Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler

- -
- 100%
- +
„Vorneweg gesagt, es fand sich keine verwertbare DNA-Spur. Weder an der Leiche noch am Seil. Es handelt sich um ein 8 Millimeter starkes Polypropylenseil in der Farbe Blau mit schwarzem Kennfaden. Seine Länge beträgt 20 Meter. Es ist 16-fach geflochten. Die Bruchlast liegt bei 700 Kilogramm. Ein schlichtes Universalseil, lieber Ronny. Bekommst du in jedem gut sortierten Baumarkt. Es ist für den Einsatz im Freien geeignet. Beispielsweise im Garten, beim Camping und so weiter. Zum Spannen und Befestigen von Planen verwendet man es gerne. Aus persönlicher Erfahrung möchte ich anmerken, dass derlei Seil für diverse Belange ausgesprochen hilfreich ist. Ich sichere damit zum Beispiel Strauchschnitt auf meinem Anhänger, wenn ich zur Deponie fahre.“
„Nimmt man das Seil auch zum Segeln?“, fragt der Kriminalhauptkommissar. „Nein Ronny. Das nicht! Dazu benutzt man Segelboote!“
Auf einen Augenblick der Stille folgt schallendes Lachen! „Wer doof fragt, bekommt die passende Antwort!“, kichert Mittler und wischt Lachtränen aus dem Gesicht. „Jetzt im Ernst. Setzt man es beim Segelsport ein?“ „Davon ist auszugehen, behaupte ich, ohne es explizit zu wissen.“
Es klopft. „Herein!“, ruft Mittler. Lena Schösteen und Merle Jörgisdottir treten ein. „Moin!“, grüßen sie. „Moin!“, schallt es zweistimmig zurück. Lena setzt sich auf die Bettkante neben ihren Vorgesetzten. Merle zieht es auf die Fensterbank.
„Was gibt es Neues?“, erkundigt sich die Oberkommissarin. „Wir haben einen Mordfall!“, erklärt Gerichtsmediziner Meyer. Mittler nickt bestätigend. „Sieh an. Da hatte Chefchen wieder den richtigen Riecher!“, staunt Lena und denkt amüsiert an Merles Beispiel vom heiligen Spekulatius. „Vielleicht war Ronny in einem früheren Leben Spürhund?“, witzelt Merle. „Nö, eher Trüffelschwein!“, antwortet Meyer strohtrocken, womit er die Anwesenden zum Lachen bringt. Darauf folgend fasst der Pathologe für die Kommissarinnen seine Ergebnisse zusammen.
Lena Schösteen kommentiert das Gehörte: „Passt alles zu Ronnys Vermutungen. Er meinte doch, dass niemand ein derartiges Seil mit ins Krankenhaus bringt, um sich damit das Leben zu nehmen. Das sehe ich genauso. Dahinter stünde eine geplante Handlung. Die erkenne ich aufgrund der bisherigen Erkenntnisse nicht. Das Seil brachte jemand in der Absicht mit, einen Suizid vorzutäuschen. Hinzu kommt das Indiz mit dem verlorenen Hausschuh. Es deutet an, dass der Verstorbene nicht auf eigenen Füßen sein Zimmer verließ. Du bestätigst, dass er unter Betäubungsmitteleinfluss stand. Ich gehe davon aus, der Täter sedierte Thilo van der Leuwen, holte ihn aus dem Bett und hing ihn im Treppenhaus auf. Der Vorgang einen Bewusstlosen zu bewegen, ist beschwerlich. Man muss den Ohnmächtigen transportieren. Das ist anstrengend. Stellt euch vor, wie man ihn über das Treppengeländer hebt. Einen leblosen Körper von diesem Gewicht! Dennis Jakobs hätte die Kraft, es zu bewerkstelligen. Momentan ist er Hauptverdächtiger. Was nicht ins Bild passt, ist die Frage, wie verabreichte er Thilo Betäubungsmittel? Zugegeben, Dennis hat ein Motiv und kein wasserdichtes Alibi. Dennoch halte ich ihn für unschuldig! Er ist, wie das Opfer, Segelsportler und hätte sicher einen Seemannsknoten gemacht, um das Seil am Geländer zu befestigen. Das entlastet ihn. Außerdem überzeugt mich, was er über Zukunftspläne mit Carola erzählt. Ich glaube nicht an ihn als Täter. Wir müssen an anderer Stelle suchen.“
„Hörst du, wie analytisch Lena zusammenfasst und zweifelt, Albert?“, fragt Ronny Mittler seinen Freund. „Das hat sie bei mir gelernt!“ „Du alter Angeber!“, schimpft der Pathologe. „Mit Angabe hat es nichts zu tun! Man muss Gespür für den Täter entwickeln, um ihn zu überführen. Sie fällt nicht auf offensichtliche Fakten rein. Sie hinterfragt. Das ist, was ich den Kolleginnen vorlebe. Umso mehr erfreut bin ich, wenn solche Ergebnisse dabei herauskommen. Die Frage, die sich stellt, lautet: Was fängst du damit an, meine Liebe?“ Erwartungsvoll schaut Mittler die Kriminaloberkommissarin an.
„Ich knöpfe mir Schwester Friederike vor. Sie hatte Nachtdienst, entdeckte den Toten und meldete dir den Vorfall. Ich frage, warum bekam sie nicht mit, dass eine oder mehrere Personen Thilos Zimmer betraten? Er wurde betäubt. Man transportierte ihn. Hing ihn im Treppenhaus auf. All das ist ihr entgangen. Wieso? Das muss sie mir glaubhaft erklären.“, erläutert Lena.
„Prüft zeitnah die Aufnahmen der Überwachungskameras. Wer weiß, was sie offenbaren?“, erinnert Mittler.
„Was ist mit Thilos Clique?“, meldet sich Merle von der Fensterbank. „Ja? Was ist mit denen?“, erkundigt sich der Hauptkommissar. „Sollten wir sie nicht ebenfalls befragen?“ „Ja, das könnt ihr, obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, dass diese Leute nichts zur Lösung des Falls beitragen!“
Lena schlägt vor: „Wir bestellen die Personen zur Anhörung. Kümmerst du dich darum, Merle? Es sollen sich Kollegen zu ihrer Befragung bereithalten. Wir brauchen Unterstützung im Revier.“ „Gerne.“
„Prima. Dann schaue ich die DVD an. Sonst noch was?“
„Wer befragt die Patienten der Station, ob sie in der betreffenden Nacht etwas hörten oder sahen? Vielleicht bekam jemand was mit? Merle, übernimmst du das?“, fragt Mittler. „Geht klar. Ich lege gleich damit los, während Lena die kranke Schwester befragt.“, albert sie.
Friederike.
In der Mitte der Privatstation treffen zwei Gänge aufeinander. Einer führt zu den Aufzügen, der andere zum Treppenhaus. An dieser Schnittstelle befindet sich das Dienstzimmer, aus dessen Fenster man beide Flure überblickt. Lena sieht Oberschwester Kill und Schwester Friederike darin sitzen. Sie sind in ein Gespräch vertieft und bemerken nicht, wie sie zur Eingangstür geht. Daran klebt ein Schild:
PRIVATSTATION
Professor Dr. H. HARR
ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL!
Besucher am Fenster rechts um die Ecke melden.
Oberkommissarin Schösteen ignoriert die Aufforderung, klopft an und tritt ohne „Herein“ abzuwarten ein. Die Frauen drehen sich zu ihr um. Oberschwester Kill zeigt genervtes Augenrollen. Wie von der Tarantel gestochen springt sie auf, faucht feindselig: „Kein Zutritt! Melden sie sich am Fenster!“
Lena grüßt betont liebenswürdig: „Moin Frau Kill. Entschuldigen sie bitte die Störung! Ich bin Oberkommissarin Schösteen. Kriminalpolizei.“ Sie hält der Stationsleiterin den Dienstausweis vor die Nase.
„Ja und? Was für andere gilt, ist auch gut genug für sie. Melden sie sich am Fenster!“ Perle weist mit ausgestrecktem Zeigefinger darauf. „Frau Kill. Sie verstehen sicher, es muss nicht die ganze Station mitbekommen, was ich besprechen möchte.“
Oberschwester Ulrike zeigt sich dickfellig. Wild entschlossen, ihr Revier zu verteidigen, steht sie breitbeinig vor Lena. Verankert in einem Fundament aus Birkenstocksandalen ragen ihre speckigen Beine wie griechische Marmorsäulen aus dem Schwesternkittel. Es erweckt den Anschein, ihre Füße bilden in diesem Augenblick im Linoleumbelag des Fußbodens Wurzeln, um festen Stand zu garantieren. Mit verschränkten Armen verweigert Perle sich der Obrigkeit. Wie ein Türsteher vor dem Nachtclub schreit ihre ganze Erscheinung: „Du kommst hier nicht rein!“
„Ich möchte Schwester Friederike sprechen.“ „Das geht nicht!“ „Wie bitte?“ „Kommt nicht in Frage!“, keift Ulrike in einer Lautstärke, die selbst einem Patienten mit Knalltrauma zu laut wäre. „Weshalb nicht?“, erkundigt sich Lena liebenswürdig. „Die hat gleich Dienstbeginn.“ „Es dauert nicht lang.“ „Nein hab ich gesagt!“
Lenas Geduldsfaden spannt sich allmählich. Ihre Satzmelodie erhält eine aggressivere Färbung. „Nochmal zum Mitschreiben! Ich möchte ihre Kollegin sprechen!“ „Wir sind bei der Übergabe.“ „Ich warte.“ „Das können sie sich abschminken! Gehen sie.“ „Ich bin im Zuge einer Mordermittlung hier!“, erklärt Lena. „Mord?“ Perle lacht hysterisch. „Soll das ein Witz sein?“ „Zum Scherzen bin ich nicht aufgelegt, Frau Kill. Leider ist es die bittere Wahrheit!“ „Das wird ja immer doller!“ „Mord. So ein Quatsch! Das wüsste ich aber!“ Penetranzia stellt sich stur.
„Schwester Kill, ich fürchte, sie missverstehen die Situation.“ „Und sie verstehen nicht, dass wir Dienst am Menschen leisten und keine Zeit zum Polizeispielen haben! Also gehen sie endlich!“ Wiederholt zeigt sie gebieterisch zur Zimmertür. „Es reicht, Frau Kill! Sie behindern mich bei der Amtsausübung. Wollen sie ernste Schwierigkeiten? Die bereite ich ihnen schneller, wie sie ihren Namen aussprechen.“
Könnten Blicke töten! Lena läge längst auf dem Fußboden. Die kleinen Äugelein der Oberschwester gleichen glühenden Kohlen. Der Ausdruck im mittlerweile hochroten Mondgesicht spricht Bände. Hausdrache Kill ist kurz davor Feuer zu spucken. Vor Wut schäumend drängt sie sich an Oberkommissarin Schösteen vorbei. Sie räumt das Feld. Bevor die Tür ins Schloss knallt, zischt sie: „Du weißt, was du zu tun hast, Friederike!“
„Darf ich mich setzten?“, fragt Lena. Schwester Friederike rollt wortlos einen Bürostuhl zu ihr. Die Oberkommissarin zieht ein MP3-Aufnahmegerät aus der Jackentasche. „Ich stelle ihnen Fragen, Schwester Friederike. Sind sie einverstanden, dass ich das Gespräch aufnehme?“ „Muss das sein?“, wispert sie im Flüsterton. „Ich lade sie gerne aufs Revier vor, wo wir die Unterredung protokollieren. Was ist ihnen lieber?“ „Besser hier.“, haucht sie. „Gut. Beginnen wir.“
Lena schaltet das Aufnahmegerät an und leitet die Befragung mit einer scheinbar banalen Feststellung ein. Sie zeigt zum Fenster: „Ein hervorragender Ausblick. Beide Flure sehen sie ungehindert ein!“ „Ja.“
Nickend bestätigt Friederike das Gesagte und schaut hinaus. In diesem Moment tritt Merle aus einem Zimmer im Gang zu den Aufzügen. Sie winkt Lena zu. Daraufhin klopft sie an die gegenüberliegende Zimmertür, um nach kurzem Warten einzutreten.
„Was macht ihre Kollegin da?“, erkundigt sich Friederike. „Sie besucht Patienten. Stellt ihnen Fragen.“ „Darf sie das? Ich meine ..., wer hat das erlaubt?“ „Polizeiarbeit. Das geht in Ordnung. Machen sie sich darum keinen Kopf.“ Friederike wirkt verunsichert.
„Erklären sie, wieso sie trotz dieser exzellenten Aussicht nicht mitbekamen, wie Thilo van der Leuwen sein Zimmer verließ, um im Treppenhaus Suizid zu begehen?“ „Ich, ... ich, ... ich habe null Ahnung!“ „Das wundert mich! Wo sie doch im Nachtdienst die Verantwortung tragen.“ „Ich gucke ja nicht ständig aus dem Fenster.“, reagiert sie aufgewühlt und sucht eine Erklärung. „Womöglich war ich auf der Toilette? Oder in der Teeküche? Vielleicht bei einem Patienten im Zimmer?“ Sie schaut unter sich.
„Das protokollieren sie? Es lässt sich nachprüfen?“ „Was? Ob ich auf dem Klo war? Nein, das schreibe ich nicht auf.“ „Sie halten aber schriftlich fest, wann und warum sie, bei welchem Kranken im Zimmer waren?“ „Bei einem gesundheitlichen Vorfall notiere ich es in der Patientenakte. Wünscht jemand zum Beispiel ein Getränk, verzeichne ich es nicht.“ Die Krankenschwester spricht sanft. Sie knetet ihre Hände. Es fällt ihr schwer, der Kommissarin ins Gesicht zu sehen.
„Sind sie im Nachtdienst alleine auf der Station?“ „Ja. Bis auf den diensthabenden Arzt.“ „Wo hält er sich auf? Hier im Dienstzimmer?“ „Nein. Im Arztzimmer.“ Sie zeigt die Richtung. „Vorne bei den Aufzügen. Der erste Raum links. Da steht ein Bett. Geweckt wird der Doktor nur bei Notfällen.“
„Wer hatte Nachtdienst, wo Thilo van der Leuwen zu Tode kam?“ „Dr. Lütkehuus. Hanne. Sie hatte Rufbereitschaft.“ „Wo sie den Toten entdeckten, riefen sie die Ärztin?“ „Nein. Ich ging zu Herrn Mittler.“ „Warum?“ „Der ist doch Polizist.“ Nervlich angespannt nestelt sie an ihrem Namenschild.
„In erster Linie ist Herr Mittler Patient und wurde erst Stunden zuvor am Blinddarm operiert.“ „Darüber dachte ich nicht nach. Der Schock, wissen sie? Außerdem war es der kürzere Weg.“ „Wie meinen sie das?“ „Sein Zimmer ist nahe zur Treppe. Das Arztzimmer ist ganz am entgegengesetzten Ende bei den Aufzügen. Das sagte ich doch schon.“
„Wieso hielten sie sich überhaupt beim Treppenhaus auf Friederike?“ „Ich war am Süßwarenautomaten. Um eine Tüte Gummibärchen zu holen. Da sah ich durch die Glastür das Seil am Geländer. Ich wunderte mich und hab nachgesehen. Da fand ich den Toten.“
Lena wechselt abrupt das Thema. Diese Gesprächstaktik, schaute sie bei Mittler ab. Mit scheinbar wirr gestellten Fragen erreicht er bei Befragungen beachtliche Erfolge.
„Ich sehe, sie lagern hier Rollstühle.“ Lena zeigt zur offen stehenden Tür eines Nebenraums. „Ja und andere Sachen.“, antwortet Friederike. „Sie gingen Gummibärchen kaufen, sagen sie?“ „Ja stimmt.“ „Da fiel ihnen das Seil auf?“ „Genau.“ „Sie wunderten sich darüber, schauten nach und sahen den Erhängten?“ „So war es.“ „Anschließend holten sie Herrn Mittler?“ „Richtig!“ „Vorher waren sie nicht mehr hier im Dienstzimmer?“ „Hä? Wann?“ „Nachdem sie den Toten fanden?“ „Nein.“ „Sind sie sicher?“ „Aber natürlich!“ „Woher hatten sie dann den Rollstuhl, mit dem sie Herrn Mittler abholten?“
Friederike schluckt. Schaut unter sich. Ist still. Lena wartet einen Moment, ob eine Reaktion kommt. Da dies nicht der Fall ist, fragt sie nach.
