- -
- 100%
- +
Ein kaum merkliches Rauschen erfüllt die Luft. Das Schattenspiel der Wipfel auf dem Weg macht fröhlich.
So weicht der Wanderer vom Weg ab, setzt seinen Fuß in den federnden Nadelboden. Und läuft, der Weg hat es ihn zuvor gelehrt, geradewegs hinein in den schütteren Schatten der weit stehenden Bäume. Dort sind es keine hohen Fichten mehr; es wurden gedrungene, knorrige Bäume, weit auslandend, dicht an dicht.
Da ward er mit einemmal eines kleinen Männleins gewahr, das zwischen den Fichten erschien und mutterseelenallein dastand. Es hatte von lauter Purpur ein Mäntlein um ...
Und das soll ein Fliegenpilz sein? Noch dazu purpurfarben, was überhaupt nicht geht? Oder gar eine Hagebutte, wie es Kinderliederexperten behaupten? Nie und nimmer! Den Fliegenpilz jedenfalls hätte unser Wanderer schon am Waldrand antreffen müssen, spätestens zwischen den Birken und Randfichten. Und zwar in Gesellschaft weiterer Artgenossen, so gut wie niemals allein. Gleiches gilt auch für die Hagenbutte, die noch weniger einsam vorkommt und noch mehr Sonnenwärme braucht. Da gibt es ohnehin seit hundertfünfzig Jahre die Ungereimtheit, dass das Liedchen vom allein stehenden Männlein in den meisten Liederbüchern zwei Strophen, in wenigen anderen drei Strophen hat. In der zweiten trägt es ein „schwarz Käpplein“, und in der dritten, falls vorhanden, heißt es „Das Männlein dort auf einem Bein ... kann nur die Hagebutte sein“. Was hat sich der Herr Heinrich Hoffmann von Fallersleben da bloß ausgedacht? Ihm zur Ehrenrettung sei angemerkt, dass die dritte Strophe überhaupt nicht eines Meisters Werk sein dürfte. Weil sie weder in Versfuß, Versmaß, Silben- und Zeilenzahl noch im Reimmuster mit den ersten beiden Strophen übereinstimmt – und so mit der vorgegebenen Melodie nicht sangbar ist. Denkbar ist aber auch, dass Hoffmann von Fallersleben mit diesem „Rätsel“ seine Zeitgenossen verkohlen wollte.
So möge unser Pilzfreund weiter wandern und sich weiter wundern, was er denn da gesehen hat. Vielleicht wird ihm ein prominenter Ammenmärchenforscher Auskunft geben. Auf die Idee, es könnte sich in Wirklichkeit um einen entführten und laufen gelassenen Gartenzwerg handeln, der sich verirrt hat, ist leider noch niemand gekommen.
Wir aber wollen unser Landschaftsbild von der Heide nicht weiter mit mysteriösen Pinselstrichen überschmieren lassen und die Welt der Pilze mal aus einem anderen Blickwinkel einsehen.
Myzel + Fruchtkörper = Thallus = Pilz?
(Hellmut übersetzt Pilzwissenschaftliches)
„So sehr sich Amanita muscaria und Amanita regalis (in ihrem Erscheinungsbild) gleichen, sind es doch zwei verschiedene Arten. Unterscheidungsmerkmale sind in der Färbung der Oberhaut und der Trama, im Lamellenansatz, in Größe und Ausgestaltung der Hüte älterer Exemplare u.a. zu finden, nicht aber, wie sonst am zuverlässigsten, anhand der Sporen (beide oval, 9-11 / 6-9 μm) und des Spp. (beide weiß). Gemeinsamkeiten wie Velum universale, deutliche Knolle, Muskarin- und Ibutensäuregehalt u.a. teilen Amanita muscaria und Amanita regalis mit Amanita pantherina, deren sicherstes Bestimmungsmerkmal gegenüber den beiden ersteren jedoch differiert: Unter dem Mikroskop erkennen wir eiförmige, 10-12 / 7-8 μm große Sporen. Das hebt sie von Amanita excelsa, dem Grauen Wulstling, in erster Linie mit deren kurz-ovalen, 9-10 / 7-8 μm großen Sporen ab (neben einigen weniger sinnfälligen Charakteristika wie Kartoffellagergeruch, konzentrisch angeordnete Hüllreste, vielzählige Farbvarianten). Unter den Basidiomyceten ...“
Klingt gelehrt, dieser Auszug aus einem wissenschaftlichen Wälzer, nicht wahr? Er gibt beweisbare Fakten wieder, bringt der Pilzkundige seine Genugtuung zum Ausdruck, dem die Aussagen über religiöse Riten und Namen des Fliegenpilzes, seine Verehrung und Verwendung als „Glückspilz“ unnützes Geschwätz sind.
