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„Dagegen ist absolut nichts zu sagen“, meinte Bassler und nippte an seinem Kaffee, der inzwischen so kalt geworden war wie die Atmosphäre im Wohnzimmer, „aber du hattest einmal einen anderen Gott, einen Gott der Liebe und des Verzeihens, dessen Sohn Jesus Christus auf die Welt … “
Er konnte den Satz nicht beenden.
Anne Mundorf war aufgesprungen und deutete mit ihren Fingern auf den Geistlichen.
„Lüge! Alles Lüge! Der wahre Gott heißt Allah und Mohammed ist sein Prophet. Jesus war bestenfalls ein kleiner Prophet und wurde von euch als heiliger Popanz aufgebaut. Und der Lohn der Ungläubigen ist das Höllenfeuer.“
Ihre Augen blitzten und Speichel spritzte aus ihrem Mund. „Woher hast du das“, fragte Bassler tonlos.
„Sure 71“, kam die kühle Antwort, „und Ungläubige wie ihr werden in Scharen zur Hölle getrieben, Sure 72.“
„Anne, du versündigst dich“, hauchte Elke Mundorf und schlug die Hände vor den Mund.
Schlimmer war die Reaktion des Vaters.
Er stand auf, holte aus und schlug der Tochter mit der flachen Hand zweimal ins Gesicht, so heftig, dass Anne taumelte und in den Sessel zurücksank. Ihre Lippen bluteten.
„Steck dir deine gottverdammten Suren in den Arsch“, brüllte er wutentbrannt, „dir werd’ ich es zeigen, du gotteslästerliche Schlampe!“
„So geht das nicht“, rief Bassler empört und sprang auch auf. Er fiel dem Vater in die Hand und vereitelte einen dritten Schlag.
Anne sprang auf und verließ wortlos den Raum.
Die Mutter heulte, der Vater ließ sich in den Sessel sinken und griff schwer atmend nach Bier und Nikotin.
Bassler hatte verstanden, dass jedes weitere Wort sinnlos war. In dieser vergifteten Atmosphäre war ein sachliches Gespräch unmöglich. Er nickte den Eheleuten kurz zu und verließ die ungastliche Stätte.
7. Kapitel
Köln/Deutz
Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit. (Karl Friedrich Schinkel)
Es ist zwei Jahre her, dass die Kölner Stadtväter beschlossen, durch eine fünfhundert Meter lange Freitreppe am Rhein der rechtsrheinischen Seite der Stadt eine neue touristische Attraktion zukommen zu lassen, den so genannten Rheinboulevard. Die Stadt hat sich dieses Projekt gut zwanzig Millionen Euro kosten lassen, aber wie die Akzeptanz in der Bevölkerung zeigt, war das eine gute Investition, auch wenn es, zumal in den Abendstunden, dort auch schon mal zu Randale und Ausschreitungen kommt und mehr Polizisten als Touristen aufmarschieren.
Die rechtsrheinische Seite Kölns ist eigentlich die falsche Seite und wird von den Kölnern, jedenfalls denen, die auf der richtigen Seite wohnen, leicht despektierlich Schäl Sick genannt. Der mundartliche Begriff soll aus der Zeit stammen, in der die Schiffskähne rheinaufwärts noch von Pferden gezogen wurden. Die Pferde auf der linken Rheinseite wurden demnach aufgrund der Spiegelungen der Sonne auf dem Fluss geblendet und manche wurden sogar auf einem Auge blind. Als man das erkannte, wurde den Pferden fortan immer auf dem Auge, welches dem Rhein zugewandt war, eine Scheuklappe angelegt. Dadurch waren sie schäl, was im kölschen Dialekt in etwa „schlecht sehen“ bedeutet. Und so hatte die „Schäl Sick“ ihren Ruf weg.
Der frühere Oberbürgermeister Kölns und spätere erste Bundeskanzler der Bundesrepublik soll einmal, als er über die Brücke fuhr und sich dieser Rheinseite näherte, die Gardinen seines Abteils mit dem Kommentar „in Deutz beginnt der Bolschewismus“ zugezogen haben. Aber das ist lange her und vielleicht nicht mehr als eine der zahlreichen Anekdoten, die sich um diesen großen Mann ranken.
