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Kurt Tepperwein gibt der Überzeugung Ausdruck, dass die Engel heute mehr als früher „allseits erfahr- und erkennbar“ sind.28 So ist es zu erklären, dass sich die Engelreligion immer mehr verbreitet. Die Zeit arbeitet für diese Religion, ja hat schon erfolgreich für sie gearbeitet. Denn immer mehr Menschen entdecken ihre spirituellen Kräfte, nehmen Kontakt zur Engelwelt auf, entringen sich der Herrschaft einer begrenzten, auf das Feststellbare und Machbare beschränkten Rationalität. „Vielleicht liegt die Zukunft in größerer Offenheit, persönlicher Integrität, innerer Reife, visionärem Mut, kooperativem Handeln, kreativer Selbstorganisation.“29 Wieder ist es Jana Haas, die der Erwartung eines goldenen, spirituellen Zeitalters den prägnantesten Ausdruck verleiht. Sie ist sicher: „Das Goldene Zeitalter hat bereits begonnen, überall!“30 Anzeichen dafür sind die immer deutlichere Abkehr von Unmenschlichkeit und der Gewalt gegen Mensch, Tier und Umwelt, also das Erwachen eines neuen Bewusstseins, das zwischen Gut und Böse, Hell und Dunkel, Entwicklung und Beharrung unterscheiden kann, das sich von der Bindung an Macht und Besitz, Dogmen und materialistischen Glaubensmustern befreit. Differenziert beobachtet sie, wie die Entwicklung in den verschiedenen Ländern unterschiedlich weit vorangeschritten ist. Von ihrer russischen Herkunft her kennt sie sich mit Ländern aus, in denen das Spirituelle noch „zwei Gesichter“ hat – weiße und schwarze Magie, Heiler, die ihre spirituellen Kräfte zu heilenden, und Magier, die sie zu schädigenden Wirkungen nutzen. Symbolfigur dieser Doppelgesichtigkeit ist für sie Rasputin, der skandal- und geheimnisumwitterte Heiler am russischen Zarenhof. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Diskotheken nach diesem Rasputin benannt werden – ein Hinweis auf die noch unklare Unterscheidung von hell und dunkel, die der Klärung harrt. In einigen Ländern aber ist die Entwicklung schon viel weiter gekommen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sieht sie nur noch lichte Kräfte am Werk. Dafür sorgt schon die geistige Welt selbst, die andernfalls ihren Kräftefluss anhalten würde. Die spirituelle Evolution ist nicht allein Sache des menschlichen Reifegrads, sie ist das Werk und die Wirkung der geistigen Welt selbst. Es muss so sein, dass nach der Evolution der rationalen und technischen Fähigkeiten des Menschen nun auch eine Evolution der spirituellen Kräfte erfolgt. Die Erwartung eines goldenen Zeitalters fügt sich in das Fortschritts- und Evolutionsschema, das so sehr das neuzeitliche Weltbild bestimmt. Auch in dieser Hinsicht ist die Engelreligion eine Religion für unsere Zeit. Am Ende wird, so versichert Jana Haas, ein Zeitalter stehen, in dem die Ambivalenz von weißer und schwarzer Magie überwunden ist. In dem das esoterische (nur Eingeweihten zugängliche) Wissen, das immer auch mit Hochmut und Unterdrückung verbunden gewesen ist, ein für alle zugängliches exoterisches (für Nichteingeweihte verständliches) Wissen geworden sein wird. Ein „weibliches“ Zeitalter der Ebenbürtigkeit und Individualität wird es sein, das das „männliche“ Zeitalter der Unterordnungen und Unterscheidungen ablösen wird. Man sieht, die Engelreligion hat auch ihre Eschatologie.
