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„Da Sie jetzt den Infusionsständer nicht mehr als Stütze haben, bleibt ihnen wohl nichts anderes übrig, als diese hier zu nehmen. Ich kann auch einen Rollstuhl besorgen, wenn Ihnen das lieber ist.“
Mir wird schnell klar, dass ich ohne diese Krücke nicht weit kommen werde. Wenn ich also mein Zimmer endlich mal verlassen möchte, habe ich keine andere Wahl, als diese Gehhilfe zu benützen. „Sie haben mich überredet.“ Ich schenke der Frau vor mir ein schwaches Lächeln, schnappe meine Handtasche, die sich im Beistelltisch befindet und folge mit vorsichtigen Schritten der Krankenschwester zum Aufzug.
„Kommen Sie alleine klar?“
„Ich denke schon.“ Die Pflegering verlässt mich, während ich auf den Lift warte und mich auf dem Flur umsehe. Ein langer nicht enden wollender Gang erstreckt sich vor mir und etliche Türen gehen davon ab. Ich vermute, dass hinter jeder dieser Tür mindestens eine Patientin liegt. Plötzlich frage ich mich, was diese Frauen wohl gerade durchmachen müssen. Haben Sie vielleicht ein ähnliches Schicksal wie ich zu verdauen? Mir wird es eng um die Brust, als ich mich wieder an meinen Verlust denken muss und bin froh, dass sich endlich die Aufzugtüren vor mir öffnen, damit niemand meine gläserne Augen sehen kann. So schnell es meine Kraft und mein Körper zulässt, gehe ich hinein und drücke auf den Knopf, der das Erdgeschoss anzeigt. Zum Glück habe ich mir noch schnell die Etage gemerkt, auf der sich mein Zimmer befindet. Wäre schön peinlich, wenn ich beim Empfang nach meinem Zimmer fragen müsste.
Unten angekommen sehe ich mich zuerst einmal in alle Richtungen um. In die eine Richtung sieht dieser Flur fast so aus, wie meiner. In die andere Richtung deutet ein Pfeil, der das Café und den Ausgang anzeigt, was ich auch am Ende des Ganges entdecke. Wie soll ich nur diesen weiten Weg schaffen? Meine Kraft droht mich jetzt schon zu verlassen. Langsam mache ich einen Schritt vor den Anderen und komme meinem Ziel immer näher.
Ich sehe einige leere Tische. Also gehe ich gleich zum Getränkeautomaten und suche mir etwas schmackhaftes aus. In meiner Tasche suche ich nach meinem Portemonnaie, um mir ein paar Münzen herauszunehmen, damit ich den Automaten damit füttern kann. Nur zu blöd, dass sich darin kein Kleingeld befindet. Bleibt mir wohl nichts anderes übrig als mich an der Theke bedienen zu lassen.
„Was darfs sein?“
„Ich möchte ein Rivella.“
„Gerne.“ Die Frau hinter der Kasse kommt sogleich mit einer Flasche Rivella und einem Glas zurück.
„Darfs sonst noch was sein?“
„Den Blick. Das wäre dann alles.“ Ich drücke ihr eine Zehnernote in die Hand und verstaue das Portemonnaie wieder in meiner Tasche.
„Ich bringe Ihnen die Sachen zum Tisch.“
„Oh. Vielen Dank.“
„Wo möchten Sie sitzen?“
Eigentlich habe ich gehofft, auf dem Gartensitzplatz sitzen zu können, um etwas frische Luft einatmen zu können. Aber da es aus allen Eimern zu regnen scheint, entschliesse ich mich im Innern zu bleiben. Also deute ich auf einen freien Tisch, der sich neben einem Fenster befindet. So kann ich wenigstens hinaussehen.
Endlich kann ich wieder sitzen. Diese wenigen Minuten, die ich auf den Beinen waren, kosteten mich mehr Kraft, als ich gedacht habe. Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Rivella und schlage die Zeitung auf. Obwohl ich versuche mich auf den Text zu konzentrieren, schweifen meine Gedanken immer wieder zu meinem nicht vorhandenen Unfall zurück. Irgendwann bin ich soweit, dass ich es aufgebe und die Zeitung zur Seite lege. Stattdessen krame ich ein weiteres Mal in meiner Handtasche und nehme mein iPhone in die Hand.
