Sky-Navy 07 - Jäger und Gejagte

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Jeder raumfahrende Norsun kannte dessen zerstörerische Wirkung. Niemand konnte bislang sagen ob es sich dabei um Partikel, eine reine Strahlungsenergie oder sogar Sporen handelte. Man wusste nur, dass der Zersetzer, dort wo er die Hülle eines Hantelschiffes traf, seinem Namen gerecht wurde. Je nach Intensität zerfiel der Rumpf an der getroffenen Stelle sofort zu Staub oder es breitete sich von dort eine Art Metallfraß aus, der sich rasch über das Schiff ausdehnte. In letzterem Fall gab es noch Hoffnung für die Besatzung, auch wenn sie nicht von einem anderen Schiff aufgenommen werden konnte, da der Metallfraß sonst übertragen wurde. Aber man konnte eine bestimmte Welt anfliegen. Mit etwas Glück und genügend Zeit landete man dort, überließ das Schiff seinem Ende und wurde von speziellen Bergungseinheiten an Bord genommen. Inzwischen gab es eine ganze Reihe von Schiffen, welche dieses Schicksal ereilt hatte.
Die starken Triebwerke brachten die Norsun rasch näher an den Feind. Bald würde man in der Lage sein, die goldene Energie einzusetzen.
Ter-Tesor hoffte bereits, das alles nach Plan verlaufen würde, als der Feind unerwartet schnell zum Leben erwachte.
Es waren nicht die erwarteten Verteidigungssysteme, die eigenständig aktiv wurden sobald ein Schiff angegriffen wurde und sich gegen Strahlen oder Projektile zur Wehr setzen musste. Nein, bei einer der Walzen gleißte ein grün schillernder Strahl, der den Hanteln mit Lichtgeschwindigkeit entgegen eilte. Da sich die Gegner zudem mit erheblicher Fahrt näherten, schien der Lichtfinger des Zersetzers sogar noch schneller zu sein.
Der Zersetzer traf einen der kleineren Kreuzer. Die vordere 200-Meter-Kugel des Bugs leuchtete auf, ihr Grün wurde intensiver und dann schlagartig stumpf. Die Farbe wechselte zu einem düsteren Grau. Die Hülle war innerhalb von Augenblicken derartig geschwächt, dass sie dem Innendruck der Schiffsatmosphäre nicht mehr standhielt. Der gesamte Bug löste sich in einer expandierenden Wolke aus großen Trümmern und winzigen Partikeln auf, aus der sich das Mittelteil und das Heck hervor schoben. Auch sie waren der Vernichtung geweiht, denn innerhalb einer kaum messbaren Zeit passierten sie die Überreste des Bugs und fielen dem Zersetzer ebenfalls zum Opfer. Der gesamte Vorgang hatte kaum eine Minute gedauert und über dreihundert Norsun das Leben gekostet.
Das andere Walzenschiff reagierte noch nicht. Ter-Tesor fragte sich, ob es vielleicht an Bord des Angreifers eine Handvoll Negaruyen gab, die mit dem Schwingungswechsel besser zurecht kamen, als andere.
Die Hasgarab, das Schwesterschiff der Nelharab, erwiderte das Feuer. Zwei ihrer Projektoren formten die goldene Energie in gleißende Finger, die den Negaruyen entgegen stießen. Doch die Entfernung war noch viel zu groß, um diese zu erreichen.
Die ausführende Hand der Stecher an Bord des Flaggschiffes machte es besser. Ter-Tesor registrierte wie die eigenen Projektoren einen dichten Strom goldener Kugeln entließen. Er knickte seine Fühler beifällig vor. Natürlich würden auch diese Energieprojektile die Walzen nicht erreichen, aber ihr dichter Schwarm konnte die Wirkung des Zersetzers abschwächen.
„Näher an den Feind!“, befahl Hoch-Wort Kelar. „Maximale Beschleunigung!“
Die ausführende Hand des Schiffes bestätigte hastig. Der Pilot schob die Kristalle der Triebwerkssteuerung tiefer in das Pult hinein. Von den grell flammenden Säulen der Antriebsstrahlen geschoben, raste die riesige Hantel auf die Gegner zu, bemüht, den Abstand möglichst schnell zu verkürzen und die eigenen Waffen endlich effektiv einsetzen zu können.
Das aktive Negaruyen-Schiff feuerte erneut. Diesmal raste das grüne Schimmern auf eines der Dreischiffe der 400-Meter-Klasse zu. Der Zersetzer brauchte seine Zeit, um das Ziel zu erreichen und an Bord der Dreier-Hantel erkannte man die Gefahr. Die Bugtriebwerke blitzten auf, als der Pilot das Schiff aus dem Kurs riss. Dennoch wurde die Heckkugel vom Zersetzer gestreift. Die Hantel zerfiel nicht, aber die Bildübertragung zeigte, dass sich die grüne Hülle an einer Stelle in ein stumpfes Grau zu verwandeln begann.
Ter-Tesor wusste aus Erfahrung, dass die Besatzung dies nicht unbedingt bemerken würde, bis die Außenhülle nachgab oder irgendwelche Systeme an Bord ausfielen. „Ausführende Hand der Sprecher: Mein Wort an die Kenanharab übermitteln. Das Schiff wurde vom Stachel des Zersetzers berührt und ist verloren. Sein Hoch-Wort soll versuchen die Quarantäne-Welt zu erreichen.“
Das zweite Feindschiff wurde noch immer nicht aktiv.
Endlich waren die Nelharab und die Hasgarab am Feind. Die gegnerischen Zersetzer benötigten eine Weile, um sich zum nächsten Schuss zu regenerieren und Ter-Tesor war erleichtert, dass den Negaruyen im Augenblick nur die üblichen Waffen verfügbar waren. Weißglühende Lichtstrahlen und Raketengeschosse lösten sich aus den Geschützstationen des Walzenschiffes, doch gegen diese Angriffe schützte die goldene Energie, die von den beiden Norsun-Schlachtschiffen zu schützenden Wänden geformt wurde.
Jetzt stießen die Energiefinger erneut gegen beide Gegner, die nur von ihren Verteidigungssystemen und dem gepanzerten Rumpf geschützt waren.
Das aktive Walzenschiff wurde gleich mehrfach getroffen. Die formbare Energie erinnerte an Tentakel, als sie den blauen Rumpf traf, sich ein wenig zu krümmen schien, als sie das Metall an verschiedenen Stellen durchdrang. Der bläuliche Panzer schien von innen heraus aufzuglühen, dann zerplatzte das Raumschiff in zahlreiche Fragmente. Für einen Augenblick stand ein flammender Glutball an seiner Stelle, als die Atmosphäre in einem kurzen Flackern verbrannte.
„Nur die Nelharab und nur das Nest der Worte!“, befahl Ter-Tesor erregt, der nun befürchtete, die ausführenden Hände der Stecher könnten das geballte Feuer auf den letzten Feind konzentrieren.
Seine Weisung erreichte die Hasgarab eine Sekunde zu spät. Glücklicherweise stieß deren goldene Energie knapp am Rumpf des letzten Negaruyen vorbei. Der Schütze der Nelharab hingegen traf. Der Energiefinger traf genau ins Zentrum der mittleren Verdickung der Walze, brannte sich durch Wände und Decks und verwandelte den Mittelteil in ein aufglühendes Inferno. Die Negaruyen-Offiziere auf der Brücke hatten keine Chance.
Die inneren Schutzsysteme der Walze funktionierten. Die einzelnen Abteilungen waren luftdicht abgeschottet. Während die Mitte des Schiffes nun einen ausgebrannten Tunnel aufwies, blieben Bug und Heck intakt. Hier zeigte sich eine Schwäche der feindlichen Konstruktionen, denn ohne die steuernde Brücke fiel sämtliche Energie aus. Waffensysteme, Triebwerke, Lebenserhaltungssysteme und Beleuchtung stellten ihre Funktionen ein.
Ter-Tesors Schlitzpupillen in der Mitte seiner Facettenaugen verengten sich für einen Moment. Pheromone verrieten das Ausmaß seiner Erregung. „Mein Wort an Hoch-Wort Neldor von der Branab: Er soll die Kleinschiffe und seine Stachel ausschleusen. Nun werden wir endlich erfahren, wie die Waffe der Flachschlitz-Nasen erschaffen ist.“
Kapitel 3 Auf Kurs
D.S. Vickers, Kreuzer des Direktorats, Registernummer 103
Lieutenant-Commander Bascom, der erste Offizier der Vickers, tippte an sein Implant und nickte bestätigend. „Alle Fracht an Bord, Captain, und verstaut. Außenschleusen sind geschlossen und verriegelt. Der Lademeister meldet Startbereitschaft.“
„Danke, Eins-O.“ Juliet Harper saß im Kommandosessel auf der Brücke des Kreuzers und versuchte, einen entspannten Eindruck zu vermitteln.
Flug- und Gefechtsbrücke waren bei den Kreuzern vereint und unterschieden sich in den verschiedenen Schiffstypen kaum. Gleichgültig wie groß ein Schiff auch sein mochte, es waren im Prinzip immer dieselben Funktionen, die von einer Brücke zu steuern waren. Eine Brücke war kompakt und übersichtlich und man verschwendete keinen Platz. Die der Vickers enthielt die Arbeitsstationen des Piloten, der traditionell als Rudergänger bezeichnet wurde, die des Navigators und die des Kommunikationsoffiziers, der traditionelle „RO“, also „Radio Operator“ genannt wurde sowie die des Waffenkontroll-Offiziers „Arms“ und der System- und Schadenskontrolle „Tech“. Diese Stationen waren in Form eines Hufeisens angelegt, wobei der Rudergänger vorne in der Mitte saß. Hinter ihm, im offenen Ende des Hufeisens, befanden sich die Sitze des Captains und des ersten Offiziers. Einer der beiden Notsitze hinter ihnen war bereits von Senior-Chief Huggins belegt und alles wartete auf das Erscheinen von Senior-Captain van der Dongen.
Die D.S. Vickers war Juliet Harpers erstes Kommando. Sie hatte vier Jahre als Eins-O auf einem der älteren und kleineren Kreuzer der Interstellar-Klasse gedient, dann ein Jahr auf einem der APS. Seit zwei Wochen befand sie sich nun endlich an Bord „ihres“ Schiffes. Harper verstand, dass man ihr beim ersten Flug einen Senior-Captain als Berater zur Seite stellte, dennoch fühlte sie sich dadurch ein wenig unbehaglich. Das war wohl immer so, wenn sich zwei Captains bei der Arbeit beobachteten. Selbst wenn man perfekt arbeitete, beschlich einen stets die Frage, ob der andere es nicht vielleicht noch eine Spur besser gekonnt hätte. Immerhin waren die Kompetenzen klar geregelt. Juliet Harper war der kommandierende Captain und würde letztlich die Entscheidungen fällen und die Konsequenzen tragen.
Das Schott zur Zentrale summte auf.
„Senior-Captain auf der Brücke“, meldete der Eins-O prompt.
Van der Dongen nickte Harper kurz zu und setzte sich dann auf den freien Notsitz hinter ihr. „Bereit, Captain Harper.“
„Eins-O, leiten Sie den Start ein.“
„Aye, Captain.“ Bascom wandte sich nach links. „Tech?“
„Alle Stationen besetzt und bereit“, meldete der System- und Schadenskontrolloffizier prompt. „Alle Systemanzeigen auf Grün und bereit.“
„Arms?“
„Alle Waffensysteme gesichert.“
„Nav?“
„Flugkorridor berechnet und Daten mit Ruder synchronisiert. Alle Scanner und Sensoren auf Blau und aktiv. Keine Objekte im Flugkorridor erfasst.“
„Rudergänger?“
„Bestätige Synchronisation der Daten. Ruder bereit.“
Bascom leckte sich unbewusst über die Lippen. „Tech, Triebwerke starten und Kontrolle an Ruder übergeben.“
„Aye. Schutzblenden vor Triebwerksschächten werden zurückgefahren. Yukami-Antrieb gezündet. Schubwerte steigend. Übergebe Kontrolle an Ruder.“
„Bestätige Triebwerkskontrolle“, kam es vom Rudergänger. Der Kopf unter dem VR-Helm bewegte sich unmerklich. Die Hände des Piloten lagen entspannt um die Joysticks in den Armlehnen seines Sitzes.
„RO, erbitten Sie Startfreigabe von der Lower Area Control.“
Die Stimme des Kommunikationsoffiziers wurde hörbar. „D.S. Vickers, Registernummer 103, an Lower Area Control Mars: Wir sind bereit zum Start.”
Jede besiedelte Welt verfügte über zwei voneinander getrennte Flugkontrollen: Die Lower Area Control war für alle Flugbewegungen innerhalb der Atmosphäre zuständig, die Upper Area Control für alle außerhalb der Lufthülle. Diese Überwachungszentren gewährleisteten, dass es zu keinen gefährlichen Situationen kam.
„Lower Area Control Mars an D.S. Vickers: Ihr Flugkorridor ist bestätigt und frei. LACM übergibt Flugüberwachung bei Erreichen der Atmosphäregrenze an UACM. Sie sind freigegeben zum Start. Guten Flug, Vickers.“
In allen Luftfahrzeugen, die sich in der Nähe des Flugkorridors bewegen würden, zeigten die Navigationshilfen und Instrumente nun einen farbig hervorgehobenen Bereich mit einem Warnhinweis.
„Startfreigabe ist erteilt, Captain“, meldete Bascom.
„Rudergänger: Start”, befahl Harper.
“Aye, Captain. Start eingeleitet.”
Die schweren Schutzblenden waren vor den Schächten der vier Yukami-Triebwerke zurückgefahren. Die elektrisch angetriebenen Turbinen waren auf Leistung und die rund um das Landefeld blitzenden Warnlichter waren eigentlich überflüssig, denn die Triebwerke entfachten einen gewaltigen Luftstrom, der im Augenblick in die Bodendüsen umgeleitet wurde.
Der Pilot betrachtete die virtuellen Anzeigen, während er den Triebwerksschub mit der einen und die Ausrichtung der Düsen mit der anderen Hand steuerte. Was er dank seines Helms sah, wurde zugleich auf die holografischen Schirme der Brücke übertragen.
Die Schubwerte überstiegen jetzt die Masse des Kreuzers. Man spürte keine Bewegung, aber die Höhenanzeige veränderte sich langsam und dann mit steigender Geschwindigkeit. Das Shriever-System, welches künstliche Schwerkraft erzeugte, verhinderte, dass man innerhalb der Vickers Bewegung oder Andruck spürte, während außerhalb des Schiffes die Triebwerksstrahlen den Plas-Beton des Landefeldes peitschten und den Kreuzer nach oben trugen.
„Höhe Einhundert Meter“, meldete Tech. „Landestützen werden eingefahren und gesichert.“
Aus dem senkrechten Aufstieg wurde jetzt zunehmend eine Vorwärtsbewegung. In einem relativ sanften Winkel von fünfzehn Grad stieg die Vickers auf und beschleunigte zunehmend.
„Vorbereiten für Jentao“, befahl Harper mit ruhiger Stimme.
Tech-Master-Chief McCormack betätigte einige Schaltungen. Es waren antiquiert wirkende Schalter und Tasten, mit denen ein Raumschiff gesteuert wurde. Man war sehr schnell von sensorgestützten Impulsfeldern abgerückt. Die Gefahr, dass sie bei Schwerelosigkeit und in einem Raumanzug fehlerhaft ausgelöst wurden, schätzte das Militär als zu hoch ein. In den Schächten des Jentao-Impulstriebwerkes begann es leicht zu flimmern, als die Schubeinheiten vorgewärmt wurden. Der sehr effektive Antrieb durfte erst in den oberen atmosphärischen Schichten aktiviert werden. „Jentao bereit, Captain.“
Die Vickers beschleunigte weiter. Die Luftwirbel unterhalb des Schiffes ebbten allmählich ab, während der Schub nun nach hinten geleitet wurde und die Atmosphäre immer rascher verdrängt wurde. Rund drei Kilometer über der Marsoberfläche durchbrach die Vickers bereits die Schallmauer.
Schließlich erreichte der Kreuzer jene Bereiche, an denen die Lufthülle zu dünn für die Atmosphäretriebwerke war. Der Rudergänger betätigte eine virtuelle Schaltung. Das dünne Pfeifen der Yukami verstummte, die Schubsegmente des Jentao flammten bläulich auf und verliehen dem Schiff weitere Geschwindigkeit.
„Lower Area Control Mars hat an Upper Area Control übergeben“, meldete der Kommunikationsoffizier.
„Nav, synchronisieren Sie Kursdaten für Verlassen des solaren Systems. Tech, bereiten Sie das Aufladen des Hiromata vor.“
Beide Männer bestätigten die Befehle.
Juliet Harper warf einen kurzen Blick auf den Zeitmesser. Vom Abheben bis zum Erreichen des Weltraums hatte die Vickers zwanzig Minuten und siebzehn Sekunden benötigt. Bei einem Alarmstart hätte sie es auch in fünf Minuten geschafft.
Kapitel 4 Keine Gnade
Branab, Dreischiff-Truppentransporter der Norsun
Die Befehle von Hoch-Wort Neldor waren eindeutig: Wenn möglich ein oder zwei Worte der Flachschlitz-Nasen fangen, damit man sie befragen konnte, andere eventuelle Überlebende stechen und die neue Waffe des Feindes bergen oder, wenn dies nicht möglich war, vor Ort so gut analysieren, wie dies möglich war.
Neldor wählte den erfahrenen Stachelführer Melbar zum Wort des Enterkommandos. Im vorderen Verbindungselement des Dreischiffes öffnete sich der Hangar, der bei den Norsun, der Tradition gemäß, als Nest der Kleinschiffe bezeichnet wurden. Melbar führte zwölf von ihnen hinaus, vollgestopft mit Bions und einer Gruppe ausgewählter Hände der Maschine. Die Bions würden töten und die Hände der Maschine ihrerseits versuchen, das Geheimnis der fremden Waffe zu erkunden.
Die Norsun klassifizierten ihre Kleinschiffe nach der Anzahl der Kugeln. Es gab keine schlanken Mittelteile, welche die Kugeln miteinander verbanden, nur eine verschiedene Zahl an Kugeln, die, wie die Perlen an einer Schnur, aneinandergereiht waren. Die Einkugeln waren reine Bodengleiter, Zweikugeln hingegen schnelle Jäger, die innerhalb einer Lufthülle oder im Vakuum des Weltraums gleichermaßen operieren konnten. Die Dreikugeln erfüllten die Aufgaben von Bombern oder kleinen Transportern.
Melbar führte zwölf der neuen Vierkugeln. Mit fünf Metern Durchmesser und einer Gesamtlänge von zwanzig Metern ging es darin sehr beengt zu. Die vordere Kugel beinhaltete die Bordwaffen und die Steuerung, die hintere die Maschinenanlage und das kleine, aber sehr leistungsstarke Triebwerk. Die beiden mittleren waren nichts als hohle Behälter, deren Innenwand lediglich mit einer ganzen Reihe von hakenförmigen Halterungen versehen war. Doch die Bions waren nicht anspruchsvoll und nutzten sie, um sich während der Manöver ihres Kleinschiffes festzuhalten. Die sechs mitfliegenden Hände der Maschine wurden hingegen nicht nach ihrer Bequemlichkeit gefragt. Es kam nur darauf an das wehrlose feindliche Schiff schnellstmöglich zu erreichen und sich Zugang zu verschaffen.
Das treibende Wrack war inzwischen von der gesamten Offensiv-Patrouille umringt, die immerhin einen Kreuzer und einen Truppentransporter eingebüßt hatte. Doch die Verluste waren akzeptabel, besaß man nun doch die Chance, die neueste Waffentechnik der Negaruyen in die Hände zu bekommen.
Melbar stellte eine Funkverbindung mit den anderen Booten her. „Kleinschiff Zwei folgt meiner Eins. Die Übrigen bleiben in Warteposition.“
Das würde den Besatzungen in den anderen Einheiten nicht gefallen, doch Melbar wollte nicht, dass sich seine Stachel an Bord des Feindes gegenseitig behinderten. Zudem war kaum Widerstand zu erwarten. Die Worte und das Hoch-Wort des Gegners waren tot, der Rest der Besatzung ohne Führung, wenn es in den abgeschotteten Bereichen überhaupt Überlebende gab. Melbar bezweifelte, dass man Gefangene würde machen können. Er fand es ärgerlich, dass man welche wollte. Die Bions waren aufs töten programmiert und die paar Norsun würden es schwer haben, die Kreaturen durch direkten Befehl rechtzeitig davon abzuhalten.
Melbar saß auf einer Stange hinter Pilot und Co-Pilot. Die Stange erlaubte es ihm, das Stachelfutteral seines Raumanzuges geschlossen zu halten. Die beiden vor ihm konnten diesen Vorteil nicht nutzen. Obwohl sie Anzüge trugen steckten ihre freiliegenden Stachel in den Pheromonstutzen der Kleinschiffsteuerung. Kam es zu einer explosiven Dekompression, dann waren sie verloren.
„Wir nähern und dem Mittelteil, Wort“, meldete die ausführende Hand des Kleinschiffes. „Soll ich beidrehen?“
Melbar blickte durch die einseitig transparenten Scheiben der Bugkugel. Vor ihnen trieb das Wrack. In der blauen Hülle wurden die dunkleren Linien erkennbar, wo die einzelnen Bauteile des Rumpfes miteinander verbunden worden waren. Alles war dunkel. Nirgends ein Licht, das auf Energie hingewiesen hätte. Für ein Raumschiff war Energie mit Leben gleichzusetzen. Es gab Sichtluken, wie sie früher auch von den Norsun genutzt worden waren, aber hinter keiner von ihnen schimmerte ein Licht. Melbar achtete darauf, ob eine von ihnen vielleicht kurz vom Scheinwerfer eines Raumanzuges angestrahlt wurde, doch nichts deutete auf Überlebende hin. Die zu untersuchende Waffenkuppel befand sich ein Stück vor der Verdickung des Mittelteils und direkt unter dem Rumpf. Die günstigste und schnellste Möglichkeit sie zu erreichen bestand darin, das Wrack durch die schwere Beschädigung zu betreten.
„Steuere das große Loch in der Mitte an, ausführende Hand“, befahl Melbar. Da sein Anzug geschlossen war, konnte er die Pheromone des Piloten nicht deuten, doch er spürte, dass der Norsun ängstlich war. Er scheute instinktiv davor zurück, in jene grauenhafte Wunde einzufliegen, die man dem Schiff geschlagen hatte. „Es ist der einfachste Zugang“, fügte Melbar hinzu. „So brauchen wir uns nicht durch die dicke Außenpanzerung zu brennen, sondern nur eine der Innentüren zu öffnen, die der goldenen Energie widerstanden haben.“
„Dann wird die Luft aus den abgeriegelten Abteilen entweichen“, gab der Co-Pilot zu bedenken.
„Das macht es uns nur einfacher.“
„Aber es könnte Überlebende töten, die vielleicht nicht den Schutz eines eigenen Luftanzuges tragen.“ Der Co-Pilot zögerte kurz. „Das Höchst-Wort will jedoch Gefangene.“
„Wenn die Negaruyen keine Luftanzüge getragen haben, dann sind sie dumm. Dumme Flachschlitz-Nasen kann man nicht befragen, da sie nichts wissen. Wenn sie umkommen, weil wir die Abteile des Schiffes zum Weltraum öffnen, dann ist das kein Verlust. Wichtig sind nur jene, die einen Luftanzug tragen. Jene, die intelligent genug waren, mit einem Kampf zu rechnen. Ausführende Hand, du hast mein Wort gehört. Fliege in das Schiff ein.“
„Jagdsicht“, forderte der Pilot mit dem Äquivalent eines menschlichen Seufzens.
