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»Und fahren Sie nicht zu schnell, nicht das Ihnen etwas passiert!«
»Mist!« Ich bremste irritiert ab. Das Handy rutschte von meinem Schoß in den Fußraum.
»Hallo, sind Sie noch dran?«, erklang es bedeutend dumpfer.
Ich starrte auf einen immer größer werdenden hellen Schein. »Oh Gott! Ich glaub, unser Haus brennt!« Ich beschleunigte den Wagen.
»Es brennt?«
»Ja – Ja! Wir brauchen Feuerwehr, die Rettung, das volle Programm!!!«
Der Schotter knirschte unter den Reifen, als ich eine Vollbremsung hinlegte. Ich sprang aus dem Wagen, stürmte auf das Haus zu.
»Mama? Mama! Mama!« Ich rüttelte an der Tür. Verschlossen! Reserveschlüssel! Zum Glück wusste ich, wo sich der befand. Ich bückte mich seitlich zum Blumentopf, in dem weiß-pinkfarbene Fuchsien wuchsen, hob ihn hoch. Erleichtert griff ich danach, und steckte den Schlüssel in das Schloss. Mama musste sich noch drinnen im Gebäude befinden, denn wenn sie gekonnt hätte, wäre sie sicher vor dem Feuer geflohen und außerhalb zu sehen.
»Das ist zu gefährlich! Ich hab die Feuerwehr bereits verständigt!«
Mir tippte jemand auf die Schulter. Ich blinzelte ins Gesicht des Nachbarn, der sich von hinten genähert hatte. In der Hand hielt Hubert Grabner einen Feuerlöscher. Er wirkte genauso atemlos wie ich.
»Ich muss rein!« Entschlossen stieß ich die Tür auf. Ein Windzug fuhr durch, Feuer loderte hoch und ein beißender Geruch schlug uns entgegen. Ich zog den Kasack meiner Schwester-Uniform über die Nase, während sich Hubert nach vorne wagte, gnadenlos den Schaum auf die aufbäumenden Flammen hielt.
Meine Augen tränten. »Mama?«, krächzte ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Womöglich ging sie auch im Knistern der Flammen unter. Hitze schlug mir entgegen, aber ich konnte nicht dastehen und tatenlos zusehen! Tief sog ich die Luft ein, ehe ich, ohne länger zu zögern, hineinlief. Ich versuchte, mich im Inneren zu orientieren, querte den Gang, um zu der hinten gelegenen Stiege zu kommen. Mama, wo bist du? Hatte sie Zuflucht gesucht? Im Keller? Oder im oberen Stock? Vielleicht auch im Bad?
Ich hatte kaum Zeit, um darüber nachzudenken, folgte dem Weg, der so halbwegs frei war. Meine Lungen brannten, als ich unweigerlich Rauch einatmete. Huberts Feuerlöscher erstarb.
Seinem Fuchteln nach zu urteilen, wollte er, dass ich mit hinauskäme. Ins Freie! Ich konnte nicht umdrehen! Nicht Mama im Stich lassen! … Viel Zeit bliebe mir nicht mehr! Es war stickig, die Augen brannten. Ein Husten lauerte in meiner Kehle, den ich gewaltsam unterdrückte, damit ich nicht noch mehr von dem Qualm inhalierte.
Ich stolperte, bemerkte ein Bündel zu meinen Füßen, dass ich halb blind im Feuernebel und mit den brennenden Augen nicht gesehen hatte. Ich fiel auf die Knie, ertastete einen menschlichen Leib. Mama! Ich hatte sie gefunden, erkannte sie klar an ihrer feingliedrigen Statur. Der Qualm war wie ein dunkelgrauer Teppich, der sich dicker werdend nach oben hin absetzte. Ringsum knisterte es. Wie aus dem Nichts durchfuhr mich am Rücken ein stechender Schmerz. Ich schrie auf, brauchte einige Momente, ehe ich begriff, dass sich ein Stück Holz von der Deckenvertäfelung gelöst hatte. Ächzend wandte ich mich unter dem brennenden Brett heraus, kämpfte um Atem.
Wir mussten hinaus! Rasch! Die Badezimmertür in der Nähe stand im Vollbrand, somit gab es nur eine Möglichkeit, ich musste es zurück zum Eingang schaffen.