Schockiert sehe ich eine ganze Menge ungelesener SMS. Während ich mich durch die Meldungen lese, bemerke ich, dass mich ein Mann, der mit einer Frau und zwei düster dreinblickenden Muskelprotz an einem Tisch sitzt, unverhohlen beobachtet. Unbeeindruckt tippe ich mich durch die Nachrichten. Die meisten sind gute Genesungswünsche. Sogar mein Chef hat sich gestern gemeldet. Es sind nur noch drei ungelesene Nachrichten. Die drittletzte ist von Pam. Bin nun unterwegs zu dir. Die zweitletzte von Janosch. Hai Sista. Morgen um ein Uhr bei dir. In Ordnung? Ach ja, wir waren ja am Samstag zum shoppen verabredet. Mein Bruder braucht wieder einmal eine Beratung beim Kleider kaufen.
Nun noch die Letzte und Älteste. Sorry Zoe, aber es wird etwas später. Ich mache so schnell ich kann. Jetzt hast du wenigstens noch Zeit deine Lieblingsserie anzusehen. Bis später. Pam.
Müde schaue von meinem iPhone auf und blicke aus dem Fenster. Irgendwann fangen meine Gedanken an, sich zu überschlagen. Irgendwas erscheint mir merkwürdig an Pams SMS. Ich lese es ein drittes und viertes Mal durch. Plötzlich klingelt es in meinem Kopf und ich weiss, was mich an der Nachricht stört. Wann hat mir Pam gesimst? Ich schaue auf die Uhrzeit. Sie hat mir kurz nach halb sieben geschrieben. Aber um diese Zeit war sie doch schon lange bei mir? Ich bin mir fast sicher, dass ich auf meine Uhr sah, bevor ich zur Tür ging. Und diese zeigte knapp nach sechs an.
Ich schliesse meine Augen, um meine Gedanken so besser festhalten zu können und um sie neu zu ordnen. Das Bild steigt mir vor das innere Auge, wie ich mich in mein Lieblingsoutfit schäle und aufsehe, als es klingelt. Ich sehe, wie ich die Treppe hinuntergehe und mit leichtem Schritt zur Tür gehe und sie öffne.
Mit einem Mal wird mir speiübel. Mein Körper fängt an zu zittern. Nur mühsam tippe ich eine SMS an Pam. Meine Finger wollen mir kaum gehorchen. Obwohl ich mir nun über einiges im Klaren bin, möchte ich mich trotzdem versichern.
Kaum habe ich die Nachricht gesendet, vibriert mein Smartphone in meiner Hand. Ich muss mich richtig konzentrieren, damit die Buchstaben nicht vor meinem Augen verschwinden.
„Es war mindestens halb acht, als ich bei dir war. Warum willst du das wissen?“
Mein Herz fängt wie wild an zu rasen. Meine Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Ich kriege kaum Luft und versuche mich ganz normal zu verhalten. Da höre ich schon eine Stimme neben mir.
„Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“
Es ist der Mann, der mich vorher schon begafft hat. Was wollte denn der jetzt von mir?
„Ja alles bestens.“ bringe ich leise heraus.
„Ist Ihnen nicht gut?“
Mir ist überhaupt nicht wohl. Ich suche das Café nach einem WC ab und erhebe mich von meinem Stuhl.
„Entschuldigen Sie mich.“ Ich schnappe meine Krücke und versuche so rasch wie möglich zur Toilette zu kommen. Ich gerate langsam in Panik. Mein Zufluchtsort befindet sich viel zu weit weg. Zu meiner Überraschung hebt mich der fremde Mann auf seine Arme, als würde ich keine fünfundfünfzig Kilo wiegen und läuft mit schnellen Schritten zu meinem Ziel. Ich bemerke gar nicht, wie uns die anderen Besucher des Cafés anstarren und wie die zwei Männer von seinem Tisch, uns in kurzem Abstand folgen.
