- -
- 100%
- +
Da nun die Sendezeit des Reporters überschritten sein dürfte, spielt die Sendezentrale wieder Musik.
Ich bin inzwischen zum Fenster gegangen, durch das ich tatsächlich den Heuler sehen kann, der weiterhin unbeirrt in das Mikrophon spricht. In seinen Händen hält er ein Transparent mit der Aufschrift »Katastrophale Polizeiarbeit«.
Nun platzt mir aber doch der Kragen. Besitzt der Kerl, der vor kurzem noch mein ungeliebter Vorgesetzter war, tatsächlich die Frechheit, sich mit einem Transparent vor die Wache zu stellen. Nun stellt er sich mit wolln, wir wolln Infos!“
Also raus aus der Tür und die Treppe hinab. Unten auf dem Flur treffe ich wieder auf Klaus Reuter.
„Ah Chef“, quatscht er mich an, „wo geht es denn hin?“
„Dort hinaus“, sag ich in einem Ton, als hätte er Schuld an meiner Wut.
„Du weißt aber, dass dort draußen Hyänen sind, die jahrelang vom Heuler gefüttert wurden und sich deshalb mit ihm solidarisch zeigen und dich zerfleischen wollen?“
„Ja und?“, blaffe ich immer noch in Rage zurück.
„Das bedeutet, dass du einen guten Plan haben solltest, bevor du da raus gehst.“
Das ist sicher ein gut gemeinter Rat von Klaus, den ich kurzentschlossen nicht berücksichtige.
„Ich improvisiere“, sag ich so vor mich hin und schreite an Klaus vorbei zur Tür hinaus, wo die Menge auch direkt verstummt.
„Das ist er!“, schreit der Heuler den Reportern zu. „Er hat sich die Dienststellenleitung ergaunert, um dann die Pressefreiheit mit Füßen zu treten. Macht euch ein Bild und schreibt über diesen Skandal, um die alte Ordnung wiederherzustellen.“
Nun schauen mich alle an wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen. Fehlt nur noch, dass sie mich in Brand setzen. Das Schöne dabei ist, dass ich nun ihre volle Aufmerksamkeit habe.
„Sehr geehrte Vertreter der Presse“, beginne ich ruhig zu sprechen. Absichtlich rede ich mit leiser Stimme, damit sie mir alle angestrengt zuhören und mich keiner zu unterbrechen wagt.
„Richtig ist, dass wir gestern einen Leichenfund protokolliert haben. Allerdings wissen wir derzeit noch nicht, unter welchen Umständen diese Person ums Leben kam, noch, um wen es sich dabei handelt. Selbstverständlich werden wir eine Pressemitteilung herausgeben, sobald wir gefestigte Informationen haben.“
„Alles leere Phrasen“, kreischt der Heuler hinter seinem Transparent hervor, das er sich zur Tarnung vor die Birne hält, „merkt Ihr denn nicht, dass der mit vielen Worten nichts sagen tun tut.“
Tun tut? Nun verliert er doch deutlich die Fassung. Zeit für einen weiteren Schachzug.
„Diese Informationen, die Sie bekommen werden, sind alle fundiert und verbindlich. Informationen die Sie drucken können, ohne dass Sie tags darauf bei Ihrem Redakteur vorsprechen müssen.“ So, das sollte gesessen haben.
„Der will euch doch nur manipulieren“, kommt es nun etwas kleinlauter hinter der Aufschrift »Katastrophale Polizeiarbeit« hervor. „Helft dabei, die alte Ordnung wiederherzustellen.“
„Oder freut euch auf eine neue Ordnung“, setze ich nahtlos an, „wir werden hier in der Wache schon nächste Woche ein Pressebüro einrichten. Somit ist dann gewährleistet, dass jeder von Ihnen zu jeder Zeit an Informationen kommt, ohne auf den guten Willen einer einzelnen Person angewiesen zu sein.“
Nun herrscht Totenstille vor dem Haupteingang der Wache. Selbst der sonst so gesprächige Heuler muss sich anscheinend erst einmal von diesem Schlag erholen. So gerne ich diese Situation auch auskoste, nun sollte ich mich zurückziehen, bevor die Gegenseite zu einem Verzweiflungsangriff ausholt.
