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Damals hatte sie sich Jungenkleidung besorgt, ihr Haar kurz geschnitten und sich den Soldaten als Bursche angedient, in der Hoffnung, in irgendeinem Heerlager, während irgendeines Marsches ihrem Vater zu begegnen. So war sie zu Orren gekommen, dem stillen, etwas verschrobenen und doch gutmütigen Orren. Er ließ ihr viel Freiheit, schlug sie nur selten und gab ihr sogar einen kleinen Lohn. Doch dann wurde sie verwundet, und als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte, saß Orren an ihrem Lager, mit diesem seltsamen Ausdruck in den Augen. Ihr Geheimnis war gelüftet. Doch er pflegte sie gesund und verriet keinem die Wahrheit.
Bis hierher hatte der Prinz ihrem Bericht schweigend gelauscht. Jetzt sagte er: »Ich vermute, Orren hat einen Preis für sein Schweigen verlangt.«
Sie verstand, worauf er hinauswollte, aber so war es nicht gewesen. »Es hat sich einfach irgendwann ergeben. Immerhin hatte er den Anstand zu warten, bis ich meine Blutungen bekam.« Sie sah das Mitleid in seinen Augen und wollte es nicht. »Orren war kein schlechter Mann. Ich hätte es schlimmer treffen können.« Warum mussten sie überhaupt über Orren reden? Sie sah den Prinzen herausfordernd an. »So viel zu mir. Wie steht es nun mit Eurer Offenheit?«
Er lehnte sich zurück. »Was willst du wissen?«
Was wollte sie wissen? Wie er gesagt hatte: Sie wusste schon so vieles über ihn. Dennoch lag ihr eine Frage auf der Zunge, und sie schämte sich fast für deren Banalität.
»Wie viele Frauen gab es in Eurem Leben?«
Obgleich er ernst blieb, fragte sie sich, ob er innerlich über sie lachte. »Es waren drei, obwohl die Erste eigentlich kaum zählt. Sie war eine Dienstmagd, fast noch ein Kind, so wie ich auch. Wir entdeckten uns gegenseitig. Über intensive Küsse sind wir allerdings nicht hinausgekommen – ihr Vater verschaffte ihr eine Position bei einer anderen Herrschaft.«
Kira lächelte. »Habt Ihr um sie getrauert?«
»Natürlich. Aber ihr Vater schützte sie nur, das war mir bewusst. Die zweite war eine Konkubine des Königs.«
Das erstaunte Kira. »Ihr habt Euren Vater betrogen?« Das hätte sie ihm niemals zugetraut.
»Keineswegs. Er hatte das Interesse an ihr verloren, und ehe er sie fortschickte, sollte sie einen Mann aus mir machen.«
»Also hat sie Euch verführt?«
»Mitnichten. Er war auch mir gegenüber sehr explizit. Sie hätte das Schloss mit Peitschenstriemen auf dem Rücken verlassen, wenn die Nacht nicht zufriedenstellend verlaufen wäre.«
Kira schüttelte ungläubig den Kopf. »Nicht, dass Leistungsdruck es einfacher machen würde.«
Er lächelte. »Sie wusste, was sie tat.«
Offenbar hatte diese Frau sein Herz nicht erobert, was seltsam beruhigend war. Umso mehr fürchtet Kira die Antwort auf ihre nächste Frage. »Fehlt die dritte.«
Er hielt ihren Blick mit dem seinen fest. »Das warst du.«
»Das glaube ich nicht.« Der Satz war ihr entschlüpft, ehe sie ihn hätte zurückhalten können.
»Warum nicht?«
Das war eine gute Frage. Weil er ein Mann war? Ein Adeliger? Weil die vergange Nacht so … wundervoll gewesen war?