Noch auf ein weiteres Merkmal der Engelreligion ist hinzuweisen. Sie gibt sich technikfreundlich, ja sie benutzt gerne technische Modelle für die Darstellung des Himmlischen. Auch dies ist neu gegenüber den alten Religionen. Angelika Arnolds erlebt das Universum „wie ein riesiges Netzwerk. […] Ich sende etwas aus, die Verbindung wird gesucht und hergestellt“: das Universum als Telefonzentrale.31 Am stärksten ist diese religiöse Technikkompatibilität bei der Amerikanerin Doreen Virtue ausgeprägt. Wie erklärt es sich, dass nicht alle göttlichen Botschaften richtig verstanden werden? Die himmlische Führung selbst erklärt es. Doreen: „Du sagst also, deine Kommunikation mit uns sei wie CDs, und unser Herz und Verstand sei so eine Art CD-Player?“ Himmlische Antwort: „Genau, du sagst es! Ich kann dir gar nicht sagen, wie begeistert ich bin, wenn meine Worte so ankommen, wie sie gedacht waren! […] Manchmal bewirkt der ,Staub‘, der sich auf euren Herzen und euren Gedanken niedergelassen hat, dass der ,Lesemechanismus‘ beim Empfang meiner kodierten Worte wichtige Zeilen und Daten überspringt.“ Doreen: „Also verpassen wir die Bedeutung deiner Antwort auf unsere Gebete aufgrund von Empfangsstörungen unsererseits?“ Gott: „Ja, genau […].“32 Die älteren Religionen hatten die Problematik der Verständlichkeit von Gottes Wort etwas aufwändiger erklärt. Aber Doreen verfügt ja über einen heißen Draht zu Gott, sie kann direkt mit ihm telefonieren. Das Telefon gibt überhaupt das Modell für die Beziehung zwischen Himmel und Erde ab. Die himmlische Führung selbst lässt sich vernehmen mit der Äußerung: „Tut es öfter! Ich mag es, wenn meine heiß geliebten Kinder zu Hause anrufen. […] Es macht mich traurig, dass sich meine Kinder so schwer damit tun, zu Hause anzurufen. […] Sprecht einfach mehr mit mir, Kinder. Sprecht mehr mit mir.“33 Das kann im Handy-Zeitalter jeder verstehen, während man sich in den Kirchen noch angestrengt darum bemüht, die Eigenart des Gebets als Gespräch mit Gott zu erklären. Die Engelreligion aber ist in der Moderne angekommen und bedient sich zwanglos ihrer Bilder und Erfahrungen. So auch Giulia Siegel, wenn sie davon spricht, dass sie mit ihren Engeln „arbeitet“ und dass man seine Engel beschäftigen muss, „damit sie ,fit‘ bleiben“. „Ich setze meine Engel immer wieder ein, ich trainiere sie quasi …“ Seine Engel kann man auch verleihen, wenn man sie gerade nicht so dringend braucht; in der Weihnachtszeit kann es aber zu Engpässen kommen, da sie dann überlastet sind.34 Die Engelwelt als Dienstleistungsunternehmen … Damit sind wir bei der Frage, wie denn der Alltag mit den Engeln konkret aussieht.
2. Hilfreiche Helfer allüberall
Religionen tun sich in der Regel schwer damit, die Heilshaftigkeit des Glaubens konkret und überzeugend darzutun. Man spricht von Vergebung der Sünden, von Sinngebung und Orientierung. Aber was hilft mir das, wenn ich verzweifelt auf der Suche nach einem Parkplatz bin? Ganz anders in der Engelreligion. Die entsprechende Literatur quillt über von Berichten über konkret erfahrene Hilfe durch die Engel. Das Beispiel Parkplatzsuche habe ich gleich mehrfach gefunden. Giulia Siegel beschäftigt ihre Engel damit, ihr beim Finden eines Parkplatzes behilflich zu sein – in München, wo sie wohnt, wahrlich keine einfache Sache – und es funktioniert! Nun, die geflügelten Wesen haben ja auch eine größere Übersicht. Aber das ist es nicht allein. Einmal, als sie mit ihrem Vater unterwegs ist (der bislang nicht an die Engel glaubte), macht sie die Probe aufs Exempel. Man steuert ein Lokal in der Türkenstraße an. Natürlich sind alle Parkplätze belegt. Da ruft sie ihre Schutzengel an – sie heißen Viktor und Thaddäus –, und, als sie schon direkt vor der „Location“ stehen, da geschieht es: „Genau in dieser Sekunde fuhr ein Auto direkt vor der Tür des Karaoke-Restaurants aus einer Lücke, so dass ich einfach hineinrauschen konnte.