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Stattdessen denke ich darüber nach, wie ich Oliver doch noch dazu bringen könnte, sich mit seiner Mutter zu treffen, bevor es für beide zu spät ist.
„Ihr Sohn möchte Sie leider nicht sehen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Jetzt kann ich auch verstehen, warum er so reagiert hat. Vielleicht sollten Sie selbst mit ihm Kontakt aufnehmen.“
„Nein.“ Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich habe zu grosse Angst, dass er seine Abneigung gegenüber mir direkt ins Gesicht schleudert. Das könnte ich nicht ertragen.“
„Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass er sich anders verhält, wenn ich etwas arrangieren kann?“
„Das sagt mir mein Gefühl.“
Ich fühle mich so, als hätte ich eine Woche nicht mehr geschlafen. Das Treffen mit Emma Kyssen ist viel schrecklicher ausgefallen, als das ich mir erträumt habe. Die Wahrheit darüber, was sich in dem damaligen Elternhaus abgespielt hat, ist erschütternd und drückt mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.
Ich bin erleichtert, als ich endlich die Tür zu meiner Wohnung aufschliessen und die Schuhe mit ihren mörderischen Absätzen abstreifen kann.
Die Dusche gibt ihr Bestes, nur leider kann sie meine wild durcheinander geratenen Gedanken nicht fortspülen.
Gerade als ich mich mit einem Glas Wein vor dem Fernseher niederlassen möchte, klingelt es an der Tür. Ich tu so, als würde ich es nicht hören und nehme die Fernbedienung in die Hand. Wieder klingelt es, das durch ein Klopfen unterstrichen wird.
„Hei Verena. Ich weiss, dass du da bist. Komm schon. Mach auf!“ höre ich meinen besten Freund rufen.
Erschöpft erhebe ich mich aus meinem durchgesessenen Sofa. In einem ausgeleierten T-Shirt und mit kurzen, weiten Shorts öffne ich die Tür. „Hei Ron. Was gibt's?“
„Das müsste ich dich fragen. Seit Tagen versuche ich dich zu erreichen, aber jedes Mal wurde ich mit dem Anrufbeantworter verbunden.“
„Tut mir leid. Aber ich habe gerade einiges um die Ohren.“
„Und das wäre?“
„Ach Ron,“ seufze ich. „du weisst doch, dass ich nicht über meine Arbeit sprechen darf.“ und küsse ihn auf die Wange.
„Hast du mir wenigstens ein Bier?“ Er lächelt mir schelmisch zu und lässt sich auf dem Sofa nieder, auf dem ich es mir vorhin bequem machen wollte.
„Lass dich bedienen.“ erwidere ich spöttisch. Ich gehe in die Küche, um ein kühles Blondes aus dem Kühlschrank zu holen. „Was verschlägt dich hierher?“
„Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Er zwinkert mir mit den Augen zu. „Und ich habe dich vermisst. Wie geht es dir?“
„Gut.“
„Du siehst erschöpft aus.“
„Es war ein anstrengender Tag.“ Wenn ich genau nachdenke, verliefen die letzten beiden Tage nicht so, wie ich es mir erwünscht habe. Doch darüber kann ich leider nicht mit meinem Gast sprechen. Wenn ich mich überhaupt jemandem anvertrauen kann, dann ist es Tina. Aber ehrlich gesagt, weiss ich nicht einmal, ob ich ihr erzählen kann, was ich heute alles in Erfahrung gebracht habe. Ich fühle mich, als wäre ich auf einer Achterbahn gewesen, dass mein Herz aus seinem Rhythmus gerissen hat und sich nun nicht mehr beruhigen lässt.
Ich versuche die Erinnerungen an die letzten fünf Stunden in meine hinterste Ecke des Gehirns zu verbannen, das mir sogar ein klein wenig gelingt und greife nach meinem Weinglas, als ich mich neben Ron setze.
„Was habe ich verpasst?“ frage ich ihn ohne lange zu überlegen.