Eigentlich müsste ich mich gegen diesen Unbekannten wehren und ihm deutlich machen, dass er mich wieder auf den Boden stellen soll, aber ich habe absolut keine Kraft dazu. Ich bin sogar enorm froh, dass mich der dunkelblonde Fremde zur Toilette trägt. Er stösst die Tür auf und lässt mich auf meine Füsse nieder. Ich stürze in die erstbeste Kabine und kann gerade noch den Deckel heben, bevor ich mich übergeben muss.
Ich habe keine Ahnung wie lange ich schon vor dieser Schüssel knie und mich meinen niederschmetternden Gefühlen hingebe. Umso deutlicher spüre ich die Schmerzen, die meinen ganzen Körper beherrschen. Langsam löse ich mich aus meiner verzweifelten Position und hebe mich auf die Füsse. Überraschenderweise befindet sich meine Krücke an der Wand gegenüber meiner Toilette. Ich bin mir sicher, dass ich die irgendwo unterwegs habe liegen lassen. Wie kam sie also hierher? Hat sie etwa der Mann, der mir vorhin geholfen hat, hierher gebracht? Ist ja auch egal. Ich bin nur dankbar, dass ich meine Gehilfe wieder habe und mich nicht an einen anderen Menschen wenden muss.
Vor dem Waschbecken und dem darüber hängendem Spiegel bleibe ich stehen. Ich drehe den Wasserhahn auf und spritze mir mehrmals kaltes Wasser ins Gesicht und wische dann mit einem Papiertuch mein Gesicht ab. Danach trinke ich ein paar Schlucke und richte meine Haare. Ich versuche meine Gedanken und Ängste auszublenden, die mich vor wenigen Minuten überfielen, was mir überhaupt nicht gelingen will. Nachdem ich mich etwas erholter und präsentabler fühle, verlasse ich die Damentoilette und hoffe ungesehen in mein Zimmer zu kommen. Aber noch bevor sich die Tür hinter mir schliesst, steht der dunkelblonde Mann neben mir.
„Geht es Ihnen besser?“
„Alles bestens.“ und gehe weiter.
„Wem wollen Sie etwas vormachen?“
„Niemandem.“
„Haben Sie einen Wunsch?“
„Ich möchte nur auf mein Zimmer.“
„Darf ich Sie begleiten?“
„Warum?
„Ich möchte Ihnen nur behilflich sein. Seien Sie mir nicht böse, aber Sie sehen so aus, als würden Sie nächstens in Ohnmacht fallen.“
„Das kann Ihnen doch egal sein.“
„Da haben Sie vollkommen recht.“
Wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her, bis er das Schweigen abermals unterbricht.
„Übrigens, ich heisse Alexander.“ Er streckt mir die Hand entgegen und ich nicke nur leicht mit dem Kopf. Als er merkt, dass ich nicht weiter darauf reagiere, nimmt er seine Hand zurück und steckt sie in seine Hosentasche.
„Wollen Sie etwas Gesellschaft?“
„Nein.“ antworte ich etwas zu schroff und füge besänftigend hinzu. „Ich brauche meine Ruhe.“
„Wer hat Ihnen das angetan?“
Verblüfft über Alexanders Frage, starre ich ihn an. Obwohl ich genau weiss, was er meint, stelle ich mich so an, als hätte ich keine Ahnung. „Was meinen Sie damit?“
Er deutet auf meine bandagierte Hand und mein linkes Auge. „Das sind noch lange nicht die schlimmsten Verletzungen, stimmts?“
Mein Mund klappt auf, aber es kommt kein Ton heraus. Ich bin einfach zu verblüfft über seine Wahrnehmungsfähigkeit.
„Ich bin anscheinend die Treppe hinuntergestürzt.“ Das wurde mir jedenfalls erzählt, füge ich stumm dazu.
„Anscheinend?“
„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was passiert ist. Ich muss einen ziemlichen Schock erlitten haben.“ Hoffentlich spürt er nicht, wie ich ihm etwas verheimliche. Aber warum sollte mich das auch stören, denn schliesslich bin ich diesem Mann keine Rechenschaft schuldig. Wir sind uns ja erst gerade das erste Mal begegnet.
Noch ein paar Schritte, dann bin ich beim Lift, denke ich mir. Danach kann ich endlich seinen Fragen und diesen wunderschönen, olivgrünen Augen entkommen, die mich zu durchlöchern versuchen. Ich betrachte ihn eingehender. Erst jetzt sehe ich, was für ein bildschöner Mann mir vor Kurzem geholfen hat. In diesen Armen habe ich gelegen, geht es mir durch den Kopf und ich fühle, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Ein Räuspern holt mich zurück auf den Boden.
„Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Zoe.“
„In welchem Stock befindet sich ihr Zimmer, Zoe?“
„Im siebten.“ Ich habe nicht einmal bemerkt, dass der Lift schon angekommen ist, da ich keine Taste gedrückt habe.
„Ich wünsche Ihnen eine gute und schnelle Genesung. Passen Sie gut auf sich auf.“ Er drückt nochmals meinen linken Arm und lässt mich alleine im Fahrstuhl zurück. Während sich die Aufzugtüren schliessen, überkommt mich eine seltsame Enttäuschung, dass sich dieser gutaussehende Mann schon jetzt von mir verabschiedet hat. Noch bevor mir bewusst wird, was ich tue, hebe ich die Krücke, um zu verhindern, dass sich die Türen ganz schliessen. Ich bringe ein verlegenes „Danke“ heraus.
„Für was?“
Beschämt schaue ich zu Boden. „Für Ihre Hilfe. Ich wüsste nicht, was geschehen wäre, wenn Sie nicht dagewesen wären.“ Ich hebe meinen Kopf und schaue ihm direkt in die Augen. „Vielen Dank.“ hauche ich kaum hörbar und bin froh, dass sich der Fahrstuhl in dem Augenblick schliesst, in dem er die Hand nach mir ausstrecken möchte. Erst jetzt spüre ich, wie mein Herz wild zu pochen angefangen hat. Aber warum? Was ist nur plötzlich los mit mir? Ich bin etwas enttäuscht darüber, dass mich der Lift langsam nach oben bringt, statt dass er nochmals aufgeht und ich abermals Alexander vor mir sehen kann. Aber was habe ich auch erwartet? Schliesslich bin ich diejenige, die vor ihm geflüchtet ist und sich auf ihr Zimmer zurückzieht.
3.
Völlig erschöpft lasse ich mich aufs Bett sinken und schliesse meine Augen. Sofort zucke ich zusammen, als Bilderfetzen vor mir auftauchen. Bilder, die ich verloren geglaubt hatte. Wieder überkommt mich eine gewisse Panik. Beim Versuch die Bilder zu verscheuchen, indem ich die Augen aufreisse, scheitere ich kläglich. Ich kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Alles bricht ganz plötzlich über mich herein. Wie konnte ich mich nur so gewaltig in dieser Person täuschen? Ich sehe nach links zum Fenstersims, wo sich die vielen Sträusse stehen und es überkommt mich ein erschreckendes Gefühl der Leere. Erst als ich die Blumen kaum noch erkennen kann, merke ich, dass mir schon wieder Tränen über meine Wangen kullern. Sorgsam stütze ich mich auf die Krücke, die ich vorhin neben das Bett gestellt habe und gehe ins Bad, um mich unter die Dusche zu stellen. Die habe ich dringendst nötig. Ich fühle mich unheimlich schmutzig und möchte mich nur noch von dem erschreckenden Blick in die Vergangenheit befreien.
Frisch geduscht kehre ich in mein Zimmer zurück. Unterdessen wurde mein Mittagessen serviert. Ein gewisser Hunger überkommt mich, aber als ich mich an den Tisch setzte, der sich am Fenster befindet, auf dem das Tablett steht, verfliegt mein Hungergefühl wie von Geisterhand. Ich starre auf das köstliche Essen. Nur kann ich mich nicht dazu durchringen, etwas davon in meinen Mund zu schieben.
„Wie lange sitzt du schon da und starrst dein fünf Gang Menü an, ohne einen Bissen davon genommen zu haben?“
Verwirrt und nicht in der Lage etwas zu erwähnen, blicke ich auf die offene Zimmertür, in der ich Pam erkenne, die schwerbeladen dasteht.
In der einen Hand hält sie meine Laptoptasche und in der Anderen einen kleinen Koffer.
„Hai Süsse. Wie gehts dir heute?“ stellt die Taschen neben meinen Beistelltisch und setzt sich gegenüber von mir hin.
„Mein Kopf brummt nicht mehr so arg, wie gestern.“
„Immerhin.“ und Pam lächelt mich zuversichtlich an. „Und sonst?“
„Ich wäre gerne woanders.“
„Wenn man bedenkt, wie es dir noch vor ein paar Tagen erging, können wir uns glücklich schätzen, dass du nun schon so munter am Tisch sitzen kannst.“
„Na ja.“ und zucke mit meinen Schultern.
„Ich habe dir deine gewünschten Sachen mitgebracht.“
„Echt lieb von dir, dass du mir extra die Sachen vorbeibringst.“
„Keine Ursache und ausserdem wäre ich sowieso nochmals vorbeigekommen. Hast du noch grosse Schmerzen?“
„Ich fühle mich so, als wäre ich von einem Lastwagen überrollt worden. Das Gehen ist zwar noch ziemlich erschöpfend, trotzdem war ich schon unten im Café.“
Plötzlich überkommt mich wieder die Trauer über mein verlorenes Baby und ich habe keine Chance die Tränen zurückzuhalten. Ich versuche meinen Blick noch rechtzeitig von Pam abzuwenden. Jedoch vergebens.
„Zoe?“ Ich spüre ihre Hand an meiner Wange und mit einem leichten Druck bringt sie mich dazu meinen Kopf in ihre Richtung zu drehen. „Was ist los? Warum weinst du? Deine Verletzungen verschwinden mit der Zeit wieder.“
Ich erhebe mich und krieche in mein Bett. Während ich mich ins Kissen zurückfallen lasse, schliesse ich meine Augen. Eine Zeit lang sagt niemand von uns etwas, bis Pam das Schweigen durchbricht.
„Zoe? Was verheimlichst du mir?“
„Ich war schwanger.“ platzt es aus mir heraus.
„Wie?“
„Ja, du hast mich richtig verstanden, obwohl ich es selbst nicht wirklich glauben kann.“
„Von Noah?“
„Natürlich. Von wem denn sonst?“
„Sorry, Süsse. Ich dachte nur...“
„Was dachtest du? Nur weil Noah und ich uns zankten, hätte ich ihn betrogen?“ meine Stimme hört sich ganz schrill an.
Pam legt ihre Hand behutsam auf meinen Arm. „Nein. So war das nicht gemeint. Ich dachte nur, ihr hättet schon länger nicht mehr miteinander geschlafen.“
„Das haben wir auch nicht. Ich war in der achten Woche.“
„Oh.“
„Genau. Oh.“
„Es tut mir wirklich leid.“
Durch meinen Tränenschleier erkenne ich, dass sogar meine Freundin wegen mir feuchte Augen hat. „Wahrscheinlich muss es so sein. Ich war noch nicht bereit für ein Kind.“
„Du bist noch jung und kannst noch ganz viele süsse Zoes bekommen.“
„Wenn es bloss so wäre.“
Die stumm gestellte Frage steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihre Stirn zieht sich in Falten, als sie mich fragend anstarrt. „Ich weiss nicht, ob ich es nicht verstehen kann oder nicht verstehen will.“
„Der Arzt meinte, dass ich mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Kinder mehr bekommen kann. Ich habe mein Kind verloren, als ich die Treppe hinuntergestürzt bin und mir dabei anscheinend schwere Verletzungen zugezogen.“ Meine Stimme erstickt fast, als ich an den angeblichen Unfall denke. Mich überkommt abermals eine gewisse Beklemmung, die mich in einen Zustand versetzt, der mir gar nicht behagt.
„Hey Zoe.“ Pam hält mit einem leichten Druck meine Hand.
Als ich ihr in die Augen schaue, erkenne ich, dass sie nur mit grosser Mühe ihre Tränen zurück halten kann.
Mit sorgfältig gewählten Worten fährt sie fort. „Es tut mir wirklich schrecklich leid, dass ich so spät gekommen bin.“
„Mach dir keine Sorgen. Ich gehe nirgendwohin. Fast den lieben, langen Tag befinde ich mich in diesem Zimmer. Also kannst du kommen, wann immer du willst.“
„Ich meine nicht heute.“
Verwirrt betrachte ich sie. „Aber...“
„Wenn ich letzten Freitag zur verabredeten Zeit bei dir gewesen wäre, wäre das alles gar nicht passiert.“ Pam lässt den Kopf sinken und starrt auf ihre Knie. „Es tut mir leid Zoe. Alles ist nur meine Schuld.“ Sie kämpft hoffnungslos gegen ihre Tränen an. „Ich habe ein so schlechtes Gewissen. Nur weil ich mich nicht von Ayden lösen konnte, musstest du diesen schweren Sturz erleben.“
„Was redest du bloss für einen Unsinn.“ Noch immer starrt meine beste Freundin auf den Boden. „Pam, bitte sieh mich an.“
Wo soll ich nur anfangen? Ich habe bis jetzt mit niemandem darüber geredet. Irgendwie hege ich immer noch eine gewisse Hoffnung, dass es nicht wahr ist, was ich erlebt habe und mich überkommt eine gewisse Angst, dass wenn ich darüber rede, dass es tatsächlich geschah. Ich spüre wie der Blick von meiner Freundin an mir heftet.
„Du kannst überhaupt nichts dafür. Wag es ja nicht, dir so etwas einzureden.“ Ich mache eine lange Pause, bevor ich weiter reden kann, hole ich einige Male tief Luft. „Ich kann mich wieder an den angeblichen Unfall erinnern.“
„Wie... wie... ich verstehe nicht ganz. Du kannst dich an den angeblichen Unfall erinnern? Was willst du damit sagen?“
„Ich bin heute Morgen alle Nachrichten auf meinem iPhone durchgegangen, die ich noch nicht gelesen habe. Deine letzte SMS half mir auf wundersame Weise auf die Sprünge. Es überfielen mich plötzlich vergessen geglaubte Erinnerungen.“ Einen kurzen Blick auf meine Freundin, die völlig ahnungslos dasitzt, gibt mir zu verstehen, dass ich sie endlich aufklären soll. „Ich bin nicht die Treppe hinunter gestürzt. Ich bin auch nicht gefallen.“ Meine Stimme ist nur noch ein leises Flüstern. Es benötigt all meine Kraft das Nächste über meine Lippen zu bringen. „Um kurz nach sechs Uhr klingelte es an der Tür. Ich dachte du wärst es. Aber du warst es nicht. Sondern...“
„Noah.“ kommt mir Pam zuvor.
„Ja genau.“
„Was hat dir dieses Schwein angetan?“
„Er sah mich in meinem schwarzen Lieblingssommerkleid und ist total ausgerastet. Ich habe ihn gefragt, was er hier wolle. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt schon von ihm getrennt, aber er dachte immer noch, ich wäre sein Eigentum. Er wollte nicht wahrhaben, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben werden.“ Mit einem Schlag kann ich mich deutlich an unseren Streit erinnern. Ich sehe, wie er auf mich zukommt und mich fest an den Armen packt und schüttelt, als wäre ich eine blöde Puppe. Er schreit mich mit einer Stimme an, die mir richtig Angst einjagt.
