Die Kunst, verantwortlich zu erziehen

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Aber das Sein des Lebens ist Verantwortlich-sein, und zwar für mich und für andere. Viele Menschen handeln nicht verantwortungslos, weil sie krank sind, sondern sie sind krank, weil sie verantwortungslos handeln.
Kinder und Heranwachsende müssen lernen, - konsequent ihren Anteil bei allen Problemen zu tragen, - ständig die Realität im Auge zu haben und nicht eine Illusion,
keine Ausrede und die Flucht in die Verantwortungslosigkeit zu suchen,
glücklich, zufrieden und voller Freude zu sein, wenn sie verantwortlich denken und handeln.
Eltern und Erzieher müssen dem Kind unaufhörlich verdeutlichen, dass es nicht in erster Linie ein Opfer der Umstände ist, sondern ein Entscheidungen treffendes Wesen. Wer sich nicht verantwortlich fühlt,
schiebt die Schuld auf andere,
schiebt die Schuld auf die Eltern,
schiebt die Schuld auf die Umstände,
schiebt die Schuld auf Gott selbst.
Das Neue Testament legt Wert darauf, dass wir Menschen geradestehen für das, was wir gedacht und getan haben. „Jeder von uns wird Gott für sein eigenes Tun Rechenschaft ablegen müssen. Wir wollen daher aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen“ (Römer 14,12 - 13).
Weshalb handeln Menschen verantwortungslos?
Jeder Mensch ist zugleich ein Handelnder und ein Leidender. Er wird aktiv und trägt gleichzeitig die Folgen für sein Tun, und zwar die angenehmen wie auch die unangenehmen. Wie kommt es nun, dass Menschen ihren Kopf nicht hinhalten wollen? Es gibt viele Motive, versteckte Beweggründe, Ziele, bewusste und unbewusste Zwecke. Ein paar dieser Beweggründe will ich nennen.
Beweggrund 1: Ich will keinen Fehler machen
In der Regel sind es Perfektionisten, die die Fehlerlosigkeit anstreben. Fehler schädigen ihr Image. Sie möchten im Leben mit einer weißen Weste herumlaufen. Sie schieben auch die Verantwortung auf andere. Sie sind nicht bereit, Fehler und Schwächen einzugestehen. Oft handelt es sich um Menschen, die in der Gesellschaft, auf der Arbeitstelle und in der Öffentlichkeit nicht in den vordersten Reihen stehen.
Beweggrund 2: Ich lasse mich gern führen
Von Kindesbeinen an haben diese Menschen gelernt, dass Geschwister oder Eltern und Großeltern Entscheidungen treffen und die Verantwortung übernehmen. Auch später in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz sind es Menschen, die sich führen lassen, die Aufgaben zuverlässig erledigen, aber nicht selbst den Kopf hinhalten. Als Eheberater habe ich viele Frauen und Männer erlebt, die warten, bis der Partner oder die Partnerin Vorschläge gemacht oder eine Entscheidung getroffen hat.
Manche Kinder und Heranwachsende verstehen es meisterhaft, sich hilflos zu geben, und es gibt immer wieder Erwachsene, die darauf hereinfallen und ihnen Aufgaben abnehmen.
Beweggrund 3: Ich bin ein ängstlicher Mensch
Angst steckt hinter vielen Verhaltensmustern und seelischen Störungen. Ängstliche Menschen gehen allen Risiken aus dem Wege. Viele sind ausgesprochen schüchtern und vorsichtig. An alle Lebensprobleme gehen sie übervorsichtig heran. Das Bedürfnis nach Sicherheit spielt in ihrem Leben eine große Rolle. Sie halten sich aus Konflikten und Auseinandersetzungen heraus. Sie wollen in Ruhe gelassen werden. Sie wollen darum auch nicht im Mittelpunkt stehen.
