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„Ich...“ aufgewühlt stehe ich ihm gegenüber. Mein Blick schweift in seinem Büro umher, nur nicht zu ihm. Dafür fühle ich mich nicht stark genug. „Ehrlich... Ich...“ Trotzig drehe ich mein Kopf in seine Richtung und sehe ihn unverwandt an. „Ich dachte wir sagen du zueinander.“
„Das machen wir auch.“
„Und warum hast du mich dann eben noch mit Miss Weber angesprochen und nicht mit meinem Vornamen?“
„Ich möchte es nicht vor meinen Angestellten.“ Sein Blick weicht nicht von meinem.
„Wann dann? Mit Rose bist du ebenfalls per du und bei ihr spielt es keine Rolle?“
„Sei nicht albern.“ Ich erkenne seine innere Anspannung. Wie er tief Luft in seine Lunge zieht und eine plausible Erklärung sucht. „Ich kenne Sie schon etliche Jahre. Bei ihr ist es etwas völlig anderes.“
„Ach ja?“
„Niemand schert sich darum, wenn ich sie mit Rose anspreche. Wohingegen bei uns...“ Wenn ich nicht genau hingesehen hätte, wäre mir der traurige Ausdruck, der über sein Gesicht huschte verborgen geblieben.
„Uns würde man sofort eine Affäre nachstellen. Nicht wahr?“
„Ja, so in der Art.“ Betrübt sieht er weg.
„Seit wann scherst du dich darum, was deine Mitarbeiter denken? Du bist ihr Chef. So hast du es mir schliesslich erklärt.“ Nicht nur er, sondern auch ich kämpfe verzweifelt gegen die innere Wut an, die sich immer mehr an die Oberfläche drängt. „Wen willst du mehr beschützen? Mich oder doch vielleicht dich? Und abgesehen von alledem haben wir ja gar nichts miteinander. Es ist nichts vorgefallen und es wird auch nichts geschehen. Ich bin nur eine deiner vielen Angestellten. Aber ich dachte, dass wir uns gut verstehen würden.“
Seine Hände sind zu Fäusten geballt, die Zähne fest zusammengebissen. „Es war also nichts?“ Er kommt um seinen Tisch und bleibt weniger als einen Meter vor mir stehen. Seine Miene ist unerbittlich. „Es wird nichts passieren?“
Unfähig meinen Kopf hin und her zu bewegen, starre ich weiterhin in seine immer noch gefährlich fast schwarz gefärbten Augen. Mein Herz schlägt hart gegen meinen Brustkorb, als er einen weiteren Schritt auf mich zumacht.
„Und du möchtest nicht, dass wir uns nochmals so nahe kommen, wie am See?“ Wieder einen Schritt.
Nur noch wenige Zentimeter trennen mich von ihm. „Ich...“
Meine Worte ersticken in meiner Kehle, als sich seine weichen Lippen auf meine legen. Automatisch erwidere ich seinen sanften Kuss und öffne bereitwillig meinen Mund, um seiner Zunge Einlass zu gewähren. Ein leiser, wohliger Seufzer entweicht mir, als sich unsere Zungen berühren. Damian legt seine Hände um meine Taille und zieht mich sogleich fest an sich. Ich kann seine harten Muskeln unter meinen Fingern spüren, die an seinen Oberarmen Richtung Brust wandern. Er ist gut gebaut. Ziemlich sportlich, was ich sehr anziehend finde.
Seine Hände fahren über meinen Rücken. Sanft, aber mit einem gewissen Begehren. Mir fallen genug Gründen ein, warum ich mich von ihm lösen und das Weite suchen sollte. Aber meine Lust und meine Sehnsucht nach ihm sind stärker, als jedes noch so vernünftige Argument und lassen meine Selbstbeherrschung in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus.
Ich ziehe seinen verführerischen Duft in meine Nase, als er mir mit seinem Mund leichte Küsse auf meinen Hals haucht und neige meinen Kopf etwas zur Seite, damit er besser meine nackte Haut mit seinen Lippen berühren kann. Meine Augen halte ich geschlossen, während ich in seine Arme sinke und mich ihm völlig hingebe. Seine Hände fahren an den Rundungen meiner Brüste vorbei, hinauf zu meinen Schultern, wo sie kurz innehalten, um sich dann wieder vorsichtig meinem Busen zu nähern.
