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Und vor ihrem Einsatz hatte sie Spanisch dazugefügt, was ihr auf Grund ihres Sprachtalents leicht gefallen war.
Wenn sie doch etwas ärgerte, dann war das ihr Vorname, auch nach sechsunddreißig Jahren noch.
Was hatten sich ihre Eltern nur dabei gedacht, ihrer Tochter den Namen eines Softgetränks zu geben? Gut, dass sie nicht Pepsi oder Fanta hieß! Zwar hatte die Mutter später behauptet, es habe sich um ein Versehen gehandelt. Der Vater sei beim Namenseintrag im Standesamt – wie immer – betrunken gewesen und hätte eigentlich den Namen Miranda, die Bewundernswerte, angeben sollen. Aber in seinem Zustand habe er die Buchstaben verwechselt, und so blieb es ein Leben lang beim Softgetränk, was sie schon oft, besonders in der Jugend, zur Zielscheibe sanften oder bösartigen Spotts gemacht hatte. Und wäre sie nicht so eine attraktive Erscheinung gewesen, wäre der Spott vielleicht das Einzige gewesen, das ihr zuteil geworden wäre. Nun ja, muss man mit leben und sie hatte es inzwischen gelernt.
Mirinda Thyburn leerte ihr Glas und legte einige Pesoscheine auf den Tisch, dann machte sie sich auf den Rückweg in ihr kleines Hotel. Für heute Abend war der kurze Rückflug in die Heimat gebucht und sie musste nur noch packen, eine Aufgabe von Minuten.
Sie verließ die breite Avenida Montes Urales und bog in eine kleine Seitengasse ein, als das geschah, was einer jungen hübschen Frau in jeder Stadt der Welt passieren kann, außer vielleicht im … Vatikan.
Zwei junge Mexikaner, augenscheinlich von Alkohol und Kokain reichlich zugedröhnt, vertraten ihr den Weg.
„Ah, schö … schöne Senorita, so allein?“
Der Bursche, der sie stockend und mit verschwommenen Augen ansprach, mochte vielleicht zwanzig Jahre alt sein. Er machte einen abgerissenen, schmutzigen Eindruck und versuchte sich in einem ebenso schmutzigen Lächeln, wobei er krumme, gelbe Zahnstummel zeigte, die Thyburn an ein Frettchen erinnerten.
Er war kleiner als die Agentin und sein dünnes, schwarzes Haar fiel ihm strähnig über die Stirn. Er trug zerrissene Jeans und ein speckiges, vor Dreck starrendes Hemd, an den Füßen billige Imitate von Markensportschuhen.
Der andere war etwa gleich alt, aber einen Kopf größer und von athletischer Figur, seine Muskeln, die von regelmäßigen Besuchen im Kraftstudio und der ebenso regelmäßigen Einnahme von Anabolika zeugten, schienen das verschlissene rote Muskelshirt fast zu sprengen.
Ein Bär auf Beutezug!
Ein paar neu aussehende, eng anliegende Jeans und spitze mexikanische Cowboystiefel, eine Qual für Füße und Augen, komplettierten das typische Outfit des südländischen Machos, der Frauen weniger Respekt zu zollen pflegte als den überall ansässigen Moskitos. Trotzdem hätte man ihn fast als gut aussehend bezeichnen können, wären da nicht diese stechenden schwarzen Augen gewesen, Augen, die Hass und Gier ausdrückten.
Was die beiden Typen allerdings einte, war die Tatsche, dass von ihnen ein durchdringender Geruch ausging, den man, ohne unhöflich zu sein, auch als Gestank bezeichnen durfte. Seife und ähnliche Errungenschaften der Zivilisation gehörten offenbar nicht zu ihrem täglichen Repertoire.
Der Muskelberg hatte jetzt Mut gefasst und beschlossen, die Sache zu beschleunigen.
„Vielleicht will … will die schöne Senorita etwas Sp … Spaß mit zwei schar … scharfen Jungs haben?“, brummte er mit dunkler Stimme und griff sich in den Schritt. Offenbar hatte die Entwicklung seines Sprachverhaltens mit seiner körperlichen Entwicklung nicht mithalten können.
