Gesammelte Dramen: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder • Die Jungfrau von Orleans • Die Räuber • Die Ve...

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Nicht aus den Händen leg ich dieses Schwert,
Als bis das stolze England niederliegt.
SCHWARZER RITTER.
Schau hin! Dort hebt sich Reims mit seinen Türmen,
Das Ziel und Ende deiner Fahrt – die Kuppel
Der hohen Kathedrale siehst du leuchten,
Dort wirst du einziehn im Triumphgepräng,
Deinen König krönen, dein Gelübde lösen.
– Geh nicht hinein. Kehr um. Hör meine Warnung.
JOHANNA.
Wer bist du, doppelzüngig falsches Wesen,
Das mich erschrecken und verwirren will?
Was maßest du dir an, mir falsch Orakel
Betrüglich zu verkündigen?
Der schwarze Ritter will abgehen, sie tritt ihm in den Weg.
Nein, du stehst
Mir Rede, oder stirbst von meinen Händen!
Sie will einen Streich auf ihn führen.
SCHWARZER RITTER berührt sie mit der Hand, sie bleibt unbeweglich stehen.
Töte, was sterblich ist!
Nacht, Blitz und Donnerschlag. Der Ritter versinkt.
JOHANNA steht anfangs erstaunt, faßt sich aber bald wieder.
Es war nichts Lebendes. – Ein trüglich Bild
Der Hölle wars, ein widerspenstger Geist,
Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl,
Mein edles Herz im Busen zu erschüttern.
Wen fürcht ich mit dem Schwerte meines Gottes?
Siegreich vollenden will ich meine Bahn,
Und käm die Hölle selber in die Schranken,
Mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken!
Sie will abgehen.
Zehnter Auftritt
Lionel. Johanna.
LIONEL.
Verfluchte, rüste dich zum Kampf- Nicht beide
Verlassen wir lebendig diesen Platz.
Du hast die Besten meines Volks getötet,
Der edle Talbot hat die große Seele
In meinen Busen ausgehaucht. – Ich räche
Den Tapfern oder teile sein Geschick.
Und daß du wissest, wer dir Ruhm verleiht,
Er sterbe oder siege – Ich bin Lionel,
Der letzte von den Fürsten unsers Heers,
Und unbezwungen noch ist dieser Arm.
Er dringt auf sie ein, nach einem kurzen Gefecht schlägt sie ihm das Schwert aus der Hand.
Treuloses Glück!
Er ringt mit ihr.
JOHANNA ergreift ihn von hinten zu am Helmbusch und reißt ihm den Helm gewaltsam herunter, daß sein Gesicht entblößt wird, zugleich zuckt sie das Schwert mit der Rechten.
Erleide, was du suchtest,
Die heilge Jungfrau opfert dich durch mich!
In diesem Augenblick sieht sie ihm ins Gesicht, sein Anblick ergreift sie, sie bleibt unbeweglich stehen und läßt dann langsam den Arm sinken.
LIONEL.
Was zauderst du und hemmst den Todesstreich? Nimm mir das Leben auch, du nahmst den Ruhm, Ich bin in deiner Hand, ich will nicht Schonung.
Sie gibt ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen.
Entfliehen soll ich? Dir soll ich mein Leben
Verdanken? – Eher sterben!
JOHANNA mit abgewandtem Gesicht.
Rette dich!
Ich will nichts davon wissen, daß dein Leben
In meine Macht gegeben war.
LIONEL.
Ich hasse dich und dein Geschenk – Ich will
Nicht Schonung – Töte deinen Feind, der dich
Verabscheut, der dich töten wollte.
JOHANNA.
Töte mich
– Und fliehe!
LIONEL.
Ha! Was ist das?
JOHANNA verbirgt das Gesicht.
Weh mir!
LIONEL tritt ihr näher.
Du tötest, sagt man, alle Engelländer,
Die du im Kampf bezwingst – Warum nur mich
Verschonen?
JOHANNA erhebt das Schwert mit einer raschen Bewegung gegen ihn, läßt es aber, wie sie ihn ins Gesicht faßt, schnell wieder sinken.
Heilge Jungfrau!
LIONEL.
Warum nennst du
Die Heilge? Sie weiß nichts. von dir, der Himmel
Hat keinen Teil an dir.
JOHANNA in der heftigsten Beängstigung.
Was hab ich
Getan! Gebrochen hab ich mein Gelübde!
