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„Ah Chef, sorry“, sagt nun der Beamte entschuldigend.
„Lasst euch nicht stören“, sag ich auffordernd, damit nun endlich das Aufnehmen der Aussage beginnen kann.
„Name und Adresse bitte“, sagt meine Kollegin, die bereit ist, alles was gesagt wird, auch in den Laptop vor ihr einzutippen.
„Korbinian. Korbinian Jansen“, beginnt der Bartträger zu sprechen, während die gezwirbelten Enden seines Schnauzbartes lustig wackeln, „isch wohn im Karlstal in dere alde Kutschermühle, eigendlisch geherd des zu Trippstadt. Also wohn isch in Trippstadt in de Kutschermühl äns.“
„Kutschermühle eins“, wiederholt die junge Dame mit dem prächtigen Haar, „Beruf?“
„Jo, isch bin hald Schdroßeplaner.“
„Sie sind was?“
„Schdroßeplaner bin isch. Straßenbauingenieur in gehobener Beamtenposition, nennd sich des richdisch.“
„Herr Jansen“, schaltet sich nun der Polizist ein, „können Sie mir bitte erklären, weshalb Sie krampfhaft versuchen, pfälzisch zu reden, obwohl Sie sich sichtlich schwertun damit.“
„Weil isch do dehäm bin, des isch mei geliebte Wahlheimat. Wissens wie än Transvestit im falsche Kerper gebore is, so war isch am falsche Ort gebore. Un jetzt, wo isch endlisch am rechte Fleck bin, loss isch mers ah nid nemme, so zu babbele, wie sichs do geherd.“
Somit ist dieses Rätsel schon einmal gelöst.
„Dann erzählen Sie mal, wie es zu Ihrer grausigen Entdeckung kam, Herr Jansen“, übernimmt nun der Mann mit dem Stoppelhaar die Befragung.
„Ja, des war so, wie jeden Freidach noch de Aweid hab isch mein Drahtesel gschnabbd und bin do rauf geradelt. Jeden Freidach, wos nur geht, bin isch üwwer Nacht hier und genies mei Pfälzer Wald. Jeden Freidach sitz isch do am Feuer und lausch de Nadur. Un so wars ach heud gepland, also bin isch noch de Aweid do herruf geradelt un dann heb isch des do gfunne.“
„Ist Ihnen denn noch etwas aufgefallen?“
„Ah jezd, wo Ses sachen Herr Bolezischd, ajo, äh verdel Schdunn bevor isch do war had es gerumst im Wald. Des werd die Exblosion gewehse sei.“
„Das sollte es gewesen sein“, sagt mein Kollege nun abschließend.
Für ihn vielleicht, allerdings für mich nicht, weshalb ich mich nun nach hinten begebe.
„Herr Jansen“, übernehme ich nun das Ruder, „wenn Sie hier jeden Freitag verbringen, sind Sie denn da immer alleine hier?“
„Ei nänä, do sinn ach öffder annere do, des isch jo än öffendlicher Platz, nid wahr?“
„Okay, und wer übernachtet hier dann so mit Ihnen?“
„Och des is ganz verschiede. Mo Radfahrer, so wie isch, mo Reider mid ihre Pfärdscher, annermol sinns Wannersleid oder Druidekoleche von meim Keltenkult.“
„Keltenkult?“, entfährt es mir verwundert.
„Jo, ehwe Leid wie isch. Mehr mache nix Schlimmes un beschäffdigen uns hald mit alde Brauchtümer und vehl Kräuterkunde.“
Da kann man doch alt werden wie eine Kuh und man lernt doch immer noch dazu. Druiden? Also sitzt vor mir ein Miraculix der Neuzeit?
Egal, ich habe Wichtigeres zu fragen: „Haben Sie eine Ahnung, wer das Opfer sein könnte?“
„Na, Sie hänn sischer ach gsehe, dass mar vunn dere Leich nimmi viel erkenne kann, isch wäss nid wer des gewässt sei kinnd.“
Da hat er schon recht, der Herr Jansen, auch ich konnte nicht einmal sehen, ob dort ein Männlein oder ein Weiblein liegt.
„Haben Sie eine Idee, wie wir herausfinden können, wer dort liegt?“, frage ich deshalb.