Verantwortliches Erziehen beinhaltet Vertrauen
Vertrauen beeinflusst die zwischenmenschlichen Beziehungen auf allen Ebenen. Misstrauen gefährdet das Zusammenleben. Die Neigung eines Menschen zu Vertrauen oder Misstrauen wird über einen längeren Zeitraum hinweg erlernt, aus vielen gesammelten Erfahrungen. Vertrauen ist eine Erwartungshaltung, dass der Mensch sich auf Worte, auf Versprechen und Zusagen verlassen kann.
Menschen, die oft enttäuscht wurden, die sich auf Eltern und andere Erwachsene nicht verlassen konnten, werden einsam, ziehen sich zurück und misstrauen den Menschen. Sie wagen nicht, auf andere zuzugehen, um nicht frustriert zu werden.
Wer als Kind die Verlässlichkeit seiner Eltern erfahren hat,
vertraut den Menschen,
vertraut dem Leben,
vertraut allen Einrichtungen,
vertraut seinen Gaben,
vertraut dem lebendigen Gott.
Diese Menschen gehen Risiken ein, wagen sich an die ihnen gestellten Aufgaben heran und haben das sichere Gefühl, dass alles gut wird.
Menschen mit Vertrauen haben eine positive Ausstrahlung. Weil sie anderen entgegenkommen, erleben sie, dass die anderen ihnen gern begegnen. Wer anderen Menschen vertraut, gilt selbst als zuverlässig und ehrlich. Es ist interessant, dass Menschen, die anderen vertrauen, von anderen als vertrauenswürdig eingeschätzt werden. Wissenschaftler betonen, dass misstrauische Menschen von anderen als weniger vertrauenswürdig angesehen werden. Tatsächlich sei es auch so, dass sie stärker zum Lügen und Betrügen neigten.
Eltern und Erzieher, bei denen Verantwortung, Kooperation und Gleichwertigkeit großgeschrieben werden, schenken Vertrauen und handeln nicht von oben herab. Bei ihnen wachsen Kinder und Jugendliche mit einem Urvertrauen auf, das sich im weiteren Leben bezahlt macht.
Verantwortliches Erziehen beinhaltet eine Gewissensprüfung
Das Gewissen ist eine Realität. Aber der Begriff ist unklar und umstritten.
Ist das Gewissen der innere Gerichtshof?
Ist es die Stimme der jeweiligen Gesellschaft? Ist es die Stimme Gottes?
Ist es meine Stimme, die mir gute oder schlechte Ratschläge gibt, die meine Wünsche rechtfertigt und mir Ausreden liefert?
Man spricht von zahlreichen Gewissen. Es gibt ein christliches, ein pädagogisches, ein wissenschaftliches, ein ästhetisches, ein künstlerisches, ein sektiererisches, ein öffentliches und ein privates Gewissen.
Das Gewissen kann schlecht, es kann schlafend, weit, eng, träge, hart und zart sein. Für Christen gilt: Nicht das Gewissen ist die letzte Instanz, sondern der lebendige Gott. Es gibt Menschen, die haben ein Gewissen wie eine Briefwaage, die feinsten Fehler und Sünden werden registriert, und es gibt Menschern, die haben ein Gewissen wie eine Viehwaage. Nur wenn dicke Brocken und Schwerstvergehen darauf landen, schlägt die Waage aus.
Nur der hat ein feines und zartes Gewissen, der sich an Jesus Christus und seine Maßstäbe gebunden hat. Der Geist Gottes ist der Lenker unseres Gewissens.
Der Geist Gottes ist der Maßstab unseres Gewissens.
Der Geist Gottes ist der Wächter für unser Gewissen.
Verantwortliche Eltern und Erzieher, verantwortliche Leiter in Wirtschaft und Gesellschaft und verantwortliche Eheleute sind dann Vorbilder und glaubwürdig, wenn sie selbst vor dem lebendigen Gott ihr Tun und Lassen prüfen.