Aber zurück zum neuen Rheinboulevard.
Auf den breiten Stufen dieses Boulevards konnte man herrlich sitzen, die Sonne genießen und dem Treiben auf dem mächtigen Strom zusehen. Riesige Lastschiffe, die sich in beiden Richtungen gemächlich begegneten, Jetski-Fahrer, die wagehalsig zwischen den Schiffen rasten, gelegentlich Ruderboote, die auf dem Fluss trainierten. Machte Spaß, das alles zu beobachten.
Und genau das tat der Mann auch.
Das Wetter hatte sich endlich gebessert, die Regenwolken waren nach Osten abgezogen und die Sonne überschüttete die Stadt mit ihren wärmenden Strahlen. Die Menschen waren wieder herausgekommen, saßen auf den breiten Stufen und genossen die Sonne des frühen Nachmittags.
Der Mann auch.
Er war gut, aber unauffällig gekleidet, maß fast 190 Zentimeter und war von schlanker, aber kräftiger Figur. Ein Beobachter hätte kaum vermuten können, dass sein Körper über eine Vielzahl gut trainierter Muskeln verfügte, weshalb er die Kleidung gern etwas größer trug. Heute trug er eine leichte, weiße Sommerhose, ein blaues Polohemd und darüber ein leichtes, hellbraunes Leinensakko. Sein struppiges, mittelblondes Haar zeigte an den Schläfen ein erstes zartes Grau und war in der Stirnmitte schon reichlich ausgedünnt, gleichwohl warfen ihm Frauen interessierte Blicke zu, wenn er auf den Straßen unterwegs war. Daran änderte auch die kleine rötliche Narbe nichts, die sein Kinn prägte und als Andenken an seinen Einsatz in Peru zurückgeblieben war.
Im Auftrag der Agency hatte er dort über Wochen einen sehr gefährlichen Mann beobachtet, den Kopf eines Drogenhändlerrings, der den Markt in den USA mit seinen todbringenden Artikeln überschwemmte und dabei vor allem Kinder und Schüler im Auge hatte. Am Schluss hatte er ihn auftragsgemäß liquidiert und war dabei fast draufgegangen. Bei einem mörderischen Gefecht mit den Leibwächtern des Drogenbosses war er getroffen worden und nur knapp dem Schicksal mancher seiner Kollegen entgangen.
Dieser Mann hieß Peter Wills und war Agent First Grade der CIA.
Dank seiner außergewöhnlichen Sprachkenntnisse, zu denen neben Grundkenntnissen in Arabisch auch Deutsch und Spanisch gehörten, hatte er jetzt Einsätze im Irak, im Sudan, in Deutschland und in Peru hinter sich. Immer war er für den Tod von Menschen verantwortlich gewesen, aber das hatte ihm weder Gewissensbisse verursacht noch seinen Schlaf nachhaltig gestört.
Die Opfer – das waren alles Menschen gewesen, die es verdient hatten. Drogenhändler, Verräter, feindliche Agenten, Terroristen.
Sie waren die Bösen.
Und er war einer von den Guten – und das hatte ihm seine Tätigkeit erleichtert und einen guten Schlaf ermöglicht.
Als er sich nach fünfjähriger Tätigkeit bei der Polizei von New York bei der Agency beworben hatte, was er ohne die ausdrückliche Empfehlung seines Commissioners wohl nie getan hätte, war ihm bewusst, dass seine neue Tätigkeit gefährlich sein würde. Aber neue Herausforderungen reizten ihn und so hatte er ohne Probleme das Aufnahmeverfahren in Langley durchlaufen und war inzwischen Agent First Grade.
Allerdings hatte sein Familienleben darunter sehr gelitten, er hatte keins.
Einige Affären, ja, aber keine Frau, keine Kinder. Zwei ernsthaftere Beziehungen, die in die Brüche gegangen waren, alles zum Wohle des Landes, das ihm seine Gehaltsschecks ausstellte.