„Jungs, das wollt ihr nicht!“
Thyburns Stimme klang leise, aber wer sie kannte, hätte die drohende Gefahr ahnen können.
Sie drehte sich kurz um, aber sie war allein. Hilfe war nicht zu erwarten und ihre Pistole lag wohl verwahrt im Hotelzimmer. Egal, sie verzog verächtlich ihre Lippen. Wer einen Drogenboss wie Perez beseitigen konnte, hatte keine Angst vor zwei zugekifften Pissern wie diesen beiden.
„Doch, wollen wir“, rief das Frettchen. Das Bürschlein stand plötzlich so nah vor ihr, dass sein stinkender Atem sie streifte. Entschlossen griffen seine schmutzigen Hände nach den dünnen Trägern des Kleides. Mit einem Ruck hatte er den einen Träger heruntergerissen und eine Brust der Agentin entblößt. Doch, bevor er sich an diesem Anblick erfreuen konnte, schlug das Schicksal ohne Erbarmen zu. Doch eigentlich war es nicht das Schicksal, das man für das nachfolgende Geschehen verantwortlich machen konnte.
Es war eher ein mörderischer Handkantenschlag der jungen Agentin, der im nächsten Augenblick den kleinen Ganoven gegen die Hauswand und ins Reich unliebsamer Träume beförderte. Mit blutiger Stirn, einem ächzenden Laut und verdrehten Augen sank der Bursche zusammen.
Sein Partner betrachtete das Geschehen verblüfft und erstarrte einen Augenblick, aber nur kurz.
„Das sollst du büßen, Gringoschlampe“, schrie das Muskelshirt wutentbrannt.
Seine Faust holte aus, aber bevor er genau registrierte, was geschah, hatte ihm Thyburn mit solcher Wucht zwischen die Beine getreten, dass ihm Tränen aus den Augen schossen und er laut aufheulte. Ein gezielter Faustschlag auf den Solarplexus, ein gemeiner Hieb gegen die Schläfe und er gesellte sich zu seinem Kollegen, der immer noch bewusstlos an der Wand lag.
„Ja Jungs, ich hatte euch gewarnt!“, sagte Thyburn.
Sie schüttelte ihre Hände aus und brachte notdürftig ihr Kleid in Ordnung. Ungerührt setzte sie ihren Weg fort. Zu etwas musste ja die intensive Ausbildung in Camp Peary gut sein, die sie damals mehr als einmal verflucht hatte.
Techniken wie Krav Maga, eine Nahkampftechnik, die die Agency vom israelischen Mossad übernommen hatte, konnten in Situationen wie diesen sehr hilfreich sein.
Die beiden mexikanischen Sexgangster, die bald unter einigen Schmerzen erwachen und laut fluchen würden, hätten ein Lied davon singen können.
Der Einheimische mit dem Sombrero, der in Wahrheit aus Chicago stammte und denselben Arbeitgeber wie die junge Agentin hatte, schmunzelte. Respekt! Sein Auftrag war es, die Kollegin bis zum Abflug unsichtbar zu begleiten und so hatte er aus dem Hintergrund alles aufmerksam mit angesehen. Ein Eingreifen war nicht nötig gewesen.
Wenig später hatte Thyburn ihr kleines Hotel erreicht und packte ihre wenigen Sachen in den Koffer. Ihr Handy läutete. Wer zum Teufel ruft mich jetzt an?
Ein Blick auf den Anrufer ließ sie kurz zusammenzucken und den Zerhacker einschalten, der den Anruf in kleine Segmente zerteilte. Die Segmente wurden dabei mit einem Ringmodulator in verschiedene Frequenzbereiche verteilt, was die Sprache für einen ungebetenen Zuhörer unverständlich machte. Ein Verfahren, was als etwas überholt galt, aber immer noch funktionierte.