Kapitel 3
Verantwortung und Autorität
Verantwortliche Menschen, die dieser Berufung gerecht werden, haben auch Autorität. Leider wird dieser Begriff bis heute häufig falsch verstanden.
Der vielfach missverstandene Begriff der Autorität
Das Wort „Autorität“ ist nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Begriffschaos geraten. Die Studentenbewegung in den 60er Jahren und die Außerparlamentarische Opposition (APO) haben der Autorität übel mitgespielt. Autoritäre Verhaltensmuster, Macht, Gewaltmissbrauch und Manipulation wurden mit dem ehrbaren Begriff der Autorität in einen Sack gesteckt und auf den Müll der Geschichte gekippt. Die Autorität wurde zu Unrecht als Begriff diffamiert.
Das geht so weit, dass heute ein Durchschnittsabiturient nicht in der Lage ist, das wichtige Eigenschaftswort von Autorität zu benennen. Wenn ich vor Kindergarteneltern, in Gemeindeveranstaltungen und auf Fortbildungsseminaren über Erziehungsprobleme spreche und wir die Begriffe Autorität und autoritative Einstellungsmuster definieren wollen, gibt es regelmäßig heiße Diskussionen, und die Teilnehmer geraten aneinander. Die 60er Jahre haben ihre Spuren hinterlassen.
Wahre Autorität ist unbekannt.
Wahre Autorität wirft Fragen, aber keine Antworten auf.
Wahre Autorität muss neu definiert werden.
Wie heißt das Eigenschaftswort von Autorität?
Nicht autoritär, sondern autoritativ!
Auf Vorträgen und Seminaren erlebe ich häufig eine böse Überraschung. Bei Themen über Erziehung, Strafe und Belohnung, bei Fragen über „erlaubte und unerlaubte“ pädagogische Methoden kommen wir immer wieder auf autoritäre Erziehungsmuster zu sprechen. Ich versuche genau zu unterscheiden zwischen autoritären Mustern und Verhaltensstrategien, die auf echter Autorität beruhen. Ich frage nach dem Eigenschaftswort von Autorität und erhalte in der Regel die falsche Antwort autoritär.
Es ist einige Jahre her. Ich besuchte die große städtische Bibliothek und lieh mir Erziehungsbücher aus. Mit einem Packen Bücher unter dem Arm stand ich in der Reihe von Kunden, die alle Bücher ausgeliehen hatten.
Als ich an der Reihe war und ein Exemplar zur Registrierung auf den Tisch legte, schaute eine junge Dame interessiert an mir vorbei auf meine ausgesuchten Titel. Fragend und lächelnd sagte sie: „Sieh mal da. Alles Erziehung. Ist das denn noch in?“
Ich fragte zurück: „Halten Sie denn Erziehung nicht mehr für notwendig?“
Sie sagte etwas schnippisch: „Ich halte alles Autoritäre für überflüssig.“
Ich fragte: „Und die Autorität, was halten Sie davon?“ Sie sagte: „Ich sehe zwischen den beiden keinen Unterschied, Sie etwa?“
Die junge Dame bemerkte mein Erstaunen und ich reagierte so: „Darf ich Sie fragen, wie heißt denn das Eigenschaftswort von Autorität?“
Spontan kam es von ihr: „Autoritär.“
Und ich entgegnete: „Leider stimmt das nicht. Das Eigenschaftswort von Autorität heißt autoritativ.“ Die junge Dame zog die Stirn kraus und schüttelte ihren Kopf.
Als wir hinausgingen, fragte ich sie nach ihrem Beruf, und sie sagte: „Ich studiere Soziologie im 5. Semester.“ Das ist kein Einzelfall. Aus Neugier stelle ich heute gern die Frage nach dem Eigenschaftswort von Autorität vor jungen Erwachsenen und älteren Menschen. Das Ergebnis ist häufig das gleiche. Sie glauben, dass das richtige Eigenschaftswort von Autorität autoritär lautet. Es unterliegt keinem Zweifel, die antiautoritäre Bewegung, die in den 60er Jahren begann, hat den positiven Begriff von Autorität zum Verschwinden gebracht. Ist es ein Wunder, wenn unsere Erziehung bei vielen orientierungslos verläuft?
