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»Wie war das, all die Monde mit dieser Schönheit zu vögeln, nur um die eigene Haut zu retten?«
Kraeh provozierte, um die Wahrheit ans Licht zu locken, gleich wie hässlich oder unbarmherzig sie sein mochte. Ihre Blicke trafen sich erneut. Ein Windhauch strich durch die weißen und schwarzen Haare der beiden Männer. Kurz nur mahlten Arduhls Wangenknochen, dann fasste er sich wieder. Er war zu beherrscht, etwas Unüberlegtes zu sagen. Außerdem wusste der Alte schon zu viel; hätte er im Zorn noch mehr preisgegeben, wäre dessen Tod beschlossene Sache gewesen und aus irgendeinem Grund, den er noch nicht recht verstand, mochte Arduhl den greisen Sonderling.
»Wir brechen auf«, wandte er sich endlich ab, um seine Stiefel und Socken vom Baum zu pflücken; der Alte hatte seine anbehalten. Und das war ein Segen, auch so, vom Feuer angewärmt, verströmten sie einen bestialischen Gestank. Der Alte lachte über den Gesichtsausdruck des Jüngeren und Arduhl grinste zurück. Der alte Stinker hatte sich etwas Heiteres, Unbedarftes, ja Jugendliches bewahrt und das gefiel Arduhl.
* * *
Drei Tage waren sie mittlerweile unterwegs. Nach dem letzten