„Nun entschuldigen Sie mich bitte“, sag ich deshalb, „ich hab noch einen Stapel Berichte auszuwerten.“ Dann drehe ich mich um und gehe in das Gebäude.
Drinnen stehen die Kollegen rechts und links an der Wand entlang und beginnen erst verhalten, dann jedoch euphorisch zu applaudieren.
Am Ende der Reihe steht Klaus Reuter, klopft mir anerkennend auf die Schulter und sagt: „Wenn du so improvisierst, möchte ich mal eine geplante Aktion von dir erleben.“
Mit reichlich Gänsehaut gehe ich in mein Büro zurück, wo ich mich dann durch den Stapel von Berichten arbeite. Von der Straße höre ich noch ein Weilchen eine einsame Stimme: „Wir wolln, wir wolln Infos“, krächzen.
Den in meinen Augen wichtigsten Bericht bringt mir allerdings Yasmin Kalt ins Büro. Er besagt, dass der menschliche Fleischsalat vom Trekkingplatz tatsächlich von Peter Brechtel stammt.
„Dann wollen wir mal“, sag ich zu Yasi, schnappe meine Jacke und kontrolliere dabei, ob sich mein Autoschlüssel auch darin befindet.
„Gerne Scheffe“, gibt sie als Antwort, „und was wollen wir mal, wenn ich fragen darf?“
Mann, kann die Fragen stellen: „Na, zur Frau Brechtel, ihr die schlechte Nachricht und ihre Haarbürste überbringen“, sag ich reichlich genervt. Dass ich das Wort »Scheffe« absolut nicht ausstehen kann, sag ich mal lieber nicht, bevor sie hier wieder das große Flennen bekommt.
„Aber Chef“, jetzt klingt sie auch noch empört, „dafür haben wir doch eine spezielle Einsatzgruppe mit geschulten Beamten und einem Seelsorger.“
„Was haben wir?“, bin nun ich erstaunt. „Und wofür bin ich da?“
„Na zum Delegieren, zum Instruieren und zum Repräsentieren.“
Nun beginn ich zu hyperventilieren. Da ich allerdings nun überraschenderweise nichts mehr zu tun habe, beschließe ich nach Hause zu fahren, um zu regenerieren.
Nächtlicher Kult im Brannwald
„Komm Dieter, mach dir mal keine Sorgen, ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du deine neue Aufgabe voll im Griff hast“, sagt Eberhard Palanowski, der mir gegenüber auf der Bank einer Festzeltgarnitur sitzt.
„Wirklich?“, frag ich zurück. „Ich habe null Plan, wie das gehen soll. Ich bin jetzt Chef von Abteilungen, von denen ich vor ein paar Tagen nicht einmal wusste, dass es sie gibt.“
Nun muss der Richter lachen. „Eben Dieter, du hast doch nie einen Plan. Du erledigst doch die Dinge, indem du sie tust und nicht, indem du sie planst. So wirst du es auch in Neustadt machen und dafür werden dich deine Mitarbeiter lieben.“
Die werden mich lieben? Als Chef bin ich doch da, um autoritär zu sein und nicht, um geliebt zu werden. Aber Eberhard wird schon wissen, was er sagt. Immerhin ist er als oberster Richter am Landauer Amtsgericht ja auch Chef. Mein Vertrauen in ihn ist unerschütterlich, nachdem, was wir im Sommer so alles zusammen durchgemacht haben. Sogar einen Alkoholentzug bei ihm haben wir gemeinsam durchgezogen und seitdem wohnt er bei meinem Nachbarn Reiner Buttermilch und seiner Freundin Kordula in der Ferienwohnung als Dauermieter.
Auch Reiner und Kordi sitzen mit an der Festzeltgarnitur, die wir auf der gepflasterten Fläche gleich neben unserem neuen Pool aufgestellt haben. Quendoline und Mike, meine beiden Kinder, und Quennis Freund Marc stehen zusammen am Grill und wenden was das Zeug hält, während Natalie damit beschäftigt ist, massenhaft Salate und frisches französisches Baguette herbeizuschleppen.