Sie kannte die Gespräche, wenn Frauen sich über Männer austauschten. »Er geht ran wie ein Ulphanbulle«, hieß es da oder »Er ist hart und ausdauernd wie der Fels von Brehma.« Manchmal auch »Er weiß genau, was er tut.«
Nichts davon beschrieb das Besondere der vergangenen Nacht. Im Gegenteil. Es war nicht seine Ausdauer, nicht irgendeine Technik, die er hätte erlernt oder perfektioniert haben können. Er hatte sich einfach auf sie eingelassen, hatte sich vorangetastet, hatte reagiert auf sie, auf ihre Wünsche, ihr Begehren, ihre Lust. Umgekehrt hatte er sich auch ihr gezeigt, geöffnet. Wenn sie es genau bedachte, war er einfach er selbst gewesen – Siluren. So wie er eben war: einfühlsam, ernsthaft, liebevoll.
»Warum ich?«, fragte sie. Ihre Stimme war mit einem Mal belegt.
»Weil du ehrlich bist. Du wolltest mich. Nicht den Prinzen. Nicht die Stellung, den Einfluss, oder was sonst es ist, das die Frauen sich davon versprechen, auf diese Weise Macht über einen Mann zu erlangen.« Mit einem Mal ging sein Blick ins Leere, und sie ahnte, woran er dachte. Genau dafür war er bestimmt: für eine Frau, die durch den Zauber der Göttin Macht über ihn haben würde. Nicht mehr lange, und er würde die Akh’Eldsh entschleiern, die Gesalbte der Erdmutter, und das magische Mal auf ihrer Stirn würde unfehlbar seine Liebe zu ihr erwecken.
Er erhob sich und trat an das kleine Fenster. Einen Moment lang sah sie zu ihm hinüber, wie er schweigend hinausblickte, dann stellte sie sich zu ihm.
Er musste sich damit beschäftigt haben, musste nachgeforscht haben über das Schicksal, das ihm bevorstand. »Diese Liebe«, fragte sie. »Wird sie Euch verändern?«
»Soweit ich es verstanden habe: nein. Der No’Ridahl wird genau die Art von Liebe wecken, die die Erdmutter in mich hineingelegt hat. Ein brutaler, besitzergreifender Mensch wird die Akh’Eldash auf andere Weise lieben als ein sanfter und fürsorglicher.«
»Aber es ist doch ein Zauber.«
»Das ist jede Liebe auf dieser Welt.«
So lehrten es die heiligen Schwestern. Alle Liebe ging von der Erdmutter aus und floss zu ihr zurück. Leib von ihrem Leib und Geist von ihrem Geist, diese oft genutzte Formel war nur der Beginn einer langen Aufzählung.
Trotzdem, es war eine Sache, unvermutet von der Liebe überwältigt zu werden oder es von vorneherein zu wissen. Kira wünschte sich, ihr möge irgendetwas Kluges einfallen, um ihn zu trösten. Aber es gab keinen Trost. Die Welt war, wie sie war. Es war besser, sich damit abzufinden.
Sie zuckte die Achseln. »Niemand auf der Welt kann das Leben führen, das er sich wünscht.«
Er nickte. »Das hat die Göttin ziemlich schlecht eingerichtet, nicht?«
»Wenn ihr erst König seid, könntet Ihr ja ein Gesetz dagegen erlassen.«
Er warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. Vermutlich hatte sie wieder einmal etwas sehr Dummes gesagt. Sie sollte besser lernen, den Mund zu halten.
Unvermittelt fragte er: »Warum bist du gestern Nacht gegangen?«
Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen. Unmöglich. »Ihr wisst, wie es heißt: Man bezahlt eine Hure nicht für die Lust, sondern dafür, dass sie danach wieder geht.«
»Ich habe dich nicht bezahlt.«
»Das will ich Euch auch nicht geraten haben.«
Sein Blick hielt sie weiter fest. Hoffentlich drang er nicht weiter in sie. Keinesfalls wollte sie sich hier lächerlich machen, indem sie ihm heulend ihre Liebe gestand. Sie wandte sich ab und hoffte, er begriffe die Grenze.
Offenbar tat er das, denn er wechselte das Thema. »Das ist eine beeindruckende Narbe.«
Erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit er von einem Schmerz zum nächsten fand. Aber mit diesem lebte sie bereits seit vielen Monaten. Damit hatte sie umzugehen gelernt. »Ihretwegen müsst Ihr keine Angst haben, dass ich Euch einen Bastard schenke.« Sie lächelte keck, aber er blieb ernst.