Jetzt flogen seine Blicke über den Rhein und streiften die Besucher, die neben ihm auf der Freitreppe saßen. Er scannte seine Umgebung und versuchte, jede Form von Gefahr rechtzeitig aufzunehmen, ein Verhalten, das ihm in den Jahren, die er im Dienst der Agency verbracht hatte, in Fleisch und Blut übergegangen war.
Gelegentlich nippte er an einer Flasche Bitter Lemon, seinem Lieblingsgetränk. In der Hand hielt er eine zusammengerollte Zeitung.
Seine Gedanken wanderten zurück zu seinem letzten Auftrag, der ihn vor einem halben Jahr in die Domstadt geführt hatte. Es galt, an ein historisches Dokument zu kommen, das für seine Regierung von großer Bedeutung war. Im Laufe dieser Aktion hatte er hier in Köln einen alten Nazi getötet, ohne dass ihm diese Tat Gewissensbisse eingetragen hätte. Die Aktionen gegen den katholischen Pfarrer, wie hieß er noch gleich, ja … Diefenstein, hatten ihm weniger gefallen. Der Mann war ihm sympathisch gewesen und trotzdem hatte er ihn unter Druck setzen müssen.
Aber schließlich handelte er in nationalem Interesse, da darf man nicht zimperlich sein und so konnte er seinen Auftrag hier erfolgreich beenden. Wie das mit dem jetzigen Auftrag aussah, war noch nicht so klar.
Aber – Fuck – sein Kollege war erschossen worden.
Auf der Domplatte!
Vor der herrlichen Kathedrale!
Gordon Rush! Ein liebenswerter Kollege aus Chicago, verheiratet, zwei Kinder und Anhänger der Chicago White Sox, einem sympathischen Loserteam.
Jünger als er und erst seit fünf Jahren bei der Agency. Vielleicht hatte ihm noch ein wenig die nötige Härte gefehlt, die in diesem Job unausweichlich war. Er zeigte gerne die Bilder seiner hübschen Frau und der beiden Kinder, was in diesen Kreisen eher unüblich war.
Und jetzt war er tot!
Wer hatte ihn erschossen und warum?
Ihre Ermittlungen gegen die Waffenhändler waren noch in einem so frühen Stadium, dass von daher noch keine Gefahr drohen konnte.
Oder doch?
Wills schüttelte ratlos den Kopf.
Man hatte ihm aus Langley Hilfe zugesagt. Morgen schon sollte die eintreffen und er war gespannt, wer zu seiner Verstärkung kommen würde. Auch wenn ihm grundsätzlich das Gefühl von Furcht fremd war, konnte man in dieser Situation Hilfe gebrauchen.
Wills griff in sein Sakko und holte eine Packung Camel Filter heraus. Eigentlich hatte er mit dem Rauchen aufgehört. Eigentlich! Aber der Stress, den sein Job mit sich brachte, hatte ihn wieder nach den Glimmstängeln greifen lassen, auch wenn er wusste, dass das seiner Kondition abträglich war. Egal! Immerhin hatte er keine Partnerin, die ihn deswegen mit schiefen Blicken oder dummen Bemerkungen nervte.
Er zündete die Zigarette an, inhalierte tief und genoss die beruhigende Wirkung des Nikotins, die sich langsam in seinem Körper verbreitete.
Kleine Wölkchen stiegen wie kleine Rauchsignale auf, während er die Leute, die um ihn herumsaßen, eindringlich musterte. Touristen aus Asien, die auf den Rhein und den gegenüber liegenden Dom wiesen und in ihrer Sprache lachten und plapperten.
Andere standen mit dem Rücken zum Dom, machten wie verrückt Selfies mit einem Stick, und amüsierten sich dabei königlich.
Ein Eisverkäufer mit Wagen, der seine überteuerten Bällchen an naive Touristen verscheuerte.
