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Natalie Saracco
Eine Filmemacherin verliebt sich in Christus
Vorwort von Marie-Noëlle Tranchant

Originaltitel: Pour ses beaux yeux
Road Movie d’une cinéaste amoureuse du Christ
© Éditions Salvator, Paris 2016
© Foto Umschlag: Sipa Press/Salvator
ZURÜCK AUS DEM JENSEITS
Eine Filmemacherin verliebt sich in Christus
Natalie Saracco
Übersetzung: Ingrid Schaffer, Gisela Geirhos
© Media Maria Verlag, Illertissen 2020
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-9479317-0-5
www.media-maria.de
Für Gott, der die Liebe ist
Dank
Ein herzliches Dankeschön gilt meiner lieben Mama, die mich immer mit ihren Gebeten und ihrer Liebe unterstützt hat, meinen lieben Herausgebern, Yves Briend und Michel Cool, Jean-Jacques Vannier und dem netten ganzen Team von Salvator.
Inhalt
Vorwort
Ein Vorgeschmack
Die Entstehung des Films La Mante Religieuse
Der Unfall
Die Begegnung
Rückblende: ein Jahr vor der Begegnung
Nach Sacré-Cœur
Verwirrend: Bischof Rey
Die Finesse des Heiligsten Herzens Jesu
Der unverzichtbare »kleine Graue«
Der Rambo des lieben Gottes
Rambo greift an, La Mante Religieuse bei Tisch
Ali Saracco und die 40 Co-Produzenten
Freude bei der Vorbereitung
Das Projekt wird realisiert!
Postproduktion
Das Baby La Mante Religieuse wird der Welt übergeben
Enger Terminplan für die Vorpremieren
Die Zukunft beginnt jetzt!
Göttlicher Bonus!
Die Früchte aus meiner Begegnung mit dem Heiligsten Herzen Jesu
Folge 1: Maria
Folge 2: Die Eucharistie
Folge 3: Glaube – Gebet – Hingabe – Demut
Folge 4: Das Gesetz und die Gebote
Folge 5: »Der verlorene Sohn«, die Kernbotschaft des Evangeliums
Folge 6: Überblendung: abhängig von der Barmherzigkeit
Folge 7: Die heikle Kunst des Verzeihens
Ausgewählt!
Schlussklappe »Sehnsucht«
Vorwort
Man muss sie so nehmen, wie sie ist. Es hat keinen Sinn, eine ihrer rebellischen Locken bändigen zu wollen, wie eine fürsorgliche Mutter das manchmal versucht. Gleich wird sie die ganze lockige Wuschelmähne beim nächsten Lachen wieder schütteln. Es wäre aussichtslos, ihren Schwung bremsen und ihren Wortfluss bändigen zu wollen. Genauso gut könnte man kleine Steinchen auslegen, um damit einen Sturzbach aufzuhalten. Bei Natalie Saracco ist nichts Lebensfremdes zu finden, weder in ihrem Temperament noch in ihrer Lebensgeschichte. Sie ist sehr fröhlich und impulsiv, auch wenn gefährliche Schlenker auf ihrem Weg auftreten, und sie besitzt eine überwältigende Einfühlsamkeit und einen unerschütterlichen Glauben.
