Die Schneckeninsel

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Michel stöhnte wieder.
Ja, ja, du hast ja recht. Die Schulleitung war übrigens aus Diskretionsgründen dagegen, die Mädchen zu interviewen. Und da der Befund der Gerichtsmedizin eindeutig auf Selbstmord lautete, gab es kein juristisches Mittel, die Befragungen durchzubringen. Das Ganze musste sowieso unter dem Deckel gehalten werden. Stell dir vor, wie schnell der gute Ruf eines Internats dahin ist. Und der gute Ruf ist alles, was ein Internat hat.
Gut. Klärt bitte ab, was noch möglich ist. Und ich mache vor Ort, was ich kann.
Um vier Uhr war die Mannschaft wieder vollzählig in der Küche versammelt. Lydia hatte bereits einige Kisten mit knackigen Salaten und verschiedene Gemüse besorgt. Sie zeigte Tanner stolz ihre Beute.
Ich bin begeistert. Danke, Lydia.
Er wandte sich an den Stummen.
Anandan, den Reis machst du ganz traditionell. Dann: Wir machen eine Bratensauce, eine Currysauce und eine Cocossauce. So haben die Gäste eine Auswahl. Sowohl die Vegetarier wie auch die, die Fleisch essen. Die Pouletbrüste machen wir auf meine Art. Annerös und Lydia, ich zeig euch gleich, wie es gemacht wird. Das Gemüse für die Vegetarier machen wir nicht in einer Sauce, das wird eh nur ein Einheitsbrei, sondern wir braten es. Diesen schönen weißen Chicorée schneiden wir längs und braten ihn mit Olivenöl, Salz und Pfeffer scharf an. Desgleichen die Peperoni, Zucchini und Brokkoli. Wir machen heute keinen Salat, den sparen wir uns für morgen Abend. Lydia, der hält doch gut bis morgen Abend, oder?
Kein Problem, Chef.
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Alle lachten.
Prima. Ach, ja. Jetzt zu den Pouletbrüstchen. Wir machen kleine Zöpfchen aus ihnen. Habt ihr das schon einmal gesehen?
Alle schüttelten den Kopf.
Anandan, gib mir mal eine Pouletbrust und du, Lydia, du hast doch wilden Majoran.
Tanner ging ans Schneidebrett.
Wir schneiden die Pouletbrüste in zwei Hälften oder eventuell in drei Teile, wenn das Stück besonders groß ist. Jedes Teil schneiden wir in drei Streifen, aber nicht ganz durch. Die Streifen müssen an der dicksten Stelle zusammenbleiben. Seht ihr, so. Wie ein Kopf mit drei Beinen. Dann nehmen wir einen oder zwei Majoranzweige und machen mit den drei längs geschnittenen Streifen einen kleinen Zopf. Die Zweige werden eingebunden. Man kann gleichzeitig auch Speckstreifen einbinden, aber die haben wir, glaube ich, heute nicht. Das machen wir das nächste Mal. Man muss die fertigen Teile nicht mal binden, man muss sie nur vorsichtig behandeln bis zum Anbraten, damit sie in der Form bleiben. Nach dem Anbraten ist es kein Problem mehr.
Er wandte sich zu Lydia und Annerös.
Das Zöpfeln könnt ihr sicher noch besser als ich. Ich werde unterdessen das Gemüse schneiden und dann die Saucen machen. Alles klar?
Alle nickten.
Auf los gehts los.
Pünktlich waren sie fertig. Als oben in den Speisesälen serviert war, aß auch die Küchenmannschaft in der Küche mit großem Appetit.
Annerös meinte, dass durch die Verwandlung der Pouletbrust in einen Zopf sich auch die Qualität des Fleisches wunderbarerweise verwandelt habe.
Tanner lächelte.
Es hat damit zu tun, dass wir durch das Zöpfeln die Oberfläche des Fleisches fast verdreifacht haben. Das macht ganz viel aus. Und dann natürlich die Liebe, mit der ihr beiden das Fleisch behandelt habt.
Sie lachten.