Sie ringt verzweifelnd die Hände.
LIONEL betrachtet sie mit Teilnahme und tritt ihr näher.
Unglücklich Mädchen! Ich beklage dich,
Du rührst mich, du hast Großmut ausgeübt
An mir allein, ich fühle, daß mein Haß
Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!
– Wer bist du? Woher kommst du?
JOHANNA.
Fort! Entfliehe!
LIONEL.
Mich jammert deine Jugend, deine Schönheit!
Dein Anblick dringt mir an das Herz. Ich möchte
Dich gerne retten – Sage mir, wie kann ichs!
Komm! Komm! Entsage dieser gräßlichen
Verbindung – Wirf sie von dir, diese Waffen!
JOHANNA.
Ich bin unwürdig, sie zu führen!
LIONEL.
Wirf
Sie von dir, schnell, und folge mir!
JOHANNA mit Entsetzen.
Dir folgen!
LIONEL.
Du kannst gerettet werden. Folge mir!
Ich will dich retten, aber säume nicht.
Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um dich,
Und ein unnennbar Sehnen, dich zu retten –
Bemächtigt sich ihres Armes.
JOHANNA.
Der Bastard naht! Sie sinds! Sie suchen mich!
Wenn sie dich finden –
LIONEL.
Ich beschütze dich!
JOHANNA.
Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen!
LIONEL.
Bin ich dir teuer?
JOHANNA.
Heilige des Himmels!
LIONEL.
Werd ich dich wiedersehen? Von dir hören?
JOHANNA.
Nie! Niemals!
LIONEL.
Dieses Schwert zum Pfand, daß ich
Dich wiedersehe!
Er entreißt ihr das Schwert.
JOHANNA.
Rasender, du wagst es?
LIONEL.
Jetzt weich ich der Gewalt, ich seh dich wieder!
Er geht ab.
Eilfter Auftritt
Dunois und La Hire. Johanna.
LA HIRE.
Sie lebt! Sie ists!
DUNOIS.
Johanna, fürchte nichts!
Die Freunde stehen mächtig dir zur Seite.
LA HIRE.
Flieht dort nicht Lionel?
DUNOIS.
Laß ihn entfliehn!
Johanna, die gerechte Sache siegt,
Reims öffnet seine Tore, alles Volk
Strömt jauchzend seinem Könige entgegen –
LA HIRE.
Was ist der Jungfrau? Sie erbleicht, sie sinkt!
Johanna schwindelt und will sinken.
DUNOIS.
Sie ist verwundet – Reißt den Panzer auf –
Es ist der Arm und leicht ist die Verletzung.
LA HIRE.
Ihr Blut fließt.
JOHANNA.
Laßt es mit meinem Leben
Hinströmen!
Sie liegt ohnmächtig in La Hires Armen.
Vierter Aufzug
Ein festlich ausgeschmückter Saal, die Säulen sind mit Festons umwunden, hinter der Szene Flöten und Hoboen.
Erster Auftritt
JOHANNA.
Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen,
Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz,
Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,
Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,
Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,
Und um die Säule windet sich der Kranz,
Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste,
Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.
Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,
Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust,
Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,
Das teilt entzückt die allgemeine Lust,
Wer nur zum Stamm der Franken sich bekennet,
Der ist des Namens stolzer sich bewußt,
Erneuert ist der Glanz der alten Krone,
Und Frankreich huldigt seinem Königssohne.
Doch mich, die all dies Herrliche vollendet,
Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,
Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,
Es flieht von dieser Festlichkeit zurück,
Ins britsche Lager ist es hingewendet,
Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,
Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,
Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.
Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
In meinem reinen Busen tragen?
Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,
Darf einer irdschen Liebe schlagen?
Ich meines Landes Retterin,
Des höchsten Gottes Kriegerin,
Für meines Landes Feind entbrennen!
Darf ichs der keuschen Sonne nennen,
Und mich vernichtet nicht die Scham!
Die Musik hinter der Szene geht in eine weiche schmelzende Melodie unter.
Wehe! Weh mir! Welche Töne!
Wie verführen sie mein Ohr!
Jeder ruft mir seine Stimme,
Zaubert mir sein Bild hervor!
Daß der Sturm der Schlacht mich faßte,
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wut!
Wieder fänd ich meinen Mut!
Diese Stimmen, diese Töne,
Wie umstricken sie mein Herz,
Jede Kraft in meinem Busen
Lösen sie in weichem Sehnen,
Schmelzen sie in Wehmuts-Tränen!
Nach einer Pause lebhafter.
Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm
Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich
Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!
Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
Ist Mitleid Sünde? – Mitleid! Hörtest du
Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert?
Warum verstummte sie, als der Walliser dich,
Der zarte Jüngling, um sein Leben flehte?
Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht,
Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!
Warum mußt ich ihm in die Augen sehn!
Die Züge schaun des edeln Angesichts!
Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an,
Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott,
Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen!
Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,
Ergriffen dich der Hölle Schlingen!
Die Flöten wiederholen, sie versinkt in eine stille Wehmut.
Frommer Stab! O hätt ich nimmer
Mit dem Schwerte dich vertauscht!
Hätt es nie in deinen Zweigen,
Heilge Eiche! mir gerauscht!
Wärst du nimmer mir erschienen,
Hohe Himmelskönigin!
Nimm, ich kann sie nicht verdienen,
Deine Krone, nimm sie hin!
Ach, ich sah den Himmel offen
Und der Selgen Angesicht!
Doch auf Erden ist mein Hoffen,
Und im Himmel ist es nicht!
Mußtest du ihn auf mich laden
Diesen furchtbaren Beruf,
Konnt ich dieses Herz verhärten,
Das der Himmel fühlend schuf!
Willst du deine Macht verkünden
Wähle sie, die frei von Sünden
Stehn in deinem ewgen Haus,
Deine Geister sende aus,
Die Unsterblichen, die Reinen,
Die nicht fühlen, die nicht weinen!
Nicht die zarte Jungfrau wähle,
Nicht der Hirtin weiche Seele!
Kümmert mich das Los der Schlachten,
Mich der Zwist der Könige?
Schuldlos trieb ich meine Lämmer
Auf des stillen Berges Höh.
Doch du rissest mich ins Leben,
In den stolzen Fürstensaal,
Mich der Schuld dahinzugeben,
Ach! es war nicht meine Wahl!
Zweiter Auftritt
Agnes Sorel. Johanna.
SOREL kommt in lebhafter Rührung, wie sie die Jungfrau erblickt, eilt sie auf sie zu und fällt ihr um den Hals; plötzlich besinnt sie sich, läßt sie los und fällt vor ihr nieder.
Nein! Nicht so! Hier im Staub vor dir –
JOHANNA will sie aufheben.
Steh auf!
Was ist dir? Du vergissest dich und mich.
SOREL.
Laß mich! Es ist der Freude Drang, der mich
Zu deinen Füßen niederwirft – ich muß
Mein überwallend Herz vor Gott ergießen,
Den Unsichtbaren bet ich an in dir.
Du bist der Engel, der mir meinen Herrn
Nach Reims geführt und mit der Krone schmückt.
Was ich zu sehen nie geträumt, es ist
Erfüllt! Der Krönungszug bereitet sich,
Der König steht im festlichen Ornat,
Versammelt sind die Pairs, die Mächtigen
Der Krone, die Insignien zu tragen,
Zur Kathedrale wallend strömt das Volk,
Es schallt der Reigen und die Glocken tönen,
O dieses Glückes Fülle trag ich nicht!
Johanna hebt sie sanft in die Höhe. Agnes Sorel hält einen Augenblick inne, indem sie der Jungfrau näher ins Auge sieht.
Doch du bleibst immer ernst und streng, du kannst
Das Glück erschaffen, doch du teilst es nicht.
Dein Herz ist kalt, du fühlst nicht unsre Freuden,
Du hast der Himmel Herrlichkeit gesehn,
Die reine Brust bewegt kein irdisch Glück.
Johanna ergreift ihre Hand mit Heftigkeit, läßt sie aber schnell wieder fahren.
O könntest du ein Weib sein und empfinden!
Leg diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,
Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!
Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,
Solange du der strengen Pallas gleichst.
JOHANNA.
Was foderst du von mir!
SOREL.
Entwaffne dich!
Leg diese Rüstung ab, die Liebe fürchtet,
Sich dieser stahlbedeckten Brust zu nahn.
O sei ein Weib und du wirst Liebe fühlen!
JOHANNA.
Jetzt soll ich mich entwaffnen! Jetzt! Dem Tod
Will ich die Brust entblößen in der Schlacht!
Jetzt nicht – o möchte siebenfaches Erz
Vor euren Festen, vor mir selbst mich schützen!
SOREL.
Dich liebt Graf Dunois. Sein edles Herz,
Dem Ruhm nur offen und der Heldentugend,
Es glüht für dich in heiligem Gefühl.
O es ist schön, von einem Helden sich geliebt
Zu sehn – es ist noch schöner, ihn zu lieben!
Johanna wendet sich mit Abscheu hinweg.
Du hassest ihn! – Nein, nein, du kannst ihn nur
Nicht lieben – Doch wie solltest du ihn hassen!
Man haßt nur den, der den Geliebten uns
Entreißt, doch dir ist keiner der Geliebte!
Dein Herz ist ruhig – Wenn es fühlen könnte –
JOHANNA.
Beklage mich! Beweine mein Geschick!
SOREL.
Was könnte dir zu deinem Glücke mangeln?
Du hast dein Wort gelöst, Frankreich ist frei,
Bis in die Krönungsstadt hast du den König
Siegreich geführt, und hohen Ruhm erstritten,
Dir huldiget, dich preist ein glücklich Volk,
Von allen Zungen überströmend fließt
Dein Lob, du bist die Göttin dieses Festes,
Der König selbst mit seiner Krone strahlt
Nicht herrlicher als du.
JOHANNA.
O könnt ich mich
Verbergen in den tiefsten Schoß der Erde!
SOREL.
Was ist dir? Welche seltsame Bewegung!
Wer dürfte frei aufschaun an diesem Tage,
Wenn du die Blicke niederschlagen sollst!
Mich laß erröten, mich, die neben dir
So klein sich fühlt, zu deiner Heldenstärke sich,
Zu deiner Hoheit nicht erheben kann!
Denn soll ich meine ganze Schwäche dir
Gestehen? – Nicht der Ruhm des Vaterlandes,
Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht
Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude
Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist
Nur einer, der es ganz erfüllt, es hat
Nur Raum für dieses einzige Gefühl:
Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,
Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,
Er ist der Meine, der Geliebte ists.
JOHANNA.
O du bist glücklich! Selig preise dich!
Du liebst, wo alles liebt! Du darfst dein Herz
Aufschließen, laut aussprechen dein Entzücken
Und offen tragen vor der Menschen Blicken!
Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest,
Die Völker alle, die unendlichen,
Die sich in diesen Mauren flutend drängen,
Sie teilen dein Gefühl, sie heilgen es,
Dir jauchzen sie, dir flechten sie den Kranz,
Eins bist du mit der allgemeinen Wonne,
Du liebst das Allerfreuende, die Sonne,
Und was du siehst, ist deiner Liebe Glanz!
SOREL ihr um den Hals fallend.
O du entzückst mich, du verstehst mich ganz!
Ja ich verkannte dich, du kennst die Liebe,
Und was ich fühle, sprichst du mächtig aus.
Von seiner Furcht und Scheue löst sich mir
Das Herz, es wallt vertrauend dir entgegen –
JOHANNA entreißt sich mit Heftigkeit ihren Armen.
Verlaß mich. Wende dich von mir! Beflecke
Dich nicht mit meiner pesterfüllten Nähe!
Sei glücklich, geh, mich laß in tiefster Nacht
Mein Unglück, meine Schande, mein Entsetzen
Verbergen –
SOREL.
Du erschreckst mich, ich begreife
Dich nicht, doch ich begriff dich nie – und stets
Verhüllt war mir dein dunkel tiefes Wesen.
Wer möcht es fassen, was dein heilig Herz,
Der reinen Seele Zartgefühl erschreckt!
JOHANNA.
Du bist die Heilige! Du bist die Reine!
Sähst du mein Innerstes, du stießest schaudernd
Die Feindin von dir, die Verräterin!
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Dunois. Du Chatel und La Hire mit der Fahne der Johanna.
DUNOIS.
Dich suchen wir, Johanna. Alles ist
Bereit, der König sendet uns, er will,
Daß du vor ihm die heilge Fahne tragest,
Du sollst dich schließen an der Fürsten Reihn,
Die Nächste an ihm selber sollst du gehn,
Denn er verleugnets nicht und alle Welt
Soll es bezeugen, daß er dir allein
Die Ehre dieses Tages zuerkennt.
LA HIRE.
Hier ist die Fahne. Nimm sie, edle Jungfrau,
Die Fürsten warten und es harrt das Volk.
JOHANNA.
Ich vor ihm herziehn! Ich die Fahne tragen!
DUNOIS.
Wem anders ziemt' es! Welche andre Hand
Ist rein genug, das Heiligtum zu tragen!
Du schwangst sie im Gefechte, trage sie
Zur Zierde nun auf diesem Weg der Freude.
La Hire will ihr die Fahne überreichen, sie bebt schaudernd davor zurück.
JOHANNA.
Hinweg! Hinweg!
LA HIRE.
Was ist dir? Du erschrickst
Vor deiner eignen Fahne! – Sieh sie an!
Er rollt die Fahne auseinander.
Es ist dieselbe, die du siegend schwangst.
Die Himmelskönigin ist drauf gebildet,
Die über einer Erdenkugel schwebt,
Denn also lehrte dichs die heilge Mutter.
JOHANNA mit Entsetzen hinschauend.
Sie ists! Sie selbst! Ganz so erschien sie mir.
Seht, wie sie herblickt und die Stirne faltet,
Zornglühend aus den finstern Wimpern schaut!
SOREL.
O sie ist außer sich! Komm zu dir selbst!
Erkenne dich, du siehst nichts Wirkliches!
Das ist ihr irdisch nachgeahmtes Bild,
Sie selber wandelt in des Himmels Chören!
JOHANNA.
Furchtbare, kommst du dein Geschöpf zu strafen?
Verderbe, strafe mich, nimm deine Blitze,
Und laß sie fallen auf mein schuldig Haupt.
Gebrochen hab ich meinen Bund, entweiht,
Gelästert hab ich deinen heilgen Namen!
DUNOIS.
Weh uns! Was ist das! Welch unselge Reden!
LA HIRE erstaunt zu Du Chatel.
Begreift Ihr diese seltsame Bewegung?
DU CHATEL.
Ich sehe, was ich seh. Ich hab es längst
Gefürchtet.
DUNOIS.
Wie? Was sagt Ihr?
DU CHATEL.
Was ich denke,
Darf ich nicht sagen. Wollte Gott, es wäre
Vorüber und der König wär gekrönt!
LA HIRE.
Wie? Hat der Schrecken, der von dieser Fahne
Ausging, sich auf dich selbst zurückgewendet?
Den Briten laß vor diesem Zeichen zittern,
Den Feinden Frankreichs ist es fürchterlich,
Doch seinen treuen Bürgern ist es gnädig.
JOHANNA.
Ja du sagst recht! Den Freunden ist es hold
Und auf die Feinde sendet es Entsetzen!
Man hört den Krönungsmarsch.
DUNOIS.
So nimm die Fahne! Nimm sie! Sie beginnen
Den Zug, kein Augenblick ist zu verlieren!
Sie dringen ihr die Fahne auf, sie ergreift sie mit heftigem Widerstreben und geht ab, die andern folgen.
Die Szene verwandelt sich in einen freien Platz vor der Kathedralkirche.
Vierter Auftritt
Zuschauer erfüllen den Hintergrund, aus ihnen heraus treten Bertrand, Claude Marie und Etienne und kommen vorwärts. Der Krönungsmarsch erschallt gedämpft aus der Ferne.
BERTRAND.
Hört die Musik! Sie sinds! Sie nahen schon!
Was ist das Beste? Steigen wir hinauf
Auf die Platforme, oder drängen uns
Durchs Volk, daß wir vom Aufzug nichts verlieren?
ETIENNE.
Es ist nicht durchzukommen. Alle Straßen sind
Von Menschen vollgedrängt, zu Roß und Wagen.
Laßt uns hieher an diese Häuser treten,
Hier können wir den Zug gemächlich sehen,
Wenn er vorüberkommt!
CLAUDE MARIE.
Ists doch, als ob
Halb Frankreich sich zusammen hier gefunden!
So allgewaltig ist die Flut, daß sie
Auch uns im fernen lothringischen Land
Hat aufgehoben und hieher gespült!
BERTRAND.
Wer wird
In seinem Winkel müßig sitzen, wenn
Das Große sich begibt im Vaterland!
Es hat auch Schweiß und Blut genug gekostet,
Bis daß die Krone kam aufs rechte Haupt!
Und unser König, der der wahre ist,
Dem wir die Kron itzt geben, soll nicht schlechter
Begleitet sein, als der Pariser ihrer,
Den sie zu Saint Denis gekrönt! Der ist
Kein Wohlgesinnter, der von diesem Fest
Wegbleibt, und nicht mit ruft: es lebe der König!
Fünfter Auftritt
Margot und Louison treten zu ihnen.