“35 Giulias ganzes Buch handelt von solchen haarsträubenden Geschichten, in denen Engel eine fast ausweglose Situation zum Guten wenden. Sie hält ihre Engel wirklich gut beschäftigt. Da ist der geheimnisvolle Rabe, den sie wie vom Himmel geschickt auf der Straße sitzen sieht, und der bald darauf stirbt, um ihr auf diese Weise mitzuteilen, dass sie sich von ihrem Partner trennen muss. Der Engel als Rabe? „Wie auch immer deine Engel für dich aussehen, ist im Grunde völlig egal. Wichtig ist in meinen Augen jedoch: Engel setzen manchmal eben einfach Zeichen.“36 Engel helfen ihr, eine Wohnung zu finden. Engel bringen eine völlig verkorkste und auch finanziell katastrophale Geschichte mit einem Aupair-Mädchen zu einem guten Ende. Ihr Schutzengel bewahrt ihr Leben, als sie, die bei Schnee und Eis von München in die Schweiz gefahren war, um ein Weihnachtsgeschenk abzuholen (es hätte auch mit der Post geschickt werden können, aber sie wollte auf Nummer sicher gehen), einen schweren Unfall hatte, ihr Wagen sich fünfmal überschlug und sie dennoch mit nur leichten Verletzungen davonkam. Der Bereich des Autofahrens scheint ausweislich dieser Literatur ein bevorzugtes Betätigungsfeld der Engel zu sein. Doreen Virtue erzählt von den Parkplatzengeln, von Engeln, die helfen den Autoschlüssel zu finden, von der vom Himmel stammenden plötzlichen Eingebung, die Spur zu wechseln – und „kurz darauf zeigt sich, dass Sie nur knapp an einem Stau oder an einem Verkehrsunfall vorbeigeschrammt sind“. Eine Frau („nennen wir sie Suzanne“) wurde nach einem schweren Verkehrsunfall von einem überaus freundlichen und gut aussehenden Sanitäter gerettet, und bei der späteren Nachfrage im Krankenhaus zeigt es sich, dass es diesen Sanitäter gar nicht gegeben hat. „Gottes Führung hält sich rund um die Uhr bereit“, das ist die Botschaft.37 Sie hilft, wenn man die Lebenshaltungskosten nicht in den Griff bekommt, wenn die Klimaanlage des Nachbarn nervt, wenn man den Geldberuf zugunsten einer schlechter bezahlten, aber erfüllenderen Tätigkeit aufgibt, und – natürlich – bei der Partnerwahl und Partnersuche. Das alles und viel mehr ist durch namentlich ausgewiesene Begebenheiten beglaubigt. „Gott sorgt für die Erfüllung all unserer Bedürfnisse – Liebe und materielle Unterstützung, Ermutigung und solider Rat inbegriffen. Wir brauchen nie zu befürchten, dass uns irgendetwas vorenthalten wird. Gott [= Engel] ist reine Liebe, reines Licht und reine Intelligenz. Von daher wird jedes Geschenk, nach dem es uns je verlangen könnte, von dieser Quelle hervorgebracht.“ Man muss auch nicht befürchten, dass Gott bzw. die Engel durch die vielen Anfragen, die an sie gerichtet werden, überfordert sind. „Gott ist kein Kriseninterventionszentrum, zu dem jeweils nur ein Anrufer durchkommt [diese moderne Horror-Erfahrung ist also in der Engelreligion überwunden!]. Er existiert in einer zeitlosen Dimension. Dementsprechend erfasst Gott alle Anfragen von allen gleichzeitig, ohne dass etwas durcheinandergerät oder sich gegenseitig stört.“38 Die Engelreligion ist wirklich die perfekte Religion der modernen Waren- und Konsumwelt. Was es für Geld nicht zu kaufen gibt, wird durch den Himmel nachgereicht.