»Das tut mir leid«, sagte er leise.
»Muss es nicht. In meinem Leben würden Kinder nur stören. Außerdem hat es einige Vorteile.« Sie grinste. »Besonders beim Freien.«
Als er weiter ernst blieb, schwand auch ihr Lächeln. Da war er wieder, dieser Blick, der mit Leichtigkeit ihre Schilde durchdrang. Er zwang sie förmlich dazu, sich zu erinnern. Daran, wie schmerzhaft es gewesen war. Nicht nur körperlich.
Sie hatte mit dem Tode gerungen und sich eine Zeit lang sogar gewünscht zu sterben, nur um den Qualen zu entkommen. Doch diese Schmerzen waren vergangen. Geblieben war die Erkenntnis, nicht mehr ganz Frau zu sein. Eine Zeit lang hatte sie gehofft, die monatlichen Blutungen würden zurückehren, doch dann hatte sie sich damit abgefunden, zerstört zu sein, ein verdorrter Ast am Baum des Lebens.
Mit einem Mal war ihre Kehle wie zugeschnürt. Warum tat er das? Warum ließ er es nicht dabei bewenden? Die starke, die kecke Kira, war es nicht das, was er wollte? Reichte ihm das nicht?
Nein. Wie in der vergangenen Nacht wollte er sie ganz: nackt und bloß, und wie in der vergangenen Nacht hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, sich eine solche Schwäche erlauben zu dürfen. Zum ersten Mal hatte sie das Vertrauen, aufgefangen zu werden.
»Komm her.« Er hob den Arm. Sie zögerte, obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als festgehalten zu werden. Warum nur zögerte sie?
Weil es fremd war, ungewohnt. Schwach zu sein – sein zu dürfen. Noch nie hatte ein Mann ihr dieses Angebot gemacht, ohne dass sie einen Hintergedanken hätte fürchten müssen. Aber diesem Mann, diesem Prinzen vertraute sie. Wo Orren sich unsicher abgewendet und andere gespottet hätten, stand er liebevoll und unverrückbar. So ließ sie sich von ihm umfangen, ließ sich fallen in sein Verstehen und seine Stärke. In seinen Armen fand sie Sicherheit, und zum ersten Mal, seit es geschehen war, erlaubte sie es sich, ihren Verlust zu beweinen.
***
Zwanzigtausend Mann – das war eine gewaltige Streitmacht. Die roten Uniformen leuchteten prächtig in der Morgensonne, ein beeindruckender Anblick.
Sie alle unterstanden ihm. Alle diese Männer hörten auf sein Wort, warteten auf seine Befehle. Wie nur sollte er das bewerkstelligen? Zwanzigtausend einzelne Menschen, alte und junge, erfahrene und Grünschnäbel, einige mit Schwertern bewaffnet, andere nur mit Spießen, manche noch mit Wunden von der letzten Schlacht. Die einen mochten für Galathräa kämpfen, andere für den eigenen Ruhm, wieder andere für den Sold. Die meisten waren vermutlich nur deshalb hier, weil ihr Fürst das Recht hatte, sie zu den Waffen zu rufen. Mit einer Weigerung oder gar Flucht hätten sie ihren Familien geschadet. Überhaupt: Familie. Wie viele Brüder mochte es unter seinen Männern geben, die Seite an Seite kämpfen würden? Wie oft waren Vater und Sohn gemeinsam dem Ruf gefolgt? Wie viele hatten eine Frau zurückgelassen, wie viele eine Braut? Für all diese Leben, für all diese Schicksale trug nun er die Verantwortung – und dazu für ganz Galathräa. Wie sollte er das nur bewältigen?
»Meine Armee.« Er bemühte sich zu erfassen, was das bedeutete. »Meine Männer.«
Neben ihm zog sich Kira in den Sattel ihrer Ulphankuh. Auf dem gewaltigen Tier, dem man die wilden Wisente unter seinen Vorfahren ansah, wirkte sie geradezu mädchenhaft zierlich. Noch immer trug sie Hosen, doch ihre Kleidung hatte sich verändert, verbarg nun nicht mehr ihre Weiblichkeit. Vermutlich hatten Finny und Nehja dabei die Hände im Spiel. Sie warf den geflochtenen Zopf nach hinten und tätschelte den Hals ihres Tieres.