Verzweifelt fasste ich einen Fuß meiner Mutter, zog sie über den Boden, mit einer Kraft und Entschlossenheit, die ich nie für möglich gehalten hätte. Da kamen mir Männer in Feuerwehrmontur und Atemschutz entgegen.
»Jasmin«, erklang es dumpf und ich war mir sicher, dass es Paul sein musste. Der Mann meiner Freundin Mara.
Kurzerhand hob er mich in seine Arme empor, während ein anderer nach dem leblosen Körper griff. Kaum waren wir im Freien, wurden Schläuche direkt auf den Eingangsbereich gehalten und entließen Wasser, versuchten zu retten, was noch zu retten war.
In ausreichender Entfernung setzte mich Paul auf dem Rasen ab. »Bleib da, schau, da kommt schon die Rettung. Ich gebe Mara Bescheid, ja?«
Ich nickte flüchtig. Die Hitze erinnerte mich an einen riesigen Wärmestrahler, auch wenn sie in der entfernteren Stelle erträglicher wirkte. Wie in Trance bemerkte ich den Notarztwagen mit Blaulicht, aus dem ein Arzt heraussprang und Richtung meiner Mutter hastete. Er schob irgendeinen Stoff von ihrem Gesicht herunter, und beugte sich über sie.
»Helfen Sie ihr!«, krächzte ich, versuchte aufzustehen, um an Mamas Seite zu gelangen.
Statt zu helfen, legte er kaum später den Stoff an die vorherige Stelle zurück. Nein!, wollte ich schreien, doch als der Doktor mich anblickte, erstarb jedes Wort in meiner Kehle. Ich sackte auf den Boden zurück, las die Antwort an seinen Augen ab. Ich war zu spät gekommen!
Ein heiseres Schluchzen vermischte sich mit einem Hustenanfall. Tränen schossen aus meinen Augen.
Der Arzt trat an mich heran. »Sie gehören ins Krankenhaus, haben Sie Schmerzen?«
Ich schüttelte abwehrend den Kopf, obwohl es keinen Millimeter an mir gab, der mich nicht quälte. Der Rücken brannte wie Feuer und der Druck in meiner Brust verstärkte sich zusehends.
»Ihre Wunde gehört versorgt, und mit einer Rauchgasvergiftung ist erst recht nicht zu spaßen. Ich helfe Ihnen in den Wagen«, sprach ein Rettungssanitäter, der hinzugekommen war und mir auf die schwankenden Beine half.
»Ich muss Mama noch einmal sehen«, flüsterte ich, schaffte es gerade so mit meiner Stimme, das Tosen des Wassers und das Knistern des Feuers zu überdecken.
»Das ist keine gute Idee«, entgegnete der Sanitäter.
»Jasmin, besser nicht.« Paul stellte sich mir in den Weg.
Wieso? In meinem Beruf hatte ich schon viele Tote gesehen! Ich brauchte diesen letzten Blick, um es zu begreifen! Stur drückte ich mich an ihm vorbei, schwankte mit zittrigen Beinen auf meine Mutter zu. Ich zog den Stoff herunter! Mein entsetzter Schrei klang unnatürlich rau. Irritiert blickte ich auf eine klaffende Wunde, einen gespaltenen Schädel! An den Wangenseiten gab es getrocknetes Blut. Das … diese Verletzung musste ihr vor dem Feuer zugefügt worden sein!
Will … will mich umbringen!, schoss es durch meine Gedanken, das hatte Mama am Telefon gesagt. Derjenige hatte es geschafft! Ermordet!
Meine Finger krallten sich in den Stoff, den ich nach wie vor hielt. Ich keuchte. Da zog mich jemand zurück und drückte mir eine Maske ins Gesicht. »Das ist Sauerstoff. Tief durchatmen, ganz tief durchatmen!«
Das Rauschen in meinen Ohren nahm zu. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde, sich die grauen Punkte um mich herum dunkler färbten und mit dem hellen Schein des Feuers vermischten. Bald darauf war es schwarz.