Wie lange arbeitet ihr eigentlich schon hier?
Die beiden Frauen sahen sich an.
Seit das Weiße Schloss umgebaut wurde. Das sind jetzt, äh …
Lydia sprang ein.
Es sind ziemlich exakt neun Jahre. Anandan kam erst vor drei Jahren zu uns.
Und Max Keller?
Wie wir. Er hat auch gleichzeitig mit uns angefangen. Nur das Servicepersonal wechselt von Saison zu Saison. Das ist ja auch klar. Es sind ja meist junge Leute, die sich so ihr Studium verdienen.
Geht der Max Keller hier eigentlich auch fischen? Im See oder in den Bächen?
Annerös und Lydia sahen sich fragend an.
Nein, nicht dass wir wüssten.
Was macht er denn so in seiner Freizeit?
Das wissen wir auch nicht. Er fährt immer mit seinem großen Motorrad weg. Wir denken, dass er eine Geliebte im Hauptort hat. Aber erzählt hat er nie davon.
Annerös kicherte. Lydia wechselte das Thema.
Ljuli ist auch erst vor drei Jahren zu uns gekommen.
Und die Erzieherinnen?
Die eine von Anfang, die andere seit knapp drei Jahren oder so. Da gab es mal einen Wechsel, aber da erinnere ich mich nicht mehr so recht.
Lydia war offensichtlich verlegen. Sie stand auf, um etwas zu holen.
Tanner konnte es sich nicht verkneifen.
Und Frau Wunder?
Annerös und Lydia wechselten einen schnellen Blick, und Annerös forderte Lydia, die sich wieder setzte, zum Antworten auf.
Ja, sie hat erst vor fünf Wochen angefangen. Ihre Vorgängerin ist auf tragische Weise ums Leben gekommen.
Tanner spürte, wie Annerös Lydia unter dem Tisch mit ihrem Fuß anstieß.
Lydia schwieg und schaute auf ihren Teller. Tanner aß weiter und fragte so beiläufig wie möglich.
Was heißt tragisch?
Sie ist im See ertrunken.
Er blickte hoch.
Ertrunken? Konnte sie nicht schwimmen?
Ich weiß nicht, ob sie schwimmen konnte. Weißt du das, Annerös? Ich habe sie nie baden sehen. Du, Annerös?
Die Angesprochene schüttelte den Kopf und senkte ihre Stimme.
Ich weiß es nicht, aber es spielt auch keine Rolle. Sie ist ja freiwillig ins Wasser gegangen.
Lydia nickte.
Es war Selbstmord.
Und weiß man, wieso sie das gemacht hat?
Beide hoben ihre Schultern und ließen sie wie einstudiert synchron wieder fallen.
Nein. Niemand hat das verstanden. Es war sehr tragisch. Sie war eine Nette. Aber wir hatten ja nicht so Kontakt zu ihr, also persönlich, meine ich.
Tanner hütete sich, weiter zu fragen. Er hatte das Gefühl, als ob Anandan etwas dazu sagen wollte, aber er konnte ja nicht reden. Er würde ihn in den nächsten Tagen mal darauf ansprechen. Schreiben konnte er ja.
Sie aßen schweigend weiter.
Zehn Minuten später meldete Teresa, dass alle vom Essen begeistert gewesen seien. Das löste die Stimmung wieder.
Tanner hätte gerne gefragt, ob Madame auch zum Essen erschienen war, aber er hütete seine Zunge.
Kurz vor zehn war die Küche fertig, und Tanner verabschiedete sich von seiner Mannschaft.
Morgen Abend würde er eine arabische Vorspeisentafel, Falafel und verschiedene Salate mit einheimischen Produkten machen, so wie er es damals von seiner Köchin in Marokko gelernt hatte. Lydia hatte ihm noch eine Ladung Kichererbsen besorgt, die musste er jetzt über Nacht noch in kaltes Wasser einlegen. Immerhin gab es unter den Schülerinnen einige aus muslimischen Ländern. Er hatte keine Lust auf Nudeln mit Rahmsauce und solche Sachen, wie sie Max Keller vorgesehen hatte.
