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TREE ist eine Längsschnittuntersuchung einer Stichprobe von über 6000 Jugendlichen, die im Jahr 2000 an der ersten PISA-Studie teilgenommen und danach die obligatorische Schule verlassen haben. Die Stichprobe ist national und sprachregional repräsentativ für die Schulabgängerinnen und -abgänger des Schuljahres 1999/2000. Die Probanden und Probandinnen der Stichprobe wurde zwischen 2001 und 2010 insgesamt achtmal durch TREE nachbefragt. TREE verfügt für sie somit über detaillierte Verlaufs- und Kontextdaten der ersten zehn Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule. Eine weitere Befragung im Jahr 2014 ist in Vorbereitung (vgl. TREE, 2013).
TREE zeigt zunächst, dass zwischen den Ausbildungsgängen, die das Bildungssystem formell vorsieht, und den tatsächlichen Ausbildungsverläufen der Jugendlichen eine große Kluft besteht: Nur gut die Hälfte aller Schulabgängerinnen und -abgänger bewältigen die erste Schwelle und die Sekundarstufe II so, wie es die Organigramme des Schweizer Bildungssystems vorsehen. Die Übergänge und Ausbildungsverläufe der anderen knappen Hälfte sind geprägt von Brüchen, Umwegen und Diskontinuitäten, zu denen auch der indirekte, verzögerte Einstieg in Sek-II-Ausbildungen über Zwischenlösungen bzw. Brückenangebote gehört (Keller, Hupka-Brunner & Meyer, 2010). Mehrere Analysen der TREE-Daten legen nahe, dass diese Brüche und Diskontinuitäten einen eigenständigen Risikofaktor für vorzeitigen Ausbildungsabbruch bilden.
Einflüsse auf Chancen beim Übertritt
Auf der Basis der TREE-Daten hat Meyer (2003, S. 103 ff.) folgendes Profil der Absolvierenden von Brückenangeboten entworfen: Übervertreten sind in dieser Population die Frauen, Jugendliche mit Migrationshintergrund und/oder eher bescheidener sozialer Herkunft sowie Schülerinnen und Schüler, die auf Sekundarstufe I nur »Grundanforderungen« erfüllt haben. Mit Blick auf die PISA-Messwerte sind Jugendliche mit eher geringen Leistungen etwas übervertreten, allerdings weisen über 40 Prozent mittlere bis hohe Werte auf.
In vertiefenden Analysen der TREE-Daten haben Hupka et al. (2011) gezeigt, dass jenseits von Leistungsmerkmalen individuelle Herkunftsmerkmale und Strukturmerkmale des Bildungssystems einen eigenständigen Einfluss auf die Chancen beim Einstieg in nachobligatorische Ausbildungen ausüben. So mindert zum Beispiel der Umstand, auf Sekundarstufe I einen Schultyp mit »Grundanforderungen« besucht zu haben, die erwähnten Einstiegschancen nachhaltig und dauerhaft. Dies gilt auch, wenn die Leistung und eine ganzen Reihe von weiteren Faktoren statistisch kontrolliert werden – und auch wenn die Betroffenen ein oder zwei Jahre in Zwischenlösungen verbracht haben.

Abbildung 1: Ausbildungs- und Erwerbsverläufe. Quelle: Keller, Hupka & Meyer (2010)
Schon 2003 hatte TREE gezeigt: Jugendliche, die auf der Sekundarstufe I einen Schultyp mit Grundanforderungen besuchten, haben auch dann verminderte Chancen auf eine anspruchsvolle Ausbildung auf Sekundarstufe II, wenn man die vorhandenen Kompetenzen mit einem standardisierten Leistungsmaß wie den PISA-Leistungsmesswerten kontrolliert (BFS & TREE, 2003).