Mara bremste ihren VW abrupt ab. Sie war ganz nach vorne bis zur Absperrung gefahren, sprang heraus. »Paul! Paul?! Paul!«, schrie sie. »Wie furchtbar!« Wasserschläuche wurden auf das Haus gehalten, von dem Rauchsäulen aufstiegen. Qualm hing in der Luft. Obwohl die Außenmauern emporragten, erkannte sie, dass es kaum noch eine Rettung für das Gebäude gab. All das, was das Feuer verschont hatte, wurde nun mittels Wasser ertränkt.
»Paul?«, klagte sie jämmerlich.
Endlich löste sich jemand aus der Gruppe der Feuerwehrmänner. »He, Süße, warte bitte, du darfst hier nicht weiter«, stoppte er Mara ab, und drückte seiner Frau rasch einen Kuss auf den Mund. »Ich musste dir einfach Bescheid geben.«
»Ja, sicher! Wenn du es nicht getan hättest, würde ich kein Wort mehr mit dir sprechen!«, entgegnete Mara impulsiver als beabsichtigt. Hektisch schaute sie sich um. »Sag, wo ist Suni? Geht es ihr gut? Und ihrer Mutter?«
Paul wusste als Maras Ehemann, dass sie ihre Freundin stets mit ihrem Kosenamen Suni ansprach, außer, wenn sie sauer war, dann wechselte Mara ebenso auf Jasmin. »Deine Freundin ist auf den Weg ins Krankenhaus. Sie sind erst wenige Minuten fort. Hast du den Rettungswagen nicht gesehen?«
Mara schüttelte den Kopf. »Suni hat heute Nachtdienst. Was machte sie dann hier?«
»Ich denke, sie ist direkt von ihrer Arbeitsstelle losgefahren, zumindest trug sie noch die Schwesternuniform.«
»Oh! – Und … und ist sie schlimm verletzt?«
»Soweit ich mitbekommen habe, hat sie eine Wunde am Rücken und mit Sicherheit eine Rauchgasvergiftung. Ich habe den Sanitätern deine Telefonnummer mitgegeben. Du bist ja quasi ihre nächste Angehörige.«
»Dann … dann …« Mara wagte nicht, es laut auszusprechen. Das konnte nur bedeuten …
»Natascha ist tot«, hörte sie Paul sagen.
»Oh Gott!« Mara presste sich schluchzend an Pauls Körper. Er roch nach ätzendem Rauch. Nicht so wie sonst nach dem feinen Tabakgeruch seiner Pfeife, den sie an ihm liebte. Sie blickte in sein kantiges Gesicht empor, bemerkte, dass er mit den Emotionen kämpfte.
»Wie … wie?«
»Ich weiß es nicht. Es ist alles ziemlich mysteriös.«
»Mysteriös?«
Da räusperte sich jemand hinter ihr. »Entschuldigen Sie, sind Sie Mara Gruber?«
»Ja«, bestätigte sie, als sie sich umgewandt hatte und einen Polizisten erblickte.
»Inspektor Berger. Ich würde gerne unter vier Augen mit Ihnen reden. Hubert Grabner, der Nachbar, hat mich grad auf Sie hingewiesen, Sie sollen eine sehr enge Freundin der Familie sein.«
»Das stimmt.«
»Ich muss eh hinüber zu meinen Jungs und helfen. Bis bald. Ruf mich am Handy an, wenn du etwas brauchst. Ich komm heim, so rasch es geht.« Paul gab ihr einen Kuss auf die Wange und drückte noch einmal zärtlich ihre Hand.
Mara sah ihm nicht hinterher, sondern visierte den Beamten an. »Wie kann ich helfen?«
Berger schöpfte nach Atem. »Offenbar wurde Natascha Winzer bedroht. Ihre Freundin hat sich telefonisch bei mir gemeldet, wir waren im Gespräch, als sie hierhergefahren ist.«
»Ich verstehe gar nichts mehr. Paul, mein Mann hat mir erzählt, dass Suni noch ihre Schwesternuniform trug. Sie muss von ihrer Arbeit direkt losgefahren sein.«
»Suni?«
»Jasmin – Alsuna Jasmin, meine Freundin.«
»Können Sie mir sagen, wo Ihre Freundin normalerweise arbeitet?«
»Ganz in der Nähe. Im Seniorenheim in Knittelfeld.«
»Gut, dem werde ich nachgehen. Gibt es sonst noch eine Verwandtschaft? Herr Grabner hat einen Willibald Winzer erwähnt.«
»Ja Willi, Sunis Onkel. Er wohnt etwa einen halben Kilometer entfernt, in einer Mini-Wohnung. Nun … er ist arbeitslos, schon ewig, zumindest, seit Suni und ich befreundet sind. Das sind mittlerweile auch schon dreizehn Jahre. Natascha hat ihm häufig etwas Geld zugesteckt und zum Essen gegeben, oder mal neue Kleidung gekauft. Er ist … war … der Bruder.« Mara hielt inne. Sie plapperte immer gerne und zu viel, das gehörte zu ihren Angewohnheiten. Wenn sie aufgeregt war, verstärkte sich diese Eigenart.
»Hat Ihre Freundin in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches erwähnt? Dass die Mutter in Gefahr wäre, oder Ähnliches?«
Mara verneinte. In ihrem Kopf ratterte es. Paul hatte auch so herumgedruckst! »Sie denken also, dass das Feuer kein Unfall war?«
Berger kratzte sich am Kinn. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen.«
»Bitte, weichen Sie mir nicht aus.«
»Ein Unfall, liebe Frau Gruber, ist ausgeschlossen.«
Mara entließ ein keuchendes Geräusch. Brandstiftung? Das war noch schlimmer! Wer, bitteschön, wollte Sunis Mama etwas antun? Sie konnte es sich nicht erklären. Niemals hier in der Pampa!
»Ein Kollege wird den Wagen ihrer Freundin an die Wohnadresse bringen.« Er zog einen Notizblock heraus. »Sandgasse 4a.«
»Das ist richtig.«
»Im Fußraum lag ein Handy, ich denke, dass es Ihrer Freundin gehört.« Er zog es aus seiner Tasche, war inzwischen von einem Plastikbeutel umschlossen.
Mara erkannte es sogleich an der schwarz-goldenen Hülle. »Kann ich es mitnehmen? Ich möchte Suni so schnell wie möglich besuchen. Wissen Sie, wo sie hingebracht wurde?«
»Das Handy, leider nein. Wir werden es sicherheitshalber überprüfen, aber ich denke, bis gegen Mittag sind wir damit fertig, und Sie können es bei mir am Revier abholen.«
Mara schluckte. Untersuchen? Galt Suni als Verdächtige?
»Laut dem Notarzt wird Ihre Freundin direkt in das Landeskrankenhaus Graz gebracht, dort sind sie spezialisiert auf Rauchgasvergiftungen.«
Graz! Wie schlimm war sie tatsächlich verletzt? Mara konnte ihr nicht einmal schreiben, anrufen oder beistehen! Sie musste so schnell wie möglich versuchen, in der Klinik etwas in Erfahrung zu bringen. Aber allein die Fahrt nach Graz dauerte mit Blaulicht mindestens eine halbe Stunde, dann die Untersuchungen … Geduld zählte nicht zu Maras Stärken. »Danke«, flüsterte sie dennoch rau.
»Nichts zu danken, wir tun nur unsere Pflicht. Entschuldigen Sie, es stehen noch einige Befragungen an.« Berger tippte auf seine Kappe und verschwand.
Mara setzte sich in den Wagen. Sie starrte auf die Ruine, hell erstrahlt durch die Scheinwerfer, die von der Feuerwehr aufgestellt worden waren, um zu erkennen, ob sich noch irgendwo ein Glutnest verborgen hielt.
»Lass Suni rasch wieder okay sein«, sprach Mara erstickt. Obwohl sie mit eigenen Augen das Ausmaß der Zerstörung sah, konnte sie es kaum fassen. Sie startete den Wagen, wollte heim in den Nachbarort Seckau, in das gemeinsame Häuschen von Paul und ihr, um dort Zuflucht zu suchen, für Suni zu beten – und später in der Klinik anzurufen!
Intensivstation – Landeskrankenhaus Graz
Es brannte in meiner Kehle und in der Brust gleichermaßen. Ich blinzelte, versuchte dennoch, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Langsam realisierte ich die Umgebung, die weißen Wände, hörte ein regelmäßiges Piepsen. Der Nebel klärte sich in meinem Kopf, Bilder purzelten durcheinander. Das Haus in Flammen, der klaffende Kopf meiner Mutter, tot.
Hektisch setzte ich mich auf, rang nach Atem, obwohl ich eine Sauerstoffbrille umgelegt hatte. Das Piepsen im Hintergrund beschleunigte sich. Ich trug einen Pulsoxymeter am Finger und eine Manchette am Oberarm, die sich in regelmäßigen Abständen aufblies. Statt der Schwesternuniform war ich mit einem Krankenhaushemd bekleidet, das im Nackenbereich zwei Bänder zum Verschnüren aufwies. Nach wie vor roch ich wie ein geräucherter Speck und hätte eine Komplettreinigung dringend nötig. Da bemerkte ich seitlich eine Bewegung, ein Krankenpfleger trat zu mir.
»Wie schön, Sie sind wach. Ich bin Pfleger Mario, und darf mich um Sie kümmern.«
Ich entgegnete nichts, von schön war ich weit entfernt. Ich lag im Krankenhaus, während sich meine Mutter wahrscheinlich in der Pathologie befand. Ob sie bereits untersucht wurde?
»Sie befinden sich auf der Grazer Intensivstation. Für die Überstellung hat Ihnen der Arzt ein Schlaf- und Schmerzmittel injiziert. Ihre Verletzung am Rücken wurde bereits versorgt.«
Traurig neigte ich den Kopf, sah zum Fenster hinaus. Es zeigte sich dunkle Nacht. Wie lange war ich weggetreten gewesen? Ich schluckte die Frage hinunter, da es zu sehr in meiner Kehle brannte.
»Kommen Sie, trinken Sie einen Schluck. Das wird Ihnen guttun und das Kratzen sowie die Schmerzen lindern.«
Folgsam umklammerte ich den Becher, nippte an der Flüssigkeit, die ein wenig den Brandgeschmack im Mund vertrieb. »Und nun?« Meine Stimme klang ungewohnt kratzig und fremd.
»Wir werden als Nächstes einige Untersuchungen machen müssen. EKG, Lungenfunktionsprüfung … der behandelte Arzt möchte Sie danach in die Druckkammer bringen. Es wird bereits alles vorbereitet.«
»Ich … ich …«
»Das ist zu Ihrem Besten. Eine Kohlenmonoxidvergiftung ist nicht zu unterschätzen, kann zu Schäden im Gehirn oder im Herz führen. Die hyperbare Sauerstofftherapie wirkt dem entgegen. Sie hilft dabei, die Giftstoffe aus ihren Bindungen im Körper zu verdrängen und unterbindet damit gleichzeitig die Folgeschäden. Je früher wir damit starten können, umso besser.«
Die Stimme des Pflegers klang sonor und tief, wirkte beruhigend auf meine verwundete Seele. »Einverstanden«, presste ich hervor und sackte matt auf das Kissen zurück. Dabei zischte ich schmerzhaft auf, fühlte einen Verband am Rücken und verlagerte rasch mein Gewicht etwas auf die schmerzfreie Seite.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden sehen, es wird Ihnen bald besser gehen. In meinen Unterlagen ist eine Mara Gruber als Ihre Kontaktperson angegeben, und dass ein gewisser Willibald Winzer ebenso verständigt wird. Ist das richtig? Oder sollen wir noch jemanden informieren?«
Mama! – Nein, sie ist tot! Nichts ergab einen Sinn. Ich schluchzte auf. Das Gesicht des Pflegers verschwamm vor mir.
Mario drückte sanft meine Hand. »Eine schreckliche Sache, was passiert ist. Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun.«
Eine heiße Träne rann spürbar über meine Wange. Ich fühlte mich zu matt, um diese wegzuwischen. Nun war ich Waise! Keine Mutter, keine Geschwister, kein Vater!
In meinem Schmerz mischte sich eine wehmütige Sehnsucht, weil ich den leiblichen Vater nie kennengelernt hatte. Er blieb seitens meiner Mama ein gut gehütetes Geheimnis. Das Wissen um ihn hatte sie mit in den Tod genommen. Zudem gab es genauso wenig irgendwelche Ersatzväter. Meine Mama Natascha hatte in dieser Beziehung wie eine Nonne gelebt, alle Avancen abgewehrt. Dabei war sie hübsch und gerade mal neunzehn Jahre älter als ich. Manche dachten, sie wäre meine ältere Schwester, obwohl wir uns optisch kaum ähnelten. Sie war klein, zierlich, dunkelhaarig, während ich sie fast um einen Kopf überragte, dazu blondes Haar hatte und blauäugig war. Das einzige männliche Wesen in ihrem Leben war Onkel Willi, Mutters Bruder. Ich empfand Willi bezüglich Männerwelt als ein abschreckendes Beispiel. Man konnte kaum eine intensive Bindung zu einem alkoholabhängigen Messie aufbauen! Ich rieb mir die Schläfen, in meinem Schädel wummerte es.
»Ich werde rasch alles in die Wege leiten. Wenn etwas ist, einfach läuten. In wenigen Minuten komme ich wieder, dann helfe ich Ihnen dabei, sich frisch zu machen und umzuziehen.«
»Bitte«, sprach ich erstickt. Obwohl ich total groggy war, sehnte ich mich danach, den anhaftenden Rauchgeruch bald loszuwerden.
Der Pfleger drückte ein Kissen unter meinen Rücken, um mein linkes Schulterblatt freizulagern. »So befinden Sie sich nicht direkt auf der Brandwunde. Bis zur nächsten Schmerzdosis dauert es noch eine Weile, aber wenn Sie zu unerträglich werden, geben Sie bitte Bescheid, dann halte ich Rücksprache mit dem Doktor, ob wir eher etwas verabreichen können.«
Ich nickte. Der Schmerz, der in meinem Herz tobte, würde sich mit keinem Medikament wegspritzen lassen. Ich schloss die Augen, hasste es, meinem schwachen Körper ausgeliefert zu sein, während es keine Erklärung für das Feuer und den Tod von Mama gab. Doch bald forderte nicht nur mein Geist hartnäckig weiteren Schlaf ein, sondern auch mein Körper, der gegen meine Vergiftung und die Verletzung ankämpfte.
Ein nicht gesprächiger Transportdienst brachte mich in einem Rollstuhl Richtung Druckkammer. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem falschen Film oder in einer anderen Zeit gelandet. Die Zeiger der Uhr im Gang standen auf der Zwei. Normalerweise würde ich im Seniorenheim grad eine neue nächtliche Runde durch die Bewohnerzimmer drehen. Ob Bernadette einen Ersatz gefunden hatte? Wusste meine Kollegin Bescheid darüber, was vorgefallen war? Eigentlich sollte ich mich bei ihr melden! Doch mit was? Ich hatte nicht einmal gefragt, wo sich meine persönlichen Gegenstände befanden. Das Handy lag vermutlich nach wie vor im Fußraum meines Wagens. Abgestellt vor meinem Heimathaus, das inzwischen wohl nur mehr eine Brandruine war.
Ein schlechtes Gewissen regte sich in mir. Es war nicht meine Art, alles stehen und liegen zu lassen. Und die Leute im Pflegeheim alleine zu betreuen, war ein absoluter Wahnsinn! Zudem hatte es nichts gebracht.
Mama ist tot! Erneut drängten in mir Tränen nach oben. Zittrig wischte ich mir einen Tropfen aus dem Augenwinkel und verbannte mit aller Gewalt meine Emotionen in die Tiefen zurück. Ich starrte auf das rote T-Shirt und eine schwarze Jogginghose, die aus dem Fundus des LKHs entstammten und mir zu weit waren.
Pfleger Mario war, wie versprochen, mir bei der Körperpflege behilflich gewesen. Statt Qualm roch ich bedeutend frischer. Doch jeder Atemzug wirkte, als würde eine zentnerschwere Last auf meinen Brustkorb drücken, und ich war spürbar kraftloser. Sei froh, dass du nicht bewusstlos oder im Koma bist! Obwohl aktuell fand ich ein Vergessen fast erstrebenswerter. Ich tastete über mein feuchtes blondes Haar, das sich an manchen Stellen versengt anfühlte und nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst war.
»Bis später!«, stieß der Transportdienst aus, er ließ die Haltegriffe des Rollstuhls los.
Ich schaute ihm hinterher, wie er davoneilte. Ob er einen nächsten Patienten wohin karren musste, oder doch auf etwas nächtlichen Schlaf hoffte, wusste ich nicht. Bald darauf kam eine Krankenschwester aus dem angrenzenden Raum und brachte mich zu einem Stuhl in der Druckkammer. Ich fand Schwester Resi, wie sie sich vorstellte, auf Anhieb sympathisch. Ihre tiefliegenden braunen Augen wirkten vertrauensvoll. In ihrem rundlichen Gesicht waren etliche Fältchen eingegraben, die bewiesen, dass sie in ihrem Leben viel gelacht, aber wohl auch gelitten oder mitgelitten hatte. Bestimmt fehlten ihr bis zum Ruhestand nur wenige Monate. Selbst ich durfte als Achtundzwanzigjährige bereits neun Dienstjahre an Berufserfahrung sammeln.
»Schauen Sie, hier über die Maske können Sie den hundertprozentigen Sauerstoff einatmen. Wenn Sie diese abnehmen, atmen Sie hingegen die ganz normale Raumluft ein. Über dieses Bullauge dort haben wir ständig Sichtkontakt, auch ein Arzt wird bald dort sein. Wenn es ein Problem gibt, einfach reden, wir können draußen alles hören. Wir werden am Anfang langsam den Druck erhöhen. Sind Sie einverstanden, wenn wir etwas Musik spielen?«, bemerkte Schwester Resi freundlich.
Ich stimmte nickend zu. Musik konnte nicht schaden, und vertrieb hoffentlich ein wenig die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf. Ich musterte die Kammer, registrierte Stühle in unterschiedlichen Farben, die zum großen Teil zusammengestapelt waren. Insgesamt bot die Kammer für zwölf Menschen Platz, doch bei dieser Not-Behandlung würde ich offensichtlich allein bleiben. Die Wände waren in einem Grün gestrichen, und irgendwie fühlte ich mich, als wäre ich in einem Unterwasserboot und würde bald abtauchen. Ich unterdrückte ein Ächzen. Ein Abtauchen wäre wundervoll – fort aus dieser schrecklichen Realität und der Frage, aus welchem Grund meine Mutter bedroht und umgebracht worden war.
»Wie lange wird es dauern?«, hakte ich nach. Dabei spielte Zeit für mich grad gar keine Rolle.
»Voraussichtlich eine dreiviertel Stunde. Aber wir geben Ihnen die Zeit noch genauer durch. Ist auch abhängig davon, ob Ihre Werte stabil bleiben und wie lange es für Sie geht.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Es fühlte sich für mich seltsam an, auf der Patientenseite zu sein und nicht die Betreuungsperson, die sich um die Bedürfnisse meiner Pfleglinge kümmerte. Doch ich wollte folgsam bleiben, um rasch fit zu werden, und dann … dann herauszufinden, was hinter Mamas Tod steckte. Zu meiner inneren Qual gesellte sich ein erster Funken Hass – auf einen Unbekannten! Ob die Polizei schon aktiv geworden war?
Ich schloss die Augen, während Schwester Resi die Tür hinter sich zuzog. Bald erklang eine Instrumentalmusik. Ich hielt die Maske an den Mund, versuchte, gleichmäßig ein- und auszuatmen, indes purzelten ohne Unterlass Tränen über meine Wangen hinab.
Besuche
Mara blickte in das bleiche Gesicht ihrer Freundin Jasmin. Feine Schläuche schmiegten sich an ihre Wangen, während eine transparente Maske über Mund und Nase lag und sie mit zusätzlichem Sauerstoff versorgte. Im Hintergrund piepste es, auf dem Monitor tanzten Linien, die Sunis Herzschlag anzeigten und zumindest regelmäßig schienen. Daneben wechselten Zahlen, die Mara als Blutdruck deutete.
Mit zittrigen Händen strich sie vorsichtig eine Strähne aus Sunis Stirn. Es wirkte so surreal. Am Wochenende hatten sie erst gemeinsam gegrillt. Suni hatte Knoblauch-Baguettes, einen Kartoffelsalat und zwei Flaschen Hugo für sie Mädels mitgebracht, während sich Paul über ein Sechser-Tragerl-Bier freuen durfte. Ihre Freundin machte mit Abstand den besten Erdäpfelsalat, den Mara je gegessen hatte!