waren. Wo immer der Geologe die Erdoberfläche zu durchforschen imstande ist, dort kann er in ihrer Geschichte lesen und kann annähernd ihre spätesten Bewegungen über und unter dem Spiegel des Meeres bestimmen; allein wo sich jetzt Ozeane und Seen ausdehnen, da kann er nur Vermutungen hegen anhand sehr sparsamer Daten, welche ihm die Tiefe der Gewässer bieten. Hier kommt ihm der Naturforscher zu Hilfe und setzt ihn in die Lage diese große Lücke in der Erdgeschichte auszufüllen.
Einer der Hauptzwecke meiner Reisen war es, Klarheit über diese Verhältnisse zugewinnen; und mein Suchen nach dieser Klarheit hatte einen derartigen Erfolg, dass ich imstande bin, mit einiger Wahrscheinlichkeit die früheren Veränderungen, welche einer der interessantesten Teile der Erde erlitten hat, in ihren Umrissen zu zeichnen. Man könnte denken, es wäre passender gewesen, diese Tatsachen und Verallgemeinerungen an das Ende als an den Anfang einer Reisebeschreibung, welche die Tatsachen erst liefert, zu setzen. In einigen Fällen mag das richtig sein, aber es war mir unmöglich, eine Schilderung der Naturgeschichte all der zahlreichen Inseln und Inselgruppen des Archipels zu geben, wie ich sie wünschte, ohne beständige Beziehung auf diese Verallgemeinerungen, welche auch ihr Interesse so sehr erhöhen. Nach dieser allgemeinen Skizze des Gegenstandes werde ich zeigen können, wie dieselben Prinzipien auf die einzelnen Inseln einer Gruppe wie auf den ganzen Archipel angewandt werden können; und auf diese Weise wird meine Schilderung der vielen neuen und merkwürdigen Tiere, welche sie bewohnen, interessanter und lehrreicher werden, als wenn ich nur die nicht miteinander verknüpften Tatsachen gegeben hätte.
Gegensätze der Rassen – Noch ehe ich zu der Überzeugung gelangt war, dass die östlichen und westlichen Hälften des Archipels zu verschiedenen Haupterdteilen gehörten, fühlte ich mich veranlasst, die Eingeborenen des Archipels unter zwei radikal voneinander verschiedene Rassen zu gruppieren. Hierin wich ich ab von den meisten Ethnologen, welche früher über diesen Gegenstand geschrieben haben; denn es ist der allgemeine Brauch gewesen, Wilhelm von Humboldt und Pritchard zu folgen, indem man alle ozeanischen Rassen als Modifikationen eines Typus betrachtete. Allein bald zeigte mir die Beobachtung, dass Malaien und Papuas radikal in ihrem physischen, intellektuellen und moralischen Charakter voneinander abweichen; und eine mehr detaillierte Untersuchung, die ich acht Jahre hindurch fortsetzte, bewies mir zur Genüge, dass man unter diese beiden typischen Formen alle Völker des Malaiischen Archipels und Polynesiens klassifizieren kann. Wenn man die Grenze zieht, welche diese Rassen trennt, so findet man sie nahe jener, welche die zoologischen Regionen teilt, allein etwas mehr nach Osten; dieser Umstand erscheint mir höchst bezeichnend dafür, dass dieselben Ursachen die Verbreitung des Menschen beeinflusst haben, welche diejenige anderer animalischer Formen bestimmten.
Der Grund, weshalb nicht genau dieselbe Grenze beiden zukommt, ist genügend ersichtlich. Der Mensch hat Mittel, das Meer zu überschreiten, welche die Tiere nicht besitzen; und eine höhere Rasse hat die Macht, eine niedrigere zu verdrängen oder sie sich zu assimilieren. Die malaiischen Rassen waren durch ihren Unternehmungsgeist für Seefahrten und ihre höhere Zivilisation befähigt, einen Teil der angrenzenden Gegenden zu bevölkern, in welchen sie vollständig an die Stelle der eingeborenen Einwohner getreten sind, wenn überhaupt jemals dort welche ansässig gewesen; sie waren imstande, ihre Sprache, ihre Haustiere, ihre Sitten weit über den Ozean zu verbreiten, über Inseln, auf denen sie nur leise oder überhaupt nicht die physischen oder moralischen Charaktere des Volkes modifizierten.