„Nichts. Warum fragst du?“
„Konntest du keine heisse Blondine finden?“
„Ich hatte keine Lust auf eine andere Frau. Du weisst, dass ich dich will.“
„Hör auf Ron. Es kann zwischen uns nicht klappen. Das weisst du genauso gut wie ich .“ Ich muss mir eingestehen, dass er unheimlich gut aussieht, dass er attraktiv ist, dass mir die paar Mal, die wir zusammen im Bett verbracht haben, Spass gemacht haben und schön waren. Aber das war's dann auch schon.
Ich mag ihn als Kumpel und ich möchte ihn nicht missen. Aber mehr als Freundschaft wird es zwischen uns ganz bestimmt nicht geben. Was er zu meinem Bedauern manchmal zu vergessen scheint.
„Wollen wir uns ein bisschen amüsieren?“ Ron legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und fährt mit leichtem Druck auf und ab.
„Lass das Ron.“ Sofort hebe ich seine Hand und lasse sie neben mir aufs Sofa fallen.
„Hast du einen neuen Macker?“ verwundert sieht er mich an.
„Nein.“
„Wo ist dann das Problem?“
„Du gehst jetzt besser. Es ist schon spät und ich bin ziemlich erledigt.“ Ich stehe auf und ohne ein weiteres Wort öffne ich die Eingangstür. Resigniert schaut er mich an, stellt seine Bierflasche hin und kommt auf mich zu.
„Lass von dir hören.“ Er drückt mir einen festen Kuss auf die Wange, nahe an meinen rechten Mundwinkel und verlässt die Wohnung.
Ich bleibe noch stehen, bis seine Schritte ihm Treppenhaus verklingen. Nachdenklich schüttle ich meinen Kopf über meinen besten Freund. Was war das für ein eigenartiger Besuch?
Müde schleppe ich mich zurück zum Sofa und schalte den Fernseher ein. Ich habe keine Lust weder über die letzten Tage, sowohl über die vorherige Gesellschaft nachzudenken.
4.
Mir schmerzt der Nacken und meine Füsse sind eisig kalt. Vorsichtig setzte ich mich auf und reibe meinen Hals, der ganz steif zu sein scheint. Verwirrt strecke ich mich auf dem Sofa aus und blicke auf den laufenden Fernseher, in dem gerade irgendein Krimi gezeigt wird, in dem ein FBI Agent und seine Partnerin versuchen einen Mord zu lösen.
Am Boden entdecke ich die Fernbedienung, die mir aus den Händen gefallen sein muss. Ich hebe sie auf und drücke ungefähr zwei Sekunden auf den roten Knopf, um die grausige Szene, die im Flimmerkasten zu sehen ist, wegzudrücken.
Das ist mir schon seit langem nicht mehr passiert, dass ich vor dem Fernseher eingeschlafen bin. Ich muss erschöpfter gewesen sein, als dass ich angenommen habe.
Aber was hat mich geweckt. Der Fernseher war auf stumm geschaltet. Habe ich nur geträumt oder war vielleicht irgendwas vor meiner Wohnungstür? Ich glaube, mich an ein Geräusch zu erinnern, dass mich aus dem Schlaf gerissen haben muss. Es klang, als würde jemand an der Wohnungstür kratzen. Mit verspannten Gliedern erhebe ich mich aus dem Sofa, um einen Blick aus meinem Spion zu werfen.
Es herrscht absolute Stille und Dunkelheit im Flur. Ein erleichtertes Lächeln huscht über mein Gesicht, als mir bewusst wird, dass ich alles nur geträumt habe.
Aber diese Erleichterung hält nur für einen kurzen Augenblick. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich, dass jemand oder etwas da draussen war. Ich taste nach dem Türschloss und versichere mich, dass es auch wirklich verschlossen ist.
Ich schalle mich als eine ängstliche Kuh und begebe mich in das Schlafzimmer, um in meinem bequemen, breiten Bett die wenigen Nachtstunden, die mir noch bleiben, zu verbringen.
Whitney Houston weckt mich mit ihrer starken und klarer Stimme und singt mir etwas von ewiger Liebe vor. Wann wird mir endlich die ewige Liebe über den Weg laufen? Frage ich mich selbst mit einem feinen Spott, bevor ich den Wecker ausstelle. Ich reibe mir die Müdigkeit aus den Augen und schleppe mich aus dem Bett in das angrenzende Bad.