„www.trekking-pfalz.de“, sagt der Kautz nun wie aus der Pistole geschossen, „dort sollte sich jeder Nutzer von so einem Platz anmelden. Dort haben Sie sehr gute Chancen zu erfahren, wer für heute gebucht hatte.“
Nachdem ich mich artig für diese Informationen bedankt habe, druckt die junge Kollegin in Uniform das Protokoll der Befragung aus, das Korbinian Jansen auch gleich unterschreibt.
Nachdem er den Kleinbus verlassen hat, verteile ich die Aufgaben. „Herr Kollege“, spreche ich zuerst den Beamten an, „gehen Sie doch bitte noch einmal zum Tatort und fragen Sie nach, ob bei dem Leichnam irgendwelche Papiere gefunden wurden, die auf seine Identität hinweisen. Sie“, sag ich, während ich meinen Blick zu der Kollegin wende, „Sie möchte ich bitten, über den Webseitenbetreiber herauszufinden, wer alles eine Übernachtung gebucht hatte, Frau, äh Frau ähm Frau Kollegin.“
„Kalt“, kommt knapp von ihr zurück, was ich als Frechheit empfinde.
„Hören Sie, junge Frau“, gebe ich deshalb patzig zurück, „Sie können es gerne mir überlassen, ob eine Spur heiß oder kalt ist. Ich erwarte, dass Sie tun, was ich sage“, worauf sie schlagartig sämtliche Gesichtsfarbe verliert, um dann feuerrot anzulaufen.
Auf jeden Fall hat es ihr nun die Sprache verschlagen und mir ein deutliches Plus an Autorität gebracht.
„Entschuldigen Sie bitte, Chef“, schaltet sich nun wieder der Kollege ein. Während ich noch in Erwägung ziehe, ihn nun auch in seine Schranken zu verweisen, spricht er vorsichtig weiter: „Hier handelt es sich um ein bedauerliches Missverständnis. Mein Name ist Helmut Glaser und das hier ist Yasmin Kalt. Sie verstehen? Sie wollte nicht Ihre Arbeit kritisieren oder kommentieren, Sie wollte sich nur vorstellen.“
Nun nickt die junge Frau heftig und mit Bedauern sehe ich, dass ihr Tränen über das Gesicht laufen.
„Bitte entschuldigen Sie, Frau Kalt. Das tut mir nun unheimlich leid“, sag ich, weil mir das unheimlich leid tut.
„Nichts für ungut Chef“, erwidert sie, „ist ja auch ein saudummer Name.“
Nun erkenne ich in ihren tränennassen Augen, wie blutjung sie eigentlich ist. Vielleicht fünfundzwanzig, sicher frisch von der Polizeischule. Ich reiche ihr ein Papiertaschentuch und verlasse gemeinsam mit Helmut Glaser das Fahrzeug.
Nach diesem peinlichen Zwischenfall steht mir der Sinn nach frischer Luft.
Glaser stapft durch den Wald, um die von mir angeforderten Informationen abzufragen und im Bus höre ich Yasmin Kalt emsig auf der Tastatur hämmern. Ich lehne mich derzeit an meinen Mini und atme tief durch.
Nach wenigen Minuten kommt Helmut Glaser gemeinsam mit Timo wieder zurück. Aus ihren Gesten glaub ich zu lesen, dass sich die beiden Männer schon angefreundet haben. Solche Dinge fallen sicher leichter, wenn man nicht gerade Dienststellenleiter ist.
„Ja, Dieter“, beginnt Timo zu berichten, „männlich, circa Mitte fünfzig, mehr lässt sich leider noch nicht sagen. Eine Identifizierung wird nur über einen Genabgleich möglich sein.“
„Was weiß man über den Tathergang?“, hake ich nach.
„Alles deutet darauf hin, dass unter der Feuerstelle eine größere Menge auf Schwarzpulver basierenden Sprengstoffs versteckt war, der durch das Entzünden des Lagerfeuers zur Detonation gebracht wurde.“
„Vielleicht ein Blindgänger aus Kriegszeiten, Timo?“
„Nein, unmöglich. Es war ein oder wahrscheinlich mehrere in Papier gepackte Sprengkörper. Also quasi sehr große Silvesterböller.“
Nun wird die Schiebetür am Einsatzkleinbus geöffnet und Frau Kalt steigt aus.