Mein Verlangen nach ihm steigt schier ins Unermessliche. Ich möchte ihn überall berühren, küssen und halten, aber die Angst vor seiner möglichen Reaktion lässt mich zurückhalten. Statt meine Hände in sein Haar zu vergraben und über seine Brust zu fahren, bleiben sie steif auf seinen Oberarmen liegen.
Wieder wandern seine Finger gefährlich nah an meinen Brüsten vorbei, wobei mir ein leises Stöhnen aus dem Mund kommt und die Stille im Büro durchdringt.
Ich sollte das hier sofort beenden, nur arbeitet mein Verstand gegen mich und überlässt mich vollkommen alleine meinem Schicksal. Sein Mund fährt weiter meine nackte Haut hinab und liebkost dabei mit federleichten Küssen mein Schlüsselbein.
„Wenn du mich nicht gleich aufhältst, kann ich für nichts mehr garantieren.“ Seine Stimme ist rauchig und sein Atem geht schwer.
Ich vergrabe meine Fingernägel in seinen muskulösen Oberarmen. „Wenn du das hier so sehr wünschst, wie ich, warum bist du mir dann aus dem Weg gegangen?“ frage ich ihn flüsternd in sein Ohr.
Seine Hände, die gerade noch liebevoll über meine Brüste gestrichen sind, bleiben wie erstarrt auf meiner Taille liegen. Sein Mund hört augenblicklich auf mich mit seinen warmen Küssen zu verwöhnen. Noch bevor er sich wirklich von mir löst, vermisse ich schon seine unwiderstehliche Wärme. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten. Dann würde ich noch immer von ihm gehalten werden und wir würden immer noch Zärtlichkeiten austauschen. Aber ich musste mal wieder alles zerstören.
Damian schiebt mich etwas von sich, lässt aber seine Hände immer noch an meiner Körpermitte liegen. „Ich mag dich, Jessica.“ Er sieht mich entschieden an. In seinen Augen ist nach wie vor ein Funke der Begierde zu erkennen, nur weicht es immer mehr einer Resignation, die mir nicht gefällt, aber richtig erscheinen sollte.
Ich schlucke einen schweren Klumpen der Enttäuschung herunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. „Warum hörst du auf?“
„Oh Mann, Jessica.“ Er atmet tief ein und legt seine Stirn an meine. „Wir dürfen das nicht tun.“ Langsam löst er sich von mir. „Es tut mir leid.“
„Eben gerade hast du gesagt, dass du mich magst.“
„Genau deshalb dürfen wir es nie wieder soweit kommen lassen.“
„Das ergibt keinen Sinn für mich.“ Verwirrt starre ich auf seinen Rücken, während er weiter von mir flieht.
Er bleibt vor seinem Pult stehen und dreht sich zu mir um. Seine Schultern sind angespannt, sowie seine Gesichtszüge. „Ich bin nicht der Richtige für dich.“
Ich habe das Gefühl, als würde ich eben das Gleichgewicht verlieren. Seine Worte treffen mich mehr, als es sollte. Ich blinzle die aufkommenden Tränen weg, aber ich tue ihm nicht den Gefallen, indem ich ihm jetzt eine Szene mache. Ich werde nicht wie eine Furie auf ihn losgehen und ihn auch nicht beschuldigen, er hätte mich verführt oder hätte seinen Spass gehabt. Nein, ich werde nichts dergleichen unternehmen, obwohl ich mich völlig verloren fühle, weil er mich so einfach abserviert. Ich blicke ihn an und sehe meinen Chef. Jedenfalls ist es das, was ich wie ein Mantra in meinem Kopf aufsage und versuche meinen Worten zu glauben. Ich sollte ihn als nichts anderes ansehen, als der Eigentümer dieser Firma. Ein mächtiger Mann Londons. Mein Chef.