Ich glaube also, dass alle Völker der verschiedenen Inseln entweder zu den Malaien oder zu den Papuas gezählt werden können; und dass diese zwei keine weiter zu verfolgende Verwandtschaft zueinander haben. Ich glaube ferner, dass alle Rassen östlich von der von mir gezogenen Grenzlinie mehr Verwandtschaft zueinander besitzen als zu irgendeiner der Rassen westlich von dieser Linie; – dass, in der Tat, die asiatischen Rassen die malaiischen einschließen und dass alle eines kontinentalen Ursprunges sind, während alle östlich von diesen wohnenden Rassen des Großen Ozeans (vielleicht einige der nordozeanischen ausgenommen) nicht von irgendeinem existierenden Kontinent herstammen, wohl aber von Ländern, welche noch jetzt existieren oder in neuerer Zeit im Großen Ozean existiert haben. Diese Vorbemerkungen werden den Leser besser in den Stand setzen zueinander die Wichtigkeit zu würdigen, welche ich bei der Beschreibung der Bewohner vieler Inseln den Einzelheiten der physischen Form und des moralischen Charakters beilege.
1Die Halbinsel Malakka. A. d. Übers.
2Englische Meilen. A. d. Übers.
3Die Namen der Inseln, Städte, Berge etc. sind nach den Kiepert’schen Karten geändert. A. d. Übers.
4Mir wurde jedoch gesagt, dass einige Kakadus an einer Stelle im Westen von Bali vorkommen, was beweisen würde, dass jetzt die Vermischung der Produkte dieser Inseln beginnt.
5Phalangista. A. d. Übers.
ZWEITES KAPITEL
SINGAPUR
(Eine Skizze der Stadt und der Insel nach meinen verschiedenen Besuchen in den Jahren 1854 bis 1862)
Wenige Orte sind für einen Reisenden aus Europa interessanter als die Stadt und Insel Singapur, da sie eine Musterkarte ist für die Mannigfaltigkeit der östlichen Rassen, für die vielen verschiedenen Religionen und Sitten. Die Regierung, die Garnison und die ersten Kaufleute sind Engländer, aber die große Masse der Bevölkerung ist chinesisch; sie stellt ihr Kontingent für einige der reichsten Kaufleute, die Landwirte des Binnenlandes und die meisten Handwerker und Arbeiter. Die eingeborenen Malaien sind gewöhnlich Fischer und Bootsleute und sie formieren das Hauptkorps der Polizei. Die Portugiesen von Malakka sind in großer Zahl Handlungsdiener und kleine Kaufleute. Die Klings des westlichen Indiens sind eine zahlreiche Körperschaft von Mohammedanern und wie viele Araber kleine Handelsleute und Ladeninhaber. Die Diener und Wäscher sind alle Bengalesen, und es gibt eine kleine aber in hohem Maße angesehene Klasse von Parsen-Kaufleuten. Außer diesen findet man eine große Menge javanischer Schiffer und Hausbedienter, Handelsleute von Celebes, Bali und vielen anderen Inseln des Archipels. Der Hafen ist voll von Kriegs- und Handelsschiffen vieler europäischer Nationen und Hunderten von malaiischen Prauen und chinesischen Dschunken, von Schiffen von mehreren Hundert Tonnen Last bis hinunter zu kleinen Fischerbooten und Passagier-Sampans; die Stadt weist hübsche öffentliche Gebäude und Kirchen auf, mohammedanische Moscheen, Hindutempel, chinesische Tempel, gute europäische Häuser, massive Warenlager, wunderliche alte Basare der Klings und Chinesen und lange Vorstädte von chinesischen und malaiischen Hütten.
