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„Das stimmt. Trotzdem hätte ich gerne noch mehr von Rorgath erfahren. Aber wo ist eigentlich unser Fluganfänger?“
Beide schauten angestrengt in den Himmel empor, doch von Torgorix war weit und breit nichts zu sehen.
Gerade als sie entschieden hatten, nicht mehr länger zu warten, stieß Torgorix mit einem überschwänglichen Kampfschrei durch die Wolken hindurch und raste erneut auf sie zu. Schnell erkannten Adalbert und Jordill, dass er wohl direkt vor ihnen landen wollte, aber genauso schnell hatten sie auch begriffen, dass die Landeeinteilung nicht ganz stimmig zu sein schien. Adalbert brüllte ihm zu, dass er lieber durchstarten sollte. Doch der im Fliegen noch unerfahrene Drache war davon überzeugt, dass er alles unter Kontrolle hatte. Das Ergebnis war eine erneute Bruchlandung auf dem Bauch, die eine regelrechte Furche in den Rasen zog.
„Ich möchte ja nicht als Besserwisser erscheinen, aber wolltest du nicht auf deinen Beinen landen?“, fragte Jordill besorgt und Adalbert fügte hinzu: „Oje, das hat bestimmt wehgetan. Hast du dich verletzt?“
„Nein, nein! Es ist alles in bester Ordnung. Es ist halt noch kein Meister vom Himmel gefallen“, lenkte der Drache von seinen Schmerzen ab.
„Ein Meister nicht, aber ein ungelernter Drache“, erwiderte Adalbert frech, als er merkte, dass Torgorix unverletzt war.
Torgorix revanchierte sich mit einem leichten Flügelschlag gegen Adalberts Schulter, der diesen fast umhaute.
„Ihr glaubt gar nicht, wie wunderschön das ist, wenn man durch die Lüfte fliegen und dort oben die feuchten Wolken küssen kann. Dort oben habe ich einen Adler gesehen, der sogar noch viel höher flog als ich. Ich glaube, er hat mich beobachtet. Vielleicht hat er sich aber auch nur über mich amüsiert. In der Ferne konnte ich sogar die Drachenschule erkennen. Trotzdem ist das Fliegen ganz schön anstrengend und ich habe jetzt einen echten Drachenhunger. Ich könnt glatt ein Wildschwein fressen!“, sagte Torgorix mit einem verschmitzten Augenzwinkern zu Adalbert. Der Keiler Tork grunzte nur gelangweilt. Er wusste, dass er von dem Drachen nichts zu befürchten hatte.
„Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir wünschte, fliegen zu können“, antwortete Adalbert sehnsüchtig und erinnerte sich daran, als er, festgebunden an Merthurillhs Brust, zum ersten Mal vom Boden abgehoben hatte und in den Himmel getragen worden war.
„Ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr aus mir einen echten Wolkenstürmer gemacht habt. Ohne euch hätte ich mich wohl nie getraut!“
Der Elf und Adalbert winkten ab. Sie wussten es besser. Kein Drache konnte auf Dauer den Lüften widerstehen.
Die kleine Gruppe machte sich nun wieder auf den Weg, um die alte Lorhdrachin Murwirtha zu finden. Dabei versuchte Torgorix krampfhaft, ein Humpeln zu verbergen.
***
„Mir tut der Hintern weh, ich kann nicht mehr reiten. Können wir nicht eine Pause machen?“, nörgelte Erik.
„Stell dich nicht so an, sonst wird nie ein ganzer Mann aus dir! Außerdem haben wir dir zuliebe doch erst vor zwei Stunden eine längere Pause gemacht“, maßregelte ihn Adalberts Vater.
„Wir sollten in Kürze an eine Stelle des Drachenblutflusses kommen, wo wir unseren Pferden eine längere Ruhepause gönnen können. Wir haben dann ungefähr die Hälfte des Weges zum Nasli Karillh geschafft und liegen damit gut in unserem Zeitplan“, lenkte der Elfenkönig Erithjull ein. Es war dem sensiblen Waldelfen anzumerken, dass er von den Erziehungsmethoden des ehemaligen Drachenjägers nicht allzu viel hielt.
„Was ist denn der Nasli Scharill?“, fragte Erik neugierig.
„Der Wald, der die Heimat der Waldelfen ist, zu denen auch ich gehöre, wird von uns Nasli Karillh genannt, was in deiner Sprache so viel bedeutet wie Lachender Wald. Östlich hinter dem Oberfluss und dem Mittensee heißt der Wald dann Trasli Karillh, was Weinender Wald bedeutet. Sein Name kommt daher, weil vor vielen Menschenleben eine wilde Horde Trolle und Orks über die dort lebenden Elfen hergefallen ist und nahezu alle Kinder entführt oder getötet hat. Zum zukünftigen Schutz vor solchen heimtückischen Überfällen hat sich ein Teil der stärksten und erfahrensten Elfen von den anderen getrennt und wurde zu den Grenzläufern, die ständig die Ostseite mit kleineren Streifen patrouillieren. Einen dieser besonderen Grenzläufer habt ihr bereits kennengelernt, nämlich Wortrillh. Da die Grenzläufer ein riesiges Gebiet vom Zwergenhain ganz im Norden, über die Grenze zum Kalten Land bis hinab in das Zentralland der Menschen überwachen müssen, haben sie sich in kleinen Gruppen organisiert, die eigenständig operieren. Durch diese besonders abgekapselte, für Elfen völlig untypische Lebensweise, wurden die Grenzgänger zu einer eigenen Elfengattung, die sich durch ihre isolierte Zurückgezogenheit, ihre wortkarge Art und ihr stark ausgeprägtes Misstrauen allen Fremden gegenüber auszeichnet“, erklärte der Elfenkönig.
„Trotzdem gelingt es immer wieder vereinzelten Ork- und Trolltrupps, durch ihr Netz zu schlüpfen und das westliche Drachenland auszukundschaften, wie zum Beispiel dem Trupp von Orax, mit dem Adalbert zu tun hatte“, ergänzte Trillahturth, der König aller Elfen. Als nun auch der Ritter Knut von Tronte sein Pferd näher an die Elfenkönige heransteuerte, um mehr über die Abenteuer seines Sohnes zu erfahren, ließ sich der Zwerg Kronglogg, der schließlich selbst dabei gewesen war, nicht lange bitten, in allen Einzelheiten zu berichten, was geschehen war.
Oft nickte der Ritter voller Anerkennung für seinen Sohn, manchmal fragte er aber auch besorgt nach, wie Adalbert diese Gefahren alle unverletzt hatte überstehen können. Als der Zwerg erwähnte, wie Antharill Adalbert davor bewahrt hatte, mitten in einen Trolltrupp hineinzustolpern, lenkte der Ritter sein Pferd zu dem stolzen Hengst Antha hinüber, in den der Elf sich verwandelt hatte.
„Auch dein Leben werde ich mit dem meinen beschützen, wertester Hengst, das schwöre ich dir“, sagte er ganz leise, damit niemand ihn auslachte, weil er einem Pferd etwas versprach. Doch den extrem guten Ohren der Elfen blieb sein Schwur dennoch nicht verborgen.
„Dort vorne ist die Stelle, an der wir bis morgen früh rasten werden“, erklärte Erithjull und deutete direkt nach vorne auf eine kleine Flussbiegung.
Kapitel 4
Im hohen Eisgebirge
Der Elf Jordill weckte Adalbert und deutete auf das kleine Feuer, welches er bereits entfacht hatte.
„Ein heißer, duftender Kräutertee wartet auf dich, mein lieber Adalbert. Wir sollten zusehen, dass wir heute ein gutes Stück schaffen, dann könnten wir bereits am Abend am Fuß des Eisgebirges sein.“
„Ich dachte, wir wären schon längst im Eisgebirge? Wir sind doch schon vier Tage durchmarschiert?“, antwortete der Junge noch etwas verschlafen.
„Nein, wir befinden uns noch immer in den nördlichen Ausläufern der Drachenfelsen. Siehst du dort vorne den hohen Pass, der aus den Wolken herausragt?“
„Ja, das ist doch der Kalte Finger, oder? Merthurillh hat ihn mir schon einmal gezeigt, als wir uns bei seiner Lieblingsstelle, dem Sattel, hoch über der Drachenschule, unterhalten haben.“
„Du bist gut informiert. Das ist tatsächlich der Kalte Finger, der mitten im Eisgebirge liegt. Ich hoffe, dass wir dort oben auf die ersten Hinweise auf die alte Drachenlady Murwirtha stoßen werden. Wenn wir morgen früh vom Fuß des Gebirges starten, sollten wir nach drei weiteren Tagen den Kalten Finger erreichen. Ich kenne dort eine Höhle, in der wir es uns gemütlich machen und ein prächtiges Grubenfeuer entzünden können.“
„Na prima, noch vier Tage in dieser eisigen Kälte, bevor wir endlich ein richtig wärmendes Feuer machen können! Hoffentlich sind wir bis dahin nicht schon längst eingefroren“, erwiderte Adalbert mit einem mürrischen Blick zum Gipfel des Berges, der wie ein mahnender Finger aus den Wolken herausschaute.
„Warum können wir denn nicht jetzt schon etwas mehr Holz ins Feuer werfen? Meine Drachenhaut warnt mich nicht, also sind auch bestimmt keine Trolle oder Orks in der Nähe.“
„Wir sind trotzdem nicht alleine. Schon seit gestern Nachmittag spüre ich, dass wir beobachtet werden. Noch konnte ich nicht herausfinden, wer uns da ausspäht und welche Absichten er verfolgt. Daher sollten wir nicht unnötig lange rasten und versuchen, möglichst wenig auf uns aufmerksam zu machen, was bei einem riesigen blauen Drachen, der auch noch täglich seine Flugübungen absolviert und dabei vor Wonne das gesamte Nordland zusammenbrüllt, schon nahezu unmöglich ist“, mahnte der Elf in Richtung des Drachen, der noch friedlich zu schlummern schien.
„Ich habe jedes einzelne Wort verstanden! Ihr gönnt mir aber auch gar keinen Spaß“, entgegnete Torgorix gespielt beleidigt.
„Wir gönnen dir deine Freuden hoch oben in der Luft von ganzem Herzen, Blauflügler …“, begann Adalbert, als er von dem Drachen unterbrochen wurde.
„Lass gut sein, das war nicht ernst gemeint. Ihr habt ja Recht, ich sollte meine übergroße Freude unbedingt etwas zügeln. Was hältst du denn davon, wenn ich heute mal aus der Luft nach denjenigen suche, die uns beobachten?“, wandte er sich dann an Jordill.
„Ich denke, dass du jetzt gar nicht fliegen solltest. Vielleicht kannst du heute Abend in der späten Dämmerung noch einmal in die Lüfte steigen“, war die für den Drachen enttäuschende Antwort.
„Wo bleibt denn der lustige Elf, den ich auf meinen früheren Abenteuern kennengelernt habe? Du sprichst ja immer mehr, wie dein großer erfahrener Bruder Trulljah“, meinte Adalbert, der sich sehr gut vorstellen konnte, wie enttäuscht Torgorix sein musste, wenn er seine neu gewonnene Freiheit nicht genießen durfte.
„Wir wachsen alle an unseren Aufgaben, mein lieber Freund. Das müsstest du doch am besten wissen. Außerdem habe ich mich nicht verändert, aber wenn Trulljah oder Maradill dabei sind, können sie sich ja um solche Dinge kümmern“, antwortete Jordill mit einem verschmitzten Lächeln.
„Torgorix, wie Jordill schon vorgeschlagen hat, solltest du nicht vor Einbruch der Dämmerung fliegen. Ich möchte außerdem, dass du das nächtliche Fliegen lernst, damit du dich bei besonderen Gefahren oder in anderen Situationen, die einen nächtlichen Flug erfordern, auch in der Dunkelheit am Himmel zurechtfindest. Traust du es dir schon zu, bei sternklarer Nacht vom Boden abzuheben?“, fragte Adalbert den Drachen.