Verschärft wird dieses Chancenminus durch einen zweiten Rationierungseffekt, nämlich das knappe Ausbildungsplatzangebot auf Sekundarstufe II. Die dadurch entstehende Angebotsdominanz führt unter anderem dazu, dass (berufliche) Ausbildungsplätze auch dann an Nachfrager aus »höherwertigen« Sek-I-Schultypen vergeben werden, wenn Bewerberinnen und Bewerber mit »bescheideneren« schulischen Anforderungsprofilen dafür infrage kämen. Diesen Befund stützen auch andere Datenquellen wie das Lehrstellenbarometer: Für mehr als die Hälfte aller angebotenen Lehrstellen genügt es aus Sicht der Lehrbetriebe, einen Sek-I-Schultyp mit »Grundanforderungen« besucht zu haben. Aus betrieblicher Sicht ist nur für rund 40 Prozent aller angebotenen Lehrstellen der Besuch eines Schultyps mit erweiterten Anforderungen notwendig. Schaut man sich allerdings die schulische Herkunft der Jugendlichen an, die eine Lehre beginnen, so zeigt sich, dass fast 70 Prozent von ihnen auf Sekundarstufe I »erweiterten Anforderungen« genügten, während nur knapp 30 Prozent Schultypen mit »Grundanforderungen« besucht haben. Mit anderen Worten: Fast 30 Prozent aller Lehrstellen werden mit schulisch »überqualifizierten« Bewerberinnen und Bewerbern besetzt (vgl. BBT [Lehrstellenbarometer], 2006, S. 84). In dieses Bild passt auch der Befund von Hupka et al. (2011), wonach auf kantonaler Ebene ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen dem Anteil der Schülerinnen und Schüler, die auf Sekundarstufe I in Zügen mit »Grundanforderungen« beschult werden, und dem Anteil Jugendlicher, die ein Brückenangebot durchlaufen: Je höher ersterer, desto höher auch letzterer. Dieser Zusammenhang stützt die weiter oben formulierte These, dass die feste Einteilung eines erheblichen Anteils von Schülerinnen und Schülern in Sek-I-Zügen mit reduzierten Leistungsanforderungen einer faktischen Bildungsrationierung gleichkommt – die dann am Ende der obligatorischen Schule via Brückenangebote systemisch kompensiert werden muss.
Selektionsmechanismen und Erfolge im Zusammenhang mit Brückenangeboten
Vor dem Hintergrund der oben zusammengefassten Ergebnisse und auf Basis der TREE-Daten haben Meyer und Sacchi (i.V.) ein Modell entwickelt, das die Selektionsmechanismen an der ersten Schwelle – unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Brückenangebote – so umfassend und präzise wie möglich abbildet. Die Berechnungen modellieren einerseits die Faktoren, die Einfluss darauf haben, ob jemand ein Brückenangebot besucht, statt direkt in eine zertifizierende Ausbildung auf Sekundarstufe II einzutreten. Andererseits modellieren sie den »Erfolg« dieser Brückenangebote, wobei als Erfolgskriterium der Abschluss einer Sek-II-Ausbildung eingesetzt wird.
Insgesamt ergibt sich daraus der bildungspolitisch irritierende Befund, dass Leistungsmerkmale bei der Frage des direkten oder verzögerten Einstiegs in nachobligatorische Ausbildungen in der Schweiz eine weitgehend vernachlässigbare Rolle spielen. Gleiches gilt fast durchweg für individuelle Eigenheiten und Persönlichkeitsmerkmale wie Einstellungen oder Motivation sowie die soziale Unterstützung durch Schule und Elternhaus – alles Faktoren, die im bildungspolitischen und -wissenschaftlichen Diskurs häufig in einen Zusammenhang mit einem gelingenden (Direkt-)Einstieg gebracht werden.