Die Autorität der Alten
Das Wort „Autorität“ stammt aus der römischen Antike. Ihre Kultur lebte aus der Überlieferung. Die Alten mit ihrem Brauchtum, ihrer Sitte und ihrem Ethos bestimmten den Alltag. Der Träger der Autorität war in erster Linie der Senat. Er bestand vorwiegend aus Männern über 60 Jahren. Sie hatten weithin ein vorbildliches Leben hinter sich und wurden zu Garanten der Zukunft. Sie hatten sich bewährt und wurden daher geachtet. Alte, die sich nicht bewährten, und Versager konnten abgewählt werden. Der Senat, der Rat der Alten, nahm zu allen Fragen Stellung und gab nach eingehender Diskussion seine Stellungnahme ab. Sie wurde nicht mit Polizeigewalt durchgesetzt. Es waren in erster Linie Ratschläge und keine Befehle, Empfehlungen und keine strikten Anordnungen.
Dieser Senat besaß Autorität, nicht weil ihm die Befehlsgewalt gegeben war, sondern weil man den alten, den besonnenen und bewährten Männern vertraute, ihre Entscheidungen achtete und ihre Ratschläge akzeptierte.
Die Autorität der Alten musste durch Leistung nachgewiesen werden. Wer Erfolg mit militärischen oder politischen Unternehmungen hatte, besaß Autorität. Im Gerichtswesen war es ähnlich. Wer sachverständig, aber auch geschickt und erfolgreich das römische Recht anwenden konnte, besaß Autorität, besaß das Vertrauen einer Mehrheit. Er wurde häufiger frequentiert als andere.
Dass dieses Modell echter Autorität idealtypisch geschildert ist, liegt auf der Hand. Aber es war ein Modell von Autorität, das man gutheißen konnte und kann. Es war ein Modell, das die entscheidenden Züge positiver Autorität widerspiegelt, die auch heute noch gelten. Ein Befehl muss ausgeführt werden, er wendet sich an Untertanen und willig Gehorchende. Ein Rat will die Entscheidungsfreiheit nicht schmälern. Ein Rat will die Einsicht in die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Folgen der Entscheidung fördern. Die Alten, also der Senat, besaßen „auctoritas“ = Autorität, ohne auf Macht und Gewalt angewiesen zu sein. Die Bürger Roms unterwarfen sich freiwillig. Sie vertrauten der selbstlosen Überlegung und damit der Überlegenheit der Alten.
Das positive Konzept von Autorität
Zwischen den Extremen autoritär und antiautoritär wurde die positive Autorität zerrieben.
Wirkliche Autorität hat nichts mit einem autoritären Verhalten zu tun. Autorität wird abgeleitet von „auctor“ = der Urheber, der Anstifter, der Mahner, der Förderer, das Vorbild. Es ist bezeichnend, dass es lange eine Schreibweise gab, die
„Auktorität“ bevorzugte.
Das Wort „auctoritas“ bedeutet: Vollmacht, Einfluss, Gewicht, Vertrauensmacht.
Der Auktor, der Urheber, ist also derjenige,
der das Leben mehrt;
der dem Leben Gewicht verleiht;
der das Leben bereichert;
der das Leben fördert;
der das Denken und Handeln unterstützt;
der neue Ideen reifen lässt;
der ein Vorbild für Leben und Verhalten ist.
Wer Autorität besitzt,
hat innere Überzeugungskraft;
kann von innen her führen;
kann Vertrauen schenken.
Autorität hängt mit dem lateinischen „augere“ zusammen und meint: fördern, mehren, wachsen lassen, entfalten lassen.