Nachdem ich heute ja schon zeitig nach Hause gekommen bin, habe ich mich der Gartenarbeit gewidmet und dann beschlossen, den Tag mit einem gemütlichen Grillabend mit den Nachbarsleuten ausklingen zu lassen.
So sitzen wir nun bei dem für den Winter halb abgepumpten und abgedeckten Pool.
Reiner Buttermilch schenkt gerade eine Runde von seiner frischen Buttermilch ein. Da ich weiß, dass er die Brühe von der nahe gelegenen Butterfabrik mit einem alten Güllefass nach Hause karrt, um es dort auf seine ganz eigene biologische Art weiterzuverarbeiten, mag ich das Zeug nicht trinken. So werde ich das Getränk nachher wieder langsam und Schluck für Schluck unauffällig an die Rosen schütten, um dann heimlich in der Küche meinen Durst zu stillen.
Also, alles in allem ein Samstagabend wie aus dem Bilderbuch.
Gerne würde ich das Gespräch mit Eberhard noch vertiefen, aber nun rufen uns die Kinder zum Grill, um unsere Teller zu füllen. Mike und Marc verteilen Steaks und Würstchen, während Quenni für die vegetarische Abteilung zuständig ist. Irgendwann hat sie sich meiner vegetarischen Ernährungsweise angeschlossen und bereitet mit viel Liebe fleischlose Gerichte zu. So gibt es heute leckere Gemüsespieße, gegrillten Schafskäse und gefüllte Auberginen, alles mit den feinen Röstaromen der knisternden Holzkohle.
Auffallend ist, dass Kordula ihren Teller in null Komma nichts leergeputzt hat und nun wieder an Reiners Ohr knabbert. Dann und wann unterbricht sie das Geknabbere, um ihm irgendwelche Liebesschwüre ins Ohr zu hauchen, was bei Reiner nicht gerade auf Begeisterung stößt.
„Nein Kordi“, platzt ihm nun der Kragen, „ich werde nicht sofort meinen ehelichen Pflichten nachkommen, insofern wir ja gar nicht verheiratet sind. Ich bleibe hier mit meinen Freunden sitzen und genieße den schönen Abend.“
Nun schaut sie betröppelt aus der Wäsche, wie ein Kleinkind, das sich eine Rüge eingefangen hat.
Da soll mal einer sagen, dass eine Affäre tödlich für jede Beziehung sei. Bei Kordi und Reiner war die Story im letzten Sommer eher beflügelnd, aber das ist auch wieder eine ganz andere Geschichte.
Zwei Stunden später haben sich mit der Herbstsonne auch die meisten Menschen aus meinem Garten verzogen. Nur Eberhard, der den Abend unter Freunden sichtlich genießt, und Reiner, dem frieren lieber ist als zu Hause seinen außerehelichen Pflichten nachzukommen, sind bei mir verblieben.
So philosophieren wir der Dunkelheit entgegen. Am meisten faszinieren uns die Lichtspiele im Wald am Berg auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfes. In den bunten Blättern des herbstlichen Waldes spiegelt sich ein flackerndes Licht. Moment! Ein Feuerschein im Waldrohrbacher Wald?
„Ein Waldbrand“, sage ich voller Aufregung, „ich rufe die Feuerwehr.“
„Ruhig Blut“, meint Reiner in seiner gewohnten Lässigkeit, „da sind sicher nur ein paar junge Leute am Feiern. Denen wollen wir doch nicht die Feuerwehr auf den Hals schicken, ganz abgesehen von den Kosten.“
„Aber wenn es doch brennt?“, erwidere ich ängstlich.
„Am besten“, schaltet sich nun Eberhard ein, „wir schauen nach.“
„Du wirst doch nicht im Ernst annehmen, dass ich nun durch den dunklen Wald stolpere“, bin ich empört, „so stark ist meine Neugier dann doch nicht.“
„Du meinst, so stark ist dein innerer Schweinehund und die Trägheit deines übergewichtigen Körpers“, trifft mich der Richter an meinem wunden Punkt. „Nach dem üppigen Mahl würde uns allen etwas Bewegung gut tun.“
Der hat gut reden, seit seinem Alkoholentzug ist er das blühende Leben. Wird schlanker und schlanker, während mein Äußeres immer mehr an Obelix den Gallier erinnert.