„Guten Tag, Sir!“
„Guten Tag Agentin Thyburn“, dröhnte die sonore Stimme von Horacio Sanders, des Chefs von SAD.
„Zerhacker?“
„Ist eingestellt!“
„Natürlich! Ich habe Ihren Bericht erhalten. Gute Arbeit! Ein Schwein weniger, das unserem Staat gewaltigen Schaden zugefügt hat!“
„Danke Sir. Ich werde dann jetzt zurückkommen.“
„Nein, Agentin Thyburn, werden Sie nicht.“
„Werde ich nicht?“
„Wir haben einen neuen Auftrag für Sie.“
„Aha“
„Sie werden nach Köln in Deutschland fliegen und dort Ihren Kollegen Peter Wills treffen. Der Agent braucht ihre Hilfe, er wird Ihnen alles Weitere erläutern. Sie haben doch schon mit ihm zusammengearbeitet, nicht wahr?“
„Ja, Sir in München.“
„Richtig, und recht erfolgreich, soweit ich mich erinnere. Ticket liegt am Flughafen für Sie bereit.“
„Okay, Sir, aber ich hatte nur ein paar leichte Sachen für Mexiko dabei und …“
„Kaufen Sie neue, Lady, die Agency zahlt alles!“
Sanders lachte dröhnend auf, die Verbindung war beendet. Sieben Stunden später saß sie in einer Maschine der British Airways, die sie nach neunzehn Stunden und einem Stopp vom International Abraham Gonzalez Flughafen in Ciudad Juarez in die schöne Domstadt brachte, wo ein neues gefährliches Abenteuer wartete, ein Abenteuer, das sie allerdings ihr Leben kosten könnte.
9. Kapitel
Köln/Südstadt
Die Nacht ist keines guten Menschen Freund – so oder so ähnlich haben es die Alten gerne gesagt. Und die Alten hatten recht, auch heute, denn auch diese Nacht sollte in Köln nichts Gutes bringen.
Tiefschwarze Nacht lag über der Domstadt. Der Mond hatte sich hinter dunkle Wolken verzogen und leuchtete weder den letzten Nachtschwärmern, die aus den Clubs und Kneipen kamen, noch den Taschendieben, die erfreut ihre Beute zählten und sich in ihre schäbigen Quartiere am Rande der Stadt verzogen und auch nicht den Zeitungsboten, die jetzt zu dieser frühen Zeit ihre Zeitungen einwarfen.
Anne Mundorf schaute auf ihre Uhr. Das Zifferblatt zeigte kurz vor fünf Uhr. Die richtige Zeit für das, was sie vorhatte. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Zwei Tage waren seit der schlimmen Auseinandersetzung mit ihren Eltern vergangen, und heute war Zeit, die Rechnung zu präsentieren.
Vor allem dem Vater, der sie so unwürdig behandelt hatte.
Sie trug ihre islamische Kleidung und hatte die wenigen Sachen, die sie brauchte, in einer kleinen Reisetasche untergebracht. Ihr letzter Blick galt ihrem kleinen Bruder.
Guido schlief und hatte keine Ahnung von den Schlechtigkeiten dieser Welt. Sie strich ihm sanft über die Stirn und verließ das Zimmer, ohne sich umzusehen. Ihn würde sie vermissen. Ihr Weg führte sie in die Küche, wo sie ein Küchenmesser herausholte. Dann schlich sie sich in das elterliche Schlafzimmer, wo der Vater allein lag und schnarchte.
Zeit für die Abrechnung!
Die Mutter hatte schon, wie immer, das Haus vor einer Stunde verlassen, um sich einer Putzkolonne anzuschließen. Ihr Fuß stieß gegen eine Bierflasche, die vor dem Bett lag, und sie schlug erschrocken die Hand vor den Mund, aber der Vater war wie üblich viel zu besoffen, um solche kleinen Lärmquellen zu bemerken.