Eines Tages wird dieses hübsche, mit den Hufen scharrende und tänzelnde Fohlen – sie voraus und alle anderen hinterher – mit dem Brandzeichen des königlichen Siegels gekennzeichnet sein. Ihre Sprünge werden nie mehr dieselben sein – sondern viel schöner. Sie weiß, zu wem sie gehört. Sie erzählt davon, einfach und verblüffend. Ein tödlicher Unfall bei einer Autofahrt, die sie zusammen mit einer Freundin unternommen hatte. Durch eine innere Blutung schwand das Leben ganz langsam aus ihr. »Lebendig seinem eigenen Tod beizuwohnen und dabei um sich selbst zu trauern, ist nicht einfach. Ich habe es akzeptiert, habe losgelassen und bin ins Jenseits gegangen.«
Kein Tunnel mit einem Ausgang ins Licht, kein Erleben eines Wohlgefühls. Es handelt sich nicht um eine Nahtoderfahrung, wie sie viele beschrieben haben, sondern um eine Begegnung mit Jesus, mit dem Heiligsten Herzen Jesu, und mit seinen Tränen. »Herr, warum weinst du?« – »Ich weine, weil mein Herz sich in brennender Liebe zu euch allen verströmt, und im Austausch erhalte ich nur Kälte, Verachtung und Gleichgültigkeit.«
Natalie Saracco ist das geliebte Kind, das die Tränen des Erlösers als Geschenk erhalten hat. Dieses Geschenk gibt sie an alle weiter, die danach hungern, ohne dass es ihnen bewusst ist, an alle, die das Wort nicht gehört haben, das unser Sein begründet und uns wieder aufrichtet: »Du bist für mich kostbar.« Deshalb hat sie den Film La Mante Religieuse1 gedreht hat und aus diesem Grund wird sie einen neuen Film über Jesus drehen. Und deshalb hat sie ihre Geschichte niedergeschrieben, die mit ihrem Unfall beginnt und über den Filmstart bis zur Fertigstellung von La Mante Religieuse reicht. Sie hat Berge versetzt und versetzt noch immer welche, »weil er [Jesus] so schöne Augen hat«.
»Ich bin nicht da, um zu gefallen, noch weniger, um zu überzeugen, sondern um Zeugnis abzulegen von meiner Begegnung mit dem Heiligsten Herzen Jesu, das mein Leben von Grund auf verändert hat.« Wer sie kennt, weiß, welch eine innig Liebende sie ist. Es gibt keine Lüge in ihrem Herzen und in dem, was sie geschrieben hat. Durch ihre Liebe zu Christus ist sie weder übervorsichtig geworden noch verkrampft. Durch ihre Worte klingt ihre raue Stimme, ihr prickelndes Lachen, ihre kämpferische Begeisterung, ihr Pariser Jargon durch. Das macht ihren echten Stil aus. Nehmen Sie zum Beispiel ihre Worte im Unfallauto: »Wir waren allein, abgeschnitten vom Rest der Welt, Auge in Auge mit dem Tod, der sich aufdringlich an uns heranmachte.« Man meint, man wäre in einem Krimi mit viel schwarzem Humor. Sie hat einen natürlichen Sinn für das Malerische, für Spannung und für unerwartete Wendungen, die zusammen eine fesselnde Erzählung ergeben. Gefallen will sie nicht unbedingt, aber sie schenkt uns obendrein ein Lesevergnügen, um uns zum Herzen, zum Herzen Jesu hinzuziehen.
Ihre Spritzigkeit und Komik verdecken aber nie die geheimen Regungen ihrer Seele. Den anderen gegenüber zeigt sie eine zärtliche und sensible Großzügigkeit, sich selbst gegenüber einen kindlichen Ernst, rein und streng, der beim winzigsten Detail darauf achtet, ob es dem Vielgeliebten gefallen oder missfallen könnte. Es ist unendlich kostbar, wenn man entdecken darf, wie eine Filmemacherin des 21. Jahrhunderts sich Sorgen macht, ob sie zur Kommunion gehen kann, wonach sie sich sehr sehnt, obwohl sie mit großer Verspätung zur Messe gekommen ist. Wenn sie diese Gewissensbisse mit einer solchen Einfachheit und Genauigkeit offen darlegt, dann fordert sie damit den Spott derer heraus, die sich keine Gedanken machen, träge sind und sich mit wenigem zufriedengeben. Aber einen so hohen Anspruch stellt sie nur an sich selbst, sie verpflichtet niemand anderen dazu. Sie benennt ihn, weil sie ihn lebt. Sie lebt ihn, weil sie das Herz Jesu gesehen hat. Nicht zum Lachen habe ich dich geliebt. Ihr Zeugnis zieht uns hinein in diesen Ernst der Liebe, diese Dringlichkeit, sich retten zu lassen. Dies möchte sie unbedingt und mit brennendem Herzen weitergeben.