In einer guten Stunde muss ich im Büro sein. Es bleibt also noch genug Zeit für einen Kaffee und etwas gerösteten Toast.
Nachdem ich mich in ein senfgelbes Kostüm geworfen habe, kann ich endlich an dem dunklen, heissen Getränk schnuppern, das in einer Porzellantasse auf dem Küchentisch auf mich wartet. Kaum dass der erste Schluck meinen Hals hinunter rinnt und ich nach einer bestrichenen Toastscheibe greife, klingelt es an der Tür. Erstaunt über diese frühe Störung, gehe ich an die Tür. Tina grinst mir durch das Guckloch, als ich nachsehen möchte, wer vor meiner Wohnung steht.
„Hallo Schwesterchen. Mach schon auf. Ich brauche einen Kaffee.“
„Warum bist du hier?“ frage ich sie, nachdem ich ihr geöffnet habe. „Wir sehen uns doch gleich im Büro.“
„Sorry, Schwesterherz, aber ich habe ganz vergessen, dir mitzuteilen, dass du heute mit einer Frau Wermelinger verabredet bist.“ Tina geht an mir vorbei in die Küche.
Ich schliesse die Tür und folge ihr. Gerade als ich in den Raum trete, schnappt sie sich meinen Kaffee und trinkt genüsslich davon. „Du könntest wenigstens selbst eine Tasse aus dem Schrank nehmen.“
„Könnte ich.“ Sie grinst mich über den Rand der Tasse an. „Aber diese schrie förmlich nach mir.“
Also hole ich mir einen weiteren Becher und fülle sie mit Kaffee. „Wann soll ich diese Frau... Wie hiess Sie doch gleich?“
„Wermelinger.“ hilft mir Tina auf die Sprünge.
„Wann soll ich sie treffen?“
„Schon in weniger als einer halben Stunde. Ich habe dich gestern Nachmittag einige Male versucht zu erreichen, aber du hattest dein Smartphone ausgeschaltet. Danach habe ich es vergessen.“ Tina greift nach meinem Toast und beisst genussvoll hinein.
„Hat sie dir ihr Anliegen anvertraut? Wo soll ich hin?“
„Sie sucht ihre alte Schulfreundin und wartet im Schwanen auf dich.“
„Wenigstens ist es gleich um die Ecke.“
„Ach ja,“ Sie macht eine kunstvolle Pause. „wie lief es gestern?“
Ich atme tief ein, als ich an die Unterhaltung mit der krebskranken Frau denke. Was soll ich nur meiner Schwester erzählen? Ich habe der armen Frau versprochen, dass ich mit niemandem darüber spreche, was sie mir anvertraut hat. Darüber hinaus gehört es zu meiner Schweigepflicht, genaue Details für mich zu behalten. Alles, was mir meine Kunden erzählen, bleibt unter uns. Nur hatte ich bisher nicht halbwegs so einen Fall, wie den von Frau Kyssen und ihrem Sohn.
„Leider nicht so glücklich. Der Fussballstar hat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Er möchte seine Mutter keinesfalls treffen und er liess mich keinen Augenblick daran zweifeln, dass er es nicht auch wirklich so meint. Frau Kyssen hingegen gibt nicht so klein bei.“
„Und was machst du nun?“
„Ich habe ihr gesagt, dass es an ihrem Sohn liegt. Er ist der, der bestimmt, ob sie sich jemals begegnen werden oder nicht. Wenn er sich anders entscheidet, werde ich ihnen zur Seite stehen. Aber momentan ist meine Arbeit getan.“
„Wie hat sie es aufgenommen?“
„Was glaubst du?“
Tina zuckt nur mit den Schultern und schaut mich mitleidig an.
Das Gespräch mit Frau Wermelinger verspricht eine einfache Angelegenheit zu werden. Es ist genau das, was ich jetzt brauche. Etwas, das ich auch lösen kann. Denn es ist geradezu deprimierend, wenn einem die aufgetragene Aufgabe nicht gelingt.