Jetzt stand Anne vor ihrem Vater und hob die Hand mit dem Messer über die Brust, die sich deutlich hob und sank. Ein kraftvoller Stich, und das elende Leben eines Ungläubigen und Kinderschänders hätte sein verdientes Ende gefunden. Der Grund für dieses Vorhaben lag jedoch nicht in der unwürdigen Behandlung, die Anne seit ihrem Übertritt zum Islam durch den Vater erdulden musste. Nein, dieses Schwein hatte sie seit Jahren missbraucht!
Immer wenn die Mutter das Haus verlassen hatte, schlich sich der Vater zur Tochter, hob ihr Nachthemd und streichelte ihren Bauch, bis er zu der behaarten Zone kam, die ihr ein entsetztes Stöhnen und ihm ein geiles Grunzen abrang. Er hatte keine Hose an und zwang sie lautlos, sein erigiertes Glied zu streicheln, dann drang er in sie ein und weder ihr Weinen noch die Drohung, der Mutter etwas zu sagen, konnte ihn von seinem widerwärtigen Tun abhalten.
„Mama wird dir nicht glauben, mein Kind“, zischte er ihr ins Ohr, „im Übrigen ist es völlig normal, was ich tue. Ich muss doch sehen, ob du immer noch mein kleines Mädchen bist oder ob du unartig warst und mit den Jungs herumgemacht hast.“
Und wenn sein vor Bier stinkender Atem sie streifte, hätte sie kotzen können, was sie regelmäßig nachher auch tat. Die Mutter merkte nichts, oder tat sie nur so, weil sie auch Angst vor dem gewalttätigen Ehemann hatte?
Mit Samira hatte sie darüber gesprochen, und die hatte ihr geraten, das ungläubige Schwein abzustechen.
„Er hat Allah geschändet, sein Name ist groß, und er muss sterben. Aber du musst es so machen, dass unser Plan nicht gefährdet wird.“
„Aber wie soll ich das machen? Die Polizei wird es herausfinden und dann …“
„Hmm, besser, du wartest damit. Unser Plan ist wichtiger, danach ist immer noch Zeit. Aber tu, was dir dein Gewissen sagt, denn dein Gewissen ist der Spiegel deiner Seele.“
Im Gegensatz zu früheren Ratschlägen hatte Anne das nicht geholfen und sie war völlig ratlos.
Seit zwei Jahren ging das schon, kurz nach der Konfirmation hatte es angefangen, als habe der Vater diesen heiligen Akt noch abwarten wollen, bevor er sich als Schänder des eigenen Kindes entpuppte. Was war aus dem liebevollen Vater geworden, der seine Prinzessin vor allen Drachen beschützen wollte, wie er es der Vierjährigen einst versprochen hatte, der ihr liebevoll Geschichten von Hexen und Zauberern vorgelesen hatte und sie mit einem zärtlichen Kuss in die Nacht verabschiedet hatte. Sie schüttelte sich und Tränen traten in ihre Augen.
Jetzt stand sie vor ihrem Erzeuger, den sie Vater nicht mehr nennen konnte, denn Väter benahmen sich nicht so! Dieser stinkende Drecksack, der vor ihr lag, hatte nichts mehr mit dem Vater alter Tage zu tun.
Sie zielte mit ihrem Messer auf seinen breiten Brustkorb. Ein Stich, vielleicht zwei – und das Schwein hätte seine verdiente Belohnung bekommen. Aber sie zögerte.
Sie würde Guido den Vater nehmen und außerdem würde man sie als Mörderin jagen und man würde sie finden. Polizei, Gericht, Urteil, Knast!
Und dann könnte sie nicht das vollenden, was sie mit Samira abgesprochen hatte und was viel wichtiger war.
Sie schüttelte den Kopf, legte das Messer auf den Nachttisch und ging wieder in die Küche. Hastig nahm sie sich den Notizblock, der eigentlich für das Notieren von Einkäufen vorgesehen war und warf ein paar flüchtige Zeilen darauf. Dann verließ sie die Wohnung in der sicheren Gewissheit, hierhin nie mehr zurückzukehren.