Mürrisch erhebe ich mich von der Bank und trotte den beiden hinterher.
Ich kann mich genau erinnern, dass der Weg zum Brannwald hinauf in meinen Kindertagen nicht so steil war. Nichtsdestotrotz schwöre ich mir, ab morgen Sport zu treiben. Okay, das schwöre ich mir zum gefühlten fünfhundertsechsundvierzigsten Mal, aber vielleicht wird es ja morgen wahr. Einige endlose und schweißtreibende Minuten später verlassen wir den Weg, um uns durchs Unterholz in die Richtung des Feuerscheins zu schlagen.
Am Rande einer kleinen Lichtung werden wir auch fündig.
Dort befindet sich inmitten einer kleinen Sandsteinfläche eine befestigte Feuerstelle, mitten im Wald. Nicht zu fassen, der Erbauer muss das Baumaterial komplett hierher geschleppt haben.
Der herbstliche Lärchenwald, der seine gesamten gelb gewordene Nadeln noch trägt, rundet dieses Bild noch zusätzlich ab. Immerhin ist die Lärche der einzige Nadelbaum, der im Winter seine Nadeln verliert, was wohl dem hohen Harzgehalt geschuldet ist. Im Feuerschein des in der Feuerstelle lodernden Feuers hat man den Eindruck, dass der Wald aus purem Gold besteht.
Ein Anblick, der mir eine ordentliche Gänsehaut verpasst, da er an Schönheit kaum zu überbieten ist.
Um das Feuer stehen zwölf Gestalten mit weißen Mönchskutten, die wohl aus Leinen gefertigt sind. Die Kapuzen haben sie sich tief ins Gesicht gezogen, sodass es unmöglich ist, ihre Gesichter zu erkennen. Unten aus den Kutten schauen nackte Beine und nackte Füße heraus. Da alle vierundzwanzig Beine mehr oder weniger behaart sind, gehe ich davon aus, dass es sich ausschließlich um Männerbeine handelt.
Sie murmeln unverständlich eine Litanei vor sich hin, die an Mönchsgesang erinnert. Inmitten des Feuers steht ein großer gusseiserner Kessel, aus dem Dampf aufsteigt. Der Blick zu meinen beiden Freunden sagt mir, dass sie ebenso wie ich von diesem Schauspiel fasziniert sind.
Hier und da tritt einer der Gestalten nach vorne, um eine weitere Zutat in den Kessel zu werfen. Nach einer Weile steigen dann die Intensität und die Lautstärke des Gesangs deutlich an. Nun löst sich die kleinste Gestalt aus dem Kreis und tritt mit einer hölzernen Kelle zum Kessel. Er taucht die Kelle in den Kessel, rührt kräftig um und führt sie zum Mund, um den Inhalt durch Pusten abzukühlen.
Nachdem er mit der Unterlippe die Temperatur am Löffel geprüft und anscheinend für gut befunden hat, wirft er zum Trinken die Kapuze zurück. Erwartungsgemäß erinnert sein Äußeres an eine Märchengestalt namens Rumpelstilzchen. Moment? Rumpelstilzchen? Da war doch was? Genau, im Feuerschein steht Korbinian Jansen, unser Leichenfinder vom Trekkingplatz auf dem Johanniskreuz und das hier scheint der Druidenkult zu sein, von dem er sprach.
Als er seinen Löffel ausgetrunken hat, springt er in die Luft, klatscht die Fußflächen aneinander und ruft voller Freude ein »Heureka« aus.
Dass ich mir bei diesem comicähnlichen Schauspiel das Lachen nicht verbeißen kann, ist schon klar. Auch meine beiden Begleiter können sich nicht beherrschen und prusten laut drauf los.
„Schänder, Schänder!“, ruft eine der Gestalten. „Unser Ritual wurde entweiht.“
„Ungläubige!“, ruft ein Weiterer.