Als Frau und Bürgerliche musste Kira mit einer Kuh vorliebnehmen, und durfte keinen gehörnten männlichen Ulphan reiten. Sie hatten das Tier mit großer Sorgfalt auswählen müssen, denn jetzt, im Frühjahr, kamen die Kühe in Hitze, und dann waren sie ein paar Tage lang schreckhaft und unwillig. Der Besitzer hatte ihnen aber versichert, dieses Tier habe bereits zwei Hitzen durchlaufen, und eine dritte war unwahrscheinlich.
»Da kommt Leron!« Kira hob den Arm und zeigte zur Stadt. Tatsächlich kam der Korporal auf seiner Ulphankuh durch das Tor getrottet. Nur er war noch von Silurens Leibgarde übrig. Tiro war in der Schlacht unter Elims Kommando gefallen. Wie lapidar das klang: gefallen. Seine Schwester in Varkaspol würde es vermutlich nicht so gefasst aufnehmen. Chem lebte noch, aber er würde in Bethelgard zurückbleiben – die Brandwunde an seinem Bein hatte sich böse entzündet.
Leron erreichte sie und salutierte. »Ich habe dem Magus das Dokument wie befohlen überreicht, und er gab mir dies.« Er zog einen zusammengefalteten, gesiegelten Brief aus der Weste. »Der Magus sagte, sein Inhalt sei wichtig.«
»Dann werde ich ihn bei Gelegenheit lesen.« Auch wenn es ihm zuwider war. Aber vorerst schob Siluren das Papier unter seine Weste.
Leron ließ seinen Blick über die Fußsoldaten schweifen, die geduldig auf ihren Marschbefehl warteten. »Ein großes Heer.«
»Eine große Verantwortung.«
Kira lächelte. »Keine Angst, Hoheit. Erinnert Ihr Euch an den ersten Ulphan, den ihr bestiegen habt? Wie groß und furchteinflößend er gewesen ist? An die geballte Kraft dieses riesigen Leibes? Doch heute haltet ihr die Zügel mit nur einer Hand.«
Er seufzte. »Mein erster Ulphan war aus Holz.« Ein Spielzeug, auf ein Brett mit Rollen genagelt – und eigentlich nicht einmal seines. Zumeist hatte Coridan mit gerecktem Holzschwert darauf gesessen und »Schneller! Schneller!« gerufen, während Diener ihn im Laufschritt durch den Ahnensaal gezogen hatten. Siluren hatte selbst diesen hölzernen Rücken gefürchtet – wie hoch er war, wie unsicher er auf den Rollen stand – und als er es endlich gewagt hatte, das hölzerne Tier zu besteigen, war er bereits zu groß gewesen, und seine Füße hatten den Boden berührt.