Seit beinahe zwei Stunden bin ich zurück in meinem Büro, nachdem ich mich im Schwanen mit Frau Wermelinger getroffen habe und versuche die ehemalige Schulfreundin von meiner neusten Kundin zu erreichen. Es war ein Leichtes sie ausfindig zu machen, aber nicht einfach mit ihr in Verbindung zu treten.
Ich wähle ein viertes Mal eine Nummer und genau in dem Augenblick, als eine Stimme durch den Telefonhörer an mein Ohr dringt, höre ich Tina durch die offene Tür, wie sie sich draussen mit jemandem unterhält und sich von ihrem Platz erhebt, um zu mir herüberzukommen.
„Verena, da ist jemand für dich.“ In ihrem Blick liegt etwas wie Überraschung.
Meine Neugierde ist schon geweckt und da es wieder nur der Telefonbeantworter von einer gewissen Frau Schulz ist, der auf der anderen Seite des Hörers spricht, lege ich umgehend auf und folge meiner Schwester nach draussen.
„Frau Rapone.“
Meine Verwunderung und Verwirrung kann nicht grösser sein und muss mir ins Gesicht geschrieben sein, denn der Mann vor mir sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartet wahrscheinlich auf irgendeine höfliche Begrüssung von mir, die nicht aus meinem Mund rutschen möchte.
„Was tun Sie hier, Herr...?“
„Mitchell.“ antwortet er mir sofort. „Ich möchte Sie abholen.“
„Abholen? Wozu?“
„Mein Boss möchte sich mit Ihnen unterhalten.“
„Er hat mir seine Meinung klipp und klar mitgeteilt. Also was möchte er nun noch von mir?“
„Ich habe nur den Auftrag erhalten, Sie abzuholen.“
„Und jetzt soll ich gleich springen, nur weil ihr Chef das wünscht?“
„Es ist allein Ihnen überlassen, ob Sie mich begleiten möchten oder nicht. Ich würde mir jedoch wünschen, dass Sie mit mir kommen.“ Mit einem abwartendem Blick sieht er mich an.
Was soll ich nur davon halten, dass der attraktive Fussballer wünscht, mich zu sehen. Vor zwei Tagen hat er mir eindeutig klar gemacht, dass er nichts von seiner Mutter hören möchten, geschweige denn sie sehen. Hat er seine Meinung etwa geändert? „Na gut. Bringen Sie mich zu ihm.“
„Darf ich Sie dann bitten?“
„Einen Moment noch. Ich hole nur kurz meine Handtasche. Ich komme gleich nach.“
Ich sehe dem Bodyguard von Oliver Falk nach, der beabsichtigt, mich zu seinem Chef zu bringen.
„Was soll das bedeuten?“ Die Stimme von meiner Schwester reisst mich aus meinen wirren Gedanken.
„Wenn ich das wüsste. Aber ich werde es in wenigen Minuten erfahren.“
„Du gehst also mit?“
„Na klar. Warum nicht? Wahrscheinlich hat der weltweit bekannte Sportler seine Meinung geändert.“
„Warum kommt er dann nicht hierher?“
„Das habe ich mich auch schon gefragt, hingegen ist es mir egal. Ich werde jetzt meine Sachen holen und mit diesem Muskelprotz mitgehen.“ und zeige auf die Tür, durch der Bodyguard soeben gegangen ist.
Mitchell wartet direkt vor meinem Büro. Er steht stramm vor dem Offroader, den ich schon das letzte Mal gesehen habe, als Oliver Falk mich aufgesucht hat. Sobald ich am Ende der Treppe angelangt bin, dreht er sich zur Wagentür und öffnet sie mir. Galant setzte ich mich auf den hinteren Rücksitze und versuche mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen, während er mich bittet mich anzugurten. Danach begibt er sich hinter das Steuer und setzt sich einen Stöpsel ins Ohr, bevor er den Motor startet und aufs Gaspedal drückt.
