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„Jessica?“ Nie hat mein Name so schön geklungen, wie aus seinem Mund. Es klang beschützend und vielversprechend. „Ist alles in Ordnung? Sollen wir umdrehen oder anhalten?“ Seine tiefe, starke Stimme legt sich wie eine feste Umarmung um mich, in die ich mich gerne fallen lassen würde. Noch nie in meinem Leben habe ich mir etwas sehnlicher gewünscht, als von diesem Man gehalten zu werden. Ich verspüre den Wunsch zu weinen. All den unvergossenen Tränen freien Lauf zu lassen und trotzdem kämpfe ich gegen dieses mächtige Verlangen an und blinzle sie zurück.
Seine Augen bohren sich in meine. Unfähig etwas zu sagen oder zu tun, erwidere ich seinen Blick in der gleichen Intensität, wie er mich betrachtet. Eine gefühlte Ewigkeit sehen wir uns an, ohne dass irgendwer irgendwas unternimmt, bis er eine Hand nach mir ausstreckt und mich ohne Vorwarnung an sich zieht. Ich lasse es einfach geschehen und lege meinen Kopf an seine harte Brust. Er schliesst seine muskulösen Arme um mich und zieht mich noch näher an sich. Ein lautes, befreiendes Wimmern dringt aus meiner Kehle, das ich nicht aufhalten kann. Sowie die Tränen, die nun über meine Wangen laufen.
Über mehrere Monate hinweg durfte mich kein Mann mehr berühren. Nicht einmal mein Vater. Warum muss es ausgerechnet mein Chef sein, der mich halten darf? Der mich fest an sich drückt und ich dabei seinen beruhigenden Herzschlag hören kann? Warum fühlt sich seine Hand auf meinem Rücken, die mich sanft streichelt, so unglaublich beschützend an?
Als ich mich wieder gefangen habe, löse ich mich vorsichtig aus seinen Armen. Er reicht mir ein weisses Taschentuch womit ich die salzige Spur meiner Tränen auf dem Gesicht wegwischen kann. Unfähig ihn anzusehen, blicke ich verlegen auf meine Hände, die gefaltet auf meinem Schoss liegen, dazwischen das zerknüllte Taschentuch.
„Geht's wieder?“
„Ich denke schon.“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
„Wollen Sie weiterhin mit mir essen gehen oder wäre es Ihnen lieber, wenn wir Sie nach Hause bringen?“
Mein Magen knurrt verdächtig laut und wir brechen beide in ein herzhaftes Lachen aus.
„Ich nehme das als Antwort.“ meint er, als wir uns wieder erholt haben.
Er stellt mir keine Fragen. Sieht mich nicht bemitleidend an. Sondern sitzt nur ruhig neben mir, so als wäre vorhin gar nichts gewesen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, auch wenn mir ganz bewusst ist, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, an dem er mich über meine Vergangenheit ausfragen wird.
4.
Wir sitzen in einer gemütlichen Ecke einander gegenüber. Draussen ist es noch immer düster. Zum einen, weil das Restaurant beinahe von einem Wald, der um das Gebäude steht, verschlungen wird und zum anderen, weil sich der Nebel noch kein bisschen gelichtet hat, was heute wahrscheinlich auch nicht mehr geschehen wird.
Seit ich in London bin, habe ich keinen richtigen Wald mehr gesehen und würde gerne in diesem hier spazieren gehen und die frische Luft der Natur einatmen. Vielleicht habe ich ja irgendwann die Gelegenheit wieder hierherzukommen.
Ich fühle mich satt und wohl. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, was schlussendlich ein richtiges Menü war und nicht nur eine Kleinigkeit. Die Atmosphäre ist angenehm entspannt. Nicht zu laut. Nicht zu ruhig. Der Speisesaal nicht zu leer und nicht zu voll. Genau richtig für unser Beisammensein.
Damian Meyer und ich sitzen bereits seit über zwei Stunden in diesem Lokal und unterhalten uns immer noch angeregt über Gott und die Welt. Ich bin wirklich erstaunt, wie locker mein Chef mit mir als seine Mitarbeiterin umgeht. Als Mensch und auch als Vorgesetzter ist er eine beeindruckende Person. Er stellt sich nicht höher als seine Angestellten, was mich mit sehr viel Bewunderung zu ihm aufsehen lässt.
Beinahe vergesse ich sogar jenen Vorfall in seiner Limousine. Aber nur beinahe. Mit keinem Wort hat er davon angefangen. Keine Bemerkung, keine Frage. Nichts. Auch hat er mich nicht über mein Privatleben ausgefragt. Was ich auch bei ihm niemals getan hätte, obwohl ich seltsamerweise liebend gern etwas mehr über ihn erfahren würde. Was seine Freizeitbeschäftigungen sind. Welche Bücher, welche Filme er liebt. Wo er aufgewachsen ist. Es gibt so viel, was ich ihn gerne fragen würde und doch halte ich mich zurück. Er akzeptiert meine Verschwiegenheit, also werde ich auch seinen Wunsch tolerieren.
„Ist es dir unangenehm, wenn ich dich mit Jessica anspreche?“ Er lehnt sich etwas nach vorne, legt seine Arme auf den Tisch und sieht mir dabei offen ins Gesicht. Wahrscheinlich nimmt er all meine Regungen wahr, während ich über seine Frage nachdenke.
Seit er mich im Auto das erste Mal mit meinem Vornamen angesprochen hat, hat er nicht mehr damit aufgehört, mich so zu nennen.
„Warum sollte es mir unangenehm sein?“
„Weil du dann jedes Mal einen befangenen Ausdruck in deinen Augen bekommst.“
Ich bewege langsam meinen Kopf hin und her, aber mein Blick ruht weiterhin in seinem. „Es ist...“ Ich senke meinen Kopf. Ich kann ihm nicht länger in die Augen sehen. „Es ist mir nicht unangenehm. Ich finde es sogar sehr tröstlich, wenn ich meinen Namen aus Ihrem Mund höre.“
Nichts. Stille. Verkrampft halte ich die Kaffeetasse in meinen Händen. Ich traue mich nicht in seine Richtung zu sehen, sondern starre weiter auf das weisse Tischtuch mit den lachsfarbenen Blüten und schliesse dann meine Augen.
Erschrocken reisse ich sie wieder auf, als ich seine Finger an meinem Kinn spüre, die mich zwingen ihn anzusehen. Kein Lächeln umspielt seine Lippen, aber einen Augenblick glaube ich einen inneren Kampf in seinen Augen zu lesen.
„Es wäre nur fair, wenn du mich Damian nennen würdest. Oder?“ Seine Finger hinterlassen eine leere Stelle an meinem Kinn, als er sie zurückzieht.
„Damian.“ hauche ich kaum hörbar. Bereits seit unserer ersten Begegnung nenne ich ihn im Stillen so. Ich musste mich schon mehrmals zusammenreissen, damit ich ihn nicht vor Rose oder Mira so anredete und jetzt bietet er mir an, ihn mit seinem Rufnamen anzureden. „Sehr gerne, Damian.“
Sein linker Mundwinkel zuckt kaum merkbar. Es fällt einem nur auf, wenn man ihn genau beobachtet. So wie ich es in diesem Moment tue.
„Wir werden später darauf anstossen.“
„Später?“ Verwirrung breitet sich in mir aus.
„Der Tag ist noch jung. Ich möchte dir etwas zeigen.“
„Aber wollen Sie....“
„Du.“ unterbricht er mich sofort, als ich ihn sieze.
„Ich möchte nicht deinen Plan, den du für heute hattest, durcheinander bringen.“
„Mein Plan war es zu arbeiten. Das habe ich getan. Und bevor du weitere Fragen stellst. Ich habe keine Verpflichtungen anderen gegenüber. Nur mir selbst.“ Er sieht kurz zur Seite und ruft einem Ober, der ganz in der Nähe bereits auf einen Wink von uns wartete. Damian begleicht die Rechnung, ohne mir eine Chance zu geben, mein Essen selbst zu bezahlen.
„Sieh es als Geschenk.“
„Geschenk? Für was?“
Er lächelt mich an. Zum ersten Mal wirkt sein Lächeln weder gekünstelt noch aufgesetzt und es gilt nur mir. Es entspringt seinem wahren Inneren, was mir fast den Atem raubt. „Für deinen Einsatz. Glaubst du wirklich mir wäre deine hervorragende Arbeit verborgen geblieben?“
Mein Mund klappt auf und wieder zu. Ich starre ihn ein, zwei Sekunden an, bevor ich schliesslich ein zaghaftes Danke herausbringe.
„Ich habe dir zu danken. Bist du bereit?“
Wir gehen nach draussen, wo Damians Chauffeur auf uns wartet. Pietro möchte schon die Wagentüre öffnen, doch sein Boss winkt ab. „Lust auf einen Spaziergang?“
Sofort stiehlt sich ein Lächeln auf mein Gesicht. „Ich habe gehofft, dass du mich das fragst. Seit ich hier in London bin, war ich kein einziges Mal an so einem frischen Ort wie diesen.“ Mit dem Schal um den Hals und Handschuhe über meinen Händen folge ich Damian, der geradewegs auf den Wald zugeht.
Buchen, Eschen und Ulmen umschliessen uns, sobald wir über den Parkplatz auf den Waldweg abgebogen sind. Augenblicklich verliert der Wind seine Kraft in den Ästen der Bäume, die wie eine schützende Wand um uns stehen und somit die Kälte nicht mehr so arg um meine Ohren zieht.
Wir gehen eine Weile nebeneinander her, ohne dass jemand von uns etwas sagt. Beide erfreuen sich über die Stille in dieser Umgebung. Nur Geräusche der Natur sind zu hören und unsere Schritte, die über gefrorenes Laub gehen. Ich liebe dieses Knirschen und geniesse jeden weiteren Gang, den ich neben meinem Chef mache.
Ständig versuche ich mir einzureden, dass meine gute Verfassung nur diesem Naturreich zuzuschreiben ist, dass es nicht an dem Mann liegt, der an meiner Seite geht, dass es nicht der ist, der eine beruhigende Wirkung auf mich hat und doch kann ich nicht die Augen davor verschliessen, dass überwiegend er der Grund ist, warum es mir in diesem Moment gut geht und ich mich seit langer Zeit wieder einmal richtig wohl fühle.
Es führen etliche Wege durch diesen Wald. Nach links, rechts, geradeaus. Aber Damian scheint genau einem Pfad zu folgen. Schliesslich möchte er mir etwas zeigen. Das hat er jedenfalls vorhin im Restaurant gesagt. Ich frage mich, was es sein kann und bin schon fast ein wenig aufgeregt. Freudig aufgeregt.
„Bist du oft hier?“ frage ich ihn, als wir ein weiteres Mal nach rechts abbiegen.
„Manchmal.“ Nach ein paar weiteren Schritten. „Ich hoffe, es gefällt dir.“
„Was es auch ist. Dieser Tag könnte nicht schöner sein, als er schon ist. Ich empfinde deine Nähe als wahren Genuss.“ Es ist wahr. Seine Anwesenheit tut mir gut. Die Panikattacke, die ich auf der Fahrt hierher hatte, habe ich gut überwunden, dank ihm und ich glaube, er ist es wert ihm zu vertrauen. Er zerstreut meine Gedanken an meine Vergangenheit, bringt mich zum lachen und lässt mich aufatmen.
Wie erstarrt bleibt er stehen und sieht mich an. Er versucht zu Lächeln, aber der Ausdruck in seinen Augen entgeht mir nicht. Verärgerung, Trauer oder lese ich gar eine gewisse Unsicherheit darin? Warum nur konnte ich meinen Mund nicht halten?
„Tut... tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.“
Er betrachtet mich, als würde er mich soeben das erste Mal sehen. Weshalb äussert er sich nicht? Sein Blick ist starr auf mich gerichtet. Seine Stimme klingt wie immer, aber in seinen Augen liegt tiefer Schmerz, als er mich auffordert weiterzugehen. Mit keiner Silbe erwidert er etwas auf mein Geständnis. Darüber sollte ich erleichtert sein und trotzdem spüre ich eine kleine Enttäuschung.
„Nur noch diese Kurve, dann sind wir da.“
Eine kühle Seebrise weht durch meine Haare, als meine Füsse plötzlich steinigen Boden berühren. Ich blinzle mehrmals, um den Anblick, der sich vor mir aufgetan hat, als Wirklichkeit zu erkennen. Der See erstreckt sich fast bis zum Horizont und sein Türkisgrün ist so klar, dass man die Fische darin zählen könnte. Bäume umsäumen ihn, als müssten sie ihn vor der restlichen Welt beschützen. Dieses Fleckchen Natur wirkt so unberührt und rein, dass ich mich fast wie ein Eindringling fühle. Trotzdem ist es ein Platz, der mich sofort willkommen heisst. Ich recke mein Kopf in die Höhe, schliesse meine Augen und lasse diesen Moment auf mich wirken. Atme die Seeluft ein und höre dem Wasser zu, wie es gegen das Ufer rauscht.
Als ich noch in der Schweiz lebte, verbrachte ich viel Zeit am Wasser. Erst jetzt merke ich, wie sehr mir das gefehlt hat. Ich nehme mir fest vor, in nächster Zukunft häufiger hierher zu gehen. Ich muss mich wieder den schönen Dingen des Lebens zuwenden statt mich davor zu verkriechen.
Damian hätte mir nichts Schöneres zeigen können, als diesen Ort. Ich wende meinen Kopf und blicke zu ihm herüber. Sehe sein markantes Profil, sein scharfes Kinn und seinen fabelhaften Mund. „Danke.“ hauche ich mehr, als dass ich es wirklich ausspreche. Mein Blick haftet immer noch auf seinen fantastischen Lippen, während er sich in meine Richtung dreht. Dabei bemerke ich nicht, wie er mich ansieht und sich mir nähert.
Plötzlich spüre ich seinen weichen Mund auf meinem. Er berührt mich kaum und doch lassen mich seine feinen Berührungen freudig erzittern. Er liebkost mich mit federleichten Küssen. Erst zaghaft dann vertieft er den Kuss immer mehr. Er schmeckt sündhaft gut und ich öffne ihm bereitwillig meinen Mund. Seine Hände umfassen meine Taille und ziehen mich eng an ihn, als seine Zunge meine Lippen kitzelt, bevor sie sich einen Weg in meinen Mund bahnt und unsere Zungen sich einander umkreisen.
Ich spüre seinen wild klopfenden Herzschlag unter meiner Hand, die auf seiner Brust liegt. Wir stehen eng umschlungen an einem verlassenen Seeufer und küssen uns wie zwei Ertrinkende, die sich schon lange keinen solchen Gefühlen mehr hingegeben haben. Er zieht mich mehr an sich, wobei mir seine harte Männlichkeit nicht verborgen bleibt.
Abrupt versteife ich mich und stosse ihn von mir. „Damian, bitte nicht.“ Ungewollte Tränen steigen mir in die Augen und verschleiern meine Sicht. „Hör auf.“ flüstere ich abermals, aber unnötigerweise, denn er lässt mich sofort los und macht einen Schritt zurück. Bestürzt sieht er mich an. Ich möchte ihm alles erklären, kann es aber nicht. Ich starre ihn nur an. Ich versuche in meinem Mund Sätze einer Erklärung bereitzulegen, allerdings verwerfe ich alles wieder. Denn nichts kommt auch nur ansatzweise genug nah an meinen Gemütszustand. Denn selbst für mich ist es unerklärlich, dass ich mich genauso nach seiner Nähe sehne, wie ich davor zurückschrecke. „Entschuldige bitte.“ und dränge mit aller Kraft die Tränen zurück.
„Du brauchst dich ganz bestimmt nicht zu entschuldigen.“ bringt er zwischen zusammengepressten Zähnen und geballten Fäusten hervor. „Wenn, dann bin ich das.“ Damit wendet er sich ab uns sieht in die Ferne. Er scheint mit einem Mal weit weg zu sein. Irgendwo, nur nicht hier. Sein Gesicht hat einen finsteren Ausdruck angenommen, der mich etwas beunruhigt. Irgendwas beschäftigt ihn, das verraten mir seine angespannten Gesichtszüge und die Falten auf seiner Stirn, aber was es ist, davon habe ich keine Vorstellung. Anscheinend bin ich nicht die einzige Anwesende, die mit Dämonen zu kämpfen hat.
„Habe ich dich verärgert?“ frage ich ihn mit zitternder Stimme.
Langsam dreht er sich zu mir. Ich erblicke gerade noch, wie der Schatten in seinen Augen verschwindet, als er mich ansieht. Was auch immer er bekämpft, er hat gewonnen. Jedenfalls für diesen Moment.
„Nein.“ erwidert er in einem beissenden Ton, der mich sogleich zusammenzucken lässt, was ihm nicht verborgen bleibt. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anfahren.“ Er streckt die Hand nach mir aus, doch ich weiche einen Schritt zurück. „Ich würde dir niemals absichtlich wehtun. Niemals.“ beteuert er nach längerem Schweigen.
Ich nicke schwach mit dem Kopf, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe, aber nicht bereit bin, ihm vollends zu vertrauen. Denn so etwas hat mir schon einmal jemand versprochen. Und ich habe ihm geglaubt, weil ich ihn liebte. Aber eines Tages hat er mir das genaue Gegenteil bewiesen.
„Pietro wartet auf uns. Wir sollten zurück.“ reisst mich mein Chef aus der Vergangenheit.
„Ja.“
So schweigsam, wie wir zu Damians Chauffeur zurückgegangen sind, genauso distanziert sitzen wir jetzt nebeneinander im Rolls Royce und lassen uns in die Stadt zurückfahren. Ich verabscheue diese Stille, aber ich fürchte, wenn ich jetzt den Mund aufmache, um etwas zu sagen, werde ich nur falsch verstanden. Wenn ich könnte, würde ich ihm erklären, warum ich ihn zurückgewiesen habe. Dass es rein gar nichts mit ihm persönlich zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Denn ich fühle mich sehr zu ihm hingezogen. Aber um ihm den wahren Grund für meine Zurückweisung begreiflich zu machen, müsste ich meine ganze Vergangenheit vor ihm ausbreiten und dazu bin ich nicht bereit. Noch nicht.
Ich widme mich der Landschaft, die an uns vorbeizieht, ohne dass ich sie wirklich wahrnehme und wünsche mir endlich aus diesem Auto aussteigen zu können, nur um vor seiner unwiderstehlichen Nähe zu fliehen. Es fällt mir schwer so dicht neben ihm zu sitzen, ohne ihn berühren zu können, meine Finger nicht um seine Hand zu legen, die auf seinem Bein ruht, mich nicht an ihn zu lehnen und von seinem starken Arm umfangen zu werden.
Ich verfluche meine Gedanken und die aufkeimenden Gefühle, die ich gegenüber Damian entwickle. Es ist nicht gut und nicht richtig solche Empfindung für seinen Boss zu haben. Sogar verdammt falsch. Fluche ich innerlich.
Ich habe aufgehört die Versuche zu zählen, ihn in ein harmloses Gespräch zu verwickeln. Denn mir möchte einfach kein geeignetes Thema einfallen ohne Gefahr zu laufen, mich an den Pranger zu stellen oder noch schlimmer, dass er mich zurückstossen könnte.
„Wir sind da.“
Erst jetzt erkenne ich, dass der Fahrer nur wenige Meter von Miras Wohnung entfernt angehalten hat. Etwas erstaunt darüber, dass Damian die Adresse von seiner Mitarbeiterin kennt, blicke ich ihn an. Aber zugleich regt sich eine unangenehme Eifersucht in mir. Eine Erregung die ich nicht empfinden sollte, die sich trotzdem ungehindert in meinem Körper ausbreitet und die ich nicht stoppen kann.
Warum ist Pietro nicht gleich bis vor Miras Block gefahren?
So als könnte Damian meine Gedanken lesen, beantwortet er meine unausgesprochene Frage und bestätigt sogleich meine Befürchtung. „Ich möchte nicht, dass in der Firma das Maul über uns zerrissen wird. Daher fände ich es besser, dass wir niemandem von unserem Ausflug erzählen.“
„Warum sollte über uns gesprochen werden?“
„Nicht, dass es mich wirklich stören würde. Eigentlich ist es mir völlig gleich, was meine Angestellten über mich denken. Aber ich mache mir um dich Sorgen.“
„Um mich?“ Irritiert sehe ich ihn an. „Wir waren doch nur essen.“
„Ja. Aber Jemand könnte das in den falschen Hals bekommen.“ Er sieht mich eindringlich an. „Und was das Andere...“
„Da war nichts.“ falle ich ihm schnell ins Wort, um zu verhindern, dass er etwas aussprechen könnte, was ich nicht hören möchte und wende mich von ihm ab. Ich kann nicht in seine betörenden Augen sehen oder seine verführerischen Lippen betrachten, ohne dabei nicht an den berauschenden Kuss zu denken, den wir am See ausgetauscht haben. Das Verlagen ihn zu berühren und seine leidenschaftlichen Küsse auf meinem Mund zu spüren, sind kaum zu ignorieren.
„Da war nichts.“ wiederholt er mich.
Ich würge schwer den Kloss hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. „Ich werde dann mal gehen.“ Bevor Damian seinem Chauffeur ein Zeichen geben kann, steige ich schnell aus der dunklen Limousine und schliesse hinter mir die Wagentür, ohne mich nochmals nach ihm umzudrehen.
5.
Seit zwei Tagen habe ich ihn nicht mehr gesehen. Scheinbar gehen wir uns beide gezielt aus dem Weg. In den letzten achtundvierzig Stunden habe ich absichtlich die obere Etage gemieden. Sogar Rose habe ich kein einziges Mal besucht, nur um ja nicht in die Gefahr zu geraten, ihm zu begegnen.
So wie ich mich von seinem Stockwerk fernhalte, genauso drückt er sich von den unteren Räumlichkeiten. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber normalerweise lässt er sich jeden Tag bei seinen Mitarbeitern blicken und fragt sie nach ihrem Wohlbefinden, was er in den letzten Tagen nicht gemacht hat. Oder hat er nur mein Büro ausgelassen?
Doch nun ist der Augenblick gekommen, an dem ich mich nicht mehr vor einem Treffen mit meinem Chef drücken kann. Schon seit über einer Stunde schiebe ich es vor mich hin. Mira fragt sich bestimmt schon, warum ich immer wieder zur Tür blicke und nervös mit den Unterlagen spiele, die auf meinem Tisch liegen. Wahrscheinlich hat sie schon in den vergangenen Tagen bemerkt, dass ich etwas neben meiner Spur bin. Aber sie hat mit keiner Silbe meine Laune kommentiert. Sie hat schnell begriffen, wie sie mich behandeln muss, damit wir ohne Probleme miteinander auskommen und dafür bin ich ihr sehr dankbar.
„Nimm deine Sachen und geh endlich nach oben. Du machst mich allmählich ganz irre mit deinem ticken.“
Mir war gar nicht bewusst, dass ich ständig mit den Fingern auf die Holzplatte klopfe. „Tut mir leid.“
„Er wird schon nicht gleich über dich herfallen.“
Wenn sie wüsste, wie treffend ihre Aussage ist. Nur dass ich es bin, die sich wünscht, er würde sich auf mich stürzen, es aber leider nicht geschehen wird. „Ist er überhaupt hier?“
„Ich habe ihn vorhin gesehen.“
Der Gedanke, dass er mich bewusst meidet, rührt etwas in meinem Innersten, was ich nicht richtig verstehen kann, aber es tut weh.
Mira lächelt mir hoffnungsvoll zu, als ich die Papiere in die Hand nehme und trete in den Flur hinaustrete.
Ich umklammere fest die Unterlagen, damit man das Zittern in meinen Händen nicht sieht, während ich auf seine Assistentin zugehe. Umso näher ich seinem Büro komme, umso schwächer fühlt sich mein Körper an.
Rose ist wie immer makellos gekleidet und ihre roten Haare sitzen perfekt. Als sie mich sieht, wandern ihre Mundwinkel nach oben. Doch fast im selben Moment huscht ein fragender Ausdruck über ihr Gesicht. „Hallo Jessica.“ sagt sie fröhlich, aber der kummervolle Unterton in ihrer Stimme entgeht mir nicht.
Was ist passiert? Hat Damian von unserem gemeinsamen Nachmittag erzählt? Nein, das kann es nicht sein. Er ist der, der unser Treffen verschweigen möchte. Allerdings...
„Schön dich wieder einmal zu sehen.“ unterbricht Rose meinen abschweifenden Gedankengang. „Warum hast du dich nicht blicken lassen?“
„Ich kam nicht weg. Tut mir leid.“ Sofort schleicht sich ein schlechtes Gewissen in mein Bewusstsein, weil ich die ältere Dame, die immer herzlich nett zu mir ist, belüge.
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und lächelt mich an. „Ist schon gut. Ich hätte mich ja auch mal unten blicken lassen können. Was kann ich für dich tun?“
Ich habe Mühe den eigentlichen Grund, warum ich Damian aufsuche, vor Augen zu halten. Meine Gedanken schweifen ständig an den vergangenen Sonntagnachmittag zurück, so wie so oft in den letzten Tagen. „Ist Dam..., äh ich meine Mr. Meyer da?“ verlegen sehe ich zu Boden. Beinahe habe ich seinen Vornamen ausgesprochen und sicherlich ist ihr das nicht entgangen.
Sie sieht mich nachdenklich an. Was mag wohl in ihrem Kopf vorgehen? Ich würde sie gerne danach fragen, doch in dem Moment geht eine Tür auf.
„Miss Weber.“ Wie angewurzelt bleibt Damian stehen und betrachtet mich mit seinen braunen Augen, die mich sofort in seinen Bann ziehen. „Was führt Sie hierher.“
Ich mache den Mund auf und wieder zu, ohne ein Wort herausgebracht zu haben. Oh Gott, er spricht mich mit Sie an. Er hat damals das Du angeboten, nicht ich. Warum plötzlich so unpersönlich?
„Mr. Meyer. Ich möchte gerne etwas mit Ihnen besprechen.“ Meine Stimme klingt sehr gefasst, was mich selbst ziemlich überrascht, denn in meinem Inneren zerbröckelt soeben etwas und es hinterlässt einen unwillkommenen Schmerz in meiner Brust. „Haben Sie Zeit für mich?“
„Warum wenden Sie sich nicht an Mr. Baker?“ Er geht zu Rose, die uns genauestens beobachtet, was mir sehr unangenehm ist und legt seine Dokumente auf ihren Tisch.
„Er ist nicht da.“
„Kann es nicht bis morgen warten?“
„Ich denke nicht.“ Ich hole kurz tief Luft. „Aber ich möchte nicht Ihre Zeit verschwenden, Mr. Meyer.“ Meine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen.“ Soll er doch sehen, wo der Pfeffer wächst.
Noch bevor ich mich vollständig umgedreht habe, erklingt sein Bariton klar und kräftig. „Kommen Sie in mein Büro.“
Ich riskiere einen Blick über die Schulter und erschrecke beinahe, als ich in seine gefährlich dunkel funkelnden Augen sehe. Bin ich etwa zu weit gegangen? Mit zittrigen Beinen folge ich ihm in sein Büro. Sobald ich durch die Tür bin, schliesst er sie leise, aber bestimmt hinter sich. Ich kann seine Nähe förmlich spüren und den Duft seines Aftershaves riechen, der mir schwach in die Nase steigt und der meine Erinnerungen an unseren gemeinsamen Nachmittag noch mehr anstachelt.
„Was sollte das?“ fragt er mich in einem beunruhigend sanften Ton, als er sich hinter seinen Schreibtisch begibt.