2. Tag — Montagnacht
Danach löschte er die Lichter und ging durch die schmale Glastür hinaus in den Garten. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Dunkel lag der See vor seinen Füßen. Weiter unten gab es eine Bank. Ljuli saß darauf. Sie winkte ihm und er setzte sich neben sie.
Du rauchst, Ljuli!
Ja, leider. Ich habe angefangen, als Mann tot war.
Das tut mir leid.
Danke, Tanner. Lange her. Wie anderes Leben. Im Krieg. Deswegen auch keine Kinder.
Tanner nickte.
Sie schwiegen und betrachteten den dunkel schimmernden See.
Nach einer Weile brach Tanner das Schweigen.
Was ist der Direktor de Klerk für ein Mensch? Ist er nett?
Ja, er ist sehr nett. Aber sehr von Mutter, äh …
Abhängig?
Sie lächelte, fast entschuldigend.
Ja. Sehr abhängig. Aber sehr nett.
Auf was für einem Kongress ist er eigentlich in Schweden? Weiß man das im Haus?
Ja, sicher. Das wissen alle.
Und?
Es treffen sich dort alle Schnecken, hm …
Schnecken? Meinst du Schneckenexperten oder so was?
Ja, dort ist Treffen alle Schneckenexperten aus Welt.
De Klerk ist Schneckenexperte?
Tanner schüttelte ungläubig den Kopf.
Schnecken! Ist das zu glauben! Er ist doch Internatsleiter?
Ljuli lächelte auch und flüsterte ihm ins Ohr.
Madame leitet Internat. Er ist nur, äh … wie sagt man: Schild?
Aushängeschild. Du meinst, er ist das Aushängeschild. Gut. Ich verstehe.
Ljuli erhob sich.
Ich muss jetzt ins Bett. Morgen sehr früh aufstehen. Schlaf gut, Tanner.
Schlaf gut, Ljuli.
Tanner blieb noch eine Weile sitzen. Er hatte das Gefühl, dass der Himmel sich immer mehr verdunkelte.
Wo blieb denn der Mond heute?
Er schloss die Augen. Plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch.
Tanner erschrak und drehte sich um.
Auf den Mond warten Sie heute vergebens.
Es war Madame, die sich ihm lautlos genähert hatte.
Heute wird er nicht zu sehen sein. Es braut sich eine dicke Wetterfront auf. Morgen wird es regnen. Sehen Sie. Schön, dass Sie auf mich gewartet haben. Kommen Sie mit, wir gehen zum alten Fischerhaus.
Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie voran.
Auf sie gewartet? Er wusste nichts davon, aber vielleicht hatte sie ja trotzdem recht.
Er folgte ihr. Er hatte das Gefühl, dass das Geheimnis, das er zu lösen hatte, ohne sie nicht zu lösen war.
Unten am Ufer war eine dreiseitig geschlossene Hütte. Die beiden vorderen Stützen standen im Wasser. Zum Wasser hin war die Hütte offen. Es gab eine breite Bank und einen Tisch.
Madame hatte einen Mantel an, den sie vorne mit einer Hand lose zusammenhielt. Sie setzte sich auf die Bank.
Setzen Sie sich neben mich. Wenn es Ihnen möglich wäre, mich zu halten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Madame roch nach Lavendel und schien federleicht.
Die Küchenmannschaft ist begeistert von ihnen. Und das Essen ist auch gut.
Es war kein Lob. Es war nur eine trockene Feststellung.
Sie lehnte sich noch mehr an ihn. Er spürte die Rundung ihrer Brust. Die Zartheit ihrer Haut war erstaunlich.
Heute ist mir nicht ums Sprechen. Ich möchte einfach nur schweigen und meine Augen schließen.
