Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch)

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Neue Medien fordern neue Kompetenzen. Angesichts der Tatsache, dass neue technische Entwicklungen zunehmend in den Schulalltag integriert werden, ist es kaum verwunderlich, dass die Fähigkeit des Hör-Seh-Verstehens als fünfte Fertigkeit in den curricularen Vorgaben Berücksichtigung findet. Durch die Aufnahme des Hör-Seh-Verstehens wird diesem nicht nur ein hoher Stellenwert zugeschrieben, sondern ebenso „anerkannt, dass Hörverstehen alleine zur Vorbereitung auf eine face-to-face-Kommunikation [sic] nicht ausreicht“ (ibid. 153). Aufgrund der Tatsache, dass es sich, ähnlich wie bei den anderen Fertigkeiten, beim Sehverstehen um keine angeborene Fähigkeit handelt (cf. Hecke/Surkamp 2010, 14), gilt es, audiovisuelle Materialien so in den Unterricht mit einzubeziehen, dass eine ganzheitliche und systematische Schulung erfolgen kann.
Laut Referenzrahmen steht die rezeptive Kompetenz des Hör-Seh-Verstehens in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Hörverstehen und ist als gleichwertige Teilfertigkeit vermerkt. In diesem Sinne beschreibt der GeR audiovisuelle Rezeption als eine Aktivität, bei der der Sprachlernende „einen auditiven und einen visuellen Input zugleich“ erhält (Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001, 77). Als Beispiele werden das Mitlesen eines vorgelesenen Textes, das Sehen einer Fernsehsendung oder einer Videoaufnahme sowie die Verwendung neuer Technologien aufgeführt, wobei lediglich Multimedia und CD-ROM Erwähnung finden.
Entgegen etwaiger Erwartungen erweist sich die Stellung des Hör-Seh-Verstehens gegenüber anderen Teilkompetenzen jedoch keineswegs als gleichwertig, weil rezeptive Aktivitäten zunächst nur als „Hören und Lesen“ zusammengefasst werden. Die Fähigkeit des Sehens findet hingegen keine Berücksichtigung. Die Kritik verschärft sich dahingehend, dass das Sehverstehen gerade bei der audiovisuellen Rezeption eine entscheidende Rolle spielt und eine Erweiterung zum Hörverstehen darstellt.
Zwar ist es Aufgabe des GeR, in der Diskussion um das Hör-Seh-Verstehen einen einheitlichen, europaweit gültigen Leitfaden bereitzustellen, nach dem sich Schüler und Lehrende richten können, wenn es um Kompetenzniveaus und deren Leistungsmessung geht. Im Fall des Hör-Seh-Verstehens beschränkt sich die diesbezügliche Beispielskala der Kompetenzbeschreibungen jedoch ausschließlich auf das Verständnis von Film und Fernsehen. Betrachtet man die unten stehende Abbildung, so wird deutlich, dass die vorgegebenen Deskriptoren eher oberflächlich und spärlich ausfallen. So heißt es, Schüler sollen am Ende des elementaren Spracherwerbs (A1, A2) in der Lage sein, auf der Basis visuell aufbereiteter Fernsehberichte deren Hauptinhalt zu erschließen. Allerdings sind für das Niveau A1 derzeit keine Deskriptoren vorhanden (cf. Abb. 11).
Folglich stellt sich die Frage, ob der Einsatz audiovisueller Medien zu Beginn des ersten Lernjahrs nicht vorgesehen ist oder ob Lernende trotz Nichtbeherrschens der Fremdsprache auf die Deskriptoren des Niveaus A1 nicht angewiesen sind. Sofern letzteres zutreffen sollte, müsste jedoch – ähnlich wie bei C2 – darauf verwiesen werden, dass für A1 und A2 die gleichen Deskriptoren gelten. Bekräftigt würde diese Interpretation durch die Annahme, dass Lernende durch den Rückgriff auf ihr Weltwissen bzw. ihre Hör-Seh-Erfahrungen im Umgang mit Filmen und Fernsehen befähigt sind, Hauptinhalte und Themenwechsel bei Fernsehsendungen allgemein zu erschließen. Fakt ist jedoch, dass der GeR die Verinnerlichung dieser Kompetenz erst Lernenden des Sprachniveaus A2 zuschreibt.
Mit dem Erwerb der Kompetenzstufe B sollen die als selbstständig beschriebenen Lernenden den Großteil aller in Standardsprache gesprochenen Nachrichtensendungen und Reportagen begreifen, sodass sie im Anschluss – gemäß der kompetenten Sprachverwendung C1 und C2 – in der Lage sind, solche auch in Umgangssprache oder mit dialektaler Färbung zu verstehen.

Abb. 11: Kompetenzerwartung des GeR für das Hör-Seh-Verstehen am Beispiel von Fernsehsendungen und Filmen (Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001, 77)
In diesem Zusammenhang ist es verwunderlich, dass Hör-Seh-Verstehen zwar generell als leicht messbare Kompetenz eingestuft wird, in der Realität jedoch keinerlei detaillierte Vor- und Angaben existieren, die etwaige Erwartungen auch nur ansatzweise befriedigen (cf. Hu/Leupold 2008, 56).
Um diese Lücke zu schließen wäre es prinzipiell sinnvoll, den vom GeR gesetzten Fokus nicht ausschließlich auf Fernsehsendungen und Spielfilme zu legen, sondern um weitere Medienbeispiele zu erweitern. Auf diese Weise könnte mittels der Deskriptoren auf Kurzfilme bzw. fremdsprachliche Lernvideos hingewiesen werden, die trotz elementarer Sprachfähigkeiten bereits im Anfangsunterricht zu bewältigen sind und eine Vorentlastung für die spätere Arbeit mit Spielfilmen und anderen authentischen audiovisuellen Materialien darstellen (cf. Thaler 2007b, 14). Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, die Kompetenzbeschreibung audiovisueller Rezeption künftig zu präzisieren, zumal der GeR abgesehen von Strategien zur Rezeption weder konkrete Aussagen bezüglich methodischer Konzepte noch notwendiger Sprachmittel macht.
4.1.2 Die Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss und die Allgemeine Hochschulreife
Die Einführung der bundesweit geltenden Bildungsstandards dient der schulischen Qualitätssicherung und beinhaltet fächerspezifische Kompetenzerwartungen, die Schüler am Ende des Primarbereichs, mit dem Erwerb des Hauptschulabschlusses, des Mittleren Bildungsabschlusses bzw. der Allgemeinen Hochschulreife erreicht haben sollen. Für den Fremdsprachenunterricht Französisch/Spanisch sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss und für die Allgemeine Hochschulreife von Relevanz, da sie am Beispiel der Fächer Französisch und Englisch die Anforderungen für die Erste bzw. Fortgeführte Fremdsprache darlegen und die Empfehlungen des GeR (cf. Kap. 4.1.1) in eine bundesweit verbindliche Form überführen.
Aus empirischer Sicht handelt es sich bei den Kompetenzen des fremdsprachlichen Hör- und Hör-Seh-Verstehens um verschiedene Konstrukte, deren Trennbarkeit in zahlreichen Studien nachgewiesen werden konnte (cf. Grotjahn/Porsch 2016, 72sqq.). Etwaige Forschungsergebnisse finden in den Bildungsstandards – zumindest auf den ersten Blick – jedoch keine Berücksichtigung: Statt einer Abgrenzung werden das fremdsprachliche Hör- und Hör-Seh-Verstehen in den Kompetenzbeschreibungen gemeinsam behandelt und aufgeführt. Das Hör-Seh-Verstehen wird dabei als Teilfertigkeit bzw. als ergänzende Variante des Hörverstehens verstanden und nimmt im Vergleich zu den anderen funktional-kommunikativen Kompetenzen (Lesen, Sprechen, Schreiben, Sprachmittlung) eine gleichwertige Stellung ein (cf. KMK 2003, 8; cf. KMK 2012, 13). Diese Gleichstellung impliziert, dass auch das Hör-Seh-Verstehen mit dem Beginn des Fremdsprachunterrichts geschult werden sollte und erhebt den Anspruch, dass Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 10 im Kompetenzbereich des Hör-/Hör-Seh-Verstehens in der Lage sind,
unkomplizierte Sachinformationen über gewöhnliche alltags- oder berufsbezogene Themen [zu] verstehen und dabei die Hauptaussagen und Einzelinformationen [zu] erkennen, wenn in deutlich artikulierter Standardsprache gesprochen wird (B1+).
Die Schülerinnen und Schüler können (Englisch und Französisch)
im Allgemeinen den Hauptpunkten von längeren Gesprächen folgen, die in ihrer Gegenwart geführt werden (B1),
Vorträge verstehen, wenn die Thematik vertraut und die Darstellung unkompliziert und klar strukturiert ist (B1+),
Ankündigungen und Mitteilungen zu konkreten Themen verstehen, die in normaler Geschwindigkeit in Standardsprache gesprochen werden (B2),
vielen Filmen folgen, deren Handlung im Wesentlichen durch Bild und Aktion getragen wird (B1) (KMK 2003, 11).
In Anlehnung an die Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss wird von den Schülern im Zuge der Allgemeinen Hochschulreife des Weiteren erwartet, dass sie
authentische Hör- und Hörsehtexte verstehen [können], sofern repräsentative Varietäten der Zielsprache gesprochen werden. Sie können dabei Hauptaussagen und Einzelinformationen entnehmen und diese Informationen in thematische Zusammenhänge einordnen.
Grundlegendes Niveau
Die Schülerinnen und Schüler können
einem Hör- bzw. Hörsehtext die Hauptaussagen oder Einzelinformationen entsprechend der Hör- bzw. Hörseh-Absicht entnehmen
textinterne Informationen und textexternes Wissen kombinieren
in Abhängigkeit von der jeweiligen Hör-/Hörseh-Absicht Rezeptionsstrategien anwenden
angemessene Strategien zur Lösung von Verständnisproblemen einsetzen
Stimmungen und Einstellungen der Sprechenden erfassen
gehörte und gesehene Informationen aufeinander beziehen und in ihrem kulturellen Zusammenhang verstehen
Erhöhtes Niveau
Die Schülerinnen und Schüler können darüber hinaus
(Englisch: komplexe) Hör- und Hörsehtexte auch zu wenig vertrauten Themen erschließen
implizite Informationen erkennen und einordnen und deren Wirkung interpretieren
implizite Einstellungen oder Beziehungen zwischen Sprechenden erfassen
Hör- und Hörsehtexte (Französisch: im Wesentlichen) verstehen, auch wenn schnell gesprochen oder nicht Standardsprache verwendet wird
(Englisch) einem Hör- bzw. Hörsehtext die Hauptaussagen oder Einzelinformationen entsprechend der Hör- bzw. Hörseh- Absicht entnehmen, auch wenn Hintergrundgeräusche oder die Art der Wiedergabe das Verstehen beeinflussen (KMK 2012, 15).
Wie aus den vorangestellten Auszügen der Bildungsstandards deutlich wird, enthalten die Kompetenzbeschreibungen nicht nur differenzierte Anforderungen im Hinblick auf das Fach (Französisch/Englisch), sondern auch in Bezug auf das Kursniveau (grundlegend/erhöht). Für Schüler und Lehrer ist hierbei von Relevanz, dass „in einigen Kompetenzbereichen höhere oder niedrigere Anforderungsniveaus etabliert“ wurden (KMK 2003, 11). So lassen sich im Fall des fremdsprachlichen Hör-/Hör-Seh-Verstehens vereinzelt Hinweise zu Gunsten einer erhöhten Verstehungsleistung (e.g. B1+) wiederfinden. Diese Kennzeichnung ist vermutlich auf die verständniserleichternde Wirkung von Ton- und Bildspur zurückzuführen, wobei verwunderlich ist, dass etwaige Verweise gerade im Kontext eines filmgestützten Hör-Seh-Verstehens rar bleiben. Des Weiteren fällt auf, dass die Musteraufgaben für die einzelnen Kompetenzbereiche kaum Beispiele für die Umsetzung bzw. Überprüfung des Hör-Seh-Verstehens enthalten. Dies betrifft sowohl die Aufgabenvorschläge für den Mittleren Bildungsabschluss als auch die für die Allgemeine Hochschulreife.1
Obgleich in diesem Zusammenhang eine stärkere Berücksichtigung des Hör-Seh-Verstehens wünschenswert wäre, bleibt dessen gleichwertige Stellung zumindest formal gegenüber den anderen Fertigkeiten bestehen: Die Überprüfung des Hör-Seh-Verstehens muss entweder als möglicher Prüfungsteil im Abitur erfolgen oder kann alternativ „mit dem Gewicht einer Klausur in der Qualifikationsphase“ abgedeckt werden (KMK 2012, 25). Ausgehend von einem erweiterten Textbegriff empfehlen die Bildungsstandards hierbei die Wahl zu Gunsten authentischer Medien (cf. KMK 2003, 21; cf. KMK 2012, 28) in Form von Ausschnitten „aus aufgezeichneten Theaterproduktionen, aus Dokumentar- und Spielfilmen, Fernsehserien, Mitschnitte[n] aus Nachrichtensendungen, Talkshows, Diskussionen, Trailer, Reden, [und] Interviews“ (KMK 2012, 26). Letztgenannte sollten eine Länge von fünf Minuten nicht überschreiten, sprachlich vorentlastet werden und ggf. mehrmals präsentiert werden (cf. ibid. 26sq.) (cf. Kap. 3.4).
4.1.3 Die Kerncurricula und Lehrpläne des Landes Hessen für die Fächer Französisch und Spanisch
Die hessischen Kerncurricula bilden seit dem Schuljahr 2011/2012 die curriculare Grundlage für die Primar- und Sekundarstufe I und werden seit dem Schuljahr 2016/2017 durch die verbindliche Inkraftsetzung der Kerncurricula für die gymnasiale Oberstufe ergänzt. Die Kerncurricula lösen die bis dato geltenden Lehrpläne des Landes Hessen ab und verknüpfen bewährte Inhalte aus den Lehrplänen mit fachinhaltlichen Wissenselementen und den Kompetenzerwartungen der bundesweit geltenden Bildungsstandards (cf. Kap. 4.1.2). Ähnlich wie in den nationalen Bildungsstandards werden die Leistungserwartungen in den hessischen Kerncurricula in Form von Kann-Beschreibungen formuliert. Sie gliedern sich in der gymnasialen Oberstufe in Kurshalbjahre und Themen- bzw. Inhaltsfelder und orientieren sich an den Kompetenzniveaus des GeR (cf. Kap. 4.1.1).
Während im hessischen Kerncurriculum der Sekundarstufe I alle modernen Fremdsprachen (differenziert nach Haupt-, Real- und Gymnasialschulzweig) zusammen behandelt werden, liegen für die gymnasiale Oberstufe fachspezifische Kerncurricula für die jeweiligen Einzelsprachen (e.g. Französisch, Spanisch, Englisch, Italienisch) vor. In Anlehnung an die nationalen Bildungsstandards wird die Kompetenz des Hörverstehens in den hessischen Kerncurricula durch die des Hör-Seh-Verstehens ergänzt und beide gemeinsam aufgeführt. Dabei wird das Hör-Seh-Verstehen als eigenständige, kommunikative Teilkompetenz verstanden, die „ganzheitlich-integriert erworben werden“ soll (HKM 2011, 11).
Bei den Kompetenzerwartungen der hessischen Kerncurricula ist auffällig, dass sie denen der Bildungsstandards sehr stark ähneln bzw. im Fall der gymnasialen Oberstufe (Französisch/Spanisch) sogar gänzlich entsprechen (cf. HKM 2016a, 14; 2016b, 14). Lediglich am Ende der Sekundarstufe I lassen sich leichte Abweichungen feststellen. Diese sind allerdings eher sprachlicher Natur. So wird von den Schülern erwartet, dass sie in der ersten und zweiten Fremdsprache das fremdsprachliche Niveau B1 erreichen und im Bereich des Hör-Seh-Verstehens
klare sprachliche Äußerungen zu vertrauten Themen verstehen und dabei Hauptaussagen und einzelne Informationen entnehmen, wenn deutlich artikuliert gesprochen wird.
Sie können
Mitteilungen, Erläuterungen und Ankündigungen verstehen,
im Allgemeinen den Hauptpunkten längerer Gespräche und Präsentationen folgen,
das Wesentliche aus Hörtexten und audio-visuellen Materialien entnehmen,
Filmsequenzen folgen, deren Handlungen im Wesentlichen durch Bild und Dialoge getragen werden (HKM 2011, 18).
Im Gegensatz zur ersten Fremdsprache unterscheiden sich die Kompetenzerwartungen für Spanisch bzw. Französisch als dritte Fremdsprache dahingehend, dass Schüler nach zwei Jahren im Bereich der rezeptiven Sprachkompetenzen über ein Niveau von A1+/A2 verfügen sollen. Die Anforderungen an das Hör-Seh-Verstehen setzen voraus, dass die zu Grunde liegenden Medieninhalte sprachlich einfach, deutlich und langsam sein müssen und einen direkten Bezug zur Lebenswelt der Schüler aufweisen. Um die Informationsentschlüsselung zu erleichtern, soll neben vorwiegend bekanntem Wortschatz ebenso eine visuelle Unterstützung durch Bildmaterial erfolgen. Konkret handelt es sich dabei um Unterrichtsgespräche, Mitteilungen, Bekanntmachungen, Beschreibungen, Anweisungen und Bitten (cf. HKM 2011, 24).
Der hohe Stellenwert des Hör-Seh-Verstehens, der sich aktuell in den hessischen Kerncurricula wiederspiegelt, fand bereits in den vorausgegangenen hessischen Lehrplänen der Fächer Französisch und Spanisch Berücksichtigung. So forderte beispielsweise der Lehrplan Französisch Jahre zuvor den „kritische[n] Umgang mit und [die] sinnvolle Nutzung von audio-visuellen Medien“ (HKM 2010a, 4). Im Sinne einer frühzeitigen Integration und gewinnbringenden Nutzung neuer Medien galt es, „grundsätzlich zu prüfen, inwieweit die Themen und Inhalte des Lehrplans durch medial anders vermittelte Materialien besser erarbeitet werden können“ (HKM 2010a, 5). Der Einsatz von Medien war folglich bereits ab dem ersten Lernjahr erwünscht, sofern dieser zum fremdsprachlichen Kompetenzerwerb beitrug und eine Bereicherung darstellte. Man ging davon aus, dass insbesondere
der Einsatz audio-visueller Medien [es] ermöglicht […], die authentischen Ausdrucksweisen einer fremden Sprache und Kultur durch Ton und Bild unmittelbar zum Ausgangspunkt von Unterricht zu machen. Songs und Chansons, Spielfilme, Reportagen, Radio- und Fernsehsendungen erlauben die Teilnahme an den kulturellen und politischen Auseinandersetzungen im Land der Zielsprache (HKM 2010a, 8).
Trotz des damaligen Bewusstseins über den schulischen Mehrwert audiovisueller Medien und der grundsätzlichen Empfehlung, das Lehrwerk in seiner (audiovisuellen) Medienkombination zu nutzen (cf. HKM 2010a, 50), war der mediale Einsatz zunächst nur für die Oberstufe bzw. für die Einführungsphase verbindlich. Dieser Umstand änderte sich erst mit der Einführung der eingangs beschriebenen hessischen Kerncurricula und bestätigt die Einschätzung von Experten, wonach die systematische Förderung des Hör-Seh-Verstehens im Fremdsprachenunterricht Französisch und Spanisch „in Zukunft deutlich mehr Raum […] einnehmen [wird] als bisher“ (Hu/Leupold 2008, 58).
4.2 Curriculare Forderungen nach einem integrierten Hör-Seh-Verstehen
Die dargestellten curricularen Richtlinien des GeR, der Bildungsstandards und der hessischen Kerncurricula machen deutlich, dass die Schulung des Hör-Seh-Verstehens zu einem festen Bestandteil der Fremdsprachenausbildung geworden ist. Dies ist nicht zuletzt auf die Tatsache zurückzuführen, dass, abgesehen von Schriftverkehr oder Telefonaten, in der Regel jegliche Art von Konversation sowohl über einen auditiven als auch über einen visuellen Kanal erfolgt. Die Kombination von Bild und Ton ist somit ein unbestreitbares Merkmal authentischer Alltagskommunikation. Ein innovativ gestalteter Fremdsprachenunterricht sollte daher versuchen, den europaweit gültigen Richtlinien durch die gezielte Schulung des Hör-Seh-Verstehens Rechnung zu tragen (cf. Nieweler 2008, 113).
Vor dem Hintergrund, dass Medien im Gegensatz zu früher nicht mehr als zweitrangig anzusehen sind, gilt es, audiovisuelle Medien in die schulische Unterrichtspraxis mit einzubeziehen und den daraus entstandenen Mehrwert für den Fremdsprachenerwerb zu nutzen. Obgleich die geltenden Richtlinien offen lassen, mit welchen didaktischen Methoden die vorgegebenen Ziele erreicht werden sollen, steht fest, dass die zu erwerbenden Kompetenzen der Grundidee nach miteinander verwoben werden sollen. Vor diesem Hintergrund leisten die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife einen besonders guten Überblick, zumal das verknüpfende Zusammenspiel der einzelnen Kompetenzbereiche in einer aussagekräftigen Graphik (cf. Abb. 12) visualisiert wurde. Aus der besagten Graphik geht zunächst hervor, dass sich die fremdsprachliche Diskursfähigkeit aus fünf Kompetenzbereichen zusammensetzt. Diese umfassen:
funktionale kommunikative Kompetenzen
interkulturelle kommunikative Kompetenz
Text- und Medienkompetenz
Sprachbewusstheit
Sprachlernkompetenz (cf. KMK 2012, 12).
Die gestrichelte Linienführung macht deutlich, dass „alle abgebildeten Kompetenzen […] in engem Bezug zueinander“ stehen (ibid. 13). Die Kompetenz des Hör-Seh-Verstehens manifestiert sich in diesem Kontext insofern als integrative Teilfertigkeit des Sprachlernprozesses, als sie nicht nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbildung sprachlicher und interkultureller Qualifikationen steht, sondern darüber hinaus „das Erkennen konventionalisierter, kulturspezifisch geprägter Charakteristika von Texten und Medien, die Verwendung dieser Charakteristika bei der Produktion eigener Texte sowie die Reflektion des individuellen Rezeptions- und Produktionsprozesses“ begünstigt (ibid. 20).

Abb. 12: Kompetenzbereiche der Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe (KMK 2012, 12; HKM 2016a, 12; 2016b, 12)
Ähnliche Formulierungen zu Gunsten eines integrativen Kompetenzerwerbs finden sich auch in den hessischen Kerncurricula wieder, wobei lediglich für die gymnasiale Oberstufe auf die Graphik der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife rekurriert wird. Im Kerncurriculum der Sekundarstufe I wird das Zusammenwirken kommunikativer, transkultureller und Sprachlernkompetenzen dagegen anhand eines eigenen, hessischen Kompetenzmodells zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit (cf. Abb. 13) visualisiert. Die Text- und Medienkompetenz finden hierbei jedoch keine visuelle Berücksichtigung.

Abb. 13: Hessisches Kompetenzmodell zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit in der Sekundarstufe I (HKM 2011, 15)
Der Vergleich beider Darstellungen (cf. Abb. 12, cf. Abb. 13) zeigt, dass die Kompetenz des Hör-Seh-Verstehens in der Graphik der Bildungsstandards wesentlich stärker zur Geltung kommt als im hessischen Kerncurriculum der Sekundarstufe I. Dies ist zum einen auf die explizite Nennung, zum anderen auf die gestrichelte Linienführung zwischen den verschiedenen, vergleichsweise detailliert ausgearbeiteten Kompetenzbereichen zurückzuführen, die den integrativen Charakter des Hör-Seh-Verstehens nachdrücklich unterstreichen.
Auch wenn dies in den curricularen Richtlinien insgesamt noch nicht hinreichend zum Ausdruck kommt, kommt im Zuge des integrierten Kompetenzerwerbs gerade dem Sehverstehen als Teil des Hör-Seh-Verstehens eine bedeutsame Rolle zu: Der Erwerb visueller Fertigkeiten begünstigt sowohl den kulturellen als auch den sprachlichen Umgang mit visuellen Informationen und fördert auf diese Weise grundlegende Sprachlernprozesse, die, wie das folgende Zitat zeigt, weit über die Decodierung visueller Informationen hinausgehen.
Es [das visuell geschulte Kind] kann auch schreiben, d.h. visuelle Sprache mit Geschick, vielleicht sogar mit Eloquenz ausdrücken. Es kann von der visuellen Sprache in die verbale übersetzen und umgekehrt. Es verfügt über ein fundiertes Verständnis der Grammatik der visuellen Sprache und über die Einsicht, dass sie Parallelen zu[r] verbalen Sprache aufweist. Es kennt und beherrscht in gewissem Ausmaß Werkzeuge zur visuellen Kommunikation. Und schließlich hat es eine kritische Sensibilität gegenüber visueller Kommunikation entwickelt (R.B. Fransecky und J.L. Debes. 1972. Visual literacy: A way to learn – A way to teach. Washington, DC: Association for Educational Communications and Technology, zit. n. Weidemann 1988, 174).
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass audiovisuelle Medien, darunter insbesondere Lernvideos, mit Hilfe didaktisch aufbereiteter Hör-Seh-Übungen Ausgangspunkt für zahlreiche Aktivitäten im Unterricht sein können. Wie in den vorausgegangenen Teilkapiteln angedeutet und in Kapitel 5 ausführlich behandelt, können sie angesichts des übergeordneten Ziels der Diskursfähigkeit diverse Funktionen innehaben und nach Fachmeinung sogar eine „Ausgewogenheit […] [aller] Fertigkeiten“ erzielen (Faistauer 2010, 40).
In diesem Sinne fordert der Begriff des integrierten Hör-Seh-Verstehens nicht nur eine Integration audiovisueller Medien in das tägliche Unterrichtsgeschehen, sondern ebenso eine Verknüpfung mit den oben genannten Kompetenzbereichen: Aufgaben zum Hör-Seh-Verstehen sollen derart integriert werden, dass die Schulung der audiovisuellen Rezeption in regelmäßigen Abständen in Unterrichtsabläufe eingebettet wird und Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn zu einem methodisch-kritischen Bewusstsein befähigt werden.
4.3 Befürwortung einer mediengestützten Didaktik und deren Auswirkungen auf die Lehrwerksgestaltung
Im Hinblick auf die Unterstützung fremdsprachlicher Übungsprozesse spielt der Begriff der Neuen Medien eine immer größere Rolle. Gemeint sind damit Medien, deren Einsatz für die jeweilige Zeit und den damit verbundenen technischen Stand innovativ und neu sind (cf. Baier 2009, 108). Hierzu zählen heutzutage insbesondere der Einsatz von Smartboards, Computern, Internet, Lernsoftwares, CD-ROMs, digitalen Unterrichtsassistenten sowie erste Erwägungen dreidimensionaler Cyber-Classrooms. Dank der Benutzerfreundlichkeit und des einfachen Zugriffs auf diese Medien sollen und können Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme, Werbung, aber auch Musikclips und Nachrichtensendungen immer öfter zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden.