„Haben sie dafür eine Erklärung?“ „Wofür?“ „Holten sie den Rollstuhl aus dem Dienstzimmer?“ „Nein. Der stand da.“ „Wo?“ „Bei den Automaten.“ „Warum? Wie kam er dorthin?“ „Keine Ahnung. Manchmal spielen Besucherkinder damit auf dem Gang.“
„Ist ihre Vorgesetzte häufig so gestresst, wie vorhin?“ „Ab und zu.“, wispert die junge Frau, irritiert durch die verwirrend gestellten Fragen. „Warum ist das so?“, möchte Lena wissen. Zögernd erklärt die Krankenschwester: „Sie hasst es, wenn fremde Leute ins Dienstzimmer reinkommen. Das nervt sie.“ Friederike schaut unter sich, wie ein Schulmädchen, das beim Abschreiben ertappt wurde.
„Wie kommen sie mit Oberschwester Kill aus?“ „Gut.“ „Sie sind nicht selbst schonmal von ihr genervt?“ Sie hebt den Kopf, sieht Lena direkt an. „Ich? Nein. Wieso?“ Ihr Gesicht zeigt einen verblüfften Ausdruck. Die Frage erscheint ihr offenbar seltsam.
„Na, kann doch vorkommen? Im Fall, dass ihre Vorgesetzte ihnen mehr auflädt, wie sie schaffen, zum Beispiel?“ „Och nö. Das macht sie nicht.“ Friederike lächelt.
„Ich stelle mir vor, das Patienten hin und wieder nerven. Ist das so?“ „Manchmal schon. Aber die meisten sind nett.“ „Es kommt also vor?“ ... „Ja.“ „Sie zögern mit ihrer Antwort. Wieso?“ „Ich will nicht schlecht über jemanden reden.“ „Das verstehe ich. Gab es in jüngster Vergangenheit Anlass sich zu ärgern?“
Die Krankenschwester schiebt Unterlagen auf dem Tisch von einer zur anderen Seite. Dabei vermeidet sie Augenkontakt. Zweifellos trifft die Frage auf nährreichen Boden. Lena bohrt nach.
„Jemand nervte sie, Friederike?“ „Ja.“, haucht sie bestätigend mit hängendem Kopf. „In jüngster Vergangenheit?“ Einen Moment wartet die Kripobeamtin eine Reaktion ab. Die bleibt aus. „Kürzlich erst?“ Keine Rückmeldung. Lena bringt es auf den Punkt: „War es Thilo van der Leuwen?“
Friederikes Miene hätte die Kriminalistin gerne im Bild festgehalten. Nichts brächte das Wort „Erwischt“ besser zum Ausdruck. Weil sie schweigt, versucht Lena mit Strenge eine Antwort zu erzwingen. „Reden sie. Was passierte zwischen ihnen und dem Patienten van der Leuwen?“
Wie ein in die Enge getriebenes Mäuslein hockt die Krankenschwester auf ihrem Bürostuhl. Sie weiß nicht wohin mit den Händen. Letztendlich versenkt sie diese in den Kitteltaschen und nuschelt: „Er fasste mich an.“
„Nochmal Friederike. Laut und verständlich. Sehen sie mir in die Augen. Was hat er getan?“
Die junge Frau hebt den Kopf, stammelt zögernd: „Er fasste mich an.“ Bemüht hält sie Augenkontakt, flüstert: „Unsittlich.“
„Wie, wann und wo?“ „Hier ...,“, wispert sie und führt eine Hand zur Hüfte, haucht: „... am Popo.“ „Dort berührte er sie?“ „Ja genau.“ „Wann war das?“ „Wenn ich in seinem Zimmer war.“ „Es kam mehr wie einmal vor?“ „Ja.“ „Wie oft?“ „Fast immer, sobald ich zu ihm musste.“ „Um was zu tun?“ „Er hatte Wünsche und klingelte.“
Sie stockt. Lena hilft ihr auf die Sprünge. „Dann gingen sie hin? Um zu fragen, was er möchte?“ „Sicher. Das ist meine Arbeit!“ „Was wollte er zum Beispiel?“ „Er sagte, er sei durstig. Oder behauptete, die Fernbedienung vom TV funktioniere nicht.“ „Verstehe. Wie weiter?“ „Da hab ich es kontrolliert.“ „Okay. Was geschah dann?“ „Wenn ich bei ihm stand, hat er ... über meinen ... Popo ... gestreichelt und komisch geredet.“ „Kapier ich nicht. Was sagte er?“ „Hab ich vergessen!“ „Kommen sie Friederike! Das erinnern sie doch. Raus damit.“
Sie windet sich auf ihrem Stuhl, schaukelt, wispert: „Er sagte, ich sei ein schönes Mädchen.“ „In Ordnung. Was noch?“ „Er wollte wissen, wie mein Französisch sei.“ „Und?“ „Ich antwortete, ich könnte es nicht. Ich hatte nur Englisch. Er lachte und meinte, in der Schwesterntracht fänd er mich unheimlich toll. Ob ich ihm nicht Gesellschaft leiste ... in der Nacht. Dann würde er ....“ Abrupt verstummt sie, starrt zur Wand.
„Weiter Friederike.“ „Ich will nicht.“ „Was wollte er?“ „Es ist aber fies.“ „Mir können sie es ruhig sagen. Was würde er?“ „Mit ... mir ... Doktor spielen.“ Kaum hörbar wispernd, spricht sie dies aus.
„Wiederholen sie das bitte.“ Lena glaubt, nicht richtig zu hören. „Was wollte er?“ „Doktor spielen!“, stammelt die Krankenschwester. Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Lena motiviert sie zum Weitersprechen.
„Er holte seinen ... Piephahn ... aus der Schlafanzughose ... und zeigte ... ihn ... mir!“ „Piephahn?“ Lena muss sich zusammenreißen, um nicht über den Ausdruck zu lachen. „Sie meinen den Penis?“ Keine Antwort. „Friederike? ... Holte er sein Geschlechtsteil hervor?“ „Ja genau.“
„Was weiter?“ „Er redete was Fieses.“ „Ich höre.“ „Ich mag es nicht sagen.“ „Friederike, sie sind eine erwachsene Frau und Krankenschwester. Ich denke, sie sind imstande es auszusprechen. Also bitte.“ „Er sagte, damit gebe ich dir eine Peniszillinspritze vom Feinsten und hat blöd gelacht!“ „Wie verhielten sie sich?“ „Ich bin raus aus dem Zimmer.“
„Friederike, kam es zu mehr?“ „Ich verstehe die Frage nicht?“ „Ich möchte wissen, ob es außer verbalen Belästigungen und Berührungen am Po weitere Übergriffe von Seiten des Herrn van der Leuwen gab? Kam es zu sexuellen Handlungen?“ „Nein!“, antwortet die Krankenschwester entrüstet. „Sind sie sicher?“ „Aber ja!!“
Kirschrot glühende Wangen deuten an, dass sich Friederike unbehaglich fühlt. Am Hals zeigen sich Hektikflecken. Sie weiß nicht, wo sie hinsehen soll, bemüht sich, dem Blick der Kriminalbeamtin zu entfliehen. Lenas Fragen zum Thema Sex belasten die Krankenschwester. Ihr Minenspiel pendelt zwischen Ekel, Scham und kindischer Erheiterung wie bei einem 12-jährigen Schulmädchen.
„Wie alt sind sie Friederike?“ „25.“ „Haben sie einen Freund?“ „Ich?“ „Ja. Haben sie?“ „Nein.“
Ihre Antwort gibt sie zögernd. Darin schwingt ein Unterton, den die Oberkommissarin als Entrüstung interpretiert. „Warum nicht?“ Sie zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ „Wann hatten sie ihren letzten Freund?“ Sie blickt auf den Fußboden, malt mit dem rechten Fuß Kreise, flüstert: „Ich hatte noch keinen.“ „Mögen sie Frauen lieber?“ „Was? Nein! Igitt!“ Friederike zieht ein angewidertes Gesicht.
„Mit wem sprachen sie über die Vorfälle?“ „Mit niemandem!“, behauptet sie in bisher nicht erreichter Lautstärke. „Hatten sie nicht das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden?“ „Nein. Hatte ich nicht! Das müssen sie mir glauben!“
„Abschließend möchte ich ihre Personalien aufnehmen Friederike. Wie lautet ihr Familienname?“
„Kill.“ „Sie heißen wie Oberschwester Ulrike?“ „Ja sicher. Sie ist doch meine Mutti!“
Fassen wir zusammen.
Drei Tage später finden sich Lena und Merle zu einer Besprechung in Ronny Mittlers Krankenzimmer ein. „Fassen wir zusammen, was wir bisher ermittelten, damit wir auf dem gleichen Wissensstand sind. Im Anschluss beratschlagen wir weiteres vorgehen. Lena, beginnst du bitte?“, fragt KHK Mittler.
„Ihr kennt alle Inhalte der Verhöre der MP3 Audiodateien, die ich schickte? Habt ihr sie abgehört?“ „Gewiss! Das rettete meinen Tag! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie öde es im Krankenhaus ist. Ich bin heilfroh, dass ich bald entlassen werde!“ „Schön, dass ich die Stunden verkürzen konnte, Ronny. Ehrlich gesagt bin ich der Ansicht, du solltest dich erholen und nicht in einem Mordfall ermitteln. Doch was nützt alles reden? Wir kennen dich!“, seufzt Lena.
Der Hauptkommissar flehte förmlich, ihn zu beteiligen. Nicht, weil er ihr oder Merle nicht zutraute, den Fall zu lösen. Sein Antrieb war die Eintönigkeit des Krankenhausalltags. Das machte ihm zu schaffen, denn Mangel an Abwechslung kommt in seinem Alltag zu keiner Zeit vor.
Ronny Mittler beschäftigt sich über Stunden mit Hobbys, ohne das es ihn langweilt. Bedauerlicherweise befinden sich diese geliebten Steckenpferde zu Hause und lassen sich nicht ins Krankenzimmer transportieren. Er denkt an die im Hobbykeller aufgebaute Modelleisenbahnlandschaft. Seit der Kindheit erweitert er die Anlage stetig. Träumt von der Carrerabahn, die den Dachboden schmückt. Vergnügte Stunden verbringt er damit, pendelt je nach Lust und Laune zwischen Keller und Speicher. Beim Spiel findet er Erholung. Versinkt in einer Welt, abseits beruflicher Belastungen. Hier schaltet er ab. Mittler bewahrt das Kind im Manne. Hegt und pflegt den Kleinen.
An ein Zusammenleben mit einer Partnerin verschwendet er keinen Gedanken. Hin und wieder führt er seine Nachbarin Karina Redug aus. Ins Kino oder zum Sonntagsspaziergang mit anschließendem Tee und Kuchen. Ab und zu kommt es zu Intimitäten, was erquicklich ist. Sie weiß, wie er tickt. Von Anfang an spielte er mit offenen Karten. Sagte, er strebe weder Ehe noch Zusammenleben an. Karina akzeptiert es ohne Murren. Mit der Rolle der Freundin ist sie zufrieden. Mehr verlangt sie nicht. Sie ist eine wunderbare Person, die ihn nicht ändern oder für sich vereinnahmen will.
Im Krankenbett hat Mittler Zeit zum Nachdenken. Er kommt zu dem Schluss, dass er in der Klinik zwar gesundet, echte Erholung findet er jedoch nicht. Ausspannen sieht anders aus. Zum Beispiel auf der Terrasse sitzend. Mit einem Glas Rotwein in der Hand dem Sonnenuntergang zuprostend.
Im Krankenhaus ist ihm langweilig. Aus diesem Grund empfand er das Eintreffen der MP3 Audiodateien wie eine Wohltat. Der KHK lag entspannt mit geschlossenen Augen im Bett und lauschte den Verhören.
„Das Gespräch zwischen Lena und Friederike beschäftigt mich. Was ist sie für ein Mensch? Eure Meinung zu ihr, möchte ich hören.“, sagt Mittler.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.