„Ich lasse die Unterlagen da. Du kannst sie durchsehen oder auch nicht. Schliesslich handelt es sich um dein Geschäft und du bist der Boss. Ich wollte dich nur über ein paar Unstimmigkeiten in Kenntnis setzen. Über Buchungen, die für mich nicht nachvollziehbar sind.“ Obwohl meine Knie drohen einzuknicken, gehe ich mit festen Schritten auf die Tür zu. Ich muss schleunigst aus diesem Raum, bevor ich noch vor Damian zusammenbreche.
„Jessica.“
Ich drehe mich nicht um, sondern starre auf den verchromten Türgriff, den ich bereits mit meiner Hand umschlossen halte.
„Ist alles in Ordnung zwischen uns?“ Er klingt sanft und einfühlsam, was mein Herz nur noch mehr zerreisst.
„Ja.“ Mehr bringe ich nicht heraus, ohne dass meine Stimme zu beben beginnt und ihm verraten würde, wie ich wirklich empfinde.
„Sieh mich bitte an.“ fordert er mich auf. Doch diesen Gefallen tue ich ihm nicht.
„Es tut mir leid, dass ich dich bei der Arbeit gestört habe.“ Ich öffne die Tür, um gleich darauf fluchtartig aus diesem Raum zu stürmen und bete zu Gott, dass ich nicht auf den Fahrstuhl warten muss.
„Trinkst du noch einen Kaffee mit mir?“
Ich habe schon befürchtet, dass sie sich noch mit mir unterhalten möchte, sobald ich aus Damians Büro trete. Aber ich möchte nicht länger auf diesem Stockwerk bleiben. Ich möchte nicht weiter in seiner Nähe sein und Gefahr laufen, ihm in den nächsten Minuten nochmals unter die Augen zu treten. Ausserdem brauche ich nicht, dass Rose Zeugin meines emotionalen Zusammenbruchs wird. Ich muss hier weg und verfluche den Aufzug, weil er mich im Stich lässt.
„Tut mir leid, Rose. Ein andermal.“ rufe ich ihr über die Schulter zu. „Ich muss dringend nach unten.“
Ich atme tief ein und aus, als ich endlich alleine im kühlen, grauen Kasten stehe und nach unten fahre. Angespannt versuche ich mich von dem Dämpfer zu erholen, der mir Damian soeben verabreicht hat. Wie konnte ich auch nur annehmen, dass ich ihm mehr bedeuten könnte, als die anderen seiner Angestellten? Warum um alles in der Welt musste ich mich in ihn verlieben? Oh Gott. Diese Erkenntnis lässt mein Blut in den Adern gefrieren und halte eine Hand vor meinen Mund, um nicht laut herauszuschreien. Wie konnte mir das nur passieren? Ich hatte mir geschworen, mich nicht mehr auf einen Mann einzulassen. Sicher in nächster Zukunf nicht. Und dann muss ich ausgerechnet eine Schwäche für meinen Chef entwickeln. Genau für den Mann, dem alle Frauen zu Füssen liegen.
Warum muss das mir widerfahren? Ich würde mich gerne ohrfeigen und mir die Haare raufen, wenn ich damit bewirken könnte, mich von meinem jämmerlichen Kummer befreien zu können. Stattdessen schüttle ich schwermütig den Kopf.
Während ich Miras und meinem Büro nähere, weiss ich was ich tun werde. Zwar ist es feige, aber es erscheint mir im Moment als das einzig Richtige.
„Hey Mira. Kannst du mich bei Mr. Baker krank melden?“
Mira hebt verwundert den Kopf von ihren Papieren. „Na klar. Was hast du denn?“
„Nur eine kleine Magenverstimmung. Ich werde mich zu Hause etwas hinlegen. Morgen wird es mir bestimmt wieder besser gehen.“
6.
Es ist eigentlich nicht meine Art, von der Arbeit fern zu bleiben, wenn ich nicht wirklich krank bin. Aber gestern brauchte ich den Abstand zu Damian und seiner Firma. Ich musste über einiges nachdenken und das ging nur, nachdem ich aus dem Wolkenkratzer in Miras Wohnung geflüchtet bin. Leider musste ich mir eingestehen, dass mein Chef mir mehr bedeutet, als dass er sollte. Trotzdem habe ich einen Weg gefunden, wie ich meine Empfindungen für den dunkelblonden Mann mit seinen bezaubernden braunen Augen abtöten kann.