„Wenn die Nacht so klar ist, dass ich sehen kann, wohin ich fliege, dann möchte ich das sehr gerne einmal ausprobieren. Bei absoluter Dunkelheit und schlechtem Wetter können wir Drachen allerdings nicht fliegen, obwohl unsere Augen außerordentlich gut sind. Durch Wolken, Nebel oder Schneetreiben können wir nur schemenhaft sehen. Da nützt auch unser Drachensinn wenig. Daher freue ich mich schon auf meinen ersten Nachtflug. Es muss doch traumhaft schön sein, den Sternen unserer Vorfahren immer näher zu kommen!“
„Dann achte aber bitte darauf, dass du ihnen nur nahe kommst und nicht für immer zu ihnen aufsteigst, denn wir würden dich sehr vermissen“, bat ihn der Elf.
„Natürlich kannst du bei absoluter Dunkelheit oder widrigen Sichtverhältnissen nichts sehen, aber ich habe da eine Idee, wie wir dich trotzdem leiten können, obwohl du sozusagen blind fliegst“, dachte Adalbert laut nach und erhielt von seinen Kameraden sofort die höchste Aufmerksamkeit. Selbst Tork schien an den Gedanken des Jungen interessiert zu sein und kam etwas näher, um sich mit einem wohligen Grunzen Jordill zu Füßen zu legen.
„Komm, mach es nicht so spannend. Erzähl uns, wie du dir das vorstellst, einen Drachen blind durch die Nacht zu leiten“, bat der Elf um Auflösung dieses Geheimnisses.
„Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich klappen wird. Torgorix, du hast doch auch ein exzellentes Gehör. Wenn du also am Nachthimmel fliegst, ohne etwas zu sehen, könnte Jordill dir dann nicht durch hohe Pfiffe, die für das Gehör von Menschen, Trollen und Orks nicht wahrnehmbar sind, signalisieren, wo wir sind? Damit müsstest du uns doch finden können, oder?“
„Ja, das würde bestimmt funktionieren, aber ich weiß dann immer noch nicht, in welcher Höhe ich mich über dem Boden befinde. Ich möchte schließlich nicht noch einmal auf dem Bauch landen, schon gar nicht aus dem vollen Flug heraus. Das könnte meinen Tod bedeuten und dann würde ich ja doch wieder zu meinen Ahnen aufsteigen“, fügte der Drache mit einem Zwinkern hinzu.
„Stell dir vor, du hörst Jordills Pfiff“, fuhr Adalbert unbeirrt fort, „ortest diesen und fliegst dann möglichst langsam über die Quelle, von der du das Signal bekommen hast, dann müssten wir deinen Flügelschlag hören und könnten so ungefähr abschätzen, wie hoch du bist. Wenn wir dir dann diese Höhe wiederum durch Pfiffe mitteilen würden, beispielsweise einen langen Pfiff für einen Abstand, der zehnmal so groß ist wie Jordill, zehn Jordill-Längen sozusagen, und ein kurzer Pfiff für eine Jordill-Länge, könntest du dir das räumlich vorstellen?“
„Wir Drachen verfügen doch über das am besten ausgebildete dreidimensionale Vorstellungsvermögen, das es in der Natur gibt. Ich könnte mir schon denken, dass ich das hinbekomme. Allerdings braucht es sehr viel Übung, dieses räumliche Denken zu erlernen und ich bin noch ein absoluter Anfänger.“
„Das kriegen wir schon irgendwie hin!“, munterte ihn der Elf, der von Adalberts Idee sichtlich begeistert war, auf.
„Dann werdet ihr noch heute Abend mit dem notwendigen Training beginnen“, schlug Adalbert vor.