„Ich hab da was“, sagt sie und ich freue mich darüber, dass ihre Augen wieder strahlen, „für heute waren nur der Korbinian Jansen und ein Herr Peter Brechtel angemeldet.“
Da sich Jansen bekanntlich bester Gesundheit erfreut, sollten wir unsere Suche nun auf den Brechtel konzentrieren. „Gibt es eine Adresse?“, frage ich deshalb.
„Leider nur Clausen als Wohnort“, informiert mich die Kollegin.
„Sollen wir da gleich mal hinfahren?“, will Helmut Glaser wissen.
„Das übernehme ich“, entgegne ich ihm, „komm Timo, fahren wir.“
„Wie bitte? Sie?“, sagen die Kollegen Kalt und Glaser wie aus einem Mund.
„Klar ich, wieso?“, äußere ich ebenso erstaunt wie die beiden Beamten.
„Ich meine ja nur“, beginnt nun die junge Frau zu stottern, „Sie sind doch der Chef und diese Aufgabe, ich will ja nur sagen, dass der Heuler nie am Tatort war oder so. Dann noch eine unangenehme Botschaft überbringen. Dafür haben Sie meinen vollen Respekt.“
„Eins will ich dann doch mal klarstellen“, stelle ich nun klar, „ich bin nicht der Heuler und werde auch nicht anstreben, auch nur im Geringsten so zu sein, wie der Ex-Kollege Rüdiger Heuler.“
Nun blasen die beiden Uniformierten deutlich hörbar Atemluft durch die Zähne. Ich glaube dabei auch so etwas wie »Gott sei Dank« zu hören.
„Ähm Dieter, macht es dir etwas aus, alleine nach Clausen zu fahren?“, meldet sich nun Timo zu Wort. „Ich würde gerne noch hierbleiben und die Arbeit der Spurensicherung verfolgen.“
Etwas, das ich auf gar keinen Fall verfolgen möchte. Dass es mein junger Kollege will, finde ich jedoch lobenswert, weshalb ich ihm zustimmend zunicke.
„Ich würde gerne mit Ihnen fahren“, wirft nun Yasmin Kalt in die Runde, „eine bessere Gelegenheit, direkt vom Chef zu lernen, werde ich kaum bekommen.“
Diese Haltung der jungen Frau finde ich auch äußerst lobenswert, weshalb ich auch ihr nun zustimmend zunicke.
Nach schier unendlichen Minuten auf den holprigen Waldwegen biegen wir endlich auf die kurvige Landstraße ein. Eine Herausforderung, der ich nicht widerstehen kann. Eine Straße, bei der sich Kurve an Kurve und Kuppe an Kuppe reiht, dann ein junges attraktives Mädchen auf dem Beifahrersitz, da kommen pubertäre Gefühle auf. Nun heißt es: Feuer frei. Die dreihundertachtzig PS reißen an dem Mini, als würde uns eine Rakete antreiben. Wie ein Teenager freue ich mich über das kartähnliche Fahrverhalten des Minis, der nun beginnt, quer in jede Kurve hineinzurutschen. Die Kuppe vor uns beschließe ich ungebremst zu nehmen, was mich mit einem ordentlichen Sprung durch die Luft belohnt. So macht das Arbeiten Spaß.
Was sich aber auf keinen Fall spaßig anhört, ist die Stimme vom Beifahrersitz, die ganz plötzlich: „Anhalten, sofort anhalten“, schreit und das in einer Lautstärke, die durch Mark und Bein geht.
Wie befohlen werfe ich unvermittelt den Anker, was bedeutet, dass ich eine klassische Vollbremsung mache. Da ich, wie immer wenn ich flott unterwegs bin, sämtliche elektronischen Helfer abgeschaltet hab, steht nun der Mini am Ende von einer tiefschwarzen Bremsspur in einer übel riechenden Qualmwolke. In dieser ist die junge Frau verschwunden.
Nach einer kurzen Suche finde ich sie kreidebleich an einen Baum gelehnt. Hinter meinem Mini hält gerade ein Fahrzeug, dessen Beifahrer mit einem Feuerlöscher direkt mein komplettes Auto einsaut. In so einem Moment habe ich schon das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wächst.