Wer also Autorität besitzt,
ist ein Förderer, ein Mehrer;
ist ein Entfalter, ist Entwicklungshelfer im besten Sinne des Wortes.
Der Autoritätsbegriff hat zahlreiche Beziehungen zu anderen Begriffen wie: Vorbild, Ansehen, Achtung, Respekt, Ehrfurcht und Vollmacht. In den Erziehungs- und Sozialwissenschaften besteht Einigkeit darüber, dass Autorität nicht in erster Linie eine Eigenschaft von Personen ist, sondern die Qualität einer sozialen Beziehung beinhaltet. Autorität wird den Personen zugeschrieben, die einen Einfluss oder einen Führungsanspruch geltend machen, der als berechtigt von anderen Menschen anerkannt wird.
Die so genannten Autoritätsabhängigen verpflichten sich freiwillig, ohne Strafandrohung, aufgrund von Vertrauen und Treue zu gehorchen. Diese Autoritätsabhängigen werden aber auch den Gehorsam verweigern, wenn die Autoritätsinhaber ihre Kompetenz überschreiten. Autoritätsabhängige Menschen schenken der Autoritätsperson Respekt, solange sie
durch Beispiel,
durch Vorbild,
durch Kompetenz,
durch rationalen Diskurs und
durch partnerschaftliche Kommunikation
das Vertrauen des abhängigen Menschen gewinnt.
Die Überredung, die Manipulation und die Suggestion werden als autoritäre Verhaltens- und Einstellungsmuster abgelehnt.
Autorität - eine Kategorisierung
In der Philosophie wird die Frage gestellt: „Zu welcher Kategorie gehört eigentlich der Begriff Autorität?“ Kategorien gibt es grundsätzlich drei: Dinge, Eigenschaften und Beziehungen.
Ein Schuh ist ein Ding, auch eine Person ist ein Ding. Aber ihnen haften Eigenschaften an. Wir können sagen:
„Der Vater ist unwahrscheinlich stark.“
„Die Mutter ist sehr liebesfähig.“
„Das Kind ist gehorsam.“
„Der Lehrer ist sehr streng.“
Man kann also die Autorität als Ding und als Eigenschaft definieren. Viele Eigenschaften deuten aber auch eine Beziehung an. Alle vier genannten Aussagen über Vater und Mutter, das Kind und den Lehrer beinhalten auch eine Beziehungsebene. Denn der starke Vater ist gegenüber Kindern, der Ehepartnerin und anderen Männern stark. Die liebenswürdige Mutter gilt in Beziehungen zu anderen Menschen als liebenswürdig. Auch das Kind spiegelt Gehorsam gegenüber anderen Personen wider. Der strenge Lehrer besitzt eine klar umrissene Eigenschaft und drückt gleichzeitig in Beziehungen eine bestimmte Haltung aus.
Genauso ergeht es dem Wort „Autorität“. Wie wir es auch benutzen: Es spiegelt eine Eigenschaft und eine Beziehung wider.
Ein Lehrer kann Autorität besitzen,
… weil er sich durchsetzt;
… weil die Schüler auf ihn hören;
… weil die Schüler ihn respektieren;
… weil er für Disziplin und Ordnung sorgt.
Und ein Lehrer kann Autorität besitzen,
… weil er etwas zu sagen hat;
… weil er etwas zu vermitteln hat;
… weil sein Wissen imponiert.
Es wird deutlich, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Autorität besitzen.
Der Mathematiklehrer ist eine Autorität auf dem Gebiet der Mathematik.
Der Englischlehrer ist eine Autorität auf dem Gebiet der englischen Sprache.
Der Musiklehrer ist eine Autorität auf dem Gebiet der Musik.
Wissens-Autorität und Vorgesetzten-Autorität
Die Fachleute sprechen auch von „epistemischer Autorität“ (gr. episteme = Wissen) und von „deontischer Autorität“ (gr. deomai = ich soll). Die Wissens-Autorität besteht in der Vermittlung von Wissen. Die Vorgesetzten-Autorität besteht in der Vermittlung von Weisungen, Richtlinien und unter Umständen Befehlen.