Nicht ganz so platt äußern sich andere Autorinnen und Autoren zur Hilfe der Engel. Kurt Tepperwein verheißt Haltungen oder Tugenden wie Aufrichtigkeit, Ausdauer, Klarheit, Kreativität und Leichtigkeit als Gaben der Engel, die durch Meditation der Texte und Engel-Kalligraphien, die Tepperwein anbietet, zugänglich werden. Angelika Arnolds erfährt durch die Engel (Delfine) eine tiefe Erfüllung ihrer Liebessehnsucht, aber die Engel sind ihrer Erfahrung nach auch für alltäglichere Dinge zu gebrauchen: Parkplatzsuche, Bewachung des Fahrrads (man braucht nicht mehr abzuschließen), oder wenn man Ärger mit einem Mitmenschen hat, kann man sich an seinen Schutzengel wenden, der die Sache dann mit dem Schutzengel des anderen in Ordnung bringt. Jana Haas spricht von Engelerfahrungen auf einem höheren Niveau. Die spirituellen Energien bewirken authentisches Menschsein, Freilegung des wahren Selbst und Befreiung von falschen Bildern und Bindungen, Einfügung in die Ordnung des Universums und die Fähigkeit zur Liebe. „Was ist Liebe? Liebe ist, den anderen so zu akzeptieren, wie er bzw. sie ist.“39 Und doch ist ihre Engellehre mehr als nur Psychologie. Sie weiß vom Sterbe- und Todesengel, der die Verbindungen zum Leben trennt, beim Loslassen hilft und zusammen mit dem Schutzengel die Verstorbenen in die ihnen bestimmte himmlische Sphäre führt. Sie kennt, benennt und beschreibt die Inkarnations- oder Geburtsengel, die jede Phase der Schwangerschaft mit einer spezifischen Funktion unterstützen. Sie helfen auch bei der Geburt und sind ein- bis zwei Wochen nach der Geburt noch tätig, bis sie ihre Aufgabe an den Schutzengel übergeben.
Wie auch immer im Einzelnen, die Engelreligion kommt unseren Wünschen und Bedürfnissen so entgegen wie selten eine. Wer ihr anhängt und ihre Regeln und Rituale befolgt, kann eines glücklichen, erfüllten Lebens sicher sein. Welche andere Religion vermochte oder vermöchte das heute so zu behaupten? Wie könnte sich aber heute eine Religion halten, die weniger verhieße?
3. Dunkle Kräfte
Soweit nun ein Einblick in die lichte Seite der Engelreligion. Sie ist die, die in der entsprechenden Literatur und auf den Engel- und Heilerkongressen im Vordergrund steht. Aber traditionell gehören zur Welt der Engel auch die dunklen Kräfte, der Teufel und die gefallenen Engel, die Dämonen und die Besessenheit. Auch von ihnen muss die Rede sein, zumal wenn es um die Erfahrung des Bösen geht. Und ansatzweise ist diese dunkle Seite auch bei den bisherigen Schilderungen schon aufgeschienen. Jana Haas weiß von den Gefahren der schwarzen Magie, sie hat sie leidvoll am eignen Leibe erfahren. Sie kennt auch eine Art von Exorzismus. Einmal, als sie einer spirituell begabten Frau eine Frage stellt, sieht sie, wie hinter der Frau ein lichtvolles Wesen erscheint, um die Antwort zu geben, gleich darauf aber auch ein dunkles Wesen, das ebenfalls eine Antwort durchzugeben versucht. „Sofort sagte ich innerlich: ,Nur reine Liebe darf in mich hinein, alles andere weichen muss von mir.‘ Prompt konnte die Frau die Antwort dieses dunklen Wesens nicht durchgeben.“40 Liebe versus dunkle Gewalten, auf dieser Linie bewegen sich die Aufstellungen der hellen Engelliteratur in der Auseinandersetzung mit dem Bösen. Doreen Virtue, die doch die Engel ganz auf die Erfüllung unserer Bedürfnisse abgestellt hatte, kommt an der Frage nicht vorbei, wie die Engel zu unseren schlechten, egozentrischen Wünschen stehen. Hier führt sie die Figur der „gefallenen Engel“ ein. Sie stellen sich ein, wenn Wünsche und Vorstellungen von „Angst, Konkurrenz, Mangel und Zerstörung“ besetzt sind.41 Wie kann man aber zwischen den Gefühlen des höheren und des niederen, egoistischen Selbst unterscheiden, wenn doch auch die Wünsche des höheren Selbst auf Geld, Karriere, Sicherheit und unbegrenztes Autofahren gerichtet sind? Doreen macht es nur an der Unterscheidung der Gefühle fest – ob sie von Liebe oder von Angst bestimmt sind – und stellt umfangreiche Listen mit „emotionalem Vokabular“ zur Verfügung, um die eigenen Gefühle besser erkennen und ausdrücken zu können.42 Und doch bleibt die Unterscheidung undeutlich und problematisch. Eine Religion, die auf die Wahrheit der Bedürfnisse setzt, eine solche kapitalismuskompatible Religion hat Probleme, mit der Macht des Bösen fertig zu werden.