»Man muss in einem Ausnahmezustand leben … Keine Minute ist zu verlieren.«
1Mante religieuse ist ein Begriff aus der Biologie und bedeutet »Gottesanbeterin« (lat. mantis religiosa). Der Titel des Films spielt auf diese Fangschrecke an, die mit ihren angewinkelten Fangbeinen wie in einer Gebetshaltung aussieht (daher der Name »Gottesanbeterin), sich also auf diese Weise tarnt und verstellt, damit aber zugleich auch für ihre Beute gefährlich ist, weil sie mit ihren Fangbeinen blitzschnell zuschlagen kann (Anm. d. V.).
Ein Vorgeschmack
Haben Autos »ein musikalisches Gehör«?
An diesem Tag spielte sich auf den Champs-Élysées ein fröhliches Hupkonzert ab, wie es eben bei den Pariser Verkehrsstaus üblich ist. Wie bei einer gut aufgeführten Symphonie antworteten die Autofahrer mit Achtelnoten, Sechzehntelnoten und manchmal stimmten sie sogar selbst ein, je nach dem Vermögen ihres mächtigen »Kastens«, nicht dem ihrer Autos, sondern dem ihrer Brust und ihrer Stimmbänder. Getragen von der elektrisierenden Pariser Brise hallte dieses Hupkonzert der Autos im Stimmengewirr einer Menschenmenge wider, die vor einem Kino versammelt war. Vom breiten Bürgersteig war nichts mehr zu sehen. Er war überfüllt mit Menschen, die ungeduldig darauf warteten, ihre Tickets zu bekommen.
An diesem 2. Juni 2014 fand die Vorpremiere eines kleinen Films statt, über den schon viel geschrieben worden war: La Mante Religieuse. Dieser Film, der niemals hätte das Licht der Welt erblicken sollen, wurde nun doch plötzlich in der Arena eines dunklen Kinosaals aufgeführt und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Entstehung des Films La Mante Religieuse
Rückblende
An einem schönen Nachmittag im Juli setzen sich zwei junge Frauen in ihr Auto, lassen Paris hinter sich und nehmen die Autobahn in Richtung Normandie. Eine der Frauen ist Filmemacherin und hat gerade einen berühmten Filmproduzenten getroffen, der bereit ist, ihren Film zu produzieren. Die junge Frau schwebt im siebten Himmel! »Nach all den Jahren, in denen ich geschuftet habe«, freut sie sich, »werde ich endlich meinen Kindheitstraum verwirklichen können: meinen ersten großen Kinofilm inszenieren!«
Eine der beiden glaubt an Gott, die andere nicht. Obwohl sie vollkommen unterschiedlich sind, verbindet diese beiden Komplizinnen eine echte Freundschaft. Sie gehören zu dem Schwarm von Menschen, die früher in Paris gewohnt haben, nun aber »die Kühe der Normandie« gegen die »die Wölfe von Paris« ausgetauscht haben.
Beide freuen sich darüber, dass sie jetzt beisammen sind und ihre Ideen austauschen und gemeinsam über diese Welt philosophieren können, die immer schwieriger zu verstehen ist. Die gläubige Filmemacherin lässt bei einem solchen Tête-à-Tête niemals die Gelegenheit aus, der Ungläubigen von Gott zu erzählen. »Sie mit Religion zu nerven«, würde die andere verbessern. Eine Stunde Fahrt im geschlossenen Wagen war eine Gelegenheit, die man auf keinen Fall verpassen durfte. Ihre arme Freundin, die am Steuer saß, fühlte sich dem Martyrium nahe, und da sie es nicht mehr aushielt, wechselte sie vom Zustand der Ungläubigkeit in den einer überzeugten Atheistin.