Die Autorität der Wissenden ist die Autorität
des Lehrers,
des Sachverständigen,
des Fachmanns,
des Kenners.
Die Autorität des Vorgesetzten ist die Autorität
des Chefs,
des Leiters,
des Übergeordneten,
des Kommandeurs.
Auch das ist möglich, dass Wissende und Vorgesetzte in einer Person handeln. Hilfreich ist es, wenn Menschen mit Wissens-Autorität gleichzeitig eine überzeugende Weisungsbefugnis besitzen. Nicht das eine wird gegen das andere ausgespielt. Aber es muss klar sein: Menschen mit Weisungsbefugnis sind noch lange keine Wissens-Autoritäten. Die Tragik besteht darin, dass sich immer wieder Menschen mit Weisungsbefugnissen, Menschen mit Vorgesetzten-Autorität, Wissens-Autorität anmaßen und ihre Grenzen überschreiten. Über 20 Jahre habe ich Beratung und Seelsorge praktiziert. Für viele Ratsuchende war ich die Wissens-Autorität. Aber mit Händen und Füßen habe ich mich gewehrt, in die Rolle der Vorgesetzten-Autorität hineinzurutschen. Im Prinzip gebe ich keine Weisungen, keine Ratschläge, keine Anordnungen. Wenn Seelsorger und Therapeuten diese Sach-Autorität nicht von der Vorgesetzten-Autorität unterscheiden, geraten sie unter der Hand in eine verführerische Rolle. Dem Missbrauch sind Tor und Tür geöffnet.
Begründete und angemaßte Autorität
Die begründete Autorität beinhaltet:
Dieser Mensch ist ein Fachmann auf seinem Gebiet.
Dieser Mensch, beispielsweise ein Arzt, hat Medizin studiert. Er hat Titel und Diplome erworben. Er hat eine begründete Autorität auf seinem Gebiet.
So gibt es unzählige Menschen, die jeweils auf ihrem anerkannten Gebiet eine begründete Autorität darstellen.
Die angemaßte Autorität beinhaltet:
Ein Mensch beansprucht eine Autorität - auf welchem Gebiet auch immer -, die nicht begründet ist.
Ein Mensch behauptet etwas, ohne darüber ein begründetes Wissen zu haben.
Menschen maßen sich Titel, Wissen und Urteile an, die schlicht und einfach unbegründet sind.
In der Welt gibt es unzählige Pseudo-Autoritäten, die anderen Menschen ihr angemaßtes Urteil überstülpen. Immer wieder gibt es Menschen, die sich so gut verkaufen, die sich so geschickt darstellen, dass ihre angemaßte Autorität von anderen als begründet und richtig empfunden wird. Keine Frage, dass viele Menschen verführt, manipuliert, betrogen und von Pseudo-Autoritäten geknechtet werden. Zu allen Zeiten hat es in der Weltgeschichte Menschen gegeben, die mit angemaßter Autorität andere Menschen unterjocht haben.
Eine Gefahr, solchen Pseudo-Autoritäten aufzusitzen, ist die Gewohnheit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Vater, der Lehrer oder der Pfarrer für uns auf einem Gebiet eine vertrauenswürdige Autorität darstellen, und wir vertrauen ihnen jetzt auch auf anderen Gebieten. Die Autorität wird missbraucht. Die Verführung geht von beiden Parteien aus. Der Verführte hat dem Verführer - unter Umständen blindlings - Vertrauen geschenkt, der Verführer fühlt sich bestätigt und ermutigt, seine Autorität - auf welchem Gebiet auch immer - zu missbrauchen.