Konzentriert schaut er auf die Strasse, ohne sich ein einziges Mal zu mir umzudrehen oder auch nur ein Wort mit mir zu wechseln. Mein Pulsschlag erhöht sich leicht, als er in Richtung Zuzwil fährt, wo sich meine Wohnung befindet und verlangsamt sich wieder, als wir nach einer knapp zehnminütigen Fahrt vor dem imposanten Fünfsternehotel von Zuzwil halten und nicht vor meinem zu Hause, wie ich schon befürchtet habe. Von aussen kenne ich jeden Zentimeter des Hotels, aber das Innere ist mir vollkommen fremd.
Als Mitchell aussteigt und mir die Tür aufhält, sehe ich ihn verständnislos an. „Was soll ich hier?“
„Herr Falk wartet bereits auf Sie. Er möchte mit Ihnen zu Mittagessen.“
Dieser Fussballer denkt wohl, er kann jeden herumkommandieren, wie es ihm gerade beliebt, rasen meine Worte durch den Kopf, spreche sie jedoch nicht laut aus. Widerstandslos lasse ich mich von Falks Bodyguard hineinführen. Allerdings werde ich diesem reichen Angeber meine Meinung noch ganz offen sagen. Darauf kann er Gift nehmen.
Wir betreten eine helle Lobby, die mit elfenbeinfarbenen Marmorsäulen unterteilt ist. Die Theke scheint aus dem gleichen wunderbaren Gestein zu bestehen. Der Boden schimmert weiss, auf dem meine hohen Schuhe bei jedem Schritt ein lautes Klacken erzeugen, was mir überaus unangenehm ist, da ich jeden Blick auch so schon auf mir spüren kann.
Gegenüber der Rezeption sehe ich einige teure Ledersessel, die um passende, polierte Holztische stehen. Auf einem dieser bequemen Sessel sitzt ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren, der mich mit seinen Blicken einzufangen scheint. Ich erkenne ihn sofort. Er sieht unglaublich sexy aus, in seinem dunkelgrauen Anzug und weissem Hemd. Wie er lässig dasitzt und mich mit seinen atemberaubenden Augen taxiert. Ich stelle erschrocken fest, wie sich ein schwaches Kribbeln in meiner Bauchgegend ausbreitet, während ich auf ihn zugehe.
„Ich bin sehr erfreut, dass Sie meine Einladung angenommen haben.“ Er erhebt sich geschmeidig aus seinem Sessel und begrüsst mich mit einem umwerfenden Lächeln, als ich nur noch zwei Schritte von ihm entfernt bin. Noch bevor ich seine Hand berühre, vollführt mein Herz einen Salto, was mich beinahe aus der Fassung bringt.
Was ist bloss in mich gefahren? Warum flattert mein Herz, beim Anblick dieses Mannes? Warum werden meine Knie weich, während er mir ein herrliches Lächeln schenkt? Solche Gefühle habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Warum dann gerade jetzt und warum bei diesem arroganten Fussballer?
Ich versuche meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen und antworte ihm so unverkrampft wie möglich. „Ich habe keine Einladung angenommen. Man hat mir gesagt, dass Sie sich mit mir unterhalten möchten. Da bin ich nun. Also, was wollen Sie mit mir besprechen?“ Die Worte, die ich ihm vorhin noch an den Kopf werfen wollte, sind wie aus meinem Gedächtnis gelöscht, als hätten sie nie existiert. Ich muss mich ziemlich anstrengen, ihn nicht zu fest anzustarren und versuche einen kühlen Kopf zu bewahren, während er meine Hand weiterhin in seiner hält.
„Aber Sie haben doch bestimmt Hunger?“
„Nein.“ Wie auf ein Kommando fängt mein Magen fürchterlich an zu knurren. Dieser Verräter. „Warum bin ich hier? Warum konnten Sie nicht in mein Büro kommen, sondern mussten ihren Beschützer schicken, um mich zu holen?“
„Ich hatte noch andere Angelegenheiten zu erledigen.“ lautet seine knappe Antwort. „Lassen Sie uns doch in den Speisesaal gehen. Dort lässt es sich besser unterhalten.“
Wie von einer Geisterhand geführt, gehe ich neben Oliver Falk in den angrenzenden Saal, überaus bewusst, dass seine Hand die meine immer noch umfängt.