Bei Weitem die auffallendsten der verschiedenen Menschenarten in Singapur und diejenigen, welche am meisten die Aufmerksamkeit eines Fremden auf sich ziehen, sind die Chinesen, deren Zahl und deren unablässige Tätigkeit dem Platz fast das Ansehen einer Stadt in China geben. Der chinesische Kaufmann ist gewöhnlich ein dickleibiger Mann mit einem runden Gesicht, mit einer Wichtigkeitsmiene und einem kaufmännischen Blick. Er trägt dieselbe Kleidung (einen weiten weißen Kittel und blaue oder schwarze Hosen) wie der gewöhnlichste Kuli, nur von feineren Stoffen, und ist stets sauber und nett; sein langer Zopf, mit roter Seide zugebunden, hängt ihm bis auf die Hacken herab. Er hat ein hübsches Warenlager oder einen Laden in der Stadt und ein gutes Haus auf dem Lande. Er hält sich ein schönes Pferd und Kabriolett und man sieht ihn jeden Abend barhaupt eine Spazierfahrt machen, um die kühle Brise zu genießen. Er ist reich, Besitzer verschiedener Kramläden und Handelsschoner, er leiht Geld zu hohen Zinsen und mit guter Sicherheit, ist sehr genau in Geschäften und wird mit jedem Jahr fetter und reicher.
In dem chinesischen Basar sind Hunderte von kleinen Läden, in welchen eine gemischte Sammlung von Kurz- und Ausschnittwaren zu finden ist und wo viele Dinge wunderbar billig verkauft werden. Man kann Bohrer zu einem Penny das Stück haben, weißen Baumwollzwirn, vier Knäuel für einen halben Penny sowie Federmesser, Korkenzieher, Schießpulver, Schreibpapier und viele andere Artikel ebenso billig oder billiger als in England. Der Ladeninhaber ist sehr gutmütig; er zeigt alles, was er hat, und scheint es gar nicht übel zu vermerken, wenn man nichts kauft. Er lässt etwas ab, aber nicht so viel wie die Klings, welche fast immer zweimal so viel fordern, wie sie willens sind zu nehmen. Wenn man eine Kleinigkeit bei ihm kauft, so wird man später, wenn man bei seinem Laden vorbeigeht, stets angesprochen, gebeten hineinzukommen und Platz zu nehmen oder eine Tasse Tee zu trinken, und es ist zu verwundern, wie der Mann zu leben hat, da so viele die gleichen unbedeutenden Dinge verkaufen. Die Schneider sitzen an dem Tisch, nicht auf demselben; und sowohl sie als die Schuhmacher arbeiten gut und billig. Die Barbiere haben viel zu tun: Köpfe zu scheren und Ohren zu reinigen; zu dieser letzteren Operation benutzen sie einen großen Apparat von kleinen Zangen, Stäben und Bürsten. In der Umgebung der Stadt sind eine Menge von Zimmerleuten und Grobschmieden. Erstere scheinen hauptsächlich Särge und stark bemalte und verzierte Kleiderschränke zu verfertigen. Letztere sind meist Büchsenmacher und bohren die Läufe mit der Hand aus soliden Eisenbarren. Bei dieser mühsamen Arbeit sieht man sie täglich, und sie können eine Büchse mit einem Feuersteinschloss sehr hübsch anfertigen. Überall auf den Straßen sind Verkäufer von Wasser, Gemüse, Früchten, Suppe und Agar-Agar (ein Gelee aus Seetang gemacht), die eine Menge ebenso unverständlicher Rufe produzieren wie die Ausrufer Londons. Andere tragen einen ambulanten Kochapparat an einer Stange, durch einen Tisch am anderen Ende im Gleichgewicht gehalten, und servieren ein Mahl von Schalentieren, Reis und Gemüsen für zwei oder drei Halfpence; während man überall Kulis und Bootsleute trifft, die auf Arbeit warten.