In krassem Widerspruch zum individualisierenden Diskurs, der in erster Linie Dispositionen und Leistungen der einzelnen Jugendlichen für das Gelingen des (direkten) Übergangs verantwortlich macht, sind es laut Meyer und Sacchi vor allem Herkunfts- und Strukturmerkmale, welche die Selektions- bzw. Allokationsprozesse an der Schwelle zwischen den Sekundarstufen I und II mitbestimmen – Faktoren mithin, welche die Jugendlichen selbst kaum oder gar nicht beeinflussen können. Zu nennen sind hier insbesondere die soziale Herkunft und der Migrationshintergrund, das Geschlecht sowie (bildungs-)institutionelle Faktoren und deren regionale Variabilität. Der starke Einfluss von Sprachregion und schulischer Einteilung auf Sekundarstufe I verdeutlicht dabei, wie stark die regional heterogenen, vertikal stark gegliederten Organisationsstrukturen der Sekundarstufe I die nachobligatorischen Ausbildungschancen mitprägen. Verschärft wird dieser starke Einfluss der Strukturen des Bildungssystems durch die starke Rationierung des Ausbildungsplatzangebots auf Sekundarstufe II.
Mit Blick auf die weiter oben postulierten Funktionen von Zwischenlösungen ist angesichts dieser Ergebnisse festzuhalten, dass die Kompensationsfunktion – ganz entgegen ihrer Prominenz im bildungspolitischen Diskurs – de facto für die beobachteten Übergangs- bzw. Selektionsprozesse kaum relevant ist. Die Orientierungsfunktion erweist sich in Meyers und Sacchis Modellierung nur in einer Hinsicht als relevant: Wer über gar keine Vorstellungen zur nachobligatorischen Laufbahn verfügt, dessen Chance auf einen Direkteinstieg sinkt unter sonst vergleichbaren Bedingungen. Die Gruppe der davon Betroffenen ist allerdings sehr klein. So bleibt vor allem die systemische Pufferfunktion der Zwischenlösungen, die bei den Übergangsprozessen zwischen den Sekundarstufen I und II im Vordergrund steht. Dass dieser Puffer sozial hochgradig selektiv und von Leistungsgerechtigkeit weit entfernt ist, stellt der Mechanik dieser Schnittstelle kein gutes Zeugnis aus.
Was nun die Wirkung von Brückenangeboten im Sinne eines erfolgreichen Abschlusses einer Sek-II-Ausbildung angeht, so zeigt sich, dass das Durchlaufen eines solchen Angebots im Vergleich zum Direkteinstieg die Chance substanziell vermindert, später noch in eine zertifizierende Sek-II-Ausbildung einzutreten und diese erfolgreich abzuschließen. Im Vergleich zu Direkteinsteigerinnen und -einsteigern mit anfänglich identischen schulischen, familiären und individuellen Voraussetzungen reduziert sich die Chance auf einen Abschluss laut Meyer und Sacchi (i.V.) um 8 bis 17 Prozent. Die Absolventen und Absolventinnen von Brückenangeboten fahren damit zwar immer noch markant besser als die Jugendlichen, die nach Austritt aus der obligatorischen Schule keinerlei Ausbildungslösung haben. Im Vergleich zu dieser Gruppe entfalten Brückenangebote durchaus eine positive Wirkung auf die Abschlusschancen, vermögen aber die negative Wirkung des verpassten Direkteinstiegs nur teilweise wettzumachen.
Kritische Anmerkung
Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse aus heutiger Sicht gilt es zu beachten, dass die TREE-Kohorte vor rund zwölf Jahren aus der Schulpflicht entlassen worden ist. Daraus kann die Kritik abgeleitet werden, dass hier historische Prozesse modelliert werden, die heute ganz anders verlaufen. Mit Blick auf eine gewisse Konsolidierung und Professionalisierung der Brückenangebote im vergangenen Jahrzehnt könnte etwa argumentiert werden, dass diese heute eine höhere Akzeptanz bei den abnehmenden Ausbildungsanbietern genießen und deshalb nicht mehr erfolgschancenmindernd wirken. Ein weiterer Einwand betrifft die demografischen Veränderungen an der beobachteten Schnittstelle, die auf eine gewisse Entspannung des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage im Bereich der beruflichen Grundbildung hindeuten. Die weiter oben referierten statistischen Zeitreihen von Bundesamt für Statistik und Lehrstellenbarometer lassen jedoch vermuten, dass sich an der Grundmechanik der beobachteten Allokationsprozesse wenig geändert hat. Empirisch überprüfen lässt sich diese Kritik jedoch erst dann, wenn Längsschnittdaten einer neuen Kohorte zu diesem Übergang vorliegen.