Eine, soweit ich sehe, große Ausnahme in der Engelliteratur ist Helga Schaubs Buch über die „Befreiung von Dunkel-Mächten“. Sie erklärt: „Die Zeit ist reif dafür, dass wieder offen und öffentlich über Besetzungen und dunkle Energien gesprochen wird.“43 Schaub hat einen protestantisch-christlichen Hintergrund, sie glaubt an Christus, gehört aber nach eigener Aussage keiner Kirche an. Sie hat eine Reiki-Ausbildung absolviert und ist als Heilerin im Kampf mit den dunklen Mächten tätig. Sie berichtet von ihrer Fähigkeit, schädliche Energien und böse Geister zu erkennen und von ihnen zu befreien. Im Zuge ihrer Tätigkeit ist sie in engen Kontakt mit dem in der katholischen Kirche geübten Exorzismus gekommen. Sie hat die exorzistische Literatur gründlich studiert und ist auch nach Rom gereist, um die führenden Exorzisten der katholischen Kirche persönlich kennen zu lernen, ja sie hat selbst einen Exorzismus an sich ausführen lassen. Liest man ihr Buch mit katholischen Augen, so ersteht die ganze in der Kirche weitgehend verdrängte Welt der bösen Geister und der teuflischen Mächte wieder auf, zusammen mit den Mitteln der Beschwörung und der Austreibung. Helga Schaub beansprucht, das in der Kirche bereitliegende exorzistische Wissen und Können auf einen zeitgemäßen, entwickelteren Stand zu führen. Ohne die Gebete, die im Christentum vorliegen, geht es nicht, aber „christliche Gebete im Verein mit asiatischer Energiearbeit, das wäre optimal“.44 Es genügt nicht, wenn meist sehr alte katholische Priester Gebete murmeln, sie müssen auch selbst eine kraftvolle, heilende Energie mitbringen. Ein Exorzismus wirkt nicht „ex opere operato“, durch seinen bloßen Vollzug. Und vor allem: Das in der katholischen Kirche übliche Anfahren, Bedrohen und Beschimpfen des Dämons ist der falsche Weg. Der Geist, der einen Menschen besetzt hält, will ja selbst ins Licht und in die Erlösung, und das wäre der rechte Exorzismus (Schaub: „Clearing“), der ihm den Weg dazu weist.
„Der beste Schutz vor schädlichen Energien ist das Gebet und der echte tiefe Glaube“, sagt Helga Schaub.45 Ich finde es bemerkenswert, dass hier, wo es um die Überwindung des Bösen geht, das Christliche eine weit größere Rolle spielt als sonst in der neueren Engelliteratur. Sollte etwa der christliche Glaube gerade an dieser Stelle eine besondere, unverzichtbare Bedeutung haben? Darauf ist zurückzukommen. Bei Helga Schaub aber ist nicht so recht klar, woran denn geglaubt werden soll. Sie spricht von einer „freundschaftlichen Beziehung zu dem eigenen höheren Selbst, dem Göttlichen in uns“, und dies sei völlig „unabhängig von Religion, Dogmen und Glaubensbekenntnissen“.46 Nun, wenn es so einfach wäre … Aber so wahrt sie jedenfalls ihren Platz in der dogmenfreien Engelreligion.