Rentner im grauen Einheitsdress, die behaglich in der Sonne saßen und ihre alten Glieder wärmten, zwei Rollatoren standen in der Nähe. Ein Liebespaar, das sich in inniger Verzückung abschleckte. Ein paar Mädchen, die wie Hühner gackerten und sich gegenseitig Sprachnachrichten schickten, obwohl sie nebeneinander saßen. Ein persönliches Gespräch galt offenbar als extrem uncool. Flaschensammler, die aufmerksam das Territorium nach Beute absuchten. Ein Student, der weltverloren auf seinen Laptop hämmerte und zwischendurch Blicke in den Himmel warf, als könne von da die notwendige Erleuchtung kommen.
Auch einige Flüchtlinge, offenbar Araber, hatten den Boulevard entdeckt. Sie flüsterten miteinander und beobachteten aufmerksam die fremde Szenerie. Ihre Blicke wanderten zu den Mädchen in den kurzen Röcken und drückten abwechselnd Begehren und Missfallen aus. Alles normal und völlig unauffällig.
Und doch!
Ein Mann fiel ihm auf.
So durchschnittlich und unauffällig, dass er auffallen musste. Er saß etwa zwanzig Meter weiter. Der Mann trug einen breiten Sommerhut, war von mittlerer Größe und untersetzter Figur. Sein beigefarbener Leinenanzug war ein wenig zu groß und schlotterte um die schlanke, sehnige Gestalt. Er schien sich für seine Umwelt nicht zu interessieren und blätterte versunken in einem Reiseführer. Aber Wills hatte sofort bemerkt, dass er unter seiner Jacke ein Schulterhalfter trug, und die Ausbuchtung zeigte, dass es nicht leer war.
Wills trank die Flasche aus und ließ sie für die Flaschensammler stehen. Er drückte den Glimmstängel aus und sah sich um. Aschenbecher gab es hier nicht, und trotzdem war alles sauber. Keine Zigarettenreste auf dem Boden. Das machte Eindruck auf ihn und er versenkte die Kippe in der Flasche.
Langsam stand er auf und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung. In Sichtweite war ein großes Hotel, auf das er zustrebte. Plötzlich ließ er seine Zeitung fallen, bückte sich und drehte sich ruckartig rum. Der Mann war weg. Wills spürte die Gefahr, seine Nackenhaare sträubten sich. In schnellen Schritten eilte er zu dem Hotel, kam gerade an einem Metallcontainer vorbei, als er das Geräusch hörte.
Das Geräusch einer Pistole, die durchgeladen wurde.
Er ließ sich fallen.
Keine Sekunde zu früh.
Der Schuss traf den Container, die abprallende Kugel streifte seinen Arm. Wills griff blitzschnell nach der SIG Sauer Scorpion, die er im Halfter unter der Jacke trug.
Er blickte vorsichtig über den Container, fand den Schützen aber nicht. Stattdessen eine weitere Kugel, die seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlte.
Er duckte sich und gab blind zwei Schüsse in die Richtung ab, in der er den heimtückischen Schützen vermutete.
Die Schüsse hatten inzwischen Aufmerksamkeit erregt. Hysterische Schreie, Rufe nach der Polizei, Sätze wie „Geht in Deckung!“ und „Ein Terrorangriff“ kamen vom Rheinboulevard. Die Menschen duckten sich in Panik, suchten so weit wie möglich Deckung oder liefen hektisch die Stufen hinauf, um sich in Sicherheit zu bringen.
Wills sah noch einen beigefarbenen Anzug samt Sommerhut in Richtung Messehalle verschwinden, dann kehrte plötzlich Ruhe ein, eine unheimliche Ruhe!
Er hatte wenig Lust auf die Polizei zu warten, deren schrille Sirenen in größerer Entfernung bereits zu hören waren. Er verschwand ebenso unauffällig wie sein Angreifer, aber jetzt hatte er immerhin eine Vorstellung, wie der Killer aussah.
Über die Gründe allerdings grübelte er nach wie vor, aber das würde er noch herausfinden. Und eine zweite Chance sollte der Killer nicht bekommen.