Was nun hilft, ist eins nach dem anderen abzuarbeiten und so gehe ich zuerst mal auf den freundlichen Helfer zu, der gerade seinen leer geblasenen Feuerlöscher in den Straßengraben wirft.
„Vielen herzlichen Dank für Ihre unnötige Hilfe“, sag ich mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.
„Das habe ich doch gerne gemacht“, gibt er zurück und verschwindet beleidigt im Auto, das daraufhin mit quietschenden Reifen wieder davon fährt.
Als nächstes fahre ich mal den Mini zur Seite, bevor ihn noch jemand aus Versehen löscht.
Nun kann ich endlich zu meiner Kollegin zurück, die inzwischen wieder etwas Farbe ins Gesicht bekommen hat.
„Entschuldigen Sie, Chef, aber das ist alles noch so neu für mich. Ich weiß gar nicht, wie ich mich verhalten soll, dann diese Fahrweise, die unser Sicherheitstraining bei weitem übertrifft“, redet sie etwas wirr, „und dann noch andauernd das Frau Kalt, so hat mich noch nie jemand genannt, verstehen Sie? Ich bin einfach nur die Yasi, mehr möchte ich gar nicht sein.“
Oh du heiliger Bimbam, nun heißt es auch noch den Psychologen zu spielen. Okay, auch eine schöne Übung, meiner neuen Rolle als Chef gerecht zu werden.
„Hören Sie“, sag ich deshalb, „es tut mir alles leid. Das mit dem Missverständnis mit Ihrem Namen und auch meine rücksichtslose Fahrweise. Wissen Sie, ich bin mir auch noch sehr unsicher. Vor kurzem war ich noch Bestandteil eines Drei-Mann-Teams und nun bin ich Chef von einhundertachtunddreißig Beamten. Wollen wir beide einen Deal machen?“
„Einen Deal?“, fragt sie nun ganz verunsichert und schaut mich mit ihren dunkelbraunen Mandelaugen an.
„Ganz recht“, sag ich, „einen Deal. Sie helfen mir dabei, ein guter Chef zu werden und ich nenne Sie dafür Yasi. Wäre das zu machen?“
Nun werden die Augen wieder feucht. „Wirklich Chef? Das wäre großartig.“
„Wirklich Yasi und wenn Sie wollen, sagen Sie doch einfach Dieter zu mir.“ Upps, kaum ausgesprochen wird mir klar, dass ich nun weit über das Ziel hinausgeschossen bin. Der Dieter war ich in Landau, nun bin ich Oberkommissar.
„Aber nein, mein Chef, das würde ich mich doch nie trauen“, zieht mir das sympathische Mädchen den Kopf wieder aus der Schlinge, in die ich ihn selbst hineingelegt habe.
Nach einer weitaus gemäßigteren Fahrt erreichen wir Clausen, das deutlich größer zu sein scheint, als ich es erwartet hatte. Trotzdem versuche ich es mit dem erstbesten Passanten, den ich auf der Straße sehe.
„Entschuldigen Sie“, spreche ich ihn durch das herabgelassene Seitenfenster an, „können Sie mir sagen, wo hier in Clausen ein Peter Brechtel wohnt?“
„Der Brechtel Peter? Das kann Ihnen jeder Clausener sagen, wo der wohnt. Da fahren Sie dort den Kreuzberg hoch“, und zeigt dabei auf einen Berg in nordöstlicher Richtung, „bis es nicht mehr weiter geht. Wenn Sie unsicher sind, können Sie nach Gehör fahren, indem Sie dem Hühnergegacker, dem Schweinegrunzen und dem Ziegengemecker folgen oder Sie fahren einfach der Nase nach. Es ist das Haus mit dem Misthaufen vor der Eingangstür.“
So fahre ich dem Berg in nordöstlicher Richtung entgegen, bis ich vor dem kleinen Häuschen, mit dem Misthaufen vorne dran, den Mini abstelle. Eine Frau, circa Mitte fünfzig, ist gerade damit beschäftigt, den Hühnern Körner in den Hof zu streuen und dabei »putt putt putt« zu rufen. Aus einem Kübel bei der Eingangstreppe fressen gerade zwei Hausschweine zusammen mit einigen Ziegen. So oder so ähnlich hat es zu meiner Kindheit noch an vielen Häusern ausgesehen. Leider hat es zu der Zeit auch vor vielen Häusern so gerochen. Vor allem Schweinemist hat eine ganz besondere Note.
„Guten Tag“, spreche ich die Dame an, obwohl es eigentlich schon Abend ist, „können Sie mir sagen, ob das hier das Haus von Peter Brechtel ist und wenn ja, ob er denn auch zu sprechen wäre?“
„Wer will das wissen?“, fragt die Frau unvermittelt.
„Entschuldigen Sie bitte“, entschuldige ich mich, „mein Name ist Dieter Schlempert und das ist meine Kollegin Yasmin Kalt. Wir kommen vom Kommissariat in Neustadt an der Weinstraße.“
„Und was will der Dieter Schlempert mit seiner Kollegin Yasmin Kalt vom Kommissariat in Neustadt an der Weinstraße vom Peter Brechtel?“
„Liebe, gute Frau“, probiere ich es noch einmal mit Engelszungen, „würden Sie mir bitte sagen, in welchem Verhältnis Sie zu Peter Brechtel stehen? Von dieser Information ist es abhängig, wie viel meines Wissens ich mit Ihnen teilen kann.“ Oh Mann, gleich hab ich einen Knoten in der Zunge von der geschwollenen Ausdrucksweise.
„Verhältnis ist gut“, sagt sie freundlich lächelnd, „mein Verhältnis zu Peter verhält sich folgendermaßen: Ich bin die Mutter seiner sieben Kinder und seit über dreißig Jahren sein angetrautes Weib.“
Warum nicht gleich so? „Dann tut es mir aufrichtig leid Frau Brechtel, ich fürchte, dass wir schlechte Nachrichten für Sie haben“, versuche ich mich so einfühlsam wie nur möglich auszudrücken. „Wir haben Grund zur Annahme, dass Ihr Mann einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.“
Jetzt fängt die Frau auch noch an zu lachen und gibt dabei den Blick auf ihr tadelloses Gebiss frei.
„Mein Peter?“, lacht sie, „einem Gewaltverbrechen? Das glauben Sie doch selbst nicht beim Kommissariat in Neustadt an der Weinstraße. Mein Peter ist zäher als Juchtenleder. In unserer gesamten Ehe hatte er nicht einmal einen Schnupfen. Von diesem Dach da“, sie zeigt dabei zum Giebel des Wohnhauses, „ist er schon zwei Mal gefallen, ohne auch nur einen Kratzer davongetragen zu haben. Nein Dieter Schlempert und Kollegin Yasmin Kalt, da muss ich Sie enttäuschen. Meinen Mann müssen Sie schon in die Luft jagen, damit Sie ihm ein Ende setzen können.“
Der letzte Satz lässt Yasi und mir das Blut in den Adern gefrieren. Sollte diese schlaue und gewitzte Dame tatsächlich eine eiskalte Mörderin sein?
„Frau Brechtel, dass die Leiche, die wir gefunden haben, tatsächlich durch eine Sprengung gestorben ist, macht Sie nun verdächtig“, sag ich deshalb so dahin. Ob das ein cleverer Schachzug ist, weiß ich nicht. Dass sie nun ihr Hühnerfutter fallen lässt und ihre Gesichtszüge entgleisen, macht sie allerdings wieder weniger verdächtig, aber die Hühner satt.
„Jetzt machen Sie mir aber Angst“, sagt sie mit zittriger, fast schon weinerlicher Stimme, „schon als verliebter Teenager sagte ich, dass ihn nur Dynamit umbringen kann und jetzt kommen Sie daher und sagen so etwas, Dieter Schlempert vom Kommissariat in Neustadt an der Weinstraße.“
„Ich sagte, dass wir Grund zur Annahme haben, was bedeutet, dass wir es nicht wissen. Können Sie uns sagen, wo sich Herr Brechtel zu Zeit aufhält?“
„Der ist auf Tour“, sagt sie nun und scheint sich wieder etwas gefangen zu haben, „wenn er beruflich harte Wochen hinter sich hat, schnappt er sich freitags gerne mal ein paar Dosen Bier und verbringt die Nacht im Wald am Lagerfeuer. Therapie nennt er das. Nach dem Stress auf der Arbeit will er vermeiden, dass er seine Laune auf die Familie überträgt.“
Eine lobenswerte Einstellung, da muss ich auch mal darüber nachdenken.
„Kann es sein, dass er die Nacht auf einem Trekkingplatz verbringen wollte?“, schaltet sich nun Yasi ein, die sich sofort wie ein vorlautes Kind die Hand auf die Lippen presst.
Mit einem Lächeln nicke ich ihr zustimmend zu, um zu signalisieren, dass sie nichts Falsches getan hat.
„Ja, das hat er in letzter Zeit immer so gemacht“, antwortet die siebenfache Mutter, „früher blieb er einfach dort, wo es ihm gefallen hat. Dann wurde er von so einem fanatischen Umweltschützer einmal angezeigt wegen wildem Campierens. So hat er sich inzwischen entschieden, seine Touren an solchen Plätzen enden zu lassen.“
„Sie sagten, dass er angezeigt wurde?“, frag ich nach, „hat Ihr Mann Feinde?“
„Aber wo denken Sie hin, mein Peter ist der hilfsbereiteste und umgänglichste Mensch, den ich je getroffen habe. Klar hat er nicht nur Freunde, aber sicher niemand, der ihn aus dem Weg haben will. Schon gar nicht jemand, der ihm etwas antun würde.“
Ob meine Frau auch solche Worte für mich findet, wenn jemand nach mir fragt?
„Frau Brechtel“, wechsle ich nun mal das Thema, „auf solch einem Trekkingplatz ist heute ein Mensch durch eine Explosion ums Leben gekommen. Dabei kann es sich um Ihren Mann handeln. Um das festzustellen, müssten wie einen Genabgleich machen. Haare würden sich dazu gut eignen. Würden Sie uns bitte die Haarbürste Ihres Mannes zur Verfügung stellen?“
„Klar gebe ich Ihnen unsere Haarbürste, Kommissar Dieter Schlempert und Yasmin Kalt, aber ich bitte Sie, uns die Bürste wiederzubringen, damit sich meine Familie wieder die Haare bürsten kann.“
„Haben Sie nur diese eine?“, platzt es aus Yasi heraus.
„Haarbürste, Zahnbürste, Toilettenbürste, alles nur einmal vorhanden. Peter ist der Meinung, was mehrfach da ist, verliert an Wertschätzung und wird auch leichter verschlampt.“
Nachdem wir die Bürste eingetütet haben, fahren wir zurück in Richtung Neustadt zur Wache. Yasi informiert Martin Schneider telefonisch über die sichergestellte Haarprobe und redet die ganze Fahrt über wie ein Wasserfall. Ich bin am Überlegen, ob ich wieder aufs Gas treten sollte, um diesen Redefluss zu stoppen.
Ich lasse es sein und beende lieber in Harmonie den ersten Tag in meinem neuen Leben als Oberkommissar und Dienststellenleiter.
Bekomme ich den denn nie los?
„Hör mal Dieter, heute ist Samstag und der Garten sollte winterfest gemacht werden. Außerdem muss der Pool zur Hälfte abgesaugt und abgedeckt, die Pumpe und der Filter abmontiert und in den Keller gebracht werden, um das Zeug vor Frost zu schützen.“
Mit diesen herzlichen Worten möchte meine Frau Natalie mich am Verlassen des Hauses hindern.
„Natalie, ich bin nun eben einmal Dienststellenleiter und streiche auch ein entsprechendes Gehalt ein“, setze ich mich zur Wehr, „da bleibt es eben auch nicht aus, dass ich samstags nach Neustadt muss. Immerhin hast du dich ja am meisten gefreut, als ich befördert wurde“, und nach diesen Worten drücke ich ihr noch einen Kuss auf die Wange und gehe zur Tür hinaus. Wie ich so vom Hof fahre, winke ich noch meinem Freund, dem Richter Eberhard Palanowski, zu, der mit meinem Nachbarn Reiner Buttermilch vor dessen Haus sitzt und am Frühstücken ist.
Ich freue mich, dass Eberhard sich hier in Waldrohrbach so wohl fühlt und nehme mir vor, am Abend mit ihm einen Feierabendtee zu genießen.
Als ich in Neustadt bei der Wache vorfahre, fall ich dann aus allen Wolken. Hier ist ein Menschenauflauf wie bei Aldi vor den Feiertagen.
