Gesammelte Dramen: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder • Die Jungfrau von Orleans • Die Räuber • Die Ve...

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MOOR. Glück auf den Weg! Steig du auf Schandsäulen zum Gipfel des Ruhms. Im Schatten meiner väterlichen Haine, in den Armen meiner Amalia lockt mich ein edler Vergnügen. Schon die vorige Woche hab ich meinem Vater um Vergebung geschrieben, hab ihm nicht den kleinsten Umstand verschwiegen, und wo Aufrichtigkeit ist, ist auch Mitleid und Hilfe. Laß uns Abschied nehmen, Moritz. Wir sehen uns heut, und nie mehr. Die Post ist angelangt. Die Verzeihung meines Vaters ist schon innerhalb dieser Stadtmauren.
Schweizer, Grimm, Roller, Schufterle, Razmann treten auf.
ROLLER. Wißt ihr auch, daß man uns auskundschaftet?
GRIMM. Daß wir keinen Augenblick sicher sind aufgehoben zu werden?
MOOR. Mich wunderts nicht. Es gehe, wie es will! saht ihr den Schwarz nicht? sagt er euch von keinem Brief, den er an mich hätte?
ROLLER. Schon lang sucht er dich, ich vermute so etwas.
MOOR. Wo ist er, wo? wo? Will eilig fort.
ROLLER. Bleib! wir haben ihn hieher beschieden. Du zitterst? –
MOOR. Ich zittre nicht. Warum sollt ich auch zittern? Kameraden! dieser Brief – freut euch mit mir! Ich bin der Glücklichste unter der Sonne, warum sollt ich zittern?
Schwarz tritt auf.
MOOR fliegt ihm entgegen. Bruder! Bruder! den Brief! den Brief!
SCHWARZ gibt ihm den Brief, den er hastig aufbricht. Was ist dir? Wirst du nicht wie die Wand?
MOOR. Meines Bruders Hand!
SCHWARZ. Was treibt denn der Spiegelberg?
GRIMM. Der Kerl ist unsinnig. Er macht Gestus wie beim Sankt-Veits-Tanz.
SCHUFTERLE. Sein Verstand geht im Ring herum. Ich glaub, er macht Verse.
RAZMANN. Spiegelberg, He, Spiegelberg! – Die Bestie hört nicht.
GRIMM schüttelt ihn. Kerl! träumst du, oder –?
SPIEGELBERG der sich die ganze Zeit über mit den Pantomimen eines Projektmachers im Stubeneck abgearbeitet hat, springt wild auf. La bourse ou la vie! Und packt Schweizern an der Gurgel, der ihn gelassen an die Wand wirft. – Moor läßt den Brief fallen und rennt hinaus. Alle fahren auf.
ROLLER ihm nach. Moor! wo 'naus, Moor? was beginnst du?
GRIMM. Was hat er, was hat er? Er ist bleich wie die Leiche.
SCHWEIZER. Das müssen schöne Neuigkeiten sein! Laß doch sehen!
ROLLER nimmt den Brief von der Erde und liest. »Unglücklicher Bruder!« Der Anfang klingt lustig. »Nur kürzlich muß ich dir melden, daß deine Hoffnung vereitelt ist – du sollst hingehen, läßt dir der Vater sagen, wohin dich deine Schandtaten führen. Auch, sagt er, werdest du dir keine Hoffnung ma chen, jemals Gnade zu seinen Füßen zu erwimmern, wenn du nicht gewärtig sein wollest, im untersten Gewölb seiner Türme mit Wasser und Brot so lang traktiert zu werden, bis deine Haare wachsen wie Adlersfedern und deine Nägel wie Vogelsklauen werden. Das sind seine eigene Worte. Er befiehlt mir, den Brief zu schließen. Leb wohl auf ewig. Ich bedaure dich –
Franz von Moor«.
SCHWEIZER. Ein zuckersüßes Brüderchen! In der Tat! – Franz heißt die Kanaille?
SPIEGELBERG sachte herbeischleichend. Von Wasser und Brot ist die Rede? Ein schönes Leben! Da hab ich anders für euch gesorgt! Sagt ichs nicht, ich müßt am Ende für euch alle denken?
SCHWEIZER. Was sagt der Schafskopf? der Esel will für uns alle denken?
SPIEGELBERG. Hasen, Krüppel, lahme Hunde seid ihr alle, wenn ihr das Herz nicht habt, etwas Großes zu wagen!
ROLLER. Nun, das wären wir freilich, du hast recht – aber wird es uns auch aus dieser vermaledeiten Lage reißen, was du wagen wirst? wird es? –
SPIEGELBERG mit einem stolzen Gelächter. Armer Tropf! Aus dieser Lage reißen? hahaha! – aus dieser Lage reißen? – und auf mehr raffiniert dein Fingerhut voll Gehirn nicht? und damit trabt deine Mähre zum Stalle? Spiegelberg müßte ein Hundsfott sein, wenn er mit dem nur anfangen wollte. Zu Helden, sag ich dir, zu Freiherrn, zu Fürsten, zu Göttern wirds euch machen!
RAZMANN. Das ist viel auf einen Hieb, wahrlich! Aber es wird wohl eine halsbrechende Arbeit sein, den Kopf wirds wenigstens kosten.
SPIEGELBERG. Es will nichts als Mut, denn was den Witz betrifft, den nehm ich ganz über mich. Mut, sag ich, Schweizer! Mut! Roller, Grimm, Razmann, Schufterle! Mut! –
SCHWEIZER. Mut? Wenns nur das ist – Mut hab ich genug, um barfuß mitten durch die Hölle zu gehn.
SCHUFTERLE. Mut genug, mich unterm lichten Galgen mit dem leibhaftigen Teufel um einen armen Sünder zu balgen.
SPIEGELBERG. So gefällt mirs! Wenn ihr Mut habt, tret einer auf und sag: Er habe noch etwas zu verlieren, und nicht alles zu gewinnen! –
SCHWARZ. Wahrhaftig, da gäbs manches zu verlieren, wenn ich das verlieren wollte, was ich noch zu gewinnen habe!
RAZMANN. Ja, zum Teufel! und manches zu gewinnen, wenn ich das gewinnen wollte, was ich nicht verlieren kann.
SCHUFTERLE. Wenn ich das verlieren müßte, was ich auf Borgs auf dem Leibe trage, so hätt ich allenfalls morgen nichts mehr zu verlieren.
SPIEGELBERG. Also denn! Er stellt sich mitten unter sie mit beschwörendem Ton. Wenn noch ein Tropfen deutschen Heldenbluts in euren Adern rinnt – kommt! Wir wollen uns in den böhmischen Wäldern niederlassen, dort eine Räuberbande zusammenziehen und – Was gafft ihr mich an? – Ist euer bißchen Mut schon verdampft?
ROLLER. Du bist wohl nicht der erste Gauner, der über den hohen Galgen weggesehen hat – und doch – Was hätten wir sonst noch für eine Wahl übrig?
SPIEGELBERG. Wahl? Was? nichts habt ihr zu wählen! Wollt ihr im Schuldturm stecken, und zusammenschnurren, bis man zum Jüngsten Tag posaunt? Wollt ihr euch mit der Schaufel und Haue um einen Bissen trocken Brot abquälen? Wollt ihr an der Leute Fenster mit einem Bänkelsängerlied ein mageres Almosen erpressen? oder wollt ihr zum Kalbsfell schwören – und da ist erst noch die Frage, ob man euren Gesichtern traut – und dort unter der milzsüchtigen Laune eines gebieterischen Korporals das Fegfeuer zum voraus abverdienen, oder bei klingendem Spiel nach dem Takt der Trommel spazieren gehn, oder im Galliotenparadies das ganze Eisenmagazin Vulkans hinterherschleifen? Seht, das habt ihr zu wählen, da ist es beisammen, was ihr wählen könnt!
ROLLER. So unrecht hat der Spiegelberg eben nicht. Ich hab auch meine Plane schon zusammengemacht, aber sie treffen endlich auf eins. Wie wärs, dacht ich, wenn ihr euch hinsetztet und ein Taschenbuch oder einen Almanach oder so was ähnliches zusammensudeltet und um den lieben Groschen rezensiertet, wie's wirklich Mode ist?
SCHUFTERLE. Zum Henker! ihr ratet nach zu meinen Projekten. Ich dacht ebei mir selbst, wie, wenn du ein Pietist würdest und wöchentlich deine Erbauungsstunden hieltest?
GRIMM. Getroffen! und wenn das nicht geht, ein Atheist! Wir könnten die vier Evangelisten aufs Maul schlagen, ließen unser Buch durch den Schinder verbrennen, und so gings reißend ab.
RAZMANN. Oder zögen wir wider die Franzosen zu Felde – ich kenne einen Dokter, der sich ein Haus von purem Quecksilber gebauet hat, wie das Epigramm auf der Haustüre lautet.
SCHWEIZER steht auf und gibt Spiegelberg die Hand. Moritz, du bist ein großer Mann! – oder es hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden.
SCHWARZ. Vortreffliche Plane! honette Gewerbe! Wie doch die großen Geister sympathisieren! Itzt fehlte nur noch, daß wir Weiber und Kupplerinnen würden, oder gar unsere Jungferschaft zu Markte trieben.
SPIEGELBERG. Possen, Possen! Und was hinderts, daß ihr nicht das meiste in einer Person sein könnt? Mein Plan wird euch immer am höchsten poussieren, und da habt ihr noch Ruhm und Unsterblichkeit! Seht, arme Schlucker! Auch so weit muß man hinausdenken! Auch auf den Nachruhm, das süße Gefühl von Unvergeßlichkeit –
ROLLER. Und obenan in der Liste der ehrlichen Leute! Du bist ein Meisterredner, Spiegelberg, wenns drauf ankommt, aus einem ehrlichen Mann einen Hollunken zu machen – Aber sag doch einer, wo der Moor bleibt? –
SPIEGELBERG. Ehrlich, sagst du? Meinst du, du seist nachher weniger ehrlich, als du itzt bist? Was heißt du ehrlich? Reichen Filzen ein Dritteil ihrer Sorgen vom Hals schaffen, die ihnen nur den goldnen Schlaf verscheuchen, das stockende Geld in Umlauf bringen, das Gleichgewicht der Güter wiederherstellen, mit einem Wort, das goldne Alter wieder zurückrufen, dem lieben Gott von manchem lästigen Kostgänger helfen, ihm Krieg, Pestilenz, teure Zeit und Dokters ersparen – siehst du, das heiß ich ehrlich sein, das heiß ich ein würdiges Werkzeug in der Hand der Vorsehung abgeben. – Und so bei jedem Braten, den man ißt, den schmeichelhaften Gedanken zu haben: den haben dir deine Finten, dein Löwenmut, deine Nachtwachen erworben – von groß und klein respektiert zu werden –
ROLLER. Und endlich gar bei lebendigem Leibe gen Himmel fahren, und trutz Sturm und Wind, trutz dem gefräßigen Magen der alten Urahne Zeit unter Sonn und Mond und allen Fixsternen schweben, wo selbst die unvernünftigen Vögel des Himmels, von edler Begierde herbeigelockt, ihr himmlisches Konzert musizieren, und die Engel mit Schwänzen ihr hochheiliges Synedrium halten? Nicht wahr? – Und wenn Monarchen und Potentaten von Motten und Würmern verzehrt werden, die Ehre haben zu dürfen, von Jupiters königlichem Vogel Visiten anzunehmen? – Moritz, Moritz, Moritz! nimm dich in acht! nimm dich in acht, vor dem dreibeinigten Tiere!
SPIEGELBERG. Und das schröckt dich, Hasenherz? ist doch schon manches Universalgenie, das die Welt hätte reformieren können, auf dem Schindanger verfault, und spricht man nicht von so einem Jahrhunderte, Jahrtausende lang, da mancher König und Kurfürst in der Geschichte überhüpft würde, wenn sein Geschichtschreiber die Lücke in der Successionsleiter nicht scheute und sein Buch dardurch nicht um ein paar Oktavseiten gewönne, die ihm der Verleger mit barem Gelde bezahlt – Und wenn dich der Wanderer so hin und her fliegen sieht im Winde – der muß auch kein Wasser im Hirn gehabt haben, brummt er in den Bart, und seufzt über die elenden Zeiten.
SCHWEIZER klopft ihn auf die Achsel. Meisterlich, Spiegelberg! Meisterlich! Was zum Teufel, steht ihr da, und zaudert?
SCHWARZ. Und laß es auch Prostitution heißen – Was folgt weiter? Kann man nicht auf den Fall immer ein Pülverchen mit sich führen, das einen so im stillen übern Acheron fördert, wo kein Hahn darnach kräht? Nein, Bruder Moritz! dein Vorschlag ist gut. So lautet auch mein Katechismus.
SCHUFTERLE. Blitz! Und der meine nicht minder. Spiegelberg, du hast mich geworben!
RAZMANN. Du hast, wie ein anderer Orpheus, die heulende Bestie, mein Gewissen in den Schlaf gesungen. Nimm mich ganz, wie ich da bin!
GRIMM. Si omnes consentiunt ego non dissentio. Wohlgemerkt, ohne Komma! Es ist ein Aufstreich in meinem Kopf: Pietisten – Quacksalber – Rezensenten und Jauner. Wer am meist enbietet, der hat mich. Nimm diese Hand, Moritz!
ROLLER. Und auch du, Schweizer? Gibt Spiegelberg die rechte Hand. Also verpfänd ich meine Seele dem Teufel.
SPIEGELBERG. Und deinen Namen den Sternen! Was liegt daran, wohin auch die Seele fährt? Wenn Scharen vorausgesprengter Kuriere unsere Niederfahrt melden, daß sich die Satane festtäglich herausputzen, sich den tausendjährigen Ruß aus den Wimpern stäuben und Myriaden gehörnter Köpfe aus der rauchenden Mündung ihrer Schwefelkamine hervorwachsen, unsern Einzug zu sehen? Kameraden! Aufgesprungen. Frisch auf! Kameraden! Was in der Welt wiegt diesen Rausch des Entzückens auf? Kommt, Kameraden!
ROLLER. Sachte nur! sachte! Wohin? Das Tier muß auch seinen Kopf haben, Kinder.
SPIEGELBERG giftig. Was predigt der Zauderer? Stand nicht der Kopf schon, eh noch ein Glied sich regte? Folgt, Kameraden.
ROLLER. Gemach sag ich. Auch die Freiheit muß ihren Herrn haben. Ohne Oberhaupt ging Rom und Sparta zugrunde.
SPIEGELBERG geschmeidig. Ja – haltet – Roller sagt recht. Und das muß ein erleuchteter Kopf sein. Versteht ihr? Ein feiner, politischer Kopf muß das sein! Ja! wenn ich mirs denke, was ihr vor einer Stunde waret, was ihr itzt seid, – durch einen glücklichen Gedanken seid – ja freilich, freilich müßt ihr einen Chef haben – und wer diesen Gedanken entsponnen, sagt, muß das nicht ein erleuchteter politischer Kopf sein?
ROLLER. Wenn sichs hoffen ließe – träumen ließe – aber ich fürchte, er wird es nicht tun.
SPIEGELBERG. Warum nicht? Sags keck heraus, Freund! – So schwer es ist, das kämpfende Schiff gegen die Winde zu lenken, so schwer sie auch drückt, die Last der Kronen – sags unverzagt, Roller, – vielleicht wird ers doch tun.
ROLLER. Und leck ist das Ganze, wenn ers nicht tut. Ohne den Moor sind wir Leib ohne Seele.
SPIEGELBERG unwillig von ihm weg. Stockfisch!
MOOR tritt herein in wilder Bewegung und läuft heftig im Zimmer auf und nieder, mit sich selber. Menschen – Menschen! falsche, heuchlerische Krokodilbrut! Ihre Augen sind Wasser! Ihre Herzen sind Erzt! Küsse auf den Lippen! Schwerter im Busen! Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen ihren Kleinen auf dem Aas, und Er, Er – Bosheit hab ich dulden gelernt, kann dazu lächeln, wenn mein erboster Feind mir mein eigen Herzblut zutrinkt – aber wenn Blutliebe zur Verräterin, wenn Vaterliebe zur Megäre wird, o so fange Feuer, männliche Gelassenheit, verwilde zum Tiger, sanftmütiges Lamm, und jede Faser recke sich auf zu Grimm und Verderben.
ROLLER. Höre, Moor! Was denkst du davon? Ein Räuberleben ist doch auch besser, als bei Wasser und Brot im untersten Gewölbe der Türme?
MOOR. Warum ist dieser Geist nicht in einen Tiger gefahren, der sein wütendes Gebiß in Menschenfleisch haut? Ist das Vatertreue? Ist das Liebe für Liebe? Ich möchte ein Bär sein, und die Bären des Nordlands wider dies mörderische Geschlecht anhetzen – Reue, und keine Gnade! – Oh ich möchte den Ozean vergiften, daß sie den Tod aus allen Quellen saufen! Vertrauen, unüberwindliche Zuversicht, und kein Erbarmen!
ROLLER. So höre doch, Moor, was ich dir sage!
MOOR. Es ist unglaublich, es ist ein Traum, eine Täuschung – So eine rührende Bitte, so eine lebendige Schilderung des Elends und der zerfließenden Reue – die wilde Bestie wär in Mitleid zerschmolzen! Steine hätten Tränen vergossen, und doch – man würde es für ein boshaftes Pasquill aufs Menschengeschlecht halten, wenn ichs aussagen wollte – und doch, doch – oh, daß ich durch die ganze Natur das Horn des Aufruhrs blasen könnte, Luft, Erde und Meer wider das Hyänengezücht ins Treffen zu führen!
GRIMM. Höre doch, höre! vor Rasen hörst du ja nicht.
MOOR. Weg, weg von mir! Ist dein Name nicht Mensch? Hat dich das Weib nicht geboren? – Aus meinen Augen, du mit dem Menschengesicht! – Ich hab ihn so unaussprechlich geliebt! so liebte kein Sohn, ich hätte tausend Leben für ihn – Schäumend auf die Erde stampfend. Ha! wer mir itzt ein Schwert in die Hand gäb, dieser Otterbrut eine brennende Wunde zu versetzen! wer mir sagte, wo ich das Herz ihres Lebens erzielen, zermalmen, zernichten – er sei mein Freund, mein Engel, mein Gott – ich will ihn anbeten!
ROLLER. Eben diese Freunde wollen ja wir sein, laß dich doch weisen!
SCHWARZ. Komm mit uns in die böhmischen Wälder! Wir wollen eine Räuberbande sammeln, und du – Moor stiert ihn an.
SCHWEIZER. Du sollst unser Hauptmann sein! du mußt unser Hauptmann sein!
SPIEGELBERG wirft sich wild in einen Sessel. Sklaven und Memmen!
MOOR. Wer blies dir das Wort ein? Höre, Kerl! Indem er Schwarzen hart ergreift. Das hast du nicht aus deiner Menschenseele hervorgeholt! Wer blies dir das Wort ein? Ja, bei dem tausendarmigen Tod! das wollen wir, das müssen wir! Der Gedanke verdient Vergötterung – Räuber und Mörder! – So wahr meine Seele lebt, ich bin euer Hauptmann!
ALLE mit lärmendem Geschrei. Es lebe der Hauptmann!
SPIEGELBERG aufspringend, vor sich. Bis ich ihm hinhelfe!
MOOR. Siehe, da fällts wie der Star von meinen Augen! was für ein Tor ich war, daß ich ins Käficht zurückwollte! – Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit, – Mörder, Räuber! – mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt – Menschen haben Menschheit vor mir verborgen, da ich an Menschheit appellierte, weg dann von mir Sympathie und menschliche Schonung! – Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, daß mir jemals etwas teuer war! Kommt, kommt! – Oh ich will mir eine fürchterliche Zerstreuung machen – es bleibt dabei, ich bin euer Hauptmann! Und Glück zu dem Meister unter euch, der am wildesten sengt, am gräßlichsten mordet, denn ich sage euch, er soll königlich belohnet werden – tretet her um mich ein jeder und schwöret mir Treu und Gehorsam zu bis in den Tod! – schwört mir das bei dieser männlichen Rechte!
ALLE geben ihm die Hand. Wir schwören dir Treu und Gehorsam bis in den Tod!
MOOR. Nun, und bei dieser männlichen Rechte! schwör ich euch hier, treu und standhaft euer Hauptmann zu bleiben bis in den Tod! Den soll dieser Arm gleich zur Leiche machen, der jemals zagt oder zweifelt oder zurücktritt! Ein Gleiches widerfahre mir von jedem unter euch, wenn ich meinen Schwur verletze! Seid ihrs zufrieden?
Spiegelberg läuft wütend auf und nieder.
ALLE mit aufgeworfenen Hüten. Wir sinds zufrieden.
MOOR. Nun dann, so laßt uns gehn! Fürchtet euch nicht vor Tod und Gefahr, denn über uns waltet ein unbeugsames Fatum! Jeden ereilet endlich sein Tag, es sei auf dem weichen Kissen von Flaum, oder im rauhen Gewühl des Gefechts, oder auf offenem Galgen und Rad! Eins davon ist unser Schicksal! Sie gehen ab.
SPIEGELBERG ihnen nachsehend, nach einer Pause. Dein Register hat ein Loch. Du hast das Gift weggelassen. Ab.
Dritte Szene
Im Moorischen Schloß, Amaliens Zimmer.
Franz. Amalia.
FRANZ. Du siehst weg, Amalia? Verdien ich weniger als der, den der Vater verflucht hat?
AMALIA. Weg! – Ha des liebevollen, barmherzigen Vaters, der seinen Sohn Wölfen und Ungeheuern preisgibt! daheim labt er sich mit süßem, köstlichem Wein und pflegt seiner morschen Glieder in Kissen von Eider, während sein großer, herrlicher Sohn darbt – schämt euch, ihr Unmenschen! schämt euch, ihr Drachenseelen, ihr Schande der Menschheit! – seinen einzigen Sohn!
FRANZ. Ich dächte, er hätt ihrer zween.
AMALIA. Ja, er verdient solche Söhne zu haben, wie du bist. Auf seinem Todbett wird er umsonst die welken Hände ausstrecken nach seinem Karl und schaudernd zurückfahren, wenn er die eiskalte Hand seines Franzens faßt – oh es ist süß, es ist köstlich süß, von deinem Vater verflucht zu werden! Sprich, Franz, liebe brüderliche Seele! was muß man tun, wenn man von ihm verflucht sein will?
FRANZ. Du schwärmst, meine Liebe, du bist zu bedauren.
AMALIA. O ich bitte dich – bedauerst du deinen Bruder? – Nein, Unmensch, du hassest ihn! Du hassest mich doch auch?
FRANZ. Ich liebe dich wie mich selbst, Amalia!
AMALIA. Wenn du mich liebst, kannst du mir wohl eine Bitte abschlagen?
FRANZ. Keine, keine! wenn sie nicht mehr ist als mein Leben.
AMALIA. O, wenn das ist! Eine Bitte, die du so leicht, so gern erfüllen wirst, Stolz. – Hasse mich! Ich müßte feuerrot werden vor Scham, wenn ich an Karln denke und mir eben einfiel', daß du mich nicht hassest. Du versprichst mirs doch? – Itzt geh, und laß mich, ich bin so gern allein!
FRANZ. Allerliebste Träumerin! wie sehr bewundere ich dein sanftes liebevolles Herz. Ihr auf die Brust klopfend. Hier, hier herrschte Karl wie ein Gott in seinem Tempel, Karl stand vor dir im Wachen, Karl regierte in deinen Träumen, die ganze Schöpfung schien dir nur in den Einzigen zu zerfließen, den Einzigen widerzustrahlen, den Einzigen dir entgegenzutönen.
AMALIA bewegt. Ja wahrhaftig, ich gesteh es. Euch Barbaren zum Trutz will ichs vor aller Welt gestehen – ich lieb ihn!
FRANZ. Unmenschlich, grausam! Diese Liebe so zu belohnen! Die zu vergessen –
AMALIA auffahrend. Was, mich vergessen?
FRANZ. Hattest du ihm nicht einen Ring an den Finger gesteckt? einen Diamantring zum Unterpfand deiner Treue! – Freilich nun, wie kann auch ein Jüngling den Reizen einer Metze Widerstand tun? Wer wirds ihm auch verdenken, da ihm sonst nichts mehr übrig war wegzugeben, – und bezahlte sie ihn nicht mit Wucher dafür mit ihren Liebkosungen, ihren Umarmungen?
AMALIA aufgebracht. Meinen Ring einer Metze?
FRANZ. Pfui, pfui! das ist schändlich. Wohl aber, wenns nur das wäre! – Ein Ring, so kostbar er auch ist, ist im Grunde bei jedem Juden wiederzuhaben – vielleicht mag ihm die Arbeit daran nicht gefallen haben, vielleicht hat er einen schönern dafür eingehandelt.
AMALIA heftig. Aber meinen Ring – ich sage, meinen Ring?
FRANZ. Keinen andern, Amalia – ha! solch ein Kleinod, und an meinem Finger – und von Amalia! – von hier sollt ihn der Tod nicht gerissen haben – nicht wahr, Amalia, nicht die Kostbarkeit des Diamants, nicht die Kunst des Gepräges – die Liebe macht seinen Wert aus. – Liebstes Kind, du weinest? wehe über den, der diese köstliche Tropfen aus so himmlischen Augen preßt – ach, und wenn du erst alles wüßtest, ihn selbst sähest, ihn unter der Gestalt sähest? –
AMALIA. Ungeheuer! wie, unter welcher Gestalt?
FRANZ. Stille, stille, gute Seele, frage mich nicht aus! Wie vor sich, aber laut. Wenn es doch wenigstens nur einen Schleier hätte, das garstige Laster, sich dem Auge der Welt zu entstehlen! Aber da blickts schrecklich durch den gelben, bleifarbenen Augenring; – da verrät sichs im totenblassen, eingefallenen Gesicht und dreht die Knochen häßlich hervor – da stammelts in der halben, verstümmelten Stimme – da predigts fürchterlich laut vom zitternden, hinschwankenden Gerippe – da durchwühlt es der Knochen innerstes Mark und bricht die mannhafte Stärke der Jugend – da, da spritzt es den eitrigten, fressenden Schaum aus Stirn und Wangen und Mund und der ganzen Fläche des Leibes zum scheußlichen Aussatz hervor und nistet abscheulich in den Gruben der viehischen Schande – pfui, pfui! mir ekelt. Nasen, Augen, Ohren schütteln sich. – Du hast jenen Elenden gesehen, Amalia, der in unserem Siechenhause seinen Geist auskeuchte, die Scham schien ihr scheues Auge vor ihm zuzublinzen – du ruftest Wehe über ihn aus. Ruf dies Bild noch einmal ganz in deine Seele zurück, und Karl steht vor dir! – Seine Küsse sind Pest, seine Lippen vergiften die deinen!
AMALIA schlägt ihn. Schamloser Lästerer!
FRANZ. Graut dir vor diesem Karl? Ekelt dir schon von dem matten Gemälde? Geh, gaff ihn selbst an, deinen schönen, englischen göttlichen Karl! Geh, sauge seinen balsamischen Atem ein und laß dich von den Ambrosiadüften begraben, die aus seinem Rachen dampfen! der bloße Hauch seines Mundes wird dich in jenen schwarzen todähnlichen Schwindel hauchen, der den Geruch eines berstenden Aases und den Anblick eines leichenvollen Walplatzes begleitet.
Amalia wendet ihr Gesicht ab.
FRANZ. Welches Aufwallen der Liebe! Welche Wollust in der Umarmung – aber ist es nicht ungerecht, einen Menschen um seiner siechen Außenseite willen zu verdammen? Auch im elendesten äsopischen Krüppel kann eine große, liebenswürdige Seele wie ein Rubin aus dem Schlamme glänzen. Boshaft lächelnd. Auch aus blattrigten Lippen kann ja die Liebe –
Freilich, wenn das Laster auch die Festen des Charakters erschüttert, wenn mit der Keuschheit auch die Tugend davonfliegt, wie der Duft aus der welken Rose verdampft – wenn mit dem Körper auch der Geist zum Krüppel verdirbt –
AMALIA froh aufspringend. Ha! Karl! nun erkenn ich dich wieder! du bist noch ganz! ganz! alles war Lüge! – Weißt du nicht, Bösewicht, daß Karl unmöglich das werden kann? Franz steht einige Zeit tiefsinnig, dann dreht er sich plötzlich, um zu gehen. Wohin so eilig, fliehst du vor deiner eigenen Schande?
FRANZ mit verhülltem Gesicht. Laß mich, laß mich! – meinen Tränen den Lauflassen – tyrannischer Vater! den besten deiner Söhne so hinzugeben dem Elend – der rings umgebenden Schande – laß mich, Amalia! ich will ihm zu Füßen fallen, auf den Knien will ich ihn beschwören, den ausgesprochenen Fluch auf mich, auf mich zu laden – mich zu enterben – mich – mein Blut – mein Leben – alles –