Lassen wir uns von Helga Schaub ein wenig in die Welt der dunklen Kräfte hineinführen. Ihre theoretische Grundlage ist das „Gesetz der Resonanz“. Gute wie schlechte Gedanken und Gefühle senden Schwingungen aus, diese wirken weiter und fallen irgendwann einmal auf ihren Urheber zurück. Wer Böses erlebt, hat zuvor Böses getan oder gedacht. Dieses von ihr so genannte „Gesetz von Ursache und Wirkung“ – „Was ich säe, das werde ich ernten“47 – geht nur auf, wenn man im Sinne des Karma-Gedankens mehrere Existenzen in Rechnung stellt. Und es enthält vielleicht eine allzu deterministische Erklärung für das Leid eines Menschen. Aber mit der Aufmerksamkeit für die Fortwirkung negativer und positiver Energien kann doch viel erklärt werden. Das in sachlichem Ton gehaltene Buch führt überzeugende Beispiele für die Wirkung von bösen Gedanken, Flüchen, Verwünschungen und spiritistischen Praktiken an. Ein Beispiel: Ein Mann heiratet eine Frau, deren Eltern und Verwandten aus Rumänien stammen. Die Beziehung zu den Schwiegereltern ist von Anfang an schlecht. Dann wird der Mann krank, mit Symptomen, die auf eine Vergiftung hindeuten. Alle medizinischen Untersuchungen verlaufen ergebnislos. „Als ich in seinen Arbeitsbereich im Haus kam, spürte ich nach etwa zwei Minuten einen metallenen Geschmack auf der Zunge, mir wurde übel und leicht schwindelig. Ich verließ den Raum und stellte einige Tests an, die einwandfrei Folgendes ergaben: Auf feinstofflicher Ebene, die mit herkömmlichen Methoden nicht messbar und nicht sichtbar ist, wurden diesem Klienten ganz gezielt in seinen Arbeitsbereich Giftstoffe geschickt, die die oben beschriebenen Symptome auslösten.“48 Es stellte sich heraus: Die Schwiegermutter hatte einen Magier damit beauftragt, dem Mann zu schaden. Nachdem nun die Räume „gereinigt“ und die schwarze Magie gebannt war, kann die Heilerin den Mann davon überzeugen, die Schwiegermutter in seine Gebete einzuschließen und ihr alles Gute zu wünschen. Denn nur mit Liebe ist gegen das Böse anzukommen, nur das Licht kann die Dunkelheit erhellen. – Helga Schaub ist Expertin für die Wahrnehmung feinstofflicher Wesenheiten, so sagt sie. Diese Wesenheiten sind normalen Analyseinstrumenten nicht zugänglich; ist damit schon ausgemacht, dass es sie nicht gibt? Sie erklärt: Ein Mensch kann durch dunkle Energien besetzt werden, vor allem dann, wenn seine Aura schwach und durchlöchert ist, etwa bei Alkoholikern. Die dunklen Kräfte können zum Beispiel durch okkulte Praktiken herbeigerufen werden, und die Autorin warnt nachdrücklich davor, dass junge Menschen an okkulten Handlungen und spiritistischen Sitzungen teilnehmen. „Viele Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst, dass schon das Tragen oder Aufzeichnen des satanischen Pentagramms oder der Gebrauch des Satanskreuzes sowie die Anrufung des Fürsten der Dunkelheit genügen, um diese dunklen Energien anzulocken. Wehe den Geistern, die ich rief!“49 Es kann sich auch um die Geister Verstorbener handeln, die sich etwa nicht von ihren Besitztümern lösen können oder noch auf Rache sinnen. Da sie Energie benötigen, docken sie an andere Personen an und ernähren sich von deren Energie. Eine solche Person ist dann zeitweilig oder dauernd „besetzt“. Die Folgen sind Schwäche, Lustlosigkeit, tiefe Traurigkeit und eine Reihe körperlicher Beschwerden, die die Autorin zum Zwecke der Erkennbarkeit detailliert aufführt. Manche dieser verirrten Seelen machen auch als Poltergeister auf sich aufmerksam. Sie müssen davon überzeugt werden, sich abzulösen und abholen zu lassen in die jenseitige Welt. Gelingt dies, ist beiden Seiten gedient, der „besetzten“ Person und der armen Seele. „Geben Sie der verirrten Seele liebevoll zu verstehen, dass Sie alleine leben möchten, und dass sie sich im Licht weiterentwickeln darf. Sprechen Sie zu den Verstorbenen, nennen Sie sie beim Namen, wenn Sie wissen, um wen es sich handelt.“50 Auch dies ist ein Clearing, ein Exorzismus. Neben solchen durch menschliche Energie verursachten Schädigungen beschreibt Helga Schaub auch die negativen Energien, die durch technisch erzeugte Strahlung, durch Handys oder durch Elektrosmog im Büro ausgelöst werden und die nicht selten zu Erkrankungen führen. Dagegen kann man sich durch bestimmte Maßnahmen, unter anderem durch geeignete, strahlenabsorbierende Steine schützen. Doch der eigentliche Schutz gegen alle Arten dunkler Mächte wird erreicht durch Glauben, durch liebevolle Gedanken, durch Lachen, Singen und inneren Frieden, durch Gebet und Gedankenreinheit. Das ist gar nicht magisch, und es ist in jedem Fall zu empfehlen.