Ein trauriges und trostloses Kapitel ist der sexuelle Missbrauch. Kleine Kinder vertrauen ihren Eltern häufig blind. Es sind die liebsten Personen in ihrer Umgebung. Was die Eltern tun und entscheiden, können die Kinder nur akzeptieren. So geraten sie in eine gefährliche Abhängigkeit. Die Autorität der Eltern ist schamlos ausgenutzt worden. Dieser Missbrauch der Autorität kann im späteren Leben zu schweren seelischen und körperlichen Schäden führen. Diese Menschen leiden an Identitätsstörungen, an Selbstwertproblemen und nicht zuletzt an schweren Beziehungsschwierigkeiten.
„Der autoritäre Charakter“ - das Milgram-Experiment
1936 veröffentlichte eine aus Deutschland emigrierte Gruppe von Wissenschaftlern aus dem Frankfurter Institut für Sozialforschung einige Bände über „Autorität und Familie“. Zu den Wissenschaftlern zählten Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse und Hans Mayer. Die Autoren beschreiben das Problem der Autorität, die in der Familie durch Unterwerfung unter den Vater gelernt wird. Das Kind ist machtlos und muss sich der Herrschaft des Vaters unterwerfen. Erich Fromm spricht von „autoritär-masochistischem Charakter“, der entsteht, weil das Kind sich mit der starken Autorität identifiziert, diese Person liebt und die eigene Unterdrückung ohne Rebellion erduldet.
Theodor W. Adorno spricht vom „autoritären Charakter“, der sich den Werten, Normen und der anonymen Autorität des „Man“ unterwirft. Die Autoritäten werden idealisiert, ihr Verhalten wird unkritisch akzeptiert. Er spricht auch von „aggressiver Autorität“, die sich darin äußert, dass überall Menschen aufgespürt werden, die bestimmte Werte verletzen, um sie dann zu verurteilen und zu bestrafen. Viele autoritäre Charaktere identifizieren sich mit Macht und Stärke, mit starken Führern, aus Angst vor der eigenen Schwäche. Schwäche und Menschlichkeit werden von ihnen lächerlich gemacht. Die Autoren sprechen vom „Faschismus-Syndrom“, wobei Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und politischer Konservatismus die Persönlichkeit bestimmen. Die Wissenschaftler waren vor Hitler geflohen und warnten eindringlich mit ihren Untersuchungen vor dem autoritären Machttyp in Familie und Gesellschaft.
Anfang der 70er Jahre testete der Amerikaner Milgram tausend repräsentativ ausgesuchte Versuchspersonen, denen er vier Dollar pro Stunde anbot, um angeblich Gedächtnisleistungen in seinem Institut zu erforschen. Dort trafen die Versuchspersonen auf die Versuchsleiter und eine weitere, angebliche Versuchsperson, die aber in Wirklichkeit zum Institut gehörte. Der Versuchsleiter erklärte beiden, dass einer von ihnen als „Lehrer“ dem anderen, dem „Schüler“, Wortpaare nennen solle. Diese Wortpaare habe der „Schüler“ immer zu wiederholen. Bei jedem Fehler habe der „Lehrer“ den „Schüler“ mit einem Elektroschock zu strafen. Der Elektroschock beginne bei 15 Volt und solle bei jedem Fehler um weitere 15 Volt gesteigert werden. Bei der Auslosung der Rollen von „Schüler“ und „Lehrer“ wusste es der Versuchsleiter so einzurichten, dass immer Institutsangehörige als „Schüler“ fungierten. Der „Lehrer“ war - ohne es zu wissen - die eigentliche Versuchsperson. Untersucht werden sollte, wie weit er sich bereit fand, sich den Anordnungen einer Autorität (des als Wissenschaftler im weißen Kittel auftretenden Versuchsleiters) zu unterwerfen. Der „Lehrer“, also die Versuchsperson, saß vor einem Schockgenerator mit 30 Schaltern und Voltbezeichnungen von 15 bis 450 Volt. Zusätzlich stand noch über den Voltzahlen:



