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„Wenn du weiterhin so verschwenderisch mit dem Heilöl umgehst, wirst du keinen einzigen Tropfen mehr haben, wenn es mal wirklich wichtig sein könnte“, dankte der Elf auf seine Art für die Heilung.
„Was kann es Wichtigeres geben, als einen guten Freund zu heilen? Außerdem hat mir euer König Erithjull noch etwas von Merthurillhs Tränenöl zur Drachenschule mitgebracht, somit war mein kleines Fläschchen wieder randvoll, bevor wir aufgebrochen sind.“
„Es ist schon sehr sonderbar, dass uns der große Weiße in der höchsten Not zu Hilfe kam“, meinte Jordill und deutete mit einem Nicken auf den Wolf. „Auch die Tatsache, dass er jetzt, wo du ihn von seinen Wunden geheilt hast, nicht wieder verschwindet, finde ich äußerst interessant. Wenn ich ihn mir so ansehe, wie er nur wenige Schritte hinter dir sitzt, als ob er dich schon seit Ewigkeiten kennen würde, habe ich das Gefühl, dass du schon wieder einen Freund fürs Leben gefunden hast. Weißt du eigentlich, welche Bedeutung weiße Wölfe bei uns Elfen haben?“
Adalbert zuckte kurz mit den Schultern und bat Jordill, ihm alles über diese schönen Tiere zu berichten, was er wusste.
„Sie gelten in unseren Erzählungen als Seelenwächter. Schon als kleine Kinder lauschen wir aufmerksam den spannenden Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, wenn sie von den Ijsvargs, also den schneeweißen Wölfen erzählen. Der Name Ijsvarg ist kein elfischer Name, er stammt von den rauen Schneekriegern, die mit den Schneewölfen eine enge Partnerschaft eingegangen sind, ähnlich wie ihr Menschen mit den heutigen Hunden, die ja ihrerseits auch vom wilden Wolf abstammen. Sowohl die Schneekrieger als auch die Ijsvargs sind hier im Drachenland normalerweise nicht anzutreffen, sondern leben den Überlieferungen nach weit hinter dem Eisgebirge. Auch wir Elfen haben keinen Kontakt zu den Schneekriegern. Aber es kommt immer wieder vor, dass wir oder die Zwerge des Hochgebirges, einen von diesen Wölfen dabei entdecken, wie er im nördlichen Grenzland umherstreift.
Den Erzählungen nach sollen diese wunderbaren Tiere in der Zeit des großen Krieges gegen den schwarzen Druiden Rettfill aber vermehrt über die Grenzen gekommen sein. Immer dann, wenn ein bedeutendes Wesen gestorben war. Dann blieb der Wolf stets längere Zeit in der Nähe dieses Verstorbenen, fast so, als hielte er eine heilige Totenwache. Daher gehen wir Elfen davon aus, dass der Ijsvarg die Seelen der Verstorbenen bewacht.“
Jordill machte eine kurze, nachdenkliche Pause, bevor er in seiner Erzählung fortfuhr. „Sein unerwartetes Auftauchen ergibt somit einen tieferen Sinn, denn er ist bestimmt hier, um die Seele von Allturith zu bewachen, die du in dir trägst.“
„Dann verstehe ich aber nicht, warum er nicht zuerst den Anführer der Narsokk-Wölfe angegriffen hat, der mich bedrohte“, gab Adalbert zu bedenken.
„Ich weiß es auch nicht, aber ich vermute, dass er es war, der vor zwei Nächten lautlos um unser Lager herumgeschlichen ist und sich dann in deiner Nähe niedergelegt hat. Ich bin auch davon überzeugt, dass er uns schon die ganze Zeit über beobachtet hat und über jeden unserer Schritte Bescheid wusste. Deshalb denke ich, dass er ebenfalls von der Nähe der Estrilljahner wusste und sich somit auf die größte Gefahr konzentrierte. Wenn du dich erinnerst, stellte er sich ja direkt nach seinem ersten Angriff dem Leitwolf, der dich bedrohte. Der Ijsvarg hat die Gefahr richtig eingeschätzt und gehandelt, wie auch ich es getan hätte“, folgerte der Elf.
„Aber das würde doch bedeuten, dass er wusste, dass uns die Estrilljahner helfen würden. Meinst du nicht, dass wir hier einem normalen Wolf etwas zu viel Intelligenz unterstellen?“
„Nicht unbedingt. Da die Ijsvargs den Erzählungen nach von den Schneekriegern auch zu richtigen Kampfwölfen ausgebildet werden, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie darauf abgerichtet sind, Feinde von Freunden zu unterscheiden. Wir wissen so wenig über die Estrilljahner und die Schneekrieger. Vielleicht haben sie ja Verbindungen zueinander, treiben miteinander Handel oder sind gar befreundet“, versuchte der Elf eine plausible Erklärung zu finden.
„Aber warum haben dann die Estrilljahner auf ihn geschossen? Selbst wenn sie mit den Schneekriegern überhaupt keine Verbindungen hätten, müssten sie als entfernte Verwandte von euch doch auch die Erzählungen über die Ijsvargs kennen?“
„Darauf weiß ich leider keine Antwort. Aber ich denke, dass ihr Hass auf die Narsokk-Wölfe so groß ist, dass sie jeden Wolf töten würden, egal ob dieser grau, schwarz oder weiß ist. Trotzdem glaube ich, dass sie dem Ijsvarg nichts tun wollten, bei dem Durcheinander und den vielen Pfeilen war es wohl eher ein Versehen als Absicht. Obwohl sie zwar mit uns entfernt verwandt sind, sind sie von ihrem Wesen doch völlig anders. Denk an die brutalen Trolle, die ja auch einmal Elfen waren. Das sanfte Wesen der Waldelfen wird seit Ewigkeiten von Generation zu Generation weitergegeben und gepflegt. Daher töten wir nur dann, wenn es unbedingt erforderlich ist und essen niemals Fleisch. Diese Sanftheit wirst du weder bei den Trollen noch bei den Estrilljahnern finden, denn ihr Leben ist von Gewalt geprägt.“
„Es gibt aber eine Ausnahme bei den Trollen, nämlich Orax. Wir haben ihm viel zu verdanken. Hätte er uns damals in der Höhle des grässlichen Feuerkopfes Furtrillorrh nicht befreit, hätte uns dieser Drache ganz sicher bestialisch ermordet. Kaum zu glauben, dass er Merthurillhs Bruder ist.“
„Du hast Recht, Adalbert. Wir stehen tief in Orax’ Schuld. Aber vergiss nicht, dass er ein Anführer der Trolle ist. Diesen Rang hat er sich ganz bestimmt nicht durch Nettigkeiten verdient. Trotzdem würde ich mein Leben für ihn geben.“
Als sich Jordill nun dem weißen Wolf zuwandte und zwei Schritte auf ihn zu ging, wich dieser unerwartet zurück.
„Es ist so, wie ich es bereits vermutet habe, der Ijsvarg ist wegen dir beziehungsweise wegen der Seele von Allturith hier.“
Jeder Elf hatte eine natürliche Verbundenheit zu Tieren, aber bei Jordill war es deutlich mehr, er empfand eine tiefe Zuneigung für sie. Von seinen Brüdern war er es, der die Tiere am meisten liebte und der sich auch am intensivsten mit Tork beschäftigt hatte.
Adalbert bedauerte, dass der Elf von dem Wolf zurückgewiesen worden war, und wollte versuchen, den weißen Riesen dazu zu bringen, sich von Jordill berühren zu lassen. Deshalb kniete er sich in den Schnee und streckte dem Schneewolf die offene Hand entgegen, um ihn vorsichtig anzulocken. Doch auch bei ihm reagierte der Wolf nicht so, wie er es erwartet hatte, sondern er drehte sich um und trottete in der gleichen Richtung davon, wie zuvor die fürchterlichen Narsokk-Wölfe, als ob ihm die beiden Zweibeiner völlig gleichgültig wären. Nun war auch Adalbert enttäuscht.