In diskretem Abstand folgt uns sein Bodyguard und setzt sich zwei Tische von uns entfernt hin. Die Umgebung stets im Blick.
Kaum sitzen wir an unserem Tisch, kommt schon der Kellner mit einer Flasche Rotwein und füllt unsere Gläser damit auf.
„Mögen Sie Rotwein?“ fragt mich der Mann, der mich immer noch unverhohlen mustert.
„Eigentlich schon. Aber...“
„Er passt hervorragend zu unserem Essen.“ fällt er mir ins Wort.
„Zu unserem Essen?“
„Ich habe mir die Freiheit genommen, schon etwas zu bestellen.“ und lächelt mich charmant an.
„Sie haben doch gar keine Ahnung, was ich gerne esse und bis vor wenigen Minuten wussten Sie nicht einmal, ob ich mit Ihnen speisen würde.“
„Letzteres habe ich gehofft und was Ihre Vorlieben anbelangen, so hoffe ich doch, diese noch genauer kennenlernen zu dürfen.“
Ein wohliger und gleichzeitig kühler Schauer überlauft mich. „Warum bin ich hier? Sie wollen gar nicht über Ihre Mutter sprechen, erst recht nicht ein Treffen mit Ihr planen, stimmt's?“
„Sie sind clever. Das habe ich vom ersten Moment an bemerkt. Sie haben recht. Ich möchte nicht mit Ihnen über meine Mutter sprechen. Alles was ich zu diesem Thema zu sagen habe, wissen Sie bereits. Sie sind hier, weil ich Sie besser kennenlernen möchte.“
Mein Herz setzt einen Herzschlag aus. Habe ich ihn recht verstanden? Er will mich besser kennenlernen? Auf einer Seite bin ich froh, dass er nicht über seine Mutter sprechen möchte, denn ich wusste bis zu diesem Moment nicht, wie ich mich gegenüber ihm verhalten werde, wenn er nach ihr fragen würde. Ob ich ihm anvertrauen würde, dass ich seine Kindheit, die er bei seinen Eltern verbracht hat, bis ins kleinste Detail kenne oder ob ich es vor ihm verschweigen würde. Aber auf der anderen Seite empfinde ich Mitleid mit meiner Kundin. Ihr grösster Wunsch ist es, noch einmal ihren Sohn zu sehen und ihn um Verzeihung zu bitten, bevor sie nicht mehr in der Lage dazu sein wird.
„Es tut mir leid, Herr Falk. Wir können das nicht tun.“
„Was? Uns unterhalten?“
„Ihre Mutter ist meine Kundin. Meine Aufgabe ist es, sie zueinander zu führen und da Sie Ihren Standpunkt zu diesem Thema klipp und klar dargelegt haben, darf ich nicht hier sein. Es ist falsch....“
„Falsch?“ fällt er mir erzürnt ins Wort. „Ich möchte nur mit Ihnen zu Mittagessen. Sonst nichts.“ Er streckt seine Hand über den Tisch und legt sie auf meine. „Lassen Sie uns dieses Mahl gemeinsam zu uns nehmen. Danach lasse ich Sie gehen.“
Seine Wärme, die sich auf meiner Hand ausbreitet, gefällt mir. Seine Finger fühlen sich geschmeidig und stark an. Ich bin hin- und hergerissen von meinen Gefühlen. „Ich weiss nicht, ob ich mir das erlauben kann.“
„Es gibt kein Zurück mehr. Unser Essen ist bereits auf dem Weg zu uns.“ Er nimmt seine Hand von meiner, setzt sich gerade hin und lächelt mich mit einem stillen, spitzbübischen Lächeln an.
„Ein gemischter Salat als Vorspeise.“ lässt der Kellner neben mir verlauten. Stellt die Teller vor uns hin und verschwindet so lautlos, wie er gekommen ist, wieder in der Küche.
Das Essen schmeckte ausgezeichnet und mein Tischnachbar hätte ich gerne zum Dessert verzerrt, wenn er nicht der Sohn von einer meiner Kunden wäre und nicht Oliver Falk heissen würde.