Woring kam angeritten – auch er natürlich auf einem ungehörnten Tier. Er befehligte das Kontingent, das Bethelgard für den König gestellt hatte. Die übrigen Offiziere hatten das nicht gerade erfreut aufgenommen, war Woring doch ein Gemeiner, ein einfacher Rimbeth-Fischer. Selbst Elim hatte Bedenken geäußert. »Für die Soldaten ist er einer von ihnen, sie werden ihn nicht respektieren. Er steht ihnen viel zu nahe und wird zögern, wenn es gilt, sie in die Hitze eines Kampfes zu senden, in einen Angriff, vielleicht sogar in den sicheren Tod.«
Aber Siluren hatte gesehen, wie wertvoll Woring war – gerade, weil er seinen Männern nahestand, viele von ihnen persönlich kannte. »Wir wollen siegen, nicht sterben, und er kann seinen Teil dazu beitragen. Das hat er bewiesen.«
Als Woring nun seine Ulphan-Kuh neben den anderen Offizieren zügelte, nickte Siluren ihm zu. »Alle bereit?«
»Bereit und begierig, die Oneräer bezahlen zu lassen.« Woring sah zur Bresche hinüber, an der die Arbeiten bereits begonnen hatten. Gemäß Silurens Anregung setzte man dazu auch diejenigen Kriegsgefangenen ein, die sich standhaft geweigert hatten, der gegnerischen Armee beizutreten. »Es sind meine Gefangenen«, hatte er dem Stadtrat eröffnet, »und ich überlasse sie Bethelgard zu diesem Zweck. Die Krone wird entscheiden, ob und wann sie ihre Freiheit zurückerhalten. Bis dahin behandelt sie anständig. Ein Mann, dem man nicht gestattet, den Kopf zu heben, erhebt irgendwann die Fäuste.«
Nun war er hier, ihm gegenüber seine Offiziere – sechs mit Woring. Neben ihm waren Leron und Kira, vor ihm das fliehende oneräische Heer und eine Sumpflandschaft, die zu überqueren noch niemals eine Armee auf sich genommen hatte. Geschah all dies tatsächlich? Oder hatte Magus Inselm ihn am Ende in einem Traum zurückgelassen? Aber gleichgültig, ob er wachte oder schlief, man wartete auf seinen Entschluss.
»Wohlan, ihr kennt das Ziel, ihr habt eure Befehle. Also setzt diese Armee in Marsch.«
Die Offiziere salutierten, dann wendeten sie ihre Ulphane, und jeder begab sich zu seiner Einheit.
»Keine Rede?«, fragte Leron.
»Ich habe keine Stimme, die zu zwanzigtausend Mann durchdringen könnte.«
»Vor der nächsten Schlacht sollte Euch etwas Besseres einfallen.«
»Unsinn«, widersprach Kira. »Ich habe diese Ansprachen immer für Zeitverschwendung gehalten. Im Kampfgetümmel wird jedes hehre Ziel in den Schlamm getreten, und es zählt nur noch eines: überleben.«
»Ich denke«, sagte Siluren, »wir sollten unseren Platz einnehmen.« Er hatte damit gerechnet, an der Spitze des Zuges zu reiten, doch die Offiziere hatten ihn eines Besseren belehrt. Er würde in der Mitte reiten, am sichersten Platz.
Auf dem Weg dorthin passierten sie Reihen von Soldaten, die auf ihren Abmarsch warteten. Eine Armee dieser Größe setzte sich nicht wie ein Mann in Bewegung. Als sie vorbeiritten, standen die Männer auf, Hoch-Rufe wurden laut, und zum ersten Mal in seinem Leben klang es in Silurens Ohren nach mehr als nach dem pflichtgemäßen Jubel dem Prinzen gegenüber.
Vielleicht hatte Leron recht. Vor einer Schlacht würden diese Männer mehr brauchen als ein trockenes »Auf geht’s«. Andererseits: Was konnte er ihnen sagen, das sie nicht bereits wussten?
»Siluren der Findige.« Kira nickte zu einer Gruppe hin, die auf dem Weg zu ihrer Position ein Marschlied grölten. »Er ersäuft den Feind im Wasser und hält den Gegner mit offenen Toren auf.«
»Schon wieder ein neuer Beiname?«, fragte Siluren.
»Nur ein Lied, das die Leute singen. Die Melodie ist alt, aber der Text ist ganz eingängig. Ich singe es Euch heute Abend vor, wenn Ihr wollt.«
»Ich bin gespannt auf deine Sangeskünste.«
Nach und nach setzte sich der ganze Zug in Bewegung. Es war erstaunlich. Zwanzigtausend Mann, und sie alle folgten seinem Befehl zum Aufbruch. Folgten ihm, weil fähige, erfahrene Männer ihm unterstanden, weil die traditionelle Organisation des Heeres, erprobt in Jahrhunderten der Kriege, dafür sorgte, dass Befehle weitergegeben und befolgt wurden. Vielleicht hatte Kira recht. Vielleicht ließ sich auch dieses mächtige Wesen mit nur einer Hand lenken. Seine Aufgabe bestand nur darin, ihm das richtige Ziel zu setzen, es den richtigen Weg zu führen. Das war etwas, das er sich durchaus zutraute.
***
Vom Heuboden der Scheune aus konnte man ziemlich weit ins Land schauen, ohne selbst entdeckt zu werden. Geran beglückwünschte sich zu dem Aussichtsposten, während er beobachtete, wie ein Regiment Rotröcke nach dem anderen aufbrach und sich in Richtung Niedersee in Bewegung setzte.
Unter ihm brummten die Ulphan-Kühe, und das gelegentliche Stampfen ihrer Hufe verriet ihre Aufregung. Sie hatten sich noch immer nicht beruhigt. Vielleicht hätte er die Frau nicht einfach zwischen ihnen liegen lassen sollen. Sicher rochen die Tiere das Blut. Vielleicht sollte er noch ein bisschen Stroh über sie decken, bevor er ging, damit sie nicht so schnell gefunden wurde.
Das Ganze war ja nicht seine Schuld. Sie hätte eben aufhören sollen zu schreien, als er es ihr gesagt hatte. Frauen waren so dämlich. Allen voran Kira, dieses Miststück. Sie hätte es ihm doch sagen müssen! All diese geheimnisvollen Vorbereitungen waren nichts als eine Finte gewesen, um einen weiteren Tag zu schinden. Wozu wärmte sie denn das Bett des Prinzen, wenn sie nicht einmal das herausfinden konnte?
Vielleicht hatte sie es sogar gewusst. Bei den Ammen, so musste es gewesen sein! Sie hatte ihn ans Messer geliefert! Sie hatte alles mit dem Zauderer abgesprochen, hatte ihn mit Absicht mit falschen Informationen entkommen lassen, um Trenkar zu täuschen. Er war ihr dummes Werkzeug gewesen.
General Trenkar hatte vor Wut getobt, als die Rotröcke aus dem Wald gestürmt waren. Natürlich wusste Trenkar nicht, dass die Schlampe Kira hinter dem ganzen Schlamassel steckte. Als er gebrüllt hatte: »Hängt den Verräter!«, hatte Geran die Beine in die Hand genommen.
Aber er würde seine Rache bekommen. Der Prinz würde Kira fallenlassen, sobald die Akh’Eldash auftauchte. Dann würde sie zurückgekrochen kommen zu Krolan und um Vergebung bitten. Mann, auf den Tag freute er sich heute schon. Krolan war nicht bekannt dafür, zu vergeben.
In dem Chaos der Schlacht war es nicht schwer gewesen, zu entkommen. Er hatte ja nie wirklich vorgehabt, zu kämpfen. Einen Mann mit seinen Fähigkeiten in die Schwerter der Feinde laufen zu lassen, das wäre ohnehin Verschwendung. Er konnte Krolan noch nützlich sein. Nützlicher als dieser Trottel Trenkar allemal.
Jetzt kam es darauf an, schneller bei Krolan zu sein als der General, damit der keine falschen Gerüchte über ihn in die Welt setzen konnte.
Aber für einen findigen Mann wie ihn war das nicht schwierig. Hier im Stall würde er sich den ersten Ulphan ausleihen, und danach konnte er andere finden. Zwar musste er einen Umweg nehmen – ohne einen einheimischen Führer den Niedersee zu überqueren, das wäre Selbstmord. Aber ein einzelner Mann auf einem Ulphan kam wesentlich schneller voran als eine Armee von zwanzig- oder dreißigtausend Mann.
Trenkar hatte fast die Hälfte seiner Männer verloren. Aber er war diesem erbärmlichen Prinzen noch immer überlegen, und vielleicht würde die nächste Schlacht ja zu seinen Gunsten ausfallen. Wenn er klug war, würde er Siluren direkt hinter dem Sumpf abpassen, wo es für die Galathräer keine Möglichkeit gab, eine Schlachtformation zu bilden. Dann würde Kira ebenfalls ein nasses Grab im Moor finden.
Fast bedauerte Geran diese Aussichten. Krolan hätte sich sicherlich eine befriedigendere Strafe ausgedacht.
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