»Weißt du, meine Liebe, wir sind nur vorübergehend auf der Erde«, warf die Filmemacherin plötzlich ein.
Ihre Freundin runzelte die Stirn. Solche Redewendungen kannte sie nur zu gut, da sie eine lange Erklärung über Glauben und die Dringlichkeit der Umkehr ankündigten. Sie musste schnellstens reagieren, um den Wortschwall zu stoppen, den ihre begeisterte Mitfahrerin über sie ergießen würde.
»Bitte, lass mich damit in Frieden. Du hast gute Neuigkeiten, du wirst endlich deinen Film drehen können, also please … Mit deinem Gott verdirbst du die Stimmung! Offen gestanden, es ist nicht leicht mit dir.«
Die Filmemacherin schwieg drei Sekunden lang, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen.
Wenn Frauen schon üblicherweise wissen, wie ein Gespräch fortgeführt werden soll, dann Filmemacherinnen erst recht – und ganz besonders diese hier.
»Dich in Frieden lassen? Kommt gar nicht infrage!«
Plötzlich begann ihre Freundin, an Reinkarnation zu glauben, da sie überzeugt war, dass sie in ihrem vorherigen Leben ein schreckliches Weibsbild gewesen sein musste, wenn sie jetzt eine solche Begleiterin verdient hatte.
»Der Sinn des Lebens, das ist Gott«, fuhr die von ihm Begeisterte unerschütterlich fort. »Alles andere ist nur eine Illusion, die uns vom Wesentlichen abhalten möchte, von IHM.«
»O. k.! O. k.! Ich werde darüber nachdenken, aber ein anderes Mal«, erwiderte die leidgeprüfte Atheistin und hoffte, dass dieser kleine Ansatz ihres offensichtlich guten Willens die nach Gott Hungernde beruhigen würde.
»Ein andermal ist es vielleicht zu spät.«
Die Fahrerin drückte aufs Gaspedal, um einen nicht enden wollenden Lkw mit Anhänger zu überholen.
»Wer sagt dir, dass nicht heute der letzte Tag deines Lebens ist?«, entfuhr es der »prophetischen Filmemacherin« wie ein Orakel.
Im selben Augenblick – wie eine taktlose Antwort auf die Frage – machte der Zehntonner einen schlechten Scherz, rammte ein Auto und schleuderte es mitten auf ihre Windschutzscheibe. Wie ein wildes Tier, das von nirgendwoher gesprungen kam, warf sich der Kombi Marke »Todesreiter« mit ausgefahrenen Krallen und seiner ganzen Karosserie auf die beiden Schwatzbasen. Ein Tsunami von Stößen, einer heftiger als der andere, warf ihr Auto an die Leitplanke auf der linken Seite, auf der man besser nicht stehen bleiben sollte. Die beiden jungen Frauen waren in ihrer Blechkiste eingeklemmt, Gefangene des Ungeplanten. Heute hatte die gemütliche Autobahn in Richtung Normandie für sie das Aussehen einer Leichenhalle angenommen.
Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam! (Mk 13,35–37).
Der Unfall
Die Dinge des Lebens. Was für ein herrlicher Film! Ich erinnere mich, ihn als Kind gesehen zu haben. Er hat mich besonders beeindruckt! Romy Schneider und Michel Piccoli, davongetragen vom Wirbelsturm des Lebens. Sie sind schön, jung und stark und scheinen unsterblich zu sein.
»Unsterblich?« Welche leichtfertige Einstellung bringt uns eigentlich zu der Ansicht, Unfälle, Krankheit und Tod gebe es immer nur bei den anderen? Man fühlt sich stark, man glaubt, nichts könne einen erschüttern, bis zu dem Tag, an dem … Genau wie in dem Film von Sautet oder auch in dem Gedicht von Prévert, Das Lied im Blut: »Ein Mann ist da mit seinem ganzen Blut in ihm, und plötzlich ist er tot und all sein Blut ist draußen.«
Ich erinnere mich, wie ich an diesem Tag aus dem Meeting kam, mich von diesem wunderbaren Produzenten verabschiedete und auf einer Straße dahinflog, die ganz und gar mit Glück gepflastert war. Endlich sollte ich meinen ersten Spielfilm drehen können. Nichts konnte sich mir mehr in den Weg stellen. Nichts außer diesem verflixten Lastwagen!