„Jordill du musst lernen, exakte Weiten und Höhen so präzise wie irgend möglich zu schätzen, und Torgorix muss es schaffen, sobald er über uns hinweggeflogen ist und die Höhe mitgeteilt bekommen hat, seine momentane Flughöhe ganz exakt einzuhalten, bis er wieder bei uns ist, sonst endet seine Runde in einem Fiasko. Natürlich musst du bei der Landung bedenken, dass du nicht genau da landen darfst, wo du den Pfiff gehört hast, sonst sind Jordill und ich platt wie Flundern. Sobald ihr das wirklich könnt und Torgorix es sozusagen im Blindflug schafft, unfallfrei zu landen, könnten wir noch eine Steigerung in euer Training einbauen. Stellt euch vor, Torgorix kennt unsere genaue Position und Höhe und wir könnten ihm, wiederum durch Jordills Pfiffe, anzeigen, in welcher Entfernung von uns sich wie viele Feinde befinden, dann wäre das ein unermesslicher Vorteil für uns, weil ein Überraschungsangriff bei Dunkelheit und aus der Luft möglich wäre.“
Adalbert war mit seinen Gedanken noch nicht richtig zu Ende gekommen, als Jordill mit dem Drachen bereits die ersten Pfiffe einstudierte. Sie waren so hoch, dass er diese nur mit seinen Drachensinnen vernehmen konnte.
Dann sagte Jordill: „Ich glaube, dass wir so schnell wie möglich den Drachenrat von deinem hervorragenden Plan unterrichten sollten. Wir könnten durch diese Taktik einen unvorstellbaren Vorteil in der Schlacht gegen Snordas’ Truppen erzielen.“
„Torgorix, morgen Abend wirst du dem Lorhdrachen Okoriath von unserem neuen Plan berichten“, beschloss Adalbert.
„Gerne. Ich freue mich schon darauf, die Drachenschule aus der Luft zu sehen und sie wie ein richtiger Drache anzufliegen“, freute sich Torgorix.
„Du bist ein richtiger Drache, mein Freund Torgo!“, erwiderte Jordill, ehe sie sich zum Aufbruch bereitmachten.
Während des gesamten Marsches durch das tiefe Tal, welches die südlich liegenden Drachenfelsen von dem nördlichen Eisgebirge trennte, war es Adalbert nahezu unmöglich mit Jordill und Torgorix ein vernünftiges Gespräch zu führen. Beide waren so sehr mit ihren Plänen und Entwürfen beschäftigt, wie sie seine Idee des nächtlichen Fluges in die Tat umsetzen konnten, dass sie Unterbrechungen von ihm nur als störend empfanden. Selbst der Keiler Tork hatte sich von seinem geliebten Jordill getrennt, von dessen Seite er normalerweise nie wich, und gesellte sich zu dem Jungen. Adalbert war über das Verhalten seiner Freunde jedoch keineswegs beleidigt, ganz im Gegenteil, er freute sich darüber, dass er diesen guten Einfall gehabt hatte. Als sie dann aber nach einem stundenlangen Marsch gegen den eisigen Nordwestwind und bei Einbruch der Dämmerung endlich am Fuß des Eisgebirges ankamen, musste er als Leiter der Gruppe ein Machtwort sprechen, denn die beiden wollten sofort mit der Umsetzung ihrer Pläne beginnen.
„Wir werden zuerst ein vernünftiges Nachtlager zwischen den Bäumen dort drüben im Wald aufbauen, bevor ihr mit euren Nachtflugübungen beginnt. Außerdem werden wir uns ein kleines Grubenfeuer machen, damit ich wieder etwas Leben in meine Gliedmaßen bekomme. Mit ein paar Ästen und etwas Reisig können wir einen halbwegs passablen Blickfang errichten, damit der Schein der Flammen nicht den Wald verlässt. Außerdem habe ich Hunger“, fügte er hinzu.
„Du solltest dich mehr auf deine Drachenhaut konzentrieren, dann frierst du nicht so“, antwortete ihm Torgorix, der es kaum noch aushalten konnte, endlich wieder zu fliegen und all das zu probieren, was er den ganzen Tag über mit dem Elfen besprochen hatte.
Adalbert dachte über die Worte des Drachen nach und kam sich etwas lächerlich vor, als er in Gedanken seine Haut bat, ihn zu wärmen. Zum Glück konnte hier keiner seine Gedanken lesen wie der Lorhdrache Okoriath.
Vertraue deinen Sinnen, vertraue deiner Haut, denn sie wird dich schützen und vor Kälte bewahren, kam prompt eine Reaktion auf seine Gedanken.