10. Kapitel
Köln/Pantaleonsviertel
Es ist nichts schrecklicher als eine tätige Unwissenheit. (Goethe)
Einen Tag nach jenem abgebrochenen Mordversuch saßen wir auf der Terrasse meines gemütlichen Pfarrhauses von St. Pantaleon bei einem Glas Weißwein zusammen und diskutierten die Situation. Wir, das waren ich, Monsignore Dr. Peter Diefenstein, meines Zeichens Pfarrer von St. Pantaleon und mein Freund Markus Bassler, Pastor der in unmittelbarer Nähe liegenden Johanniskirche. Er war von gleichem Alter wie ich, wirkte aber jünger, wie ich neidlos zugeben musste. Die noch in reichem Maße vorhandenen blonden Haare und die kräftigere Figur ließen ihn jünger und dynamischer erscheinen.
Neben ihm saß seine Frau Doris, die inzwischen viel von ihrer einstigen Strahlkraft eingebüßt hatte. Gesicht und Körper ausgezehrt, die Hände fahrig, die Frau wirkte krank, versuchte aber, sich unbeschwert zu geben.
Die Basslers hatten ausführlich Bericht erstattet und ich hatte konzentriert zugehört. Zu der Frage, wie man Anne Mundorf helfen konnte, gab es verschiedene Antworten, und keine konnte richtig überzeugen. Unsicherheit beherrschte den Raum.
„Man sollte das Jugendamt einschalten“, meinte ich, „die Eltern sind offenbar überfordert und der Vater scheint ein besonders schlimmer Finger zu sein.“
„Ja, ist er, ein wahres Ekel“, meinte Bassler, „aber das Jugendamt? Bis sich das um die Sache kümmert, ist das Mädchen schon in Syrien und hat sich der IS angeschlossen.“
Er hatte offenbar keine gute Meinung von der städtischen Behörde, und diese Meinung basierte auf unguten Erfahrungen, die er mit der Behörde gemacht hatte.
„Aber ohne die Einwilligung der Eltern können wir nichts tun“, meinte Doris Bassler lakonisch und nippte an ihrem Glas. Sie versuchte, die Schmerzen in ihrem Leib, die ihr wieder seit Tagen zu schaffen machten, so gut wie möglich zu ignorieren. „Und wenn wir die Polizei einschalten“, meinte ich lahm, „ich kenne da jemanden, der uns vielleicht helfen könnte.“
In das Schweigen hinein, das nun herrschte, klingelte Basslers Handy. Bassler blickte entschuldigend um sich, dann drückte er die Taste.
„Ja, Bassler.“
Während er konzentriert zuhörte, verdüsterte sich seine Miene zusehends.
„Wir sind im Pfarrhaus von St. Pantaleon. Kennen Sie das? Gut, können Sie zu uns kommen, wir diskutieren ihr Problem gerade. Und bringen Sie den Zettel mit. Bis gleich.“
Er legte auf. Doris Bassler und ich blickten ihn fragend an.
„Das war Frau Mundorf“, sagte er und leerte sein Glas mit einem Zug.
„Und?“, kam es wie aus einem Munde.
„Anne ist weg. Abgehauen. Sie hat einen Zettel da gelassen. Ich hab der Mutter geraten, hierhin zu kommen. War doch in Ordnung, Peter, oder?“
Ich nickte und machte eine ausholende Handbewegung.
„Selbstverständlich. Wir müssen ihr helfen. Ihr Mann wird ihr keine große Hilfe sein.“
Ich schenkte Wein nach und wir hingen unseren Gedanken nach, bis es schon nach wenigen Minuten klingelte. Von der Merowingerstraße bis hierhin dauerte es höchstens fünfzehn Minuten, und länger hatte die Besucherin auch nicht gebraucht. Sie musste gelaufen sein.
Meine Haushälterin hatte sich schon in ihr kleines Zimmer zurückgezogen, also ging ich herunter um die Tür zu öffnen, und kam mit Frau Mundorf zurück, einer Frau, die Basslers kaum wiedererkannten.