„Auf sie mit Gebrüll“, schließt sich ein Dritter an, bevor sie mit einem gemeinsamen, „Attacke!“, in unsere Richtung stürmen.
Reflexartig flüchten wir drei in den schützenden Wald.
Das ganze Szenario erinnert mich an meine Jugend. So mit dreizehn waren wir im Wald zelten. Zu der Zeit war es noch nicht üblich, in den Ferien nach Spanien oder sonst wohin zu fahren. Dann hat sich eben die Dorfjugend zusammengerottet und mit einem Bollerwagen Zelte und Schlafsäcke in den Wald geschafft, um ein Lager zu errichten.
Ernährt haben wir uns dann von Konserven und allem, was wir auf dem offenen Feuer grillen konnten.
Viel cooler jedoch war es, sich selbst etwas Nahrhaftes zu beschaffen. So sind wir also einmal in einer dunklen Nacht los, um aus privaten Fischweihern ein paar Forellen zu angeln.
Die benötigte Ausrüstung war in den damals modernen Überlebensmessern im Schraubgriff untergebracht.
Als wir so am Weiher lagen und uns auf die Schwimmer und auf den Zug an der Angelschnur konzentriert haben, kam ein Auto den Feldweg entlanggebraust.
Ein guter Grund, den Weiher fluchtartig in Richtung des stockdunklen Waldes zu verlassen.
Genau an diese Episode vergangener Tage erinnert mich die Flucht durch den sackdusteren Wald gerade jetzt. Nur bin ich ja keine dreizehn mehr und hab auch nicht im fremden Teich gefischt. Ganz im Gegenteil, wir haben doch nur als besorgte Bürger nach dem Rechten geschaut. Ist ja fast schon lächerlich, da fliehen der oberste Amtsrichter, ein unbescholtener Biowarenhersteller und der Neustadter Polizeidienststellenleiter vor ein paar bärtigen Männern, die Asterix spielen.
Meinen Freunden scheint gerade der gleiche Gedanke in den Kopf gekommen zu sein, denn sie bleiben im gleichen Augenblick wie ich stehen.
Nun fällt uns auf, dass wir gar nicht mehr verfolgt werden. Klar! Die zwölf Herren sind ja barfuß unterwegs und haben soeben ihre gepflasterte Komfortzone verlassen. Wir dagegen sind geradewegs in einen Kastanienwald gerannt. Wer Kastanienigel kennt, kann sich ja vorstellen, was diese an blanken Fußsohlen anrichten. Mit dem Gejammer der Druiden im Rücken und voller Freude über unser gutes Schuhwerk spazieren wir gemütlich nach Hause, was auch mir keine Mühe bereitet, da unser Weg ja nun bergab führt.
Optimierung innerer Abläufe
Nach so einem schönen und vor allem abwechslungsreichen Wochenende fällt es mir fast schon schwer, in meinen Arbeitsrhythmus zu finden. Gut, es ist eben Montagfrüh und da werde ich wohl nicht der Einzige sein, der Probleme hat, in die Gänge zu kommen.
Im Allgemeinen werden wohl in diesen Minuten Millionen Tassen Kaffee getrunken, um den Morgenmuff aus den Köpfen zu vertreiben und die Leiber mit Leben zu füllen, ich für meinen Fall probiere es mit der Zeitung. Was mich nun aber überrascht, ist, dass mein Name die Titelseite ziert.
NEUSTADT WEINSTRAßE:
DIENSTSTELLENLEITER SCHLEMPERT
REFORMIERT POLIZEILICHE PRESSEARBEIT.
So lautet die Schlagzeile der Rheinpfalz, dem Pfälzer Tageblatt. Nun fällt mir auch wieder ein, was ich heute Morgen zu tun habe. Um mich von dem Geschriebenen in meinen Plänen nicht beeinflussen zu lassen, wechsle ich ganz schnell zum nächsten Bericht.