Das wissenschaftliche Buch ist auch absolut notwendig, fragt man beispielsweise danach, wie viel Arten Fliegenpilze es auf Grund der deutschen Bezeichnungen denn gibt: eine („Fliegenpilz“), zwei (dazu noch „Königsfliegenpilz“) oder gar vier (einschließlich „Roter Fliegenpilz“ und „Brauner Fliegenpilz“)? Die wissenschaftliche Beschreibung, Systematik und Bezeichnung geben u.a. exakt Auskunft, dass, wodurch und wie drei der vier Amaniti giftig sind usw. Dass es im Übrigen noch weitere Fliegenpilz-Formen gibt, so den Gelben Fliegenpilz, selten auch in unseren Breiten, und den Weißen im Süden, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Pilzwissenschaft arbeitet noch an der Klärung, ob es sich um Varietäten, Unterarten oder gar eine eigene Art handelt.
Doch wer von den Pilzfreunden und Hobbymykologen geht schon mit dem Mikroskop in der Tasche und dem Pilzwälzer in der Hand in den Wald? Lassen wir lieber das Banner der Entdeckerlust, des Augenschmauses und der Gaumenfreuden voran wehen. So erfreuen wir uns auch daran, dass uns ein wunderschöner roter Fliegenpilz entgegenleuchtet, dass wir oben im Gebirge seinen braunen Vetter und in der Kiefernebene den seltenen Pantherpilz entdeckt haben und dass wir für unser geplantes Waldpilzgericht endlich auch einen knackigen Grauen Wulstling ins Körbchen legen können. Klingt doch deutsch auch ganz nett, oder? Namen, die, um unserer Ironie die Spitze zu nehmen, auch jeder deutsche Pilzprofessor in seinen Bart brabbelt, wenn er im Wald auf der Pirsch ist.
Dass sich der Laie das eine oder andere Fremdwort des Fachmanns vorsetzen lassen muss, liegt in der Natur der Dinge, die eine tiefere menschliche Erkenntnis erst ermöglichen. Was aber, wenn ein verbaler Widerspruch so stark in uns verwurzelt ist, dass es erst einer besonderen Übereinkunft bedarf, damit sich die Leute reibungslos verständigen können? Wie in unserem Benennungsfall? Die Einen verstehen unter Pilz das, was man sehen, anfassen und essen kann – oder sein lassen sollte. Das sind wohl die meisten. Sie sagen zum Fruchtkörper Pilz. Doch der Fruchtkörper hat allein die Aufgabe, Sporen für die Vermehrung zu bilden und auszustreuen. Alle weiteren Aufgaben erfüllt der andere, meist unsichtbare faden- und fadenbündelförmige Teil des Pilzes im Boden, an der Baumrinde u.a. Dieses Myzel bildet zusammen mit seinem/seinen Fruchtkörper(n) den eigentlichen Pilz. Wir wollen ihn „Gesamtpilz“ nennen, um nicht noch weitere wissenschaftliche Bezeichnungen bemühen zu müssen. Damit sind wir – wie in der Praxis ohnehin – überein gekommen, mit dem Wort Pilz in erster Linie den Fruchtkörper zu meinen. Das schließt nicht aus, dass wir vom Augenhintergrund heraus immer auch auf das Myzel schielen.
Wir konzentrieren uns auf die heimischen Pilzarten mit Hut und Stiel. Und alle Pilze, die nicht mit irgendwie gestaltetem Hut und Stiel ausgestattet sind, darunter die winzig kleinen, lieben Hefepilze und der flächige böse Hausschwamm, wollen wir übergehen. Ob nun saprophytisch (organisches Material zersetzend), parasitisch (auf Kosten anderer Lebewesen existierend) oder symbiontisch als Mykorrhiza-Pilz lebend (der in friedlicher Eintracht mit einer Pflanze zu deren und seinem eigenen Nutzen wirkt) – die Lebensweise der Pilze wird nur dann eine Rolle für uns spielen, wenn sie entscheidend für die Fruchtkörperbildung ist.
Ein Kapitel aus der Mykologie verdient es, näher in Augenschein genommen zu werden, weil es aus den neueren Untersuchungen auch wirklich Neues bringt. Davon der folgende Bericht.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.