„Wenigstens hat er uns nicht böse angeknurrt oder uns gar angegriffen“, tröstete ihn der Elf. „Weißt du, der Wolf geht seinen eigenen Weg. Die Schneekrieger haben ihn so wild erzogen, damit er nicht zu zutraulich wird. Die Aufgabe der Ijsvargs ist schließlich die Jagd auf große Tiere und der Kampf gegen jegliche Feinde der Schneekrieger. In unseren Erzählungen sollen sie genauso mutig gegen Bären kämpfen wie gegen Trolle oder gar Drachen. Seinen unerschütterlichen Mut hast du ja vorhin selbst gesehen, als er sich fünf riesigen Narsokks entgegengestellt hat. Wir werden uns wohl damit begnügen müssen, dass wir ihn wenigstens vorhin, als du seine Wunden versorgt hast, kurz streicheln durften.“
„Ich glaube, dass wir ihn schon bald wiedersehen werden. Sollte er wirklich wegen Allturiths Seele hier gewesen sein, dann ist seine Aufgabe im Drachenland ja noch nicht erledigt.“
„Das glaube ich auch“, stimmte ihm Jordill zu.
Ohne weitere Worte packten sie ihre Habseligkeiten zusammen, traten noch einmal an die Stelle heran, an der Tork gestorben war, verabschiedeten sich mit dem Elfengruß von ihm und machten sich auf den weiteren Weg durchs unwegsame Eisgebirge, dem Kalten Finger entgegen.
Kapitel 7
Im Nasli Karillh
Die erste Nacht im Elfenwald brachte Erik einen tiefen und erholsamen Schlaf. Als er sich von seiner weichen Schlafstätte erhob und genüsslich seine müden Glieder reckte, kam es ihm beinahe so vor, als wären die Strapazen der letzten Tage in dieser herrlich ruhigen Nacht völlig von ihm abgefallen.
Als er am Vorabend nach dem köstlichen Abendessen, begleitet von den wohlklingenden Liedern der hübschen Elfenmädchen und vielen interessanten Gesprächen über ihre bisherige Reise und erste Einblicke in die Geschichte des Drachenlandes, endlich von der zierlichen Marilljah zu seiner Schlafstätte geführt worden war, war er todmüde auf die Schlafstätte gefallen. Dankbar für diese weiche Unterlage und die Tatsache, dass er sich das Bett nicht noch selbst vorbereiten musste, schlief er mit süßen Träumen von dem schönen Elfenmädchen ein.
Jetzt hatte er endlich die Gelegenheit, sich erst einmal in Ruhe in seiner gemütlichen Behausung umzusehen. In der Nacht war er dazu viel zu erschöpft gewesen. Das kreisrunde Gebäude bestand aus Lehm, den die Elfen am Mittensee abbauten und der mit besonderem Kieselsand aus dem Nordland vermischt wurde, damit er eine einzigartige Härte erreichte.
Die Wände waren von innen mit einem weißen Putz verziert, der am Übergang zu dem kegelförmigen Spitzdach mit kunstvollen Skulpturen geschmückt war. Als Erik genauer hinsah, erkannte er dort eine Gruppe von Elfen, die ihrerseits eingerahmt von den riesigen Bäumen des Nasli Karillhs und den verschiedensten Tieren des Drachenlandes waren. Er ging ein paar Schritte auf die Wand zu, um sich diese Figuren näher anzusehen. Da sie so wunderschön aussahen und irgendwie lebendig erschienen, verspürte Erik das Verlangen, sie einmal zu berühren. Doch zuvor fiel sein Blick noch auf einen ordentlich zusammengelegten Stapel von edler Kleidung, die auf einem kleinen Hocker lag. Er berührte den Stoff, prüfte diesen zwischen Zeigefinger und Daumen und war überrascht, wie angenehm sich diese Kleidung anfühlte.
„Wenn du möchtest, dann darfst du dir diese Gewänder gerne anziehen“, klang plötzlich eine männliche Stimme hinter ihm. Erschrocken drehte sich Erik herum und erkannte in der Türöffnung einen älteren Elfen, mit dem er sich bereits gestern Abend recht lange unterhalten hatte.
„Hier in Karsarillhmeg endet deine Reise erst einmal. Damit du dich bei uns so wohl wie irgend möglich fühlen kannst, hat unser weiser und weitsichtiger König Erithjull angeordnet, dir diese Kleidung bereitzulegen.“
„Guten Morgen, lieber Estrilljah“, begrüßte Erik den Elfen.
„Oh, du hast dir meinen Namen gemerkt. Das freut mich sehr. Ich habe die Ehre, in den nächsten Tagen dein Lehrer zu sein. Wir werden sehr viel Zeit miteinander verbringen, sodass ich dir viel beibringen kann. Nun zieh dich um und komm mit mir zum Frühstück, wo bereits dein Freund Rognagg auf dich wartet.“
„Freund ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort“, bemerkte der Junge mit einem gehörigen Magengrummeln, als er sich an den wütenden und tobenden Zwerg erinnerte, dem er an der Drachenschule einen dummen Streich gespielt hatte, als er dessen ganzen Stolz, seinen Schnurrbart, abgeschnitten hatte.
„Er jedenfalls hat zu mir gesagt, dass er sich schon sehr auf dich freut. Nun zieh dich bitte um, ich werde vor der Tür auf dich warten.“
Genauso leise, wie er die Rundhütte betreten hatte, war der Elf auch schon wieder verschwunden.
„Oje, das kann ja was werden“, stöhnte Erik, während er nach den Kleidern griff.
Auf dem Weg zu dem großen Lehmhaus, wo sie bereits das Abendbrot eingenommen hatten, fragte Erik den Elfen nach den verschiedenen kunstvollen Figuren, die er in seiner Hütte am Übergang zum Dach gesehen hatte.
„Du hast dort nicht nur Elfen gesehen, sondern auch Pflanzen und Tiere. Wenn du dich in die Mitte der Hütte stellst und dich dann langsam im Kreis drehst, erkennst du den Lebenszyklus unseres Volkes. Dieser beginnt mit der Geburt als Elf, führt anschließend über die Wiedergeburt in ein Leben als Pflanze, gefolgt von einem Leben als Tier bis zur erneuten Geburt als Elf. Manchmal wechseln unsere Lebenswege auch und so können wir die Erfahrung als Tier noch vor der als Pflanze machen.“
„Wir Menschen leben nur einmal. Das ist irgendwie ungerecht, denn ihr lebt als Elfen ja nicht nur viel länger als wir, sondern auch noch viermal. Meine Mutter ist zwar davon überzeugt, dass sie früher schon einmal gelebt hat, aber ich glaube, dass das Quatsch ist.“
„Warum glaubst du denn deiner Mutter nicht? Wir Elfen würden niemals unsere Eltern in Frage stellen, denn sie haben viel mehr Erfahrung als wir, ihre Söhne und Töchter. Wenn deine Mutter das Gefühl hat, dass sie schon einmal gelebt hat, dann solltest du ihr glauben. Ich will damit nicht sagen, dass es damit unbedingt zu einer Tatsache wird, aber vielleicht hat sie in ihrem Leben etwas erlebt, dass sie daran glauben lässt, zuvor schon einmal gelebt zu haben. Es könnte natürlich auch sein, dass sie sich eine schützende Scheinwelt aufgebaut hat, um vielleicht mit irgendwelchen belastenden Erlebnissen oder schlimmen Träumen, die sie oft beschäftigen, besser in Einklang zu kommen. Wir denkenden Lebewesen sind in der Lage, Dinge aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Daher wird es nie nur eine einzige Wahrheit geben“, begann der Elf Estrilljah mit seiner ersten Lehrstunde.
***
Knut von Tronte war bereits lange vor Erik erwacht, als der neue Tag noch ganz jung war. Seine Nacht war jedoch nicht annähernd so erholsam gewesen wie die des frechen Jungen. Immer wieder hatte er wach auf dem für seinen Geschmack viel zu weichen Bett gelegen und sich mit Selbstvorwürfen und Ängsten um seinen Sohn Adalbert gequält. Als er dann erkannt hatte, dass er wohl doch nicht mehr einschlafen würde, stand er auf, zog sich seine Kleidung an und wanderte leise in dem Elfendorf umher, um den klaren Morgenduft zu atmen. Vielleicht wäre die frische Luft ja auch dazu in der Lage, seine dunklen Gedanken zu vertreiben.
„So früh schon auf den Beinen?“, klang unerwartet die melodische Stimme des Elfenkönigs Erithjull neben ihm aus dem Dämmerlicht.
„Ja, irgendwie konnte ich nicht mehr schlafen“, antwortete der Ritter. Er war erstaunt, dass er die Annäherung des Elfen nicht bemerkt hatte, und darüber, dass selbst der König des Elfenwaldes um diese frühe Stunde schlaflos herumlief.
„Ich vermute, uns plagen ähnliche Gedanken, wenngleich wir sie bisher aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet haben“, begann der König das Gespräch erneut. „Die Sorgen um unser geliebtes Drachenland, unsere verlorenen Freunde, Brüder und Söhne und das ungewisse Schicksal deines Jungen und unseres Freundes Adalbert rauben uns die nötige Ruhe, die wir zu finden hofften.“
„Du hast Recht. Natürlich mache ich mir Sorgen um meinen Sohn, aber ich habe in den letzten Tagen erfahren, dass er in der Gegenwart seiner neuen Freunde bisher treuen und guten Schutz erfahren hat. Trotzdem ist man als Vater natürlich ständig in Sorge um seine Kinder“, stimmte ihm der Ritter zu.
Der Elf schwieg einen Moment, bevor er damit begann, etwas mehr in die Tiefe zu bohren. „Ich spüre, dass das noch nicht alles ist, was dir den Schlaf raubt.“
Ritter Knut von Tronte war dieses Thema unangenehm, denn er hatte den Eindruck, von dem König ausgefragt zu werden. Daher hielt er sich mit seinen Antworten zurück. Der weise Elf bemerkte das unbehagliche Gefühl bei seinem Gegenüber und kam auf Adalbert zurück.
„Von deinem Sohn habe ich schon viel über dich und deine Beziehung zu ihm erfahren. Wenngleich ich die Drachenjagd aus meinem tiefsten Inneren verabscheue – entschuldige an dieser Stelle bitte meine schroffen und direkten Worte – hat es mich doch sehr gefreut, dass ihr so viel gemeinsam unternommen habt. Ich kann mir vorstellen, dass dir dein Sohn in den vergangenen Tagen sehr gefehlt hat.“
„Was heißt hier gefehlt? Ich habe mir nur Gedanken darüber gemacht, wo sich der Bengel die ganze Zeit über herumtreibt“, antwortete Knut von Tronte mit einem Unterton in der Stimme, der dem Elfen zeigte, dass er richtig vermutet hatte. Der stolze Ritter wollte nur nicht den Eindruck erwecken, dass er einen weichen, vielleicht sogar sentimentalen Kern unter seiner sonst so harten Schale hätte.
„Ich habe Adalbert bereits nach so kurzer Zeit tief in mein Herz geschlossen. Außerdem bin auch ich glücklicher Vater einer bezaubernden Tochter, die mich mühelos um ihren kleinen Finger zu wickeln versteht.“
Von Tronte sah dem erfahrenen König tief in die Augen und musste dann bei dem Gedanken schmunzeln, dass die liebliche Marilljah ihren stolzen Vater, der stets so unglaublich überlegen wirkte, mit ihren wunderschönen Mandelaugen umgarnte, bis dieser endlich schwach wurde.
„Wir Väter sind eben auch nur Elfen, beziehungsweise Menschen. Daher kann ich mich recht gut in deine Lage versetzen. Ich weiß, was in deinem Inneren vorgegangen sein muss, als du deinen Sohn nicht mehr auf eurem Hof angetroffen hast und auch noch erfahren musstest, dass Adalbert ausgerechnet mit fremden Elfen, Zwergen und gar Drachen unterwegs sei, zu denen du bis dahin noch nie Kontakt hattest und die du damals als deine Feinde betrachtet hast.“
Das zustimmende Nicken des mächtigen Ritters signalisierte Erithjull, dass er mit seiner Äußerung direkt ins Schwarze getroffen hatte.
„Warum habe ich mein bisheriges Leben nur damit verschwendet, Drachen zu jagen und zu erlegen? Warum habe ich mich nicht schon viel früher mit den anderen Völkern des Drachenlandes beschäftigt? Dann hätte ich bestimmt nicht so viel Schuld auf mich geladen. Den ehrenvollen Stand eines Ritters, der sich stets für das Wohl der Schwächeren einsetzen sollte, habe ich gar nicht verdient“, klangen die nachdenklichen Worte des einst so stolzen Mannes.
„Lieber Knut von Tronte, es liegt in der Natur eines jeden Individuums, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Menschen, einen Zwerg, einen Troll oder einen Elfen handelt, immer zuerst an sich und sein eigenes Volk zu denken. Dafür ist unser Selbsterhaltungstrieb verantwortlich, ohne den wir nicht in der Lage wären, Familien zu gründen, für diese zu sorgen und sie selbst mit unserem Leben zu verteidigen.
Auch in meinem Volk gibt es viele Elfen, die sich sicherlich noch nie mit den anderen Völkern beschäftigt hätten, wenn sie dieses Wissen nicht durch unsere Schulen vermittelt bekommen hätten. Unter diesem Aspekt betrachten wir auch deine bisherigen Taten. Da du jetzt aber auf dem besten Weg bist, etwas weiter über deinen Horizont hinauszublicken, wird sich dein bisheriges Leben grundsätzlich verändern. Deine Entscheidungen von morgen werden nicht mehr die deiner Vergangenheit sein.
Natürlich dienten deine bisherigen Taten eher der Befriedigung deiner eigenen Rachsucht gegen die Drachen, die ja durch den Verlust deiner geliebten Frau bis zu einem gewissen Maße nachvollziehbar ist, als dem Wohl unserer geliebten Heimat. Aber trotzdem solltest du dir vor Augen halten, dass du damit auch eine entschlossene Tatkraft und einen bewundernswerten Mut bewiesen hast. Es gibt nicht viele, die so beherzt sind, sich einem ausgewachsenen, feuerspeienden Drachen entgegenzustellen. Außerdem warst du es, der nicht nur deinen Sohn, sondern auch Merthurillh vor seinem Bruder gerettet hat. Hättest du nicht so viel Erfahrung im Kampf gegen die Drachen sammeln können, wärst du nicht in der Lage gewesen, einem Drachen das Leben zu retten. Welch seltsame Ironie.“
„Eigentlich wollte ich nur meinen Sohn retten“, gestand der Ritter.
„Ich weiß, aber das Ergebnis ist es, das zählt. Hättest du Furtrillorrh mit deinem Katapultspeer nicht so schwer verletzt, dann hätte es schlimm für alle Beteiligten ausgehen können. Deine Erfahrung hat alle gerettet. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung, so denken viele, auch der ehrwürdige Drachenrat. Behalte deinen ehrenvollen Rang als Ritter, denn mit deinen heutigen Taten und denen, die morgen folgen werden, machst du dem erhabenen Ritterstand wirklich große Ehre.“
Der Elfenkönig konnte in den strahlenden Augen des Ritters erkennen, welch positive Wirkung seine Worte auf Knut von Tronte hatten. Er klopfte Adalberts Vater freundschaftlich auf die Schulter und lud ihn ein, mit ihm das Morgenmahl einzunehmen.
Kapitel 8
Geänderte Pläne
Die ersten Worte, die Merthurillh sprach, als er endlich aus seinem erholsamen Heilschlaf erwachte, zeigten seine Besorgnis um seine beiden Söhne, den Drachen Allturith und seinen Adoptivsohn Adalbert.
„Adalbert geht es bestens“, beruhigte ihn die Heilerin Sintarillh. „Und solange es ihm gut geht, ruht auch die Seele unseres geliebten Freundes Allturith in Geborgenheit“, ergänzte sie mit einem traurigen Unterton.
„Wir vermissen ihn beide sehr“, erwiderte Merthurillh und rieb tröstend seinen mächtigen Kopf an ihrer Wange. Er wusste nur zu gut, wie eng die Bande der Freundschaft zwischen seinem Sohn Allturith und dieser Drachin waren. Seine Frau, die Kämpferin Zaralljah, vermutete sogar, dass die beiden heimlich ein Liebespaar gewesen waren, bevor Allturith starb.
„Gemeinsam mit Jordill und Tork ist Adalbert jetzt im Eisgebirge auf der Suche nach der Lorhdrachin Murwirtha“, wich Sintarillh vom Thema ab, bevor ihre Erinnerungen an den silbernen Drachen zu schmerzhaft wurden.
„Warum sind sie denn ohne mich aufgebrochen?“, fragte Merthurillh leicht enttäuscht.
„Weil du seit einigen Tagen im Heilschlaf lagst und erst in diesem Moment erwacht bist, lieber Freund. Nun freut sich mein Vater darauf, dich wieder im Rat zu begrüßen.“
Anschließend erzählte Sintarillh in kurzen Worten, was in den letzten Tagen geschehen war und welche Entscheidungen der Rat bereits getroffen hatte, ohne jedoch zu ausführlich zu werden, um ihrem Vater, dem Lorhdrachen Okoriath, nicht zu sehr vorwegzugreifen.
„Meine liebliche Sintarillh, ich bemerke, dass ich dir vor lauter Hunger kaum noch zuhören kann. Wenn ich vor deinen Vater trete, soll das nicht mit leerem Magen geschehen. Daher werde ich schnell zur Weide von Biggis Eltern hinüberfliegen und mich erst einmal richtig satt essen.“
„Aber denke daran, dass du deinen Appetit etwas kontrollierst, sonst verfällst du gleich wieder in einen mehrtägigen Verdauungsschlaf. Geschlafen hast du nun wirklich genug“, mahnte Sintarillh ihn mit einem frechen Grinsen.
„Keine Sorge, meine Heilerin, ich werde mir nur einen kleinen Appetithappen von der Weide holen. Außerdem kann ich dabei prüfen, wie gut meine Flügel genesen sind.“
Der goldene Drache drehte sich in Richtung der Höhlenöffnung und stürzte sich im nächsten Augenblick mit einem lauten Freudenschrei in die Tiefe.
***
Der Rat war an diesem Tag nur lückenhaft besetzt, denn die beiden Elfenkönige Trillahturth und Erithjull, der knurrige Zwerg Kronglogg und Adalbert, der sich seinen Platz zur Linken Merthurillhs redlich verdient hatte, waren mit wichtigen Aufgaben im Drachenland unterwegs. Außerdem klaffte noch die deutliche Lücke zwischen dem ersten Ratsritter Merthurillh und der Vertreterin des Hochgebirges, Lady Zaralljah. Diese Ratsloge, die in früheren Zeiten dem Vertreter der Drachen aus der ehemaligen Gemarkung des fernen Ostlandes zugestanden hatte, verdeutlichte besonders nachhaltig die Trennung und die daraus resultierende Spannung, die drohend über dem Drachenland lag.
Seit den dunklen Zeiten des schwarzen Druiden Rettfill, der einst das ganze Drachenland in Angst und Schrecken versetzt hatte, um es dann anschließend in einen fürchterlichen Krieg zu stürzen, wurden keine Abgesandten aus dem Ostland mehr in den Rat geschickt. In diesem Krieg war es in vielen Schlachten zu unzähligen Opfern auf allen Seiten gekommen.
Natürlich sah auch Rettfills Nachfolger, der hinterlistige und bösartige Druide Snordas, keinerlei Veranlassung dazu, mit dieser traurigen Tradition der Spaltung des Drachenlandes zu brechen und einen Gesandten zum Drachenrat zu beordern. Wen hätte er auch dorthin schicken sollen? Etwa einen dieser fürchterlich verstümmelten Feuerköpfe, die allein durch den Anblick ihrer scheußlich versengten Drachenschädel bereits Schrecken selbst über hartgesottene Krieger verbreiteten?
Nein, dieser Druide sah keinerlei Veranlassung, sich mit einem Abgesandten dem Drachenrat anzuschließen, der sich, ganz im Gegenteil zu seinen eigenen Plänen, dem Wohl des ganzen Landes verpflichtet hatte. Snordas hatte seine eigenen Pläne für die Zukunft und diese waren düster und böse.