Auch gut. Tanner war froh. Er hätte sie zwar gerne gefragt, was es mit dieser kleinen Insel auf sich hatte, die da draußen lag und die ihn an Böcklins Toteninsel erinnerte, wenn auch eine liebliche Variante davon, ohne schroffe Felsen und Gebäudeteile wie auf dem Gemälde. Heute Nachmittag hat er sie von seinem Zimmer aus bewundert. Die untergehende Sonne hatte die schon farbig werdenden Blätter der Bäume durchleuchtet, und die Insel sah aus, als ob sie Teil eines surrealen Werkes von Max Ernst wäre. Geheimnis, Ewigkeit und Schönheit.
Nach einer Weile musste Madame gähnen. Sie streckte und rekelte sich ausgiebig, wie die Katzen es gerne tun, und lehnte sich erneut an ihn.
Tanner fühlte sich zunehmend matt und wehrlos. Er hatte immer mehr das Gefühl, als ob er allmählich aus sich heraustreten würde und sich von außen beobachten könnte. Wie ein Wissenschaftler, der eine ihm unverständliche Spezies unter Laborbedingungen Experimenten unterzog. Nur dass die Spezies, die er beobachtete, er selbst war. Und dass sich das Wesen selbständig gemacht hatte, das doch eigentlich er war, aber ihm nicht mehr gehorchte, sondern einem anderen Willen, dessen Identität er nicht lokalisieren konnte. War das seine zweite Natur? Oder war sie das, die ihm ihren Willen durch geheimnisvolle Ströme aufzwang? Durch seine neue Rolle, seine neue Identität, die er spielte, war es ihm, als ob er sich langsam in zwei Wesen aufspaltete.
Ihn schauderte. Trotzdem war er neugierig, wie es weiter gehen würde.
Ist Ihnen kalt?
Nein. Es ist alles gut.
Lange saßen sie so und mit der Zeit verwoben sich ihre Atemzüge zu einem. Er spürte die Wärme ihres Körpers. Sie war wirklich ein Rätsel. Er hörte wieder die Stimme von dem Mädchen mit den Stirnfransen. Wissen Sie, warum Madame so schön ist? Sie schmiert sich mit Schleim ein.
Was für Schleim? Und doch, warum war ihr Körper dann so jung? Das war ganz und gar unnormal, falls sie wirklich schon so alt war, wie behauptet wurde. Das konnte alles gar nicht sein.
Madame regte sich und erlöste Tanner von weiteren Grübeleien.
So! Wir stehen jetzt auf. Begleiten Sie mich bitte nach oben.
Tanners Kopf war glühend heiß. Er bemerkte es erst jetzt. Zum Glück hatte sie nichts davon gemerkt. Er stand auf und bot ihr den Arm an.
Sie raffte den Mantel zusammen und sie stiegen langsam, geradezu majestätisch den Garten hinauf. In ihrem dunklen Zimmer angekommen, verlangte sie wie gestern eine Zigarette. Er zündete sie an und reichte sie ihr. Sie rauchte schweigend. Er wartete wortlos. Sie gab sie ihm. Er drückte die Zigarette aus.
Reichen Sie mir jetzt dieses längliche … Sie wissen schon.
Er reichte es ihr stumm und verließ das Zimmer.
Er ging in sein winziges Zimmer, zog sich aus und warf einen letzten prüfenden Blick aus dem Fenster. Der Himmel war tiefschwarz, als hätte es noch nie Sterne oder einen Mond gegeben. Dort, wo sonst Wasser lag, befand sich nun ein gutgemachtes Nichts. Auch die Insel existierte nicht mehr.
Tanner legte sich ins Bett und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
3. Tag — Dienstagmorgen
Die Nacht hatte die Welt am türkisfarbenen See von Grund auf verändert. Der Regen prasselte eine große, rhythmische Symphonie auf das Dach des Weißen Schlosses. Riesige dunkelgraue Wolken hingen bauchig wie eine Herde gestrandeter Walfische über dem See. Sie sahen nicht so aus, als ob sie daran dachten, jemals wieder zu verschwinden. Die kleine Insel war zwar wieder aus der Dunkelheit aufgetaucht, aber auf ihrer nächtlichen Reise jedweder Farbe beraubt worden. Dafür waren die Berge, die sonst so mächtig um den See herumstanden, spurlos verschwunden, wie wegradiert.
