Gesammelte Dramen: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder • Die Jungfrau von Orleans • Die Räuber • Die Ve...

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Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.
ISABEAU.
Schwebt unsre Fahne noch?
SOLDAT.
Hoch flattert sie.
JOHANNA.
Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,
Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!
SOLDAT.
Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist
Umzingelt!
ISABEAU zuckt den Dolch auf Johanna.
Stirb, Unglückliche!
SOLDAT schnell.
Er ist befreit.
Im Rücken faßt der tapfere Fastolf
Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen.
ISABEAU zieht den Dolch zurück.
Das sprach dein Engel!
SOLDAT.
Sieg! Sieg! Sie entfliehen!
ISABEAU.
Wer flieht?
SOLDAT.
Die Franken, die Burgunder fliehn,
Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.
JOHANNA.
Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!
SOLDAT.
Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.
Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.
ISABEAU.
Der Unsern einer oder Fränkischen?
SOLDAT.
Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.
JOHANNA greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten.
Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!
SOLDAT.
Sieh! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel
Verbrämt mit Gold?
JOHANNA lebhaft.
Das ist mein Herr, der König!
SOLDAT.
Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt,
Er windet schwer arbeitend sich hervor –
Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen.
Die Unsern nahen schon in vollem Lauf –
Sie haben ihn erreicht – umringen ihn –
JOHANNA.
O hat der Himmel keine Engel mehr!
ISABEAU hohnlachend.
Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!
JOHANNA stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend.
Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,
Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,
In deine Himmel send ich meine Seele.
Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
Stark machen wie die Taue eines Schiffs,
Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande
In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
Du willst und diese Ketten fallen ab,
Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst
Dem Simson, da er blind war und gefesselt,
Und seiner stolzen Feinde bittern Spott
Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er
Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,
Und neigte sich und stürzte das Gebäude –
SOLDAT.
Triumph! Triumph!
ISABEAU.
Was ists?
SOLDAT.
Der König ist
Gefangen!
JOHANNA springt auf.
So sei Gott mir gnädig!
Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach.
Zwölfter Auftritt
Vorige ohne Johanna.
ISABEAU nach einer langen Pause.
Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?
Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?
Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,
Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.
SOLDAT auf der Warte.
Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie
Hinabgeführt?
ISABEAU.
Sprich, ist sie unten?
SOLDAT.
Mitten
Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller
Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort –
Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!
– Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr,
Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!
– – Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen
Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken –
ISABEAU.
Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?
SOLDAT.
Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn
Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.
– Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen.
ISABEAU.
Ich will nicht weiter hören. Komm herab.
SOLDAT.
Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.
Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.
Er steigt herunter.
ISABEAU das Schwert ziehend.
So fechtet, Memmen!
Dreizehnter Auftritt
Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen.
LA HIRE naht ihr ehrerbietig.
Königin, unterwerft Euch
Der Allmacht – Eure Ritter haben sich
Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!
– Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin
Ihr wollt begleitet sein.
ISABEAU.
Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.
Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten.
Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld.
Vierzehnter Auftritt
Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein.
SOREL wirft sich an des Königs Brust.
Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!
KÖNIG.
Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!
Zeigt auf Johanna.
SOREL.
Johanna! Gott! Sie stirbt!
BURGUND.
Sie hat geendet!
Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
Ist noch zu spüren in der warmen Hand.
KÖNIG.
Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.
SOREL.
Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!
BURGUND erstaunt.
Kehrt sie
Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod?
Sie richtet sich empor! Sie steht!
JOHANNA steht ganz aufgerichtet und schaut umher.
Wo bin ich?
BURGUND.
Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!
KÖNIG.
In deiner Freunde, deines Königs Armen!
JOHANNA nachdem sie ihn lange starr angesehen.
Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß
Ich bins nicht.
KÖNIG.
Du bist heilig wie die Engel,
Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.
JOHANNA sieht heiter lächelnd umher.
Und ich bin wirklich unter meinem Volk,
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
– Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.
KÖNIG mit abgewandtem Gesicht.
Gebt ihr die Fahne!
Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet.
JOHANNA.
Seht ihr den Regenbogen in der Luft?
Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –
Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück –
Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!
Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in sprachloser Rührung- Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen, daß sie ganz davon bedeckt wird.
Die Räuber
Hippocrates
Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat,
quae ferrum non sanat, ignis sanat.
Vorrede
Man nehme dieses Schauspiel für nichts anders als eine dramatische Geschichte, die die Vorteile der dramatischen Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen, oder nach dem so zweifelhaften Gewinn bei theatralischer Verkörperung zu geizen. Man wird mir einräumen, daß es eine widersinnige Zumutung ist, binnen drei Stunden drei außerordentliche Menschen zu erschöpfen, deren Tätigkeit von vielleicht tausend Räderchen abhänget, so wie es in der Natur der Dinge unmöglich kann gegründet sein, daß sich drei außerordentliche Menschen auch dem durchdringendsten Geisterkenner innerhalb vierundzwanzig Stunden entblößen. Hier war Fülle ineinandergedrungener Realitäten vorhanden, die ich unmöglich in die allzu engen Palisaden des Aristoteles und Batteux einkeilen konnte.
Nun ist es aber nicht sowohl die Masse meines Schauspiels als vielmehr sein Inhalt, der es von der Bühne verbannet. Die Ökonomie desselben machte es notwendig, daß mancher Charakter auftreten mußte, der das feinere Gefühl der Tugend beleidigt und die Zärtlichkeit unserer Sitten empört. Jeder Menschenmaler ist in diese Notwendigkeit gesetzt, wenn er anders eine Kopie der wirklichen Welt und keine idealische Affektationen, keine Kompendienmenschen will geliefert haben. Es ist einmal so die Mode in der Welt, daß die Guten durch die Bösen schattiert werden und die Tugend im Kontrast mit dem Laster das lebendigste Kolorit erhält. Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen Größe vor das Auge der Menschheit stellen – er selbst muß augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe durchwandern, – er muß sich in Empfindungen hineinzuzwingen wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine Seele sträubt.
Das Laster wird hier mitsamt seinem ganzen innern Räderwerk entfaltet. Es löst in Franzen all die verworrenen Schauer des Gewissens in ohnmächtige Abstraktionen auf, skelettisiert die richtende Empfindung und scherzt die ernsthafte Stimme der Religion hinweg. Wer es einmal so weit gebracht hat (ein Ruhm, den wir ihm nicht beneiden), seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr – dem ist die Menschheit, die Gottheit nichts – Beide Welten sind nichts in seinen Augen. Ich habe versucht, von einem Mißmenschen dieser Art ein treffendes lebendiges Konterfei hinzuwerfen, die vollständige Mechanik seines Lastersystems auseinanderzugliedern – und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen. Man unterrichte sich demnach im Verfolg dieser Geschichte, wie weit ihrs gelungen hat – Ich denke, ich habe die Natur getroffen.
Nächst an diesem stehet ein anderer, der vielleicht nicht wenige meiner Leser in Verlegenheit setzen möchte. Ein Geist, den das äußerste Laster nur reizet um der Größe willen, die ihm anhänget, um der Kraft willen, die es erheischet, um der Gefahren willen, die es begleiten. Ein merkwürdiger, wichtiger Mensch, ausgestattet mit aller Kraft, nach der Richtung, die diese bekömmt, notwendig entweder ein Brutus oder ein Catilina zu werden. Unglückliche Konjunkturen entscheiden für das zweite, und erst am Ende einer ungeheuren Verirrung gelangt er zu dem ersten. Falsche Begriffe von Tätigkeit und Einfluß, Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mußten sich natürlicherweise an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen von Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealische Welt gesellen, so war der seltsame Don Quixote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern. Ich werde es hoffentlich nicht erst anmerken dörfen, daß ich dieses Gemälde so wenig nur allein Räubern vorhalte, als die Satire des Spaniers nur allein Ritter geißelt.
Auch ist itzo der große Geschmack, seinen Witz auf Kosten der Religion spielen zu lassen, daß man beinahe für kein Genie mehr passiert, wenn man nicht seinen gottlosen Satyr auf ihren heiligsten Wahrheiten sich herumtummeln läßt. Die edle Einfalt der Schrift muß sich in alltäglichen Assembleen von den sogenannten witzigen Köpfen mißhandeln und ins Lächerliche verzerren lassen; denn was ist so heilig und ernsthaft, das, wenn man es falsch verdreht, nicht belacht werden kann? – Ich kann hoffen, daß ich der Religion und der wahren Moral keine gemeine Rache verschafft habe, wenn ich diese mutwillige Schriftverächter in der Person meiner schändlichsten Räuber dem Abscheu der Welt überliefere.
Aber noch mehr. Diese unmoralische Charaktere, von denen vorhin gesprochen wurde, mußten von gewissen Seiten glänzen, ja oft von seiten des Geistes gewinnen, was sie von seiten des Herzens verlieren. Hierin habe ich nur die Natur gleichsam wörtlich abgeschrieben. Jedem, auch dem Lasterhaftesten, ist gewissermaßen der Stempel des göttlichen Ebenbilds aufgedrückt, und vielleicht hat der große Bösewicht keinen so weiten Weg zum großen Rechtschaffenen als der kleine; denn die Moralität hält gleichen Gang mit den Kräften, und je weiter die Fähigkeit, desto weiter und ungeheurer ihre Verirrung, desto imputabler ihre Verfälschung.
Klopstocks Adramelech weckt in uns eine Empfindung, worin Bewunderung in Abscheu schmilzt. Miltons Satan folgen wir mit schauderndem Erstaunen durch das unwegsame Chaos. Die Medea der alten Dramatiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein großes, staunenswürdiges Weib, und Shakespeares Richard hat so gewiß am Leser einen Bewunderer, als er auch ihn hassen würde, wenn er ihm vor der Sonne stünde. Wenn es mir darum zu tun ist, ganze Menschen hinzustellen, so muß ich auch ihre Vollkommenheiten mitnehmen, die auch dem Bösesten nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tiger gewarnt haben will, so darf ich seine schöne, blendende Fleckenhaut nicht übergehen, damit man nicht den Tiger beim Tiger vermisse. Auch ist ein Mensch, der ganz Bosheit ist, schlechterdings kein Gegenstand der Kunst und äußert eine zurückstoßende Kraft, statt daß er die Aufmerksamkeit der Leser fesseln sollte. Man würde umblättern, wenn er redet. Eine edle Seele erträgt so wenig anhaltende moralische Dissonanzen, als das Ohr das Gekritzel eines Messers auf Glas.
Aber eben darum will ich selbst mißraten haben, dieses mein Schauspiel auf der Bühne zu wagen. Es gehört beiderseits, beim Dichter und seinem Leser, schon ein gewisser Gehalt von Geisteskraft dazu; bei jenem, daß er das Laster nicht ziere, bei diesem, daß er sich nicht von einer schönen Seite bestechen lasse, auch den häßlichen Grund zu schätzen. Meinerseits entscheide ein Dritter – aber von meinen Lesern bin ich es nicht ganz versichert. Der Pöbel, worunter ich keineswegs die Gassenkehrer allein will verstanden wissen, der Pöbel wurzelt (unter uns gesagt) weit um und gibt zum Unglück – den Ton an. Zu kurzsichtig, mein Ganzes auszureichen, zu kleingeistisch, mein Großes zu begreifen, zu boshaft, mein Gutes wissen zu wollen, wird er, fürcht ich, fast meine Absicht vereiteln, wird vielleicht eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen und seine eigene Einfalt den armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich alles, nur nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt.
Es ist das ewige Dacapo mit Abdera und Demokrit, und unsre gute Hippokrate müßten ganze Plantagen Nieswurz erschöpfen, wenn sie dem Unwesen durch ein heilsames Dekokt abhelfen wollten. Noch so viele Freunde der Wahrheit mögen zusammenstehen, ihren Mitbürgern auf Kanzel und Schaubühne Schule zu halten, der Pöbel hört nie auf, Pöbel zu sein, und wenn Sonne und Mond sich wandeln und Himmel und Erde veralten wie ein Kleid. Vielleicht hätt ich, den Schwachherzigen zu frommen, der Natur minder getreu sein sollen; aber wenn jener Käfer, den wir alle kennen, auch den Mist aus den Perlen stört, wenn man Exempel hat, daß Feuer verbrannt und Wasser ersäuft habe, soll darum Perle – Feuer – und Wasser konfisziert werden?
Ich darf meiner Schrift zufolge ihrer merkwürdigen Katastrophe mit Recht einen Platz unter den moralischen Büchern versprechen; das Laster nimmt den Ausgang, der seiner würdig ist. Der Verirrte tritt wieder in das Geleise der Gesetze. Die Tugend geht siegend davon. Wer nur so billig gegen mich handelt, mich ganz zu lesen, mich verstehen zu wollen, von dem kann ich erwarten, daß er – nicht den Dichter bewundere, aber den rechtschaffenen Mann in mir hochschätze.
Geschrieben in der Ostermesse. 1781.
Der Herausgeber.
Personen.
Maximilian, regierender Graf von Moor.
Karl,
Franz, seine Söhne.
Amalia von Edelreich.
Spiegelberg,
Schweizer,
Grimm,
Razmann,
Schufterle,
Roller,
Kosinsky,
Schwarz, Libertiner, nachher Banditen.
Hermann, Bastard von einem Edelmann.
Daniel, Hausknecht des Grafen von Moor.
Pastor Moser.
Ein Pater.
Räuberbande.
Nebenpersonen.
Der Ort der Geschichte ist Teutschland, die Zeit ohngefähr zwei Jahre.
Erster Akt
Erste Szene
Franken. Saal im Moorischen Schloß.
Franz. Der alte Moor.
FRANZ. Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blaß.
DER ALTE MOOR. Ganz wohl, mein Sohn – was hattest du mir zu sagen?
FRANZ. Die Post ist angekommen – ein Brief von unserm Korrespondenten in Leipzig –
DER ALTE MOOR begierig. Nachrichten von meinem Sohne Karl?
FRANZ. Hm! Hm! – So ist es. Aber ich fürchte – ich weiß nicht – ob ich – Eurer Gesundheit? – Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?
DER ALTE MOOR. Wie dem Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? – Wie kommst du zu dieser Besorgnis? Du hast mich zweimal gefragt.
FRANZ. Wenn Ihr krank seid – nur die leiseste Ahndung habt, es zu werden, so laßt mich – ich will zu gelegnerer Zeit zu Euch reden. Halb vor sich. Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper.
DER ALTE MOOR. Gott! Gott! was werd ich hören?
FRANZ. Laßt mich vorerst auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergießen um meinen verlornen Bruder – ich sollte schweigen auf ewig – denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande verhüllen auf ewig – denn er ist mein Bruder. – Aber Euch gehorchen, ist meine erste, traurige Pflicht – darum vergebt mir.
DER ALTE MOOR. O Karl! Karl! Wüßtest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! Wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde – mich zum Jüngling machen würde – da mich nun jede, ach! – einen Schritt näher ans Grab rückt!
FRANZ. Ist es das, alter Mann, so lebt wohl – wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über Eurem Sarge.
DER ALTE MOOR. Bleib! – Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu tun – laß ihm seinen Willen! Indem er sich niedersetzt. Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied – laß ihns vollenden.
FRANZ nimmt den Brief aus der Tasche. Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! Den Finger meiner rechten Hand wollt ich drum geben, dürft ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger Lügner – – Faßt Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse – noch dörft Ihr nicht alles hören.
DER ALTE MOOR. Alles, alles – mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.
FRANZ liest. »Leipzig, vom 1. Mai. – Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, dir auch nicht das geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen deines Bruders auffangen kann, liebster Freund, nimmermehr würde meine unschuldige Feder an dir zur Tyrannin geworden sein. Ich kann aus hundert Briefen von dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art dein brüderliches Herz durchbohren müssen, mir ists, als säh ich dich schon um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen« – – Der alte Moor verbirgt sein Gesicht. Seht, Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste – »den Abscheulichen in tausend Tränen ergossen«, – ach, sie flossen stürzten stromweis von dieser mitleidigen Wange – »mir ists, als säh ich schon deinen alten, frommen Vater totenbleich« – Jesus Maria! Ihr seids, eh Ihr noch das mindeste wisset?
DER ALTE MOOR. Weiter! Weiter!
FRANZ. »Totenbleich in seinen Stuhl zurücktaumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum erstenmal Vater entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht alles entdecken mögen, und von dem wenigen, das ich weiß, erfährst du nur weniges. Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande gefüllt zu haben; ich wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht sein Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um Mitternacht hatte er den großen Entschluß, nach vierzigtausend Dukaten Schulden« – ein hübsches Taschengeld, Vater! – »nachdem er zuvor die Tochter eines reichen Bankiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven Jungen von Stand, im Duell auf den Tod verwundet, mit sieben andern, die er mit in sein Luderleben gezogen, dem Arm der Justiz zu entlaufen« – Vater! Um Gotteswillen, Vater! Wie wird Euch?
DER ALTE MOOR. Es ist genug. – Laß ab, mein Sohn!
FRANZ. Ich schone Eurer – »Man hat ihm Steckbriefe nachgeschickt, die Beleidigte schreien laut um Genugtuung, ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt – der Name Moor« – Nein! meine arme Lippen sollen nimmermehr einen Vater ermorden! Zerreißt den Brief. Glaubt es nicht, Vater! Glaubt ihm keine Silbe!
DER ALTE MOOR weint bitterlich. Mein Name! Mein ehrlicher Name!
FRANZ fällt ihm um den Hals. Schändlicher, dreimal schändlicher Karl! Ahndete mirs nicht, da er, noch ein Knabe, den Mädels so nachschlenderte, mit Gassenjungen und elendem Gesindel auf Wiesen und Bergen sich herumhetzte, den Anblick der Kirche, wie ein Missetäter das Gefängnis, floh, und die Pfennige, die er Euch abquälte, dem ersten dem besten Bettler in den Hut warf, während daß wir daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern uns erbauten? – Ahndete mirs nicht, da er die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus und anderer stockfinsterer Heiden lieber las als die Geschichte des bußfertigen Tobias? – Hundertmal hab ichs Euch geweissagt, denn meine Liebe zu ihm war immer in den Schranken der kindlichen Pflicht, – der Junge wird uns alle noch in Elend und Schande stürzen! – O daß er Moors Namen nicht trüge! daß mein Herz nicht so warm für ihn schlüge! Die gottlose Liebe, die ich nicht vertilgen kann, wird mich noch einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen.
DER ALTE MOOR. Oh – meine Aussichten! Meine goldenen Träume!
FRANZ. Das weiß ich wohl. Das ist es ja, was ich eben sagte. Der feurige Geist, der in dem Buben lodert, sagtet Ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht; diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt, diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei jedem Leiden in weinende Sympathie dahinschmelzt, dieser männliche Mut, der ihn auf den Wipfel hundertjähriger Eichen treibet und über Gräber und Palisaden und reißende Flüsse jagt, dieser kindische Ehrgeiz, dieser unüberwindliche Starrsinn und alle diese schöne, glänzende Tugenden, die im Vatersöhnchen keimten, werden ihn dereinst zu einem warmen Freund eines Freundes, zu einem trefflichen Bürger, zu einem Helden, zu einem großen, großen Manne machen – Seht Ihrs nun, Vater! – der feurige Geist hat sich entwickelt, ausgebreitet, herrliche Früchte hat er getragen. Seht diese Offenheit, wie hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat; seht diese Weichheit, wie zärtlich sie für Koketten girret, wie so empfindsam für die Reize einer Phryne! Seht dieses feurige Genie, wie es das Öl seines Lebens in sechs Jährchen so rein weggebrannt hat, daß er bei lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leute und sind so unverschämt und sagen: c'est l'amour qui a fait ça! Ah! seht doch diesen kühnen, unternehmenden Kopf, wie er Plane schmiedet und ausführt, vor denen die Heldentaten eines Cartouches und Howards verschwinden! – Und wenn erst diese prächtigen Keime zur vollen Reife erwachsen, – was läßt sich auch von einem so zarten Alter Vollkommenes erwarten? – Vielleicht, Vater, erlebet Ihr noch die Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, das in der heiligen Stille der Wälder residieret, und dem müden Wanderer seine Reise um die Hälfte der Bürde erleichtert – vielleicht könnt Ihr noch, eh Ihr zu Grabe geht, eine Wallfahrt nach seinem Monumente tun, das er sich zwischen Himmel und Erden errichtet – vielleicht, o Vater, Vater, Vater – seht Euch nach einem andern Namen um, sonst deuten Krämer und Gassenjungen mit Fingern auf Euch, die Euren Herrn Sohn auf dem Leipziger Marktplatz im Porträt gesehen haben.