Schnell biege ich in den Hof ab und beschließe, den Hintereingang zu benutzen. Auf dem Hof treffe ich dann auch gleich Klaus Reuter, unsern Technikexperten, der auch meinen Mini ordentlich aufgepimmt hat.
„Hast du ein Glück, dass die dich noch nicht kennen“, sagt er zur Begrüßung, weshalb ich ihm mit meinem breitesten Grinsen ein: „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen lieber Klaus“, entgegen trällere.
„Sag mal“, werde ich nun ernst, „wer sind denn die vielen Leute? Und vor allem, was wollen die alle hier?“
„Ja, Dieter, das sind die hiesigen Pressevertreter. Dein Vorgänger hat immer sehr gerne sein Wissen mit ihnen geteilt.“
„Und somit für reichlich Zeitungsenten gesorgt“, vervollständige ich den Satz.
„Das ist denen ziemlich Wurst, die stürzen sich auf alles, was eine Schlagzeile bringen könnte“, klärt mich unser Daniel Düsentrieb auf.
„Und was soll ich nun mit denen machen?“
„Entweder wirfst du ihnen etwas zum Fraß vor oder du ignorierst sie.“
Schön, eine Wahl zu haben. So gehe ich in mein Büro und ignoriere. Praktisch, das Ignorieren. Also ich könnte mich ans Ignorieren gewöhnen. Ich rufe die Berichte von unserem gestrigen Leichenfund auf, lese sie durch und ignoriere dabei angestrengt. Nachdem die aufgebrachte Menge vor der Tür mit Chorgesang die Wache beschallt, fällt es mir zunehmend schwerer, sie zu ignorieren.
„Wir wolln, wir wolln Infos“, tönt es da draußen zur Melodie von »We will rock you« von Queen.
Um das Ignorieren zu erleichtern, schalte ich das Radio ein, aus dem auch tatsächlich gerade der Megahit der englischen Band, mit dem leider viel zu früh verstorbenen, charismatischen Sänger Freddie Mercury, tönt. Nun kann ich mich endlich auf die Berichte konzentrieren. Mit der richtigen Musik auf den Ohren ist das Ignorieren ein Kinderspiel.
Leider ist auch der schönste Hit irgendwann vorbei, worauf der Moderator live zu seinem Außenreporter schaltet, der sich vor der Neustadter Polizeiwache befindet.
Wohin?
„Hallo liebe Hörer Zuhause oder unterwegs an Ihren Rundfunkgeräten, hier ist euer Rudi Renner. Ich spreche heute direkt vom Neustadter Polizeirevier zu Ihnen, wo sich eine stattliche Menge Journalistenkollegen versammelt hat. Hier soll gestern ein Fall aufgenommen worden sein, bei dem eventuell ein Mensch auf unnatürliche Weise zu Tode gekommen ist. Bisher jedoch wurden seitens der Polizei keine Informationen über dieses Ereignis an die Öffentlichkeit weitergegeben, weshalb ich mich hier mit vielen meiner Kollegen eingefunden habe, um für Ihr Recht an Informationen zu demonstrieren“, tönt es aus meinem Lautsprecher. „Nun frage ich einen der Demonstranten, ob er über irgendwelche Informationen verfügt.“ Was nun kommt, haut mich aus den Socken. „Guten Tag, verehrte Hörer“, kommt nun eine mir vertraute Stimme aus dem Radio, „mein Name ist Rüdiger Heuler und ich bin, bei aller Bescheidenheit, der führende Kriminalist landesweit. Ich weiß mit aller Sicherheit, dass am gestrigen Nachmittag die Mordkommission, wenn man das bei diesem führungslosen Haufen so nennen kann, ausgerückt ist. Kurz darauf wurden dann auch die Spurensicherung und die rechtsmedizinische Abteilung hinzugerufen. Die Summe dieser Tatsachen deutet eindeutig auf ein Gewaltverbrechen hin, über das die Bevölkerung umfassend informiert werden muss. Hier sollte die Informationspolitik eindeutig und weit über der Ermittlungstaktik stehen. Deshalb fordern wir das Recht ein, informiert zu werden. Die Menschen sollen ein Recht haben, sich unsicher zu fühlen!“