Tanner war seit fünf Uhr in der Küche zugange. Er hatte bereits den großen Kochherd und all die kleineren Maschinen einer gründlichen Reinigung unterzogen, als die Frühstücksmannschaft auftauchte. Er frühstückte mit ihnen und half bei den Vorbereitungen für die Speisesäle, obwohl es nicht zu seinen Aufgaben gehörte. So konnten Annerös und Lydia früher Schluss machen und versprachen, dafür eher zu kommen, um Tanner bei der arabischen Vorspeise- und Falafeltafel zu unterstützen, die sehr viel Handarbeit erforderte.
Nach dem Frühstück leerte sich das Haus. Die Mädchen machten mit einem Teil der Lehrerschaft einen Ausflug in die Landeshauptstadt. Ljuli kam nun auch in die Küche und half Tanner. Bis gegen Mittag war die Küche blitzblank und von Grund auf gereinigt. Tanner bedankte sich bei Ljuli und machte sich an die Vorbereitung eines kleinen Mittagessens für die wenigen Zurückgebliebenen. Madame nahm am Mittag nie etwas zu sich. Das hatte Tanner schon gestern erfahren. Kurz darauf rief er zum Mittagessen. Sie waren nur zu dritt. Teresa kam etwas verspätet, sie war ziemlich aufgelöst.
Entschuldigt die Verspätung. Ich war bei der Polizei. Walter Valser ist nämlich, äh … verschwunden.
Ljuli reagierte sehr verstört.
Wie verschwunden? Was ist passiert? Ist ihm etwas passiert?
Tanner blickte Teresa fragend an.
Herr Valser ist unser Gärtner und Haustechniker. Er hatte die ganze letzte Woche frei. Aber er hätte schon am Sonntag ins Haus kommen sollen, so war es ausgemacht. Er ist nicht erschienen. Gestern auch nicht, ohne sich abzumelden, und heute auch nicht. Er nimmt auch sein Handy nicht ab. Heute Morgen hat uns seine Frau angerufen und weinend berichtet, dass ihr Mann verschwunden sei. Wir waren jetzt bei der Polizei und haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben.
Tanner begann vorsichtig nachzufragen.
Wann hat seine Frau ihn denn zuletzt gesehen?
Am Sonntagmorgen habe er sich verabschiedet. Am Sonntag hätte er ja ins Haus kommen sollen. Ist aber nicht erschienen. Danach hatte ihn seine Frau nicht mehr gesehen.
Tanner stutzte.
Und sie ruft erst heute Morgen an? Das ist aber eher seltsam. Und wie alt ist er, der Walter Valser, meine ich.
Er habe ihr gesagt, vielleicht übernachte er hier. Das tut er manchmal. Er ist so gegen die fünfzig.
Hat er hier ein Zimmer?
Nein, im kleinen Bootshaus, wo auch seine Werkstatt ist. Er hat eine Matratze. Da übernachtet er oft, denn er wohnt ganz am anderen Ende des Sees.
Und wie kam er jeweils zur Arbeit?
Meistens mit dem Fahrrad. Je nach Arbeitsrhythmus konnte er das Fahrrad aufs Kursschiff nehmen. Früher arbeitete er übrigens auf den Kursschiffen hier.
Fehlt denn zu Hause irgendetwas? Hat er was mitgenommen? Hat seine Frau etwas bemerkt? War er in letzter Zeit irgendwie unruhig? Anders als sonst? Hatte er Probleme?
Teresa starrte ihn verblüfft an.
Das alles hat die Polizei auch gefragt.
Tanner kapierte, dass er zu weit gegangen war und versuchte sofort, seine Fragerei herunterzuspielen.
Ja, das sind doch die Fragen, die einem als Erstes in den Sinn kommen, oder?
Ljuli nickte unsicher. Aber Teresa blickte ihn nach wie vor verwundert an.
Also, die Frau konnte sich an keine Auffälligkeiten erinnern. Gefehlt habe auch nichts.
Die Frage, ob jemand im Bootshaus nachgesehen habe, verkniff sich Tanner.
Er versuchte es auf die heitere Art.
Es gibt ja auch die berühmten Fälle, dass jemand Zigaretten holen geht und danach nie mehr nach Hause kommt. Davon habt ihr sicher auch schon gehört?
Die Frauen lächelten.
Ich sage es ja immer, Rauchen ist gefährlich, gell, Ljuli.
Jetzt lachten sie herzhaft.
Er wird schon wieder auftauchen. So schnell verschwindet kein Mensch.
Teresa nickte.
Hoffen wir es.
Haben Sie Madame informiert?
Nein, aber das mache ich gleich nach dem Essen.
Danach aßen sie weiter und unterhielten sich übers Kochen und über andere alltägliche Dinge.
Erst als Teresa das Besteck auf den Teller legte und sich mit der Serviette den Mund wischte, sprach sie das Thema wieder an.
Was wird denn die Polizei jetzt machen, frage ich mich.
Tanner nahm ein Schluck Bier.
Erst mal die ganzen Routinesachen. Die Vermisstenanzeige an alle Polizeistationen weiterleiten, Spitäler und alle möglichen Kliniken in einem gewissen Umkreis anfragen. Tja, und dann wieder warten.
Woher wissen Sie das so genau, Tanner?
Ich lese Kriminalromane. Sie nicht?
Teresa schüttelte den Kopf.
Ich gehe jetzt zu Madame und mache Meldung. Das ausgerechnet jetzt, da Dr. de Klerk nicht da ist! So ein Mist!
Ljuli nickte mitfühlend.
Tanner stand auf.
Wenn ich irgendwie helfen kann – Sie wissen ja, wo Sie mich finden.
Tanner räumte auf, ging dann in sein Zimmer und rief Michel an.
Also, Tanner, hör mal, ich habe drei Leute auf die drei Damen angesetzt, und die haben rund um die Uhr telefoniert und alle möglichen Informationen eingeholt. Alles ist in Protokollen zusammengefasst und bereits auf der Post zu dir unterwegs. Morgen solltest du das Paket erhalten.
Gut. Ich danke dir.
Ach, ja. In Schweden gibt es im Moment keinen Kongress zu den gesuchten Themen Internate, Schulen und so weiter.
Tanner grinste.
Nein, aber ich weiß mittlerweile, dass er an einem internationalen Schneckenkongress teilnimmt.
Schnecken? Machst du dich über mich lustig, Tanner?
Nein, nein. Es ist die Wahrheit. Das hat man mir gesagt. Das wissen hier alle. Dr. de Klerk ist offenbar Wissenschaftler. Schneckenexperte.
Okay, auch ein Beruf. Und weiter?
Mehr weiß ich auch nicht. Schnecken sind offenbar sein Hobby. Im Grunde leitet seine Mutter das Internat. Er sei bloß das Aushängeschild. Aber das ist nur Klatsch. Ich habe ihn ja noch nicht mal gesehen. Und jetzt was anderes. Der Gärtner ist verschwunden. Er hätte wohl schon am Sonntag wieder zur Arbeit kommen sollen und ist bis heute nicht aufgetaucht.
Tanner erklärte ihm, was er bisher wusste.
Aha, seltsam. Am Tag, an dem du auftauchst, verschwindet der Gärtner. Aber das ist sicher nur ein Zufall. Oder willst du den Job des Gärtners auch noch übernehmen?
Michel lachte schallend.
Blödmann. Er heißt übrigens Valser, wie das Mineralwasser, Walter Valser. Er hat früher bei der Schifffahrtsgesellschaft hier auf dem See gearbeitet. Kannst du mal diskret nachprüfen, warum er nicht mehr dort arbeitet? Das sind doch sicher gute Jobs bei so einer Schifffahrtsgesellschaft, die gibt man eher nicht freiwillig auf, denke ich.
Gut. Mach ich. Und melde dich, wenn dir in den Unterlagen über die drei Frauen etwas Brauchbares auffallen sollte.
Ja, falls die ankommen. Heute war noch nichts in der Post.
Na, ich sage es ja: Schneckenpost.
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