8. Kapitel
Ciudad Juarez/Mexiko
Warum die Hölle im Jenseits suchen? Sie ist schon im Diesseits vorhanden, im Herzen des Bösen. (J.J. Rousseau)
Ciudad Juarez liegt im Norden von Mexiko und ist mit dem gegenüberliegenden texanischen El Paso durch vier Brücken verbunden. Es wäre ein schönes Städtchen, es könnte eine Perle des Landes sein, wenn es nicht, ja wenn es nicht als eine der gefährlichsten Drogenmetropolen des mittelamerikanischen Landes gelten würde und daher auch eine Spitzenposition in der mexikanischen Kriminalitätsstatistik einnehmen würde, eine Spitzenposition, die es vor allem jener ausufernden Drogenkriminalität verdankt. Drogenhändler töten Drogenhändler, Drogenhändler töten Polizisten, Polizisten töten Drogenhändler und nicht selten kommen völlig Unbeteiligte ums Leben. Die Regierung versprach Hilfe, aber es änderte sich nichts. Touristen finden sich daher hier weniger.
Die Frau, die diesen Umständen zum Trotz in einem Straßencafé der mexikanischen Stadt saß und die Zeit bis zum baldigen Abflug überbrückte, war jedenfalls keine Einheimische. Sie hieß Mirinda Thyburn und war keine Touristin, sondern eine Feldagentin des SAD, einer Spezialabteilung der CIA. Sie trug ein kurzes, weißes Leinenkleid mit Spaghettiträgern, das ihre gebräunte Haut besonders zur Geltung brachte. Ein breiter Strohhut und eine große Sonnenbrille schützten ihr Gesicht vor der gleißenden Sonne und ungebetenen Beobachtern. Behaglich schlürfte sie ihren Mojito. Noch am Tag zuvor hatte sie lange, schwarze Locken gehabt und wunderbare blaue Augen. Aber jetzt hatte sie die Perücke ebenso abgelegt wie die Augenlinsen und auch die Oberweite war auf natürliche, immer noch beeindruckende Weite geschrumpft. Sie war nicht mehr wiederzuerkennen.
Die Agentin saß unter dem Schatten eines breiten Sonnenschirms, war bemüht Legionen von Moskitos abzuwehren und machte den unbedingten Eindruck, dass sie mit sich und der Welt zufrieden war. Aufmerksam beobachtete sie ihre Umgebung, aber im Augenblick schien keine Gefahr zu drohen. Im Augenblick, aber das konnte sich jeden Augenblick ändern. Vor allem hier, in dieser hochkriminellen Stadt mit der weltweit höchsten Mordrate, wo man sich so sicher fühlen durfte wie in einer Grube voller giftiger Nattern. Und auch die Männer eines am Vortag ermordeten Drogenbosses schweiften immer noch durch die Stadt und suchten beharrlich nach der Täterin, aber vergeblich. In der jungen Frau in dem Straßencafé hätten sie die Täterin niemals erkannt, zu sehr war das Aussehen verändert worden.
Eine junge Agentin wie sie zu diesem Auftrag zu schicken, war schon eine Herausforderung und ihr war zunächst ganz schwindlig geworden, als Horacio Sanders, der neue Chef des SAD, ihr die Einzelheiten des Auftrags mitgeteilt hatte. Sie hatte den Auftrag erhalten, einen der gefährlichsten Drogenhändler Mexikos zu liquidieren und sie hatte es geschafft. Eduardo Miguel Perez, von Freund und Feind auch El Brujo genannt, der Hexer, lebte nicht mehr, denn Sanders hatte die größte Schwäche des Drogenbosses herausgefunden, schöne junge Frauen, und Thyburn passte genau in dieses Beuteschema.
Perez war vor seinem plötzlichen Ableben ohne Zweifel ein schöner Mann, groß, gepflegt, mit einem Teint aus schimmernder Bronze, weißen Zähne, die ein Vermögen gekostet haben müssen und Anzügen aus feinstem Tuch, die kaum weniger teuer waren. Dazu gepflegte Umgangsformen, die kaum ahnen ließen, dass ihm ein Mordbefehl ebenso leicht von den Lippen kam wie ein Kompliment. Und dass er trotz aller der Verbrechen, die er begangen hatte, noch keinen einzigen Tag im Gefängnis gesessen hatte, machte seinen Beinamen Hexer erklärlich.