Rorgath, wie geht es dir? Wo kann ich dich denn nur finden?, fragte Adalbert in seinen Gedanken zurück.
Suche nach einem Felsen, der einem Adlerschnabel gleicht, dort wirst du mich finden. Doch zuvor musst du Murwirtha finden, sonst wird die Reise nicht erfolgreich sein!
Dann brach der Kontakt wieder ab. Doch Adalbert hatte nun endlich einen Hinweis, wo sich sein Geistdrache befand. Irgendjemand an der Drachenschule oder einer der weisen Elfen würde sicher wissen, wo der seltsame Felsen stand, den Rorgath beschrieben hatte. Adalbert war voller Hoffnung. Und das lag nicht nur daran, dass ihm mit Hilfe der Drachenhaut wohlig warm wurde.
„Wir brauchen kein Feuer mehr, dank Rorgaths Hilfe ist mir nicht mehr kalt. Stellt euch vor, ich habe gerade von ihm einen Hinweis bekommen, wo er sich befindet. Kennst du einen Felsen, der so ähnlich aussieht wie ein Adlerschnabel?“, fragte er Jordill, der durch die Wettkämpfe der Elfen schon weit im Drachenland herumgekommen war.
Dieser dachte einige Zeit angestrengt nach, bevor er zu Adalberts großer Enttäuschung erklärte, dass er sich an solch einen Felsen leider nicht erinnern konnte. Doch auch er bestärkte den Jungen in seiner Hoffnung, dass sicherlich eines der weisen Mitglieder des Drachenrates diesen Ort kennen würde.
„Na los, meine Freunde, Tork und ich möchten gerne sehen, ob eure stundenlangen Gespräche und Planungen auch einen Sinn hatten!“, forderte Adalbert nun den flinken Elfen und den jungen Drachen auf, endlich mit ihren Übungen zu beginnen.
Tork, der die seltsame Wärme spürte, die von der Haut des Jungen ausging, legte sich mit einem wohligen Grunzen dicht an Adalberts Seite und ließ sich von dem Jungen genüsslich kraulen.
Mit drei oder vier kräftigen Flügelschlägen stieg Torgorix nahezu senkrecht in den dunklen Himmel empor. Adalbert war überrascht, wie sicher die Bewegungen des Drachen wirkten. Kaum zu glauben, dass Torgorix erst gestern das Fliegen erlernt hatte!
Mit einer blitzartigen Wendung änderte der blaue Drache geschickt seine Flugrichtung und schoss ganz dicht über ihre Köpfe hinweg, bevor er wieder an Höhe gewann und hinter den Baumwipfeln des Waldes verschwand. Da hörte Adalbert den kurzen Pfiff des Elfen, den er früher mit seinem menschlichen Gehör niemals wahrgenommen hätte.
Einen winzigen Augenblick später flog der Drache erneut über sie hinweg und wieder hörte Adalbert die Pfiffe des Elfen. Es waren ein langes und drei deutlich kürzere Signale, die dem Drachen mitteilen sollten, dass er dreizehn Jordill-Längen über ihnen gewesen war, als er sie überflogen hatte. Torgorix nickte mit dem Kopf, was wohl darauf hinweisen sollte, dass er die Bedeutung der Pfiffe verstanden hatte, und verschwand erneut hinter dem Wald. Ohne ein neues Signal zu erhalten, war der Drache plötzlich wieder über ihnen, in exakt der gleichen Höhe, wie der lange und die drei kurzen Pfiffe ihm anschließend bestätigten.
Immer wieder übten die beiden dieses Manöver in unterschiedlichen Höhen, bis der Drache schließlich bei ihnen landete. Zu Adalberts Überraschung war aber nicht eine wohlverdiente Verschnaufpause der Grund für die Landung, sondern die Vorbereitung für eine weitere Übung. Jordill zog aus seiner Tasche ein schalähnliches Tuch hervor und band es dem Drachen vor die Augen.
„Was soll denn das werden?“, fragte Adalbert etwas beunruhigt.