Fazit und Ausblick
Brückenangebote sind bestenfalls die zweitbeste Lösung. Diese Zuspitzung legen die Ergebnisse der Jugendlängsschnittstudie TREE (Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben) nahe. Diesem provokativen Fazit liegen zwei Beurteilungskriterien zugrunde. Das erste Kriterium fragt nach den Selektionsmechanismen, aufgrund deren Jugendliche nach Erfüllung ihrer Schulpflicht in Brückenangebote rutschen, statt direkt in eine zertifizierende Ausbildung der Sekundarstufe II einzusteigen. Hier zeigen die Analysen der TREE-Daten, dass die Selektion in Brückenangebote nicht in erster Linie aufgrund von individuellen Leistungsdefiziten, Motivations-, Persönlichkeits- oder Orientierungsproblemen erfolgt, sondern vor allem stark beeinflusst wird von Herkunfts- und Strukturmerkmalen wie sozialem Status, Migrationshintergrund oder dem auf Sekundarstufe I besuchten Schultyp (erweiterte Anforderungen vs. Grundansprüche). 14 Diese faktischen Selektionsfaktoren stehen in zum Teil krassem Widerspruch zu den bildungspolitisch intendierten bzw. postulierten Funktionen von Brückenangeboten, die vor allem die Behebung individueller Defizite in den Vordergrund rücken.
Eine durchzogene Bilanz weisen die Brückenangebote auch hinsichtlich des zweiten Beurteilungskriteriums auf, des erfolgreichen Abschlusses einer zertifizierenden Ausbildung auf Sekundarstufe II. Hier zeigt sich aufgrund der TREE-Analysen, dass Diskontinuitäten des Ausbildungsverlaufs ein eigenständiger Risikofaktor dafür sind, dass Ausbildungen frühzeitig abgebrochen oder gar nicht angefangen werden. Zu diesen Diskontinuitäten gehören auch die Brückenangebote. Im Vergleich zu den Direkteinstiegen in zertifizierende Sek-II-Ausbildungen wirken diese leicht chancenmindernd, das heißt, das Risiko von Brückenangebotsabsolventinnen und -absolventen, ohne nachobligatorischen Ausbildungsabschluss zu bleiben, ist laut TREE leicht erhöht.
Anders präsentiert sich die Bilanz, wenn man als Vergleichsgruppe nicht die Direkteinsteiger, sondern diejenigen beizieht, die nach Austritt aus der obligatorischen Schule über keinerlei Anschlusslösung verfügen. Im Vergleich zu dieser Gruppe erweist sich das Durchlaufen eines Brückenangebots als signifikanter Schutzfaktor gegen Ausbildungslosigkeit.
Ausblick auf Veränderungen am Übergang in die Berufsbildung
Was hat sich an der kritischen Schnittstelle zwischen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II im vergangenen Jahrzehnt verändert?
Durch die Stabilisierung der Lehrstellensituation und die demografische Entspannung hat sich erstens der jahrelange ausgeprägte Nachfrageüberhang im Bereich der beruflichen Grundbildung etwas entschärft.