Meine letzte Beziehung war letzten Endes die reinste Hölle. Der Mann, den ich einst liebte, von dem ich glaubte, dass er ebenso für mich empfand und dem ich vertraute, hat mich auf übelste Art und Weise verletzt und daran werde ich festhalten.
Ich werde auf keinen Fall noch einmal mein Herz verlieren. Damian hat mir deutlich erklärt, dass wir kein Paar werden oder sein können. Wer weiss, vielleicht täusche ich mich in Damian genauso, wie ich es damals in Michael getan habe. Schliesslich meinte Damian, dass er nicht der Richtige für mich sei. Warum sollte ich also hinter ihm hertrauern? Ich kenne ihn ja kaum.
Gerade als mein Computer hochgefahren ist, klingelt das Telefon. Mit einem raschen Blick auf das Display, erkenne ich Rose Nummer und nehme gut gelaunt den Hörer ab. „Guten Morgen Rose.“
„Geht es dir wieder besser?“ Noch bevor ich sie fragen kann, woher sie weiss, dass ich gestern nach Hause gegangen bin, redet Rose schon weiter. „Da du kürzlich blitzartig dieses Stockwerk verlassen hast, wollte ich später nach dir sehen. Aber du warst nicht in deinem Büro auffindbar. Mira meinte, dass du dich nicht wohl fühlen würdest.“
Ich hebe den Kopf und blicke zu meiner Bürogefährtin, die mich unschuldig anlächelt. „Es war nur eine kleine Magenverstimmung. Alles ist wieder in Ordnung.“
„Gut. Kommst du um zehn nach oben, um mit mir einen Kaffee zu trinken?“
„Na klar.“
„Gut.“ und schon hat Rose aufgelegt.
Klang sie eben etwas besorgt oder interpretiere ich da nur etwas hinein? Hat sie bemerkt, wie aufgelöst ich gestern das Büro von unserem Chef verlassen habe? Abwesend lege ich den Hörer auf die Muschel zurück. Sicherlich ist ihr nichts entgangen und wahrscheinlich möchte sie genau darüber reden, was mich nervös machen lässt. Nicht nur das, sondern das Risiko ihm zu begegnen, lässt mich noch mehr erzittern.
Fertig! Hör endlich auf! Schreit mich mein Unterbewusstsein an. Ich schiebe all meine unangenehmen Gedanken fort und konzentriere mich auf die Arbeit. Das ist die beste Medizin, vor dem Kummer zu flüchten und über den Schmerz hinwegzukommen.
Mira sitzt mir gegenüber. Gelegentlich unterhalten wir uns über belanglose Dinge und lachen über Kleinigkeiten, während wir unsere Aufgaben erledigen. Es wirkt so normal und wunderbar, wie immer.
Sie weiss, dass ich nicht unter Magenbeschwerden gelitten habe, aber sie fragt mich mit keinem Wort nach dem wahren Grund für meine gestrige Verstimmung. Dafür bin ich ihr dankbar und dafür was für eine gute Freundin sie für mich geworden ist.
„Hast du schon deine Weihnachtseinkäufe erledigt?“
„Weihnachtseinkäufe?“
Sie hebt eine ihrer rötlichen Augenbraue in die Höhe. „Heiligabend? Geschenke? Sag mir nicht, du hast noch nichts geplant.“
„Nicht wirklich.“
„Gehst du nicht in die Schweiz zu deinem Vater?“
„Ich habe es mir noch nicht so genau überlegt.“
„Du kannst mich und Alan gerne begleiten.“
„Bei euren Familienbesuchen? Lieber nicht.“ Abwehrend halte ich die Arme in die Höhe. „Ich möchte nicht das dritte Rad am Wagen sein. Trotzdem, herzlichen Dank. “
„Das bist du nun wirklich nicht.“
„Ist schon gut, Mira. Ich denke ich werde die freien Tage einfach ausspannen und nichts tun. Vielleicht bringe ich ja meinen inneren Schweinehund endlich dazu ins Fitnessstudio zu gehen. Mach also um mich keine Sorgen.“
„Wenn du meinst. Aber mein Angebot gilt.“
Ich stehe auf, trete an das hohe Fenster und lockere meine steif gewordenen Glieder. Immer noch fängt mein Puls schneller an zu rasen und ein schwacher Schwindel überkommt mich, wenn ich an die Glaswand trete, um über die Dächer von Londons Häuser zu blicken. Um mich an diesen Anblick und diese unvorstellbare Höhe zu gewöhnen, brauche ich wohl noch etwas länger Zeit.