Ich hätte nie gedacht, dass der weltbekannte Fussballer so ausgelassen und fröhlich sein kann, wenn man seine Vergangenheit bedenkt.
Wir unterhielten uns über alles Mögliche, ohne dass er etwas über die Jahre bei seinen Eltern, oder über das Leben in den Kinderheimen verlor. Obwohl ich mehr als einmal versucht habe, ihm etwas zu entlocken, lenkte er geschickt ab.
Es ist jetzt bereits später Nachmittag, als ich endlich ins Büro zurückkehre. Tina wird sicherlich nicht erfreut sein, dass ich so lange weg war und mich nicht gemeldet habe.
Eigentlich hätte ich gleich in meine Wohnung gehen können, die sich nur wenige Meter vom Hotel entfernt befindet, statt mich von Mitchell nach Wil zurück chauffieren zu lassen. Aber ich wollte nicht, dass Oliver erfährt, wo ich wohne.
„Danke fürs bringen.“
„Keine Ursache.“ erwidert der Bodyguard, nachdem er mir die Wagentür geöffnet hat und ich auf mein Büro zugehe.
Kaum betrete ich das Gebäude, kommt mir schon meine Schwester entgegen.
„Wo hast du gesteckt? Ich habe mir schon langsam Sorgen gemacht.“
„Hast du gedacht, ich würde irgendwo im Strassengraben liegen?“
„Hör auf mit diesen makaberen Witzen.“
„Sorry.“
„Na sag schon, wo hast du so lange gesteckt?“
„Ich war mit Oliver Falk essen.“
Sie sieht mich verwirrt und zugleich erfreut an. „Das war aber ein langes Essen. Und wann trifft er seine Mutter?“
„Er möchte sie nicht sehen.“ Ich muss meinen Blick abwenden, um meine Schwester nicht ansehen zu müssen.“
„Ich kann dir nicht folgen. Warum warst du dann so lange weg und warum siehst du zur Seite?“
„Er wollte nie über seine Mutter sprechen, sondern mich besser kennenlernen.“ flüstere ich beinahe.
„Wow, das ist ja der Hammer.“
„Ja, nicht wahr?“
„Endlich ist da wieder jemand, der dich berührt. Der dich aus deiner umzingelten Mauer, die du um dich herum aufgerichtet hast, reisst.“ Sie strahlt mich bis über beide Ohren an und klatscht in die Hände.
„Nein Tina, nein.“ Ich schüttle den Kopf und sehe sie resigniert an. „Es ist nicht so, wie du denkst.“
„Ach nein?“ Sie hebt eine Augenbraue. „Das sehe ich ganz anders. Denn meine Schwester steht vor mir und ihre Augen glänzen vor freudiger Erregung. Ihr Mund zuckt, sobald sie von diesem Fussballer mit seinem bestechend sexy Körper spricht. Diesen Ausdruck auf deinem Gesicht sah ich schon seit...“ Sie hält kurz inne. „seit drei Jahren nicht mehr.“
„Das stimmt nicht.“
„Du kannst versuchen es abzustreiten, aber es wird dir nicht gelingen, mich zu täuschen und schon gar nicht dich selbst in die Irre zu führen.“
„Tina, es wird nie etwas zwischen Oliver und mir geschehen. Er ist der Sohn von einer meiner Kunden. Du weisst ganz genau, was das bedeutet.“
„Ach, weiss ich das?“ Sie sieht mich fragend an.
„Es war nur ein Essen.“ Ich lasse meine Schwester mitten im Raum stehen und gehe auf mein Büro zu.
„Ihr seid also schon beim Du angelangt.“ ruft sie mir nach, während ich in der Tür verschwinde und ihr andauerndes Schmunzeln im Rücken spüren kann.
Der heutige Nachmittag verlief nicht so produktiv, wie ich es geplant hatte. Oliver hat mich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Ich konnte mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Ständig schweiften meine Gedanken zu diesem faszinierenden Mann ab, mit dem ich zu Mittag gegessen habe. Irgendwann gab ich es auf, packte meinen Laptop ein und fuhr nach Hause.