O vergänglicher Glanz, Kürze des Lebens …
Der Apostel Jakobus vergleicht in seinem Brief unser Leben mit einem Rauch … den man eine Weile sieht; dann verschwindet er. Letztlich vergisst man das.
Ich höre noch, wie meine liebe, gute Freundin zu mir sagt: »Wir kaufen eine Flasche Champagner und stoßen mit deiner Familie an!«
»Eine Flasche pro Person!«, habe ich übermütig gekontert.
Pläne, Leben, Lebenslust, ein gut gefüllter Terminkalender und dann plötzlich – zack! Alles bleibt stehen. Der Tod fragt uns nicht, ob wir noch warten möchten.
Solche Autounfälle sind eigenartig: Alles geht sehr schnell und ereignet sich gleichzeitig im Zeitlupentempo. Die Geräusche verschwinden, als wollten sie uns von den Lebenden abschirmen und uns in eine flauschige, mit Watte gepolsterte Blase eintauchen, eine Art Filter zwischen zwei Welten.
Bei dieser Art von Erfahrung sieht man die Dinge schlagartig aus einem anderen Blickwinkel.
Das Erste, was meine stürmische und stolze Atheistin sofort nach dem Unfall zu mir sagte, klingt noch in meinen Gedanken nach. Im Auto eingeklemmt und vom Schock benommen hatte diese tapfere Lucy den Mumm, mich zu bitten, zu Gott zu beten und ihn um Hilfe zu rufen! Es stimmt, manchmal setzt Gott alles dran, um uns aufzuwecken. Auf jeden Fall hat er das mit uns getan. Mit mir. Obwohl ich damals schon gläubig war. Ich war eine praktizierende Katholikin. Ich »praktizierte« tatsächlich in weichen Pantoffeln und mit den Sicherheiten, die eine Religion gibt.
Wir waren ziemlich lange im Inneren des Autos eingeklemmt oder vielmehr in dem, was von diesem Auto noch übrig war. Die Feuerwehrleute, die normalerweise sehr schnell sind, trafen erst nach einer Stunde ein. Das war Zeit genug, um unsere mit Angst erfüllten Seelen einzutauchen in eine Seelenqual, deren wir uns bewusst wurden. Wir waren allein, abgeschnitten vom Rest der Welt, Auge in Auge mit dem Tod, der sich aufdringlich an uns heranmachte.