4. Satanische Mächte
Satan und seine Engel, den Fürsten der Hölle in seinem Schrecken, die finsteren Mächte und Gewalten, die nach alter Vorstellung mit zur Welt der Engel gehören, haben wir bisher noch nicht angetroffen. Sie kommen in dieser ,hellen‘ Engelreligion nicht oder nur ganz am Rande vor. Die niedlichen Parkplatzengel einer Giulia Siegel wären ohne Zweifel zu schwach, um gegen sie aufzukommen, und auch die Maßnahmen der Helga Schaub griffen wohl nicht. Ist die dunkle Seite der Engelwelt heute ganz vergessen? Nein, aber ich finde sie an einem völlig anderen Ort. Vor mir liegt der Band „Heavy Metal Thunder. Album Covers that Rocked The World“ von Neil Aldis und James Sherry. Er enthält Abbildungen von über 400 Covers von Alben aus der Heavy-Metal-Musikszene von 1970 bis 2005. Schon auf dem Titelbild grinst eine Teufelsfratze. Und dann sind sie in diesem Band alle versammelt: die Teufel und Dämonen, die Verdammten der Hölle, die Täter und die Opfer grausamer Gewalt. Es ist ein Pandämonium, ein Album des Grauens. „Welcome to Hell“ heißt eine Produktion der britischen Band Venom von 1981, auf dem Cover erscheint ein gehörnter Teufel im satanischen Pentagramm. „Possessed“ ist eine weitere Produktion der gleichen Band von 1985. Gezeigt werden geheimnisvoll durchleuchtete Kinder mit dem Satanszeichen auf der Brust. „Reign in Blood“ heißt ein Album der Band Slayer (1986). Das Cover zeigt eine Szene aus der Hölle in der düsteren Art, wie man es von mittelalterlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichts kennt: Menschen, die bis zum Hals in einer feurigen Flüssigkeit stehen, bocksköpfige und gehörnte Teufel, weitere Insassen der Hölle, darunter auch ein Bischof. „A Catalogue of Destruction“ wird auf dem Sampler Speed Kills (1987) angeboten, ein weiterer Sampler ist „Hell Comes to Your House“ betitelt (1984) und zeigt ein muskulöses, schweins- oder drachenköpfiges Wesen, das ein friedliches Castle in seinen Klauen hält. Besonders grauenerregend sind die Covers der Gruppe Iron Maiden. In der Produktion „Life after Death“ (1985) ist das eiserne Mädchen51 dem Grabe entstiegen, enthäutet, mit leeren, wahnsinnig blickenden Augen und einem schrecklichen Gebiss treibt sie von nun an ihr Unwesen. Ein „Inkubus“ wird auf der Aufnahme der gleichnamigen Band unter dem Titel „Beyond the Unknown“ (1990) beschworen: eine bedrohliche, rotäugige und wie ein Mönch gekleidete Gestalt vor einer Ruinenlandschaft. Immer wieder Teufel und Dämonen, von einer beachtlichen Fantasie der Künstler ausgeführt. Der Gipfel der Scheußlichkeiten ist vielleicht: Cannibal Corpse mit den Alben „Eaten Back to Life“ (1990) und „Butchered at Birth“ (1991). Auf letzterem Cover wird eine junge Frau von halbverwesten Fleischerdämonen mit blutigem Messer geschlachtet, das Kind wird ihr aus dem Leib gerissen. Die abgerissene Nabelschnur ist inmitten all des Blutes noch zu erkennen. Darstellungen kruder, unvorstellbarer Gewalt auch auf vielen anderen Bildern. Daneben findet man Impressionen einer zerstörten, todverfallenen Welt. Nuclear Assault zeigt unter dem Titel „Survive“ (1988) ein zerbröckelndes Atomkraftwerk, darüber einen hässlich grinsenden gehörnten Totenkopf, das alles in einer schwefelgelben, giftigen Atmosphäre. Das Atomkraftwerk taucht auch bei „World Remise“ (1994) der Gruppe Obituary wieder auf, eingebettet in eine Landschaft grün-gelblich rauchender Fabrikschlote. „Cause of Death“ (1990) und „Slowly we Rot“ (1989) heißen weitere Produktionen dieser Gruppe. „Death Shall Rise“ (Cancer, 1991) könnte das Motto all dieser Bildmotive sein. Der Sensenmann mit Teufelskopf erhebt sich hier kraftstrotzend über einer Landschaft aus menschlichen Körperteilen.