„Wenn uns dieses Flugmanöver auch bei größerer Dunkelheit gelingen soll, dann muss ich es ohne Sicht üben“, erklärte Torgorix. „Außerdem kann ich die Augenbinde jederzeit wieder abnehmen, wenn ich mir unsicher bin. Das kann ich dann im Ernstfall nicht. Daher wollen wir es lieber jetzt so lange üben, bis ich es im wahrsten Sinne des Wortes blind beherrsche.“
„Das leuchtet mir ein, aber bitte sei vorsichtig!“, bat Adalbert schnell, bevor der Drache wieder in die Dunkelheit aufstieg.
Immer und immer wieder übten der Drache und der Elf diese präzisen Überflüge auf Anweisung, bis sie endlich alle davon überzeugt waren, dass Torgorix die schwierigen Flugmanöver tatsächlich beherrschte. Nun endlich gönnten sie sich auch die nötige Nachtruhe, jedoch nicht, ohne noch weitere Pläne für die nächsten Flugübungen zu schmieden.
***
„Wach auf, mein lieber Freund. Wir haben heute noch einen sehr anstrengenden Tag vor uns“, wurde Adalbert von Jordill geweckt.
„Wo ist denn Torgorix?“, fragte der Junge müde, nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte.
„Er ist schon bei der ersten Morgendämmerung in den Himmel aufgestiegen, um seine neue Freiheit zu genießen. Wenn du dort in Richtung der aufgehenden Sonne schaust, kannst du ihn ganz knapp über den Gipfeln des Eisgebirges erkennen. Ich beobachte ihn bereits eine Weile und bin überrascht, wie wunderbar und harmonisch er sich bewegt.“
Adalbert musste schon sehr genau hinschauen, um den blauen Drachen zu erkennen. Plötzlich schoss Torgorix aus der Sonne herab, um schon im nächsten Moment wieder zwischen zwei Felsen zu verschwinden. Nur wenige Wimpernschläge später tauchte er erneut auf und kam geradewegs auf sie zugeflogen. Schnell wurde der kleine Punkt immer größer und entwickelte sich zu dem prächtigen Drachen.
Mit seinem gestochen scharfen Blick konnte Torgorix bereits aus der Ferne erkennen, dass er von seinen Freunden beobachtet wurde. Gerne wollte er Jordill, Tork und Adalbert an seinem Glück teilhaben lassen, welches er durch seine Flugabenteuer geschenkt bekam. Doch wie sollte er nur jemandem dieses Gefühl beschreiben, der selbst nicht fliegen konnte und daher niemals in den Genuss dieses, im wahrsten Sinne des Wortes, erhebenden Glückes gelangen würde?
Doch was wäre, wenn er so tief über seine drei Freunde hinweg flöge, dass sie seine Begeisterung körperlich fühlen mussten? Schon im nächsten Augenblick schoss Torgorix im Tiefflug so über sie hinweg, dass sich selbst der erfahrene Jordill flach auf den Boden warf.
„Ein bisschen Frühsport kann nicht schaden“, schmunzelte der Elf, während er sich wieder erhob und sich den losen Schnee, der in der Nacht gefallen war, von der Kleidung klopfte.
„Darauf könnte ich gerne verzichten“, antwortete ihm Adalbert, der noch immer staunend die Manöver von Torgorix beobachtete. Genau in diesem Moment kippte der Drache über seine rechte Flügelspitze ab und landete nach einem langen Bogen wieder bei seinen Freunden.
„Mir fehlen die Worte, um euch zu beschreiben, wie glücklich ich bin. Seit meiner Taufe in der Drachenschule habe ich mich unglaublich verändert. Schaut mich doch nur einmal an, ich bin nicht mehr der kleine hässliche Drache, über den sich alle lustig machten. Aus mir ist ein großer, Feuer speiender Drache geworden, der durch den Himmel fliegt. Schon am frühen Morgen durch die kalte Luft des Eisgebirges zu brausen, ist ein Erlebnis, das alles andere übersteigt“, schwärmte er.
Nachdem sie ein schnelles und karges Frühstück eingenommen hatten, setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung, um nach der Lorhdrachin Murwirtha zu suchen.