Lucy und ich erlebten den Unfall nicht auf die gleiche Weise. Als Fahrerin hatte sie den Aufprall kommen sehen und sich am Steuer festgeklammert. Ich dagegen hatte mich ihr zugewendet und war nur von dem Wunsch erfüllt gewesen, ihr Interesse für Gott zu wecken. Dreimal hintereinander wurde ich nach vorn geschleudert, mit dem Gesicht bis auf wenige Zentimeter vor die Windschutzscheibe. Die Tatsache, dass die alte Kiste, die ihr als Auto diente, überhaupt noch fuhr, grenzte schon an ein Wunder, wenn es außerdem noch Airbags gegeben hätte, wäre das zauberhaft gewesen! Aber Gott sei Dank funktionierten die Sicherheitsgurte noch. Wenn ein Sicherheitsgurt allerdings bei 130 Stundenkilometern blockiert, kann das Verletzungen verursachen, und sie tun sehr weh. Ein Feuerwehrmann hat mir verraten, dass die Heftigkeit durch das bei einer solchen Geschwindigkeit blockierte Gurtband dem Schlag eines professionellen Boxers entspricht. Im Klartext war es so, als ob Mike Tyson über die ganze Länge des Sicherheitsgurtes zugeschlagen hätte! Ich hatte schreckliche Schmerzen, bekam kaum Luft und konnte nur schwer atmen. Plötzlich begann ich, Blut zu spucken. Ein bisschen, viel, sehr heftig. Da ich die Medizin schon mit der Muttermilch eingesogen hatte, mein Vater war Allgemeinarzt und meine Mutter Krankenschwester, habe ich für mich eine Diagnose gestellt: innere Blutungen. Alles passte zusammen! Der Sicherheitsgurt hatte mich zwar zurückgehalten, mir aber dabei einige Rippen gebrochen, was erklärte, warum ich nur schwer atmen konnte. Und die Rippen hatten mir einfach die Lunge durchbohrt, daher das Blut, das ich spuckte. Ich erinnere mich übrigens an das hilfsbereite Eingreifen zweier Krankenschwestern in Zivil, die am Seitenstreifen der Autobahn angehalten hatten, um uns beizustehen und uns zu beruhigen, doch was mich betrifft, so wollte ich alles, nur nicht beruhigt werden. Ich wollte die Wahrheit wissen. Mit der mir eigenen Offenheit fragte ich sie direkt, ob sie nicht glaubten, dass ich eine innere Blutung hätte. Die eine drehte verlegen den Kopf weg, die andere antwortete: »Ja.« Sie fügte noch hinzu, wenn die Rettungskräfte kämen, sollte ich ihnen das als Erstes sagen.
»Innere Blutungen …« Ich wusste nicht, dass diese beiden Wörter so enorm wehtun können. Eine Guillotine in Worten. Ich habe immer noch ihren bitteren Geschmack im Mund.
Immer noch vor der Ankunft der Rettungskräfte rief ich meine Eltern an, um ihnen zu sagen, dass Lucy und ich einen kleinen Zusammenstoß gehabt hätten, nichts Schlimmes, und dass wir später als geplant kommen würden. Mit meinem Vater sprach ich vertraulich und erzählte ihm alles. Er bestätigte meine Vermutung, dass es sich um eine innere Blutung handelte, und er wies besonders darauf hin, dass die Zeit dränge und dass bei solchen Verletzungen innerhalb von zwei Stunden operiert werden müsse. Der einzige Haken: Es war schon mehr als eine Stunde her, seit der Unfall passiert war, und wir waren immer noch in dem Autowrack eingeklemmt. Ich nahm ihm das Versprechen ab, dass er meiner Mutter nichts davon erzählen sollte. Sie ist zu sensibel, zu sehr eine behütende Mutter … Bevor ich das Telefonat beendete, sagte ich zu meiner Mama: »Ich liebe dich.«
Die Begegnung
Die Scheinwerfer des Rettungsdienstes warfen ihr Licht auf unser Auto, das aufgeschnitten wurde, damit wir herausgezogen werden konnten: Lucy und ich waren die Schauspielerinnen in einer schlechten Comedy-Show, die uns das Leben spielte. Lucys Zustand gab keinen Anlass zur Sorge und deshalb wurde sie nach hinten geschoben. Von jetzt an waren die Scheinwerfer auf mich gerichtet und machten aus meiner armen Person die Heldin einer Szene, auf die ich gern verzichtet hätte. Die Rettungskräfte hatten mich dafür in einen »RoboCop«2 verwandelt, der mit einer Halskrause in einer Gipsschale verschwand! Mein kleiner schmerzender Körper musste unbedingt am Leben erhalten werden, jede Bewegung konnte zum Schlimmsten führen. Zur Krönung des Ganzen hatten sie mich mit einer Aluminiumdecke zugedeckt, was mich an die Schokoladentafeln erinnerte, die ich so gerne esse! Für die Experten dieses Dramas war es allerdings notwendig, mich warm zu halten.
»Natalie, Natalie! Bleib wach. Du darfst nicht einschlafen«, rief mir der Feuerwehrmann zu.