„ALLES NUR BLÖDSINN“, SO OBERFÖRSTER
PHILIPP HUBERTUS
Keine Wölfe im Waldrohrbacher Brannwald
Nachdem mehrere Bürger von Wolfsgeheul aus dem Wald südwestlich vom Ortskern von Waldrohrbach berichtet haben, gibt der zuständige Oberförster Entwarnung. „Eine Zuwanderung von einem ganzen Rudel Wölfen ist faktisch unmöglich“, berichtet der Fachmann für Tieransiedelungen im Pfälzer Wald im Interview mit unserem Reporter. „Auch im Silzer Wild- und Wanderpark sind keine Tiere abgängig.“ Somit verbannt er das Geheul von Samstagnacht in den Bereich Mythen und Sagen. „Oder“, bringt Hubertus eine weitere Theorie ins Spiel, „es handelt es sich dabei um einen dummen Jungenstreich.“
Okay, zur Aufklärung dieser Geschichte könnte ich wohl so einiges beitragen, nur ob ich das möchte, steht auf einem anderen Blatt.
Ich mache mich nun mal lieber auf den Weg zum Büro für »Optimierung der inneren Abläufe«.
Da die Tür nicht geschlossen ist, trete ich einfach ein. Die beiden Herren, also Kim Yang und Gerhard Treiber, sitzen nebeneinander am Tisch und schauen gemeinsam auf zwei Bildschirme, die direkt nebeneinander stehen.
„Wir sollten Schmitt, Schneider und Schulz in den Frühdienst nehmen“, sagt Treiber mit einem sichtbar geröteten Kopf.
„Sagen Sie mir nur einen vernünftigen Grund, warum wir dies tun sollten“, erwidert Yang.
„Einen Grund wollen Sie hören?“, sagt Treiber, dessen Mundwinkel nun wie bei einem Smilie nach unten hängen, was die Enden seines Schnauzbartes ebenfalls in die Tiefe zieht. „Weil die drei Herren schulpflichtige Kinder haben. So sollten wir ihnen Gelegenheit geben, gemeinsame Zeit, auch mit der Mutter, als komplette Familie zu verbringen.“
„Dass ich nicht lache“, kontert der Asiate, „laut den neusten asiatischen Studien sollte Kindern rund um die Uhr ein Elternteil zur Verfügung stehen, welches sie motivierend antreibt.“
„Antreiben? Habt ihr Chinamänner den Knall nicht gehört? Kinder brauchen Zuneigung und Verständnis! Liebe und Vertrauen macht unsere Kinder stark und kein motivierendes Antreiben.“
„Ach ja, ihr Deutschmänner wisst alles besser und könnt alles besser“, meint nun wieder Kim Yang, der nicht den Eindruck erweckt, als würde er die Fassung verlieren. „Wie kommt es dann, dass mein Sohn auf seiner Violine bei einem einhundertachtziger Metronomschlag fehlerfrei von Sechzehntel in Triolen wechselt, während Ihr Sohn nicht einmal weiß, was Triolen sind?“
„Weil mein achtjähriger Sohn sagen würde: ‚Papa leck mich da, wo die Sonne nicht hin scheint‘, jawohl das würde er sagen, mein Sohn“, schreit Treiber nun und dabei läuft ihm ein Tropfen Schweiß an der Schläfe entlang und bleibt an der Spitze seines Schnurrbartes hängen.
„Eben, weil europäische Kinder keinen Respekt vor ihren Erzeugern haben. Mein Sohn würde sich nie trauen, mich mit du anzureden.“
„Mein Sohn hat den gebotenen Respekt vor Erwachsenen! Aber er hat auch den Mut und die Kraft zu widersprechen, das hat er. Jawohl Mut und Kraft!“ Inzwischen laufen ihm auf beiden Seiten Schweißbächlein die Schläfen hinab und färben den Kragen seines Seidenhemdes ein.
„Meine Herren, ich muss doch sehr bitten“, schreite ich nun ein, bevor noch Tränen fließen, „es sollte doch möglich sein einen Dienstplan zu erstellen, ohne sämtliche Erziehungsmethoden in Frage zu stellen.“
„Ah, Chef“, beruhigt sich Treiber, „wir sind nur bemüht, sämtliche Faktoren zu berücksichtigen.“
„Ganz recht“, ergänzt der Asiate, „und auch die neuesten Forschungsergebnisse einfließen zu lassen.“
„Wenn Ihr die Wünsche der Kollegen mit einfließen lasst, werdet Ihr auch sicher an Beliebtheit gewinnen.“
Die nun einkehrende Ruhe lässt Gerhard Treiber die Gelegenheit, sich mit einem Taschentuch das Gesicht zu trocknen.
„Meine Herren“, werde ich nun förmlich, „ich darf Ihnen mitteilen, dass wir ab sofort Ihr Büro umfunktionieren.“
Nun läuft bei Gerhard Treiber der Schweiß wieder wie Weißbier auf dem Oktoberfest.
„Sie können doch nicht meine Stelle wegstreichen“, fängt er nun auch noch das Jammern an. „Ich habe doch Familie, einen pflegebedürftigen Vater und eine Tochter, die ein uneheliches Kind erwartet.“
„Tja, lieber Kollege, das sollte Ihnen alles nicht helfen, denn mein Job ist in Stein gemeißelt, denn wenn Sie die Statistiken kennen würden, dann wüssten Sie auch, dass ich hier absolut notwendig bin, um die Immigrantenquote aufrecht zu erhalten“, sticht Yang nun in die klaffende Wunde.
Zeit für mich einzuhaken: „Zum Ersten wird hier nur das Büro unstrukturiert und nicht das Personal. Das heißt, dass Sie beide ab nun die Presseabteilung leiten. Und zum Zweiten ist es für mich auch kein Problem, weitere Immigranten einzustellen, nur um klarzustellen, dass hier kein Arbeitsplatz in Stein gemeißelt ist.“
Da nun Treibers Stirn getrocknet ist, reicht er sein Taschentuch weiter zu dem Asiaten, dem inzwischen der Schweiß ausbricht.
Mit dem Satz: „Bereiten Sie bitte alles vor, damit wir den Raum morgen seiner neuen Bestimmung übergeben können“, verlasse ich nun das Büro mit dem Vorsatz, später noch einmal nach dem Rechten zu schauen.
Die Abteilung für »Optimierung innerer Abläufe« übergebe ich an Timo und die Dienstpläne werden künftig im Personalbüro erstellt, basta.
Dienststellenvoting?
Unglaublich, mit welch einem Verwaltungskram ich mich hier herumschlagen muss. Dabei müssten wir einen Fall aufklären. Es sollte doch Priorität haben zu erfahren, warum Peter Brechtel nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Mein Weg führt mich nun direkt zu Yasi Kalt und Helmut Glaser ins Büro. Die beiden sitzen zusammen vor einem Monitor im Großraumbüro und sind offensichtlich damit beschäftigt einen Bericht auszuarbeiten.
„Na, Ihr beiden“, sage ich ganz locker, während ich mir einen Stuhl zu ihnen hinziehe, „gibt es Neuigkeiten in unserem Fall?“
„Hallo Scheffe“, klar, dass dieser Ausdruck von Yasi kommt, „wir haben soeben einen dreiseitigen Bericht in Ihr Büro gemailt.“
„Wenn ich nun schon mal hier bin, können wir das ja auch auf altmodische Art erledigen“, fordere ich die beiden auf mich zu informieren.
„Wir waren heute Morgen bei der Arbeitsstelle von Brechtel. Dort scheint er bei Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen beliebt gewesen zu sein. Auch seiner Bürokollegin, mit der er anscheinend sehr vertraut war, hat er nie etwas von Feinden erzählt. Er war wohl Umweltaktivist und hatte nur mal erwähnt, dass er wegen wilden Campierens ermahnt wurde.“
Das hat nun Kollege Glaser schön zusammengefasst.
„Okay, dann wollen wir einmal“, versuch ich meine Mittarbeiter zu motivieren: „Versucht doch herauszufinden, in welcher Art er als Umweltaktivist tätig und wie vertraut er mit seiner Kollegin war, denn Eifersucht könnte ja ein Motiv gewesen sein. Befragt doch dazu bitte auch die Witwe, mit dem nötigen Taktgefühl. Ich fahre derzeit mit Timo zum zuständigen Förster, um zu klären, wie es zu der Ermahnung gekommen ist.“