Im Inneren der Insel fällen die Chinesen Waldbäume im Dschungel6 und sägen sie zu Brettern; sie kultivieren Gemüse und bringen es zu Markt; sie ziehen Pfeffer und Gambir, wichtige Exportartikel. Die französischen Jesuiten haben unter diesen Binnenchinesen Missionen errichtet, welche sehr erfolgreich zu sein scheinen. Ich wohnte einmal mehrere Wochen bei dem Missionar in Bukit Timah, ungefähr im Mittelpunkt der Insel; es ist dort eine hübsche Kirche gebaut worden für ungefähr dreihundert Konvertiten. Als ich da war, traf ich einen Missionar, der gerade von Tongking kam, wo er viele Jahre zugebracht hatte. Die Jesuiten betreiben ihr Werk noch durchaus wie von alters her. In Cochinchina, Tongking und China, wo alle christlichen Lehrer gezwungen sind, im Geheimen zu leben, der Verfolgung, Verjagung, ja manchmal dem Tod ausgesetzt, hat jede Provinz, selbst die im fernsten Inneren, eine bleibende Jesuiten Missionsanstalt, beständig durch frische Aspiranten in Gang gehalten, die in den Sprachen der Länder, welche sie besuchen wollen, unterrichtet werden. In China sollen an eine Million Bekehrte sein; in Tongking und Cochinchina mehr als eine halbe Million. Ein Geheimnis des Erfolges dieser Missionen ist die strenge Sparsamkeit, welch beim Verausgaben der Mittel geübt wird. Ein Missionar darf ungefähr dreißig Pfund das Jahr ausgeben, wofür er lebt, wo es auch sei. Daher können eine große Anzahl Missionare mit sehr beschränkten Mitteln unterhalten werden; und die Eingeborenen, welche sehen, dass ihre Lehrer in Armut und ohne irgendwelchen Luxus leben, sind überzeugt, dass sie es ernst meinen mit dem, was sie lehren, und dass sie wirklich Heimat und Freunde, Bequemlichkeit und Sicherheit für das Wohl anderer aufgegeben haben. Kein Wunder daher, dass sie bekehrt werden, denn es muss eine große Wohltat für die Armen, unter denen sie wirken, sein, einen Mann bei sich zu haben, zu dem sie in Sorge und Unglück gehen können, um sich Trost und Rat zu holen, der sie in Krankheit besucht, der sei in der Not unterstützt und den sie von Tag zu Tag in Gefahr vor Verfolgung und Tod lediglich für ihr Wohl leben sehen.
Mein Freund in Bukit Timah war wirklich ein Vater für seine Herde. Er predigte ihnen jeden Sonntag chinesisch und hatte in der Woche Abende für die Diskussion und Unterhaltung festgesetzt. Er errichtete eine Schule für ihre Kinder. Sein Haus stand ihnen Tag und Nacht offen. Kam jemand zu ihm und sagte: »Ich habe heute keinen Reis für meine Familie«, so gab er ihm die Hälfte von dem, was er zu Hause hatte, so wenig es auch sein mochte. Sagte ein anderer: »Ich habe kein Geld, meine Schuld einzulösen«, so gab er ihm die Hälfte des Inhaltes seiner Börse, und wenn es sein letzter Dollar gewesen wäre. Ebenso aber schickte er, wenn er selbst Mangel litt, zu einem der Reichsten seiner Herde und sagte: »Ich habe keinen Reis im Hause«, oder: »Ich habe mein Geld weggegeben und habe dieses oder jenes nötig.« Die Folge war, dass seine Herde ihm vertraute und ihn liebte, denn sie fühlte sicherlich, dass er ihr wahrer Freund sei und keine Absichten habe, wenn er unter ihnen lebte.