Aber trotz aller Bemühungen, mich am Leben zu erhalten, ging ich fort … Ruhig. Langsam … aber sicher.
Das Erste, das mir in den Sinn kam, ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen: »Du wirst deine Seele zurückgeben müssen und du hast nicht gebeichtet!« Einer praktizierenden Katholikin wie mir konnte nichts Schlimmeres passieren! Wie sollte ich in den Himmel kommen, wenn die Schwere und der Schmutz meiner Sünden mich daran hinderten? Welch ein Schrecken! Im gleichen Moment antwortete mir der Herr: Ich kenne die Absicht deines Herzens, beunruhige dich nicht. Genau in diesem Augenblick spürte ich, wie das Leben aus mir wich. Ein merkwürdiges Gefühl: Die Energie, die intensive Wärme in mir schwanden nach und nach, zuerst aus dem Kopf, wie bei einer mit Flüssigkeit gefüllten Plastikflasche, die ein Loch hat. Je mehr mich diese Wärme verließ, desto mehr erstarrte mein Körper wie kalter Marmor. Ich weiß nicht, wie lange das dauerte, aber es kam mir sehr lange vor. Lange genug, um die Situation zu analysieren und der Wahrheit ins Auge zu blicken: Ich war dabei zu sterben, und mein Sein erlosch nach und nach wie das Ende einer Wachskerze.
»Mein Gott, das ist nicht möglich, dass mir das passiert! Nicht jetzt, nicht so. Ich bin nicht bereit.«
Das Schmerzlichste in dieser Art Prüfung besteht darin, dass man nichts tun kann. Man kann nichts ändern, man kann nur alles ertragen, und das bei vollem Bewusstsein. Es gibt keine andere Möglichkeit, als loszulassen. Ich spuckte weiterhin Blut und hatte immer mehr Mühe mit dem Atmen. Mein Herz schlug, als wollte es alles zerschlagen und mir aus der Brust springen, um ein neues Leben außerhalb von mir zu beginnen, weil ich es verraten hatte! Und diese intensive Wärme verließ mich und sank hinab zu den Füßen, ohne dass ich sie aufhalten konnte, ohne dass ich meine Haut retten konnte! Lebendig seinem eigenen Tod beizuwohnen und dabei um sich selbst zu trauern, ist nicht einfach.
Ich habe es akzeptiert, habe losgelassen und bin ins Jenseits gegangen.
Ich weiß nicht, ob ich das Bewusstsein verloren habe oder ob mein Herz aufgehört hat zu schlagen, aber ich weiß sicher, dass ich mich plötzlich vor dem Heiligsten Herzen Jesu befand.
Und da war er, der Schock! Nicht, dich zu sehen, darauf war ich eingestellt, aber dich in einem so kläglichen Zustand zu sehen. Du, mein Erlöser, mein Vielgeliebter, der schreckliche Qualen leidet und vor mir heiße Tränen vergießt. Du, in einem weißen Gewand, der du mir dein Heiligstes Herz zeigst, das von einem Dornenkranz umschlungen ist, und dein vom Leiden entstelltes Gesicht.
Oh, mein Herr, deine Qual war so groß, dass mir deine Tränen wie ein ganzes Meer von Schmerzen erschienen, aller Schmerz war hier gebündelt! Du hast mir dein Herz gezeigt, das blutige Tränen weinte, deren Farbe leuchtend rot war. Es weinte und erlitt die gleichen Todesqualen wie du. Eure Tränen verschmolzen und gelangten in mein armes sündiges Herz. Eure Qualen waren so stark, unerträglich stark. Dein Schmerz, Herr, deine Qual war so grauenhaft, als ob du allein alles Leiden und alle Bitterkeit dieser Welt auf dich genommen hättest. Dieser Welt, die du so sehr geliebt hast, dieser Welt, die du so sehr liebst, dieser Welt, die dich so sehr ablehnt.