Der neben ihm sitzende Norsun betätigte eine Schaltung. Das Realbild der Bugverglasung wich einer mehrfachen Vergrößerung. Der düstere Tunnel in der mittleren Verdickung des Wracks schien den Betrachtern entgegen zu springen.
Melbar schätzte die Größe der Öffnung auf den doppelten Durchmesser der Vierkugel. Das war nicht viel Raum zum Manövrieren, doch es würde ausreichen. Immerhin hatte der goldene Energiefinger ein sauberes Loch gestanzt, welches durch die gesamte Breite des Wracks ging. Es gab keine verformten Träger oder Platten des Rumpfes, die ein Hindernis gebildet hätten.
Am Bug des Kleinschiffes flammten Scheinwerfer auf und machten die Zerstörungen noch deutlicher. Sie führten quer durch Wände und Decks. In den Räumen fest verankerte Einrichtungsteile zeigten Schäden, die dem Verlauf des „Tunnels“ entsprachen. Die goldene Energie hatte alles aufgelöst, was sie unmittelbar berührte. Kunststoffe waren verdampft, Metalle halb geschmolzen und bildeten bizarre Strukturen. Ein Teil der sichtbaren Zerstörungen schien auf die explosive Dekompression zurückzuführen sein.
Melbar vergewisserte sich, dass seine stabförmige Energiewaffe aufgeladen und bereit war. Sie verfügte zwar nicht über die goldene Energie, doch die blauen Energiegeschosse waren in der Lage, die dünnen Innenwände des Wracks zu zerstören oder einen Negaruyen in schmorendes Gewebe zu verwandeln.
Der Pilot steuerte das Boot behutsam an die klaffende Öffnung heran. Korrekturdüsen blitzten auf und brachten es in die richtige Position. Langsam glitt die Vierkugel in das Wrack hinein.
„Wort an alle Stachel: Nicht stechen, nur fangen“, befahl Melbar auf der Frequenz der Bions. Er hielt nicht viel von diesen Wesen, auch wenn er ihre Nützlichkeit akzeptierte. Seine Anweisung blockierte jetzt das Tötungsprogramm und zwang die Kampfwesen dazu, Lebewesen nur einzufangen. Melbar hielt die Bioniker seines Volkes für ausgemachte Narren, da es ihnen nie gelungen war, die bionischen Platinen mit differenzierteren Verhaltensmustern auszustatten.
Das Wort des Enterkommandos sah sich aufmerksam um. Er tippte dem Piloten auf die Schulter. „Nullfahrt. Hier ist eine gute Stelle.“
Die Vierkugel war noch nicht ganz in das Wrack eingeflogen. Melbar hatte jedoch im Licht der Scheinwerfer eine günstige Stelle entdeckt. In einem der unteren Decks hatte eine der Drucktüren nicht standgehalten und der dort in den Bugbereich führende Gang lag frei.
Kurz darauf hatten sich die Blenden der Mannschaftsabteile geöffnet. Norsun in Raumanzügen und Bions verließen die Vierkugel. An ihren Leibern waren Gürtel mit schwachen Druckluftdüsen befestigt, mit deren Hilfe sie nun in die Räume des Wracks hinein schwebten.
Die Schwerkraft an Bord war mit den Lebenserhaltungssystemen ausgefallen. Die Lampen der Anzüge zeigten einen leeren Gang. Die entweichende Schiffsatmosphäre hatte alle losen Gegenständen und Leichen der Negaruyen mit sich gerissen. Die Türen an den Seiten des Ganges hatten jedoch standgehalten.
Die Hände der Maschine fingerten nervös an ihren ungewohnten Stabwaffen und ließen den Bions den Vortritt, wenn es darum ging, das Schott zu einem verschlossenen Raum zu öffnen. Der normale Öffnungsmechanismus war durch den Energieausfall blockiert und wahrscheinlich hätte er ohnehin nicht reagiert, um den unter Druck stehenden Raum und die darin befindlichen Negaruyen zu schützen. Die Bions benutzten ihre Körperkräfte und die Stabwaffen, um die Hindernisse zu beseitigen.