Verhärmt hatte sie schon lange vorher ausgesehen, aber jetzt standen Furcht und Entsetzen in ihrem Gesicht. Das dünne graue Haar trug sie dieses Mal nicht als Zopf, sondern es hing strähnig am Kopf herunter und rahmte ein Gesicht ein, das von Kummer und Not entstellt war.
Schwer atmend ließ sie sich in den Sessel sinken, den ich ihr angeboten hatte, griff in ihre Louis-Vitton-Tasche und kramte einen Zettel hervor.
Sie wedelte mit dem Zettel herum und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Sie ist weg“, keuchte sie, „heute, irgendwann in der Nacht ist sie abgehauen. Ich war auf Arbeit und Eduard, mein Mann, hat nichts gemerkt. Er hat geschlafen, wie immer. Wenn er nicht schläft, trinkt er oder er guckt irgendeinen Schwachsinn im Fernseher.“
Sie begann zu weinen und holte sich umständlich ein Taschentuch aus ihrer Tasche.
„Das hier, das hat sie dagelassen. Das ist alles nach sechzehn Jahren, was sie uns da gelassen hat.“
Sie reichte den Zettel herüber.
Liebe Mutter Ich bin jetzt weg. Ich werde jetzt das tun, was Allah, sein Name sei gepriesen, mir aufgetragen hat. Suche mich nicht, ihr werdet mich nicht finden. Ich werde eine Kriegerin Gottes sein und ihr könnt stolz auf mich sein.
Übrigens heiße ich jetzt Aabidah, das heißt Dienerin Allahs. Gib Guido einen Kuss, ihn werde ich vermissen, und dich auch, aber nicht deinen Mann, den ich nicht mehr Vater nennen werde.
Aabidah
Über Minuten herrschte Schweigen. Das musste erst verdaut werden.
Ich hatte der Frau inzwischen ein Glas Wein geholt, das sie hastig herunterschluckte.
Dann begann Bassler mit leiser Stimme. „Wir müssen die Polizei informieren!“
„Die Polizei? Wieso das denn?“
Die Stimme von Frau Mundorf klang leicht hysterisch.
„Ich habe von Fällen wie diesem schon mehrfach gehört“, meinte ich, „es besteht die Gefahr, dass sich Anne äh … radikalisiert hat und sich entweder im Ausland einer terroristischen Organisation anschließt oder hier im Inland Anschläge begeht. Das muss verhindert werden!“
„Und was meint Anne, wenn sie von dem Mann spricht, den sie nicht mehr Vater nennen will?“, warf Doris Bassler ein.
Elke Mundorf schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber vielleicht“, sie stockte und rang nach Luft, „vielleicht hat Eduard sich nicht immer so benommen, wie man es von einem Vater erwarten müsste.“
„Sie meinen, er hat sie … missbraucht?“
Basslers Miene verzog sich vor Ekel.
„Ich weiß es nicht“, hauchte Elke Mundorf tonlos, „aber ich würde es nicht ausschließen.
Er hat sich so verändert, vor allem seit er arbeitslos ist. Jahrelang hat er beim Schutz- und Wachdienst gearbeitet. Er hatte einen Wagen, fuhr nachts herum und sicherte Objekte und so.
In seiner Uniform hat er richtig gut ausgehen, so … stattlich. Einmal ist er von einem Einbrecher niedergestochen worden, aber das hat er gut verkraftet. Er hat den Typ trotz der Verletzung verprügelt und der Polizei übergeben. Ein tapferer Mann! Ein guter Mann!
Aber dann hat er angefangen zu trinken, Gott weiß, warum. Er wurde unpünktlich und kam besoffen zur Arbeit. Und dann, dann haben sie ihn entlassen. Von heute auf morgen. Und ab da hat er sich verändert. Ich erkenne ihn gar nicht wieder. Das ist nicht der Mann, den ich einmal geheiratet habe!“
Sie seufzte tief auf und schielte nach dem leeren Weinglas. Während ich das Glas sofort wieder füllte, sagte ich: „Es gibt bei der Stadt Köln eine Beratungsstelle für moslemische Frauen und Mädchen, die Gefahr laufen radikalisiert zu werden. Ich habe mit dieser Stelle schon einmal zusammengearbeitet und könnte den Kontakt herstellen.“
Mein Vorschlag wurde angenommen und während die Runde auseinander ging, nahm sich Doris Bassler vor, endlich einen Arzt aufzusuchen, denn die Schmerzen in ihrem Leib nahmen unerträgliche Formen an.
11. Kapitel
Köln-Sülz
Man jagt den Fuchs nicht in seinem Bau. Dieses alte Sprichwort aus dem Talmud hat sich auch die CIA zu Eigen gemacht.
Jedenfalls verfügt die Agency in vielen Städten der Welt über ein Sicheres Haus, Häuser, die entsprechend ausgerüstet und überwacht werden und den Agenten im Bedarfsfall eine geschützte Rückzugsmöglichkeit bieten. Die Feldagenten sprechen auch gerne von ihrem Fuchsbau. Der Unterhalt für diese Häuser bedeutet einen gewissen logistischen Aufwand und ist mit erheblichen Kosten verbunden, besonders wenn man bedenkt, dass es ein solches Netz von Häusern auf der ganzen Welt geben muss.
Seit der Senat die Mittel für die Agency ohne Erbarmen gekürzt hatte, waren viele dieser Häuser aufgegeben worden. Und deshalb gab es in Köln ein solches Haus nicht.
Stattdessen hatte die Agency im Kölner Stadtteil Sülz ein kleines Apartment angemietet, das dieser Funktion immerhin nahe kam, aber nicht über die logistischen Faktoren wie zum Beispiel eine ständige Besetzung verfügte, die eigentlich nötig wären um absoluten Schutz zu garantieren.
Immerhin stand es allen Agenten, die im Rheinland tätig waren, in Notfällen wie diesem als Rückzugsort zur Verfügung. Und der Stadtteil Sülz hat immerhin den Vorteil, dass er in der Nähe der Universität liegt und viele Studenten dort leben. Das bringt eine große Fluktuation mit sich, was dazu führt, dass der eine den anderen kaum kennt, weil der ja nach einigen Semestern wieder ausgezogen ist.
Das Apartment lag in einem Haus, das über zwanzig Wohneinheiten verfügte, alle mit zwei, höchstens drei Zimmern. Die Mieter waren früher vielfach Damen des horizontalen Gewerbes, inzwischen hatte sich das Klientel zunehmend in eine akademische Richtung verändert, es waren überwiegend Studenten, die hier in der Nähe der Universität eine durchaus nicht preiswerte Bleibe gefunden hatten.
Die Wohnung selbst war mit schlichten Möbeln aus schwedischer Produktion eingerichtet, verfügte über zwei kleine Schlafräume, eine winzige Küche und einen Wohnraum, der in einem gesicherten Schrank ein ausreichendes Waffenarsenal beinhaltete.
Das Namenschild lautete auf Schmitz, ein Name, den in Köln nahezu jeder Dritte zu tragen scheint und insofern an Unverfänglichkeit kaum zu überbieten ist.
Vor diesem Haus in der Paul-Schallück-Straße hielt am späten Abend ein Taxi.
Eine junge Dame stieg aus, bezahlte den Fahrer und belohnte ihn für seine radikale Fahrweise mit einem strahlenden Lächeln. Sie klingelte bei Schmitz und wartete, bis eine vertraute Stimme sich meldete.
„Ja?“
„Ich komme von den Zeugen Jehovas!“
„Haben Sie den Wachturm dabei?“
„Neueste Ausgabe!“
„Okay!“
Der vereinbarte Erkennungscode, der besagte, dass beide Parteien ohne Druck handelten und kein gewaltsames Eindringen Dritter zu befürchten war.
Wills erkannte die Stimme sofort. Ein Schmunzeln machte sich auf seinen Lippen breit.