Mit Blick auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund als ausgeprägte Zielgruppe der Brückenangebote zeichnen sich zweitens Verschiebungen ab, die sich in den kommenden Jahren noch akzentuieren dürften: Zum einen gehen die Anteile der »kritischen« Migrationsgruppen, etwa aus den Balkanländern, der Türkei und Portugal, zurück, die bisher in den Brückenangeboten stark übervertreten waren (vgl. etwa BFS-Publikationsreihe »Schülerinnen, Schüler und Studierende«). Demografisch stark im Vormarsch sind dagegen Jugendliche aus sozioökonomisch gut gestellten Elternhäusern, deren gut gebildete Eltern in den letzten Jahren aus dem EU-Raum eingewandert sind. Diese dürften sich allerdings mehrheitlich eher im Gymnasialbereich bemerkbar machen als im Bereich der Brückenangebote. Insgesamt dürfte sich somit die implizite Funktion der Brückenangebote als Auffangbecken von bildungsfernen Migrantinnen und Migranten eher abschwächen. Es steht demnach zu erwarten, dass in Zukunft eher bildungsferne »Einheimische« und junge Migrantinnen und Migranten aus dem außereuropäischen Raum vermehrt in Brückenangeboten anzutreffen sein werden.
Drittens haben sich die Brückenangebote im vergangenen Jahrzehnt bezüglich Institutionalisierung, funktionaler Differenzierung und Professionalisierung konsolidiert und weiterentwickelt. Davon zeugt auch das vorliegende Buch. Dies kommt zum einen zweifellos den Jugendlichen zugute, die diese Angebote durchlaufen. Zum anderen könnte die institutionelle Festigung auch Anlass und Gelegenheit sein, die Rolle der Brückenangebote innerhalb des Bildungssystems aktiver und gestaltender wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Trägerschaften der Brückenangebote handeln mit anderen involvierten Akteuren des Bildungssystems, insbesondere der Sekundarstufe I und der beruflichen Grundbildung, vermehrt aktiv und selbstbewusst die Modalitäten aus, nach denen die erste Schwelle organisiert und gestaltet werden soll.
Verhandlungsgegenstände
Auf der Basis der Ergebnisse des vorliegenden Beitrags drängen sich etwa folgende Punkte als »Verhandlungsgegenstände« auf:
•Die Durchlässigkeit in den Sekundarstufen I und II muss insgesamt größer werden. Die heute ausgeprägte horizontale und vertikale Segmentation und Segregation führt dazu, dass die Übergangsprozesse kleinräumig, unübersichtlich, zum Teil außerordentlich langwierig, sozial hochgradig selektiv und in etlichen Fällen mit dem Risiko behaftet sind, dass Jugendliche letztlich ohne nachobligatorische Ausbildungsabschluss bleiben.
•Die Beurteilungsgerechtigkeit und -qualität schulischer Leistungen muss besser werden. Es geht auf Dauer nicht an, dass Ausbildungsplätze auf Sekundarstufe II aufgrund von schulfremden Instrumenten wie Multicheck usw. und des besuchten Oberstufen-Schultyps vergeben werden. Ein Schritt in die richtige Richtung sind etwa standardisierte Monitoring-Instrumente wie die geplanten HarmoS-Tests 15 oder PISA, die längerfristig indirekt einen systematisierenden und harmonisierenden Effekt haben dürften. Aber auch die direkten schulischen Beurteilungsinstrumente bedürfen einer vermehrten Harmonisierung und Standardisierung (z. B. klassen- und schulübergreifende Vergleichsarbeiten). Außerdem sollten die Lehrkräfte noch vermehrt bezüglich Beurteilungsungerechtigkeit aufgrund von Schülermerkmalen wie Geschlecht, sozialer Herkunft oder Migrationsherkunft sensibilisiert werden.
•Wünschbar wäre ein Abbau der funktionalen Redundanzen zwischen den Angeboten des Bildungssystems einerseits und den an Jugendliche gerichteten arbeitsmarktlichen Maßnahmen (Motivationssemester u. ä.).
•Schließlich sollten Brückenangebote auch vermehrt direkt qualifizierend angelegt sein. Ein Beispiel dafür wäre das (bereits bestehende) Angebot von gewissen Fachmittelschulen, dass ein zehntes Schuljahr als erstes FMS-Ausbildungsjahr angerechnet werden kann.
Literatur
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»Warteschleife« als Chance
Alain Studer
Jennifer 16 hat auf Sekundarstufe I die Werkklassen 17 und ein privates zehntes Schuljahr besucht. Weil sie im Anschluss trotz großer Bemühungen noch immer keine Lehrstelle fand, trat sie im Sommer 2008 ins Motivationssemester 18 ein. Bei einem schulischen Test zu Beginn zeigte sie für den besuchten Schultyp überdurchschnittliche Leistungen in Deutsch. In Mathematik traten hingegen deutliche Schwächen hervor. Auf den ersten Blick wirkte Jennifer meist sehr skeptisch, was Neues anbelangte, und zeigte sich in sozialen Kontakten sehr zurückhaltend. In Bezug auf die Lehrstellensuche war sie aber überaus motiviert, arbeitete zuverlässig und ausdauernd. Ihr großer Traum war eine Ausbildung in einer Autogarage, am liebsten als Lackiererin.
Verschiedene Lehrmeister aus dem Karosseriebereich attestierten Jennifer eine vorbildliche Arbeitshaltung. Sie beklagten allerdings ihre mangelnden Mathematikkenntnisse, die sich im praktischen Berufsalltag zeigten. Eine Ausbildung im EFZ-Bereich 19 sei deswegen auf keinen Fall möglich – als Werkklassenschülerin schon gar nicht. Ein Multicheck zur Abklärung der schulischen Voraussetzungen für eine Berufsausbildung stützte diese Aussage. Über die Beziehungen des Motivationssemester-Anbieters zu Arbeitgebern ließ sich am Ende eine Vorlehre in einer Autogarage im mechanischen Bereich finden – mit Blick auf Jennifers wachsende Zahl von Zwischenjahren eine unbefriedigende Lösung.
Im Rahmen einer weiteren Nachbetreuung im ersten Halbjahr nach dem Austritt aus dem Motivationssemester fand sie aufgrund der sehr guten Rückmeldungen aus dem Vorlehrbetrieb einen Ausbildungsplatz als Lackiererin mit eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ). Die Ausbildung verläuft laut Lehrmeister sehr gut, Jennifer wird ihre Berufslehre im Sommer 2014 abschließen können.
Die Erfahrungen zeigen, dass oft unklar ist, wie die Eignung und die Leistungen beurteilt werden sollen. Die im Beitrag von Thomas Meyer beschriebene starke Gewichtung des besuchten Schultyps bei der Lehrlingsselektion ist in der Praxis gut spürbar. Vonseiten der Schulen sind in einigen Kantonen Bemühungen um einen einheitlichen Leistungsausweis im Gange. Demgegenüber legen Betriebe und Berufsverbände zusehends mehr Gewicht auf eigene Selektionswerkzeuge oder solche externer Anbieter. Die Hauptproblematik all dieser Berufseignungstests ist, dass sie oft nur wenig über das Entwicklungspotenzial der Jugendlichen beim Einstieg in die Berufsausbildung aussagen. Um dieses einschätzen zu können, braucht es oft mehr. Die Begleitung der Jugendlichen in diesem Suchprozess und die Vermittlungstätigkeit in enger Zusammenarbeit mit Lehrbetrieben bieten dazu eine große Chance, welche in dieser Qualität und Intensität im Schulbereich nicht möglich ist. Praktische Erfahrungen aus längeren Schnuppereinsätzen oder Praktika lassen qualitativ bessere Beurteilungen bezüglich Berufseignung und Entwicklungsmöglichkeiten zu. Die Jugendlichen erhalten im Betriebsalltag eine Fülle von Rückmeldungen, die es ihnen erlauben, ihre Berufswünsche zu reflektieren. Den meisten gelingt es nach einer gewissen Zeit, anstehende Entwicklungsschritte anzugehen oder sich gegebenenfalls nach beruflichen Alternativen umzusehen, falls sich eine Ausbildung im Wunschberuf als nicht realistisch erweist. Oft können Rückmeldungen von Arbeitgebern und Coachs in Form von schriftlichen Bewertungen oder Referenzen die Auswirkungen des besuchten Schultyps im Bewerbungsprozess aufweichen.