„Mit welchem Kerl bist du verabredet? Kaum denkst du, du hättest mich los, fickst du schon einen Anderen!“
„Noah, bitte hör auf. Du tust mir weh.“
„Ich tu dir weh? Das ich nicht lache. Du weisst doch gar nicht, was es bedeutet Kummer zu haben. Für wen hast du dich so aufgegeilt? Du Schlampe! Sag schon!“
„Ich bin mit Pam verabredet. Und ausserdem geht dich das nichts mehr an. Ich will, dass du jetzt sofort aus meiner Wohnung verschwindest und dich nie mehr blicken lässt. Lass mich in Ruhe!“
Ich kann nichts gegen die aufkommenden Tränen unternehmen, die sich in meinen Augen bilden, als sich die schreckliche Szene vergegenwärtigt.
Noah steht vor mir und hebt drohend seine Faust. „Sag schon, wen triffst du?“
Ich sehe, wie ich vor ihm zurückweiche und obwohl ich vor Angst zittere, ihn anschreie. „Raus hier!“
Seine geballte Hand trifft fest auf mein linkes Auge. Schon folgt sein nächster Schlag in meine rechte Seite. Ich taumle nach hinten und falle zu Boden. Noah holt mit seinem Fuss aus und tritt mich mit voller Kraft in meinen Oberkörper. Kraftlos bleibe ich zusammengekrümmt liegen. Ich habe höllische Angst vor dem Mann, den ich einst geliebt habe. Er steht, wie von einem Dämon besessen, über mir und sieht mich mit hasserfülltem Blick an.
„Willst du immer noch ausgehen?“ Er beäugt mich mit einem bösartigen Lächeln und bückt sich zu mir hinunter. „Ich bringe dich nach oben ins Bett.“
Als mir bewusst wird, dass er mich hochheben möchte, versuche ich vor ihm zurückzuweichen. Doch die Schmerzen durchzucken meinen Körper. Ich habe keine Chance, vor ihm zu fliehen. Er hebt mich hoch, trägt mich in den oberen Stock und legt mich auf mein Bett. Daraufhin verschwindet er ins Badezimmer. Immer wieder frage ich mich, was er vorhat, aber ich komme zu keinem Entschluss. Ich sehe mich in meinem Zimmer um, ob ich irgendwas finde, mit dem ich mich verteidigen könnte. Nichts.
Ich sehe keinen anderen Ausweg, als von hier zu verschwinden. Langsam erhebe ich mich und versuche nicht an meine Schmerzen zu denken. Mit vorsichtigen Schritten gehe ich in den Flur und auf die Treppe zu. Doch noch bevor ich auf der ersten Stufe bin, ertönt seine harte, angsteinflössende Stimme hinter mir.
„Du willst also immer noch zu deinem neuen Lover?“
„Glaub mir, ich habe keinen neuen Freund.“ sage ich schwach zu meiner Verteidigung.
„Wie lange belügst und betrügst du mich schon?“
„Wir sind kein Paar mehr. Aber ich habe dich nie betrogen.“
Er steht nun ganz dicht vor mir und ich klammere mich am Treppengeländer fest.
„Du miese, kleine Schlampe.“
Noah holt abermals mit seiner Faust aus und trifft mich mit solch einer Wucht, dass ich das Gleichgewicht verliere und die Holzstufen hinunterfalle.
„Zoe. Zoe.“ flüstert jemand an meinem Ohr.
Mir ist schon wieder übel und mein ganzer Körper bebt vor einer mir langsam bekannter Panik. Ich spüre die starken Armen, die mich halten und mir einen gewissen Trost spenden wollen. Durch einen Tränenschleier blicke ich geradewegs ins Gesicht meiner besten Freundin, die mich ebenfalls mit Tränen in den Augen ansieht. Ich atme tief ein und aus, um mich zu beruhigen und sehe mich um. Ich bin im Krankenhaus. Der Vorfall zwischen Noah und mir erschien mir so real, dass ich schon geglaubt habe, das Ganze ein zweites Mal erlebt zu haben.
„Es tut mir so leid, Zoe.“ Pam nimmt mich ein weiteres mal fest in ihre Arme und flüstert mir aufmunternde Worte zu. „Ich bin immer für dich da. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Sie werden ihn hinter Gitter bringen.“