Sie hatte Perez an einem Abend im Salza Bongo, einem der teuersten Clubs der Stadt kennengelernt. Lange, schwarze Haare, die in ungebändigten Locken auf die Schulter fielen und strahlend blaue Augen hatten zuerst die Aufmerksamkeit des Mannes erregt. Ihr tief ausgeschnittenes Kleid mit einem etwas aufgepolsterten BH und ihre langen, gebräunten Beine hatten den erregenden Eindruck verstärkt. Sie hatten getanzt und getrunken, gelacht und geflirtet, immer beobachtet von den vier Bodyguards, die sie argwöhnisch beobachteten. Aber immer, wenn seine Hände unter ihr Kleid huschen wollten, schob sie sie zurück, höflich, aber bestimmt.
Und El Brujo war heiß vor Gier!
Er hatte ihr ins Ohr geflüstert, dass sie so schön wie die Sonne Mexikos sei und er sie haben wolle. Jetzt! Sie solle ihn auf seinen Landsitz begleiten, wo er ihr eine unbeschreibliche Nacht bescheren wolle. Der sei doch nur fünfzehn Minuten von hier entfernt, ein Katzensprung!
Und die Agentin hatte sich nicht lange geziert, hatte aber doch Einwände.
Ort und Zeit! Jetzt? Sofort? Sie müsse vorher in ihr Hotel, nur eben um die Ecke, um sich frisch zu machen. Er könne sie gerne begleiten, wenn er wolle. Aber ohne diese … diese furchtbaren Leibwächter. Diese groben Burschen mit dem schäbigen Grinsen in ihren vernarbten Gesichtern. Sie machten ihr Angst!
Perez hatte genickt und einige Worte mit seinen Wächtern gewechselt, dabei auf die Amerikanerin gedeutet und gegrinst. Seine Wächter hatten zuerst wild gestikuliert und Einwände gemacht. Dann aber, nach einem kurzen, aber deutlichen Wort von Perez, hatten sie auch gegrinst und sich an die Bar verzogen.
Sie verließen Hand in Hand die Kühle des klimatisierten Clubs und prallten wie gegen eine Wand, denn auch jetzt in der Nacht lastete immer noch eine drückende Hitze über der Stadt.
In der jungen Agentin wurden sofort alle Schweißdrüsen aktiviert, aber Perez schien das nichts auszumachen. Die Vorfreude auf ein sexuelles Abenteuer ließ ihn diese Unbill lässig ertragen, sein Testosteronlevel hatte einen unguten Höhepunkt erreicht.
Er liebte diese kleinen Abenteuer und konnte nicht genug von ihnen kriegen. Der einzige Zweck, zu dem schöne Frauen auf der Welt waren, da war er ganz sicher, bestand darin, Männern wie ihm Vergnügen zu bereiten! Mochten die anderen sich an seinen Drogen vergnügen, seine liebste Droge war – Sex!
Sie überquerten die Hauptstraße mit ihren lärmenden Clubs, schwitzenden Menschenmassen und glitzernden Reklametafeln und betraten eine schmutzige, stille Seitengasse, eine Abkürzung zum Hotel, wie die Schöne an seiner Seite glaubhaft versicherte.
Keine Passanten, nur vereinzelt Laternen, die ihr trübes Licht auf den Boden warfen, Schmutz und Abfall säumten die Gasse. Ratten balgten sich um Nahrungsreste her, wie Thyburn mit Ekel wahrnahm.
Und ein blasser Mond lugte zaghaft hervor, ein blasser Mond, der mit seiner halben Sichel nur wenig zur Erleuchtung beitrug.
Auch nicht zur Erleuchtung des Drogenbosses, der sich in Vorfreude die Lippen leckte und sich das bevorstehende Vergnügen in allen Einzelheiten ausmalte.
Freilich, in nüchternem Zustand und mit einem geringeren Testosteronspiegel hätte Perez die Gefahr vielleicht erkannt, die ihm drohte. Aber wenn der Alkohol das Hirn umnebelt, der Schwanz den Verstand ausschaltet und das Serotonin unkontrolliert den Körper überschwemmt, gleitet die Vorsicht so lautlos dahin wie die Natter im Gebüsch.
Thyburn zögerte nicht lange. Sie befreite sich vorsichtig von der Hand ihres Begleiters, holte ihre Glock 17 mit Schalldämpfer aus ihrer kleinen Tasche heraus und jagte dem Arschloch, das einen Schritt vor ihr ging, zwei Kugeln in den Hinterkopf. Bevor er begreifen konnte, was passierte, stand er schon vor seinem Schöpfer, oder wo auch immer.
El Brujo hatte sein widerliches Leben unter Thyburns Kugeln ausgehaucht und war in einer schmutzigen Pfütze aus Unrat, Urin und Abwasser verreckt. Bald schon würden sich die Ratten um ihn kümmern. Ein, wie Thyburn fand, durchaus angemessener Ort für das Ableben des Hexers. Er würde nie wieder Heroin aus Kolumbien in ihre Heimat schmuggeln und dazu beitragen, dass mehr als fünfzigtausend Amerikaner jährlich an diesem Teufelszeug starben.
Auftrag erfüllt!
Natürlich wusste die Agentin, dass andere an Perez’ Stelle treten und die Lücke füllen würden, aber dann würde sie wieder kommen, oder ein Kollege. Amerika würde jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie seine Jugend mit diesem Gift verdorben würde.
Der neue Präsident war da sehr klar in seinen Aussagen.
Auftrag erfüllt! Ohne Zeugen!
Na ja, so ganz unbemerkt war das Geschehen nicht geblieben:
Ein unauffälliger Mann mittleren Alters in der Kleidung der Einheimischen mit einem breiten Sombrero hatte aus geringer Entfernung alles beobachtet und hätte zugunsten der Agentin eingegriffen, wenn es nötig gewesen wäre, ihre Notfallhilfe, ein so genannter Backup!
Da sein Eingreifen nicht nötig war, verzog er sich unauffällig.
Thyburn verdrängte die Gedanken über die Einzelheiten an die erfolgreiche Mission aus ihrem Kopf. Sie empfand zu Recht einen gewissen Stolz über die gelungene Tat und machte sich über die besondere Art der Methode so ihre Gedanken.
Die Geschichte von Spionage und Gegenspionage hat erwiesen, dass eine Sexfalle offenbar in den meisten Fällen erfolgreich ist. Geld mag eine wesentliche Triebfeder sein, Patriotismus vielleicht, aber Sex geht immer, denn bei den meisten Männern steckt die Seele nicht in der Brieftasche, sondern im Schwanz! Allerdings musste Thyburn zugeben, dass auch Frauen für Sexfallen empfänglich sein können. In der Ausbildung hatte sie von den Methoden der ostdeutschen Stasi gehört, die gut aussehende junge Männer, die so genannten Romeos mit Erfolg auf frustrierte, vereinsamte Sekretärinnen in den Vorzimmern wichtiger Politiker ansetzte, um ihnen gegen Sex Informationen und Geheimnisse zu entlocken. Wo hatte deren Seele denn gesteckt?
Mirinda Thyburn, Agentin Second Grade der CIA, war nicht ohne Grund für diese spezielle Aktion ausgewählt worden. Sie bot dem aufmerksamen Betrachter einen sehr angenehmen Anblick. Mittellange, braune Locken, ein hübsches Gesicht mit schmalen Wangen und einer Stupsnase, strahlend weiße Zähne und eine schlanke Figur mit ansprechender Oberweite. Sie sprach vier Sprachen flüssig, darunter Deutsch, Französisch und Italienisch. Vor allem Deutsch, da die Eltern ihrer Mutter aus Deutschland stammten und zu Hause viel Deutsch gesprochen wurde.