In wenigen Minuten erwartet mich Rose. Gerade, als ich mich wieder auf den Stuhl setzen möchte, kommt mein Vorgesetzter in das Büro gestürzt.
Roland Baker sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an und noch bevor ich ihm einen guten Morgen wünschen kann, pfeift er mich in sein Büro.
„Miss Weber. Kommen Sie mit!“
Wie ein Hund folge ich ihm den Flur entlang in sein Arbeitsraum. Dabei entgeht mir nicht der schadenfrohe Blick seiner Sekretärin, als wir an ihrem Schreibtisch vorbeigehen.
Gleich nachdem die Tür hinter uns ins Schloss fällt, dreht er sich zu mir um und sieht mich feindseligen an. „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Er klingt aufgeregt und wütend.
„Ich verstehe Sie nicht. Was habe ich mir gedacht?“
„Ich spreche von dem hier.“ Baker geht zu seinem Schreibtisch, nimmt ein paar Unterlagen in die Hand und schleudert sie mir zu.“ Müssen Sie gleich bei jeder Gelegenheit zum Boss springen? Mr. Meyer hat keine Zeit für solche belanglose Sachen. Das nächste Mal werden Sie gefälligst zu mir kommen. Ich bin ihre nächste Ansprechperson und nicht Mr. Meyer. Haben Sie das verstanden?“
„Sie waren nicht erreichbar. Daher ging ich zu...“
Er unterbricht mich schroff. „Das nächste Mal warten Sie, bis ich erreichbar bin. Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?“
„Natürlich.“ Sein aufgeblasener Ton gefällt mir gar nicht. Aber was soll ich anderes tun, als verständnisvoll zu nicken und ihm in den Arsch zu kriechen? Schliesslich ist er mein Vorgesetzter. Wenn ich keine Probleme mit ihm haben möchte, tanze ich nach seiner Pfeife.
„Sie können diese Unterlagen vernichten.“ und zeigt auf die Papiere, die zerknüllt in meinen Händen liegen. „Bloss weil Sie irgendwas nicht richtig zuordnen konnten, habe ich gestern Abend ein paar Stunden mehr im Büro verbringen müssen.“
„Das tut mir leid. Ich dachte wirklich...“
Sofort fällt er mir schneidend ins Wort. „Da haben Sie anscheinend falsch gedacht. Und jetzt gehen Sie zurück an Ihren Platz und erledigen Ihre Arbeit. Und zwar jene, die in Ihrem Zuständigkeitsbereich liegt.“
„Selbstverständlich.“ Ich muss mich wirklich zusammenreissen, ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Stattdessen gehe ich wie ein zusammengestauchtes Häufchen Elend zurück in mein Büro. Sogar Bakers aufgedonnerten Sekretärin bleibt mein erbärmlicher Anblick nicht verborgen, als ich an ihr vorbeigehe. Was mich beinahe am meisten beschäftigt.
Leider befindet sich Mira nicht an ihrem Platz. Ich könnte jetzt jemandem zum reden gebrauchen. Und obwohl ich eine Person im sechsundvierzigsten Stock hätte, besitze ich nach dem herablassenden Gespräch mit Baker keinen Mut, um nach oben zu gehen. Ich sollte mich jetzt hinsetzen und den anderen beweisen, dass ich meine Arbeit schätze und auch gerne erledige. Dass ich meine Aufgaben korrekt und zuverlässig ausführe. Also werde ich das auch machen.
Bedrückt nehme ich an meinem Computer Platz und haue auf die Tastatur ein, als wäre sie plötzlich zu meinem Feind geworden. Ich konzentriere mich völlig auf die Zahlen vor meinen Augen und für einen Moment gelingt es mir sogar, mich von Bakers Zusammenschiess zu erholen.
„Wo bleibst du denn?“
Erschrocken fahre ich hoch. „Oh, Rose. Du bist es.“
„Ich warte auf dich.“
„Sorry, ich wollte kommen. Aber ich hatte eine üble Unterhaltung mit Mr. Baker.“
„Das ist doch...“
„Bitte Rose.“ unterbreche ich sie. „Halte mir nicht auch noch eine Moralpredigt. Das kann ich jetzt echt nicht ertragen.“
„Komm.“
„Wohin?“
„Nach oben. Obwohl dich dein grossspuriger Chef soeben in die Mangel genommen hat, hast auch du eine Pause verdient. Also los.“ Sie nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Sessel.
„Du magst ihn nicht?“ frage ich sie etwas überrascht und mit leiser Stimme, damit uns niemand hören kann, als wir über den Flur auf den Fahrstuhl zugehen.
„Sagen wir es mal so. Er ist nicht gerade mein bester Freund, aber Damians und aus diesem Grund versuche ich ihn zu respektieren. Aber es gelingt mir nicht immer. So wie in diesem Moment.“ Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, was mich sofort etwas aufmuntert. „Also, was hat er getan?“ möchte sie von mir wissen, als sich die Aufzugtüren geschlossen haben und wir nach oben fahren.
Während der starke Kaffee, der mir Rose offeriert hat, wohltuend meine Kehle hinunter rinnt, erkläre ich ihr alles. Von meinen Entdeckungen über die Buchungen, die ich nirgends zuordnen kann, bis hin zu meiner Unterredung mit Mr. Baker. Dabei steigt meine Wut wieder in mir hoch. Nicht nur auf den Mann, der mir vor wenigen Minuten klargemacht hat, wer hier das sagen hat, sondern auch auf jene Person, von der ich geglaubt habe, er wäre mein Freund.
Als ich schliesslich mit meiner Erzählung ende, nickt sie nachdenklich und mitfühlend mit dem Kopf und tätschelt liebevoll meine Hand. „Er ist nun mal dein direkter Vorgesetzter.“
Rose schenkt mir eine weitere Tasse Kaffee ein. Und während ich an meinem heissen Getränk nippe, wandern meine Augen verstohlen auf die verschlossene Tür, hinter der sich Damians Büro befindet.
„Und jetzt möchte ich wissen, was dich sonst noch bedrückt.“
„Das habe ich dir doch soeben erzählt?“ Obwohl ich ganz genau weiss, von was sie redet, spiele ich die Unwissende.
„Du hast mir erklärt, warum du wütend bist.“ Sie senkt ihre Stimme zu einem fürsorglichen Flüstern. „Aber nicht warum du dich betrogen und verletzt fühlst.“ Sie nimmt meine Hand in ihre und hält sie umschlossen, wie es eine liebevolle Mutter tun würde.
Ihre aufmerksamen Blicke und ihr stummes Verständnis treiben mir fast die Tränen in die Augen. Nur mit grosser Willenskraft kann ich sie zurücktreiben.
„Ich habe dich gesehen, als du aus Damians Büro gestürmt bist. Zwar konnte ich nicht direkt in dein Gesicht schauen, weil du kein einziges Mal zu mir blicken wolltest, als du auf den Aufzug gewartet hast, aber mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte.“ Wieder tätschelt sie aufmunternd meine Hand. „Ich bin eine gute Zuhöherin, weisst du? Was ist da drin passiert?“ Mit einem Kopfnicken deutet sie auf Damians Tür.
Verloren senke ich meinen Kopf und bewege ihn langsam hin und her. Dabei atme ich tief ein und aus. „Es ist nichts passiert.“
„Und warum siehst du mich dann nicht an?“
„Weil du mir dann nicht glauben würdest.“
„Weisst du,“ beginnt sie einfühlsam. „Damian ist auch nur ein Mensch. Du musst ihm nur etwas Zeit geben.“
„Zeit wofür?“ Ich hebe meinen Kopf und sehe in die grauen Augen der älteren Frau, die mir zärtlich zulächelt.
„Damit er mit seinem ganzen Herzen für dich frei sein kann.“
„Warum sagst du das?“
„Ich kenne ihn gut genug, um zu sehen, dass er genauso durcheinander ist wie du.“
Tränen rollen über meine Wangen. Tränen die ich nicht mehr aufhalten konnte und noch bevor ich sie abwischen kann, ertönt ein Gong, der die Ankunft des Fahrstuhls anmeldet.
Eine äusserst attraktive, junge Frau mit blonden Haaren, die zu einem kurzen Bob geschnitten sind, tritt in den Empfangsbereich und begrüsst Rose, dann mich mit einem Akzent, der mich an meinen eigenen erinnert.
„Hallo Susanne.“ begrüsst Rose sie. „Damian wird gleich bei dir sein. Ich werde ihn sofort über dein Erscheinen informieren.“
„Gut. Ich werde einfach so lange warten.“ Sie setzt sich auf einen der grossen, weichen Sessel auf denen ich erst vor wenigen Wochen auf Damian gewartet habe und nimmt sich ein Magazin zur Hand.
Ich nehme nur am äussersten Rand wahr, wie Rose die Besucherin bei Damian anmeldet. Viel zu sehr werde ich durch das Aussehen dieser Frau in den Bann gezogen. Etliche Fragen huschen durch meinen Kopf, während ich ihre manikürten Fingernägel, ihr dezent geschminktes Gesicht und ihre wohlgeformte Figur betrachte.
Ein heftiger Schmerz durchzuckt mein Herz, als ich seine kraftvolle Stimme höre. Wie gefühlvoll er sie anspricht und zärtlich anlächelt. Sie, nicht mich. Mich hat er nicht einmal zur Kenntnis genommen.
„Hallo Susanne.“ Er geht auf die Frau zu, die im Vorraum wartet und die er auf Schweizerdeutsch anspricht. Dicht vor ihr bleibt er stehen, bevor er sie fest in die Arme nimmt und einen Moment, der sich mir anfühlt wie eine Ewigkeit, umschlungen hält.
„Überrascht?“
„Nein. Ich habe dich nur nicht so früh erwartet. Schön dich zu sehen. Wie war dein Flug?“
„Hätte nicht besser sein können. Danke, dass du mir deinen Jet zur Verfügung gestellt hast.“ Dabei streicht sie sanft über seine Arme.
Ich kann den Blick einfach nicht von ihnen lösen. Von jenen beiden, die so vertraut und selbstverständlich miteinander umgehen, dass es keinen Zweifel gibt, dass sie sich schon seit langer Zeit kennen.
Die Tränen die ich eben noch angestrengt zurückgedrängt habe, stehen schon wieder in meinen Augen. Ich drehe mich niedergeschlagen um, um den Anblick, den sie mir bieten nicht mehr mitansehen zu müssen.
„Haben Sie nichts zu tun?“ Damian reisst mich aus meiner Starre und ich zucke augenblicklich unter seinem herrischen Tonfall zusammen. Ich blinzle schnell die Tränen weg, die noch immer verräterisch in meinen Augen stehen und drehe mich zu ihm um. Sein schonungsloser Blick ist geradewegs auf mich gerichtet. Sein Mund ist zu einem schmalen Strich gezogen, während sein Gast triumphierend lächelt.
Verlegen stottere ich herum: „Äh, i...ich habe nur eine kurze Pause gemacht.“ Meine Augen huschen von Damian zu seiner Blondine, weiter zu Rose, die mich mitfühlend betrachtet.
Er wirft einen Blick auf seine Rolex. „Die ist bestimmt schon längstens vorbei.“
„Ja.“ antworte ich kurz.
„Rose bringst du uns bitte einen Kaffee?“ Er legt seine Hand auf den Rücken seiner Besucherin, führt sie sanft in sein Büro und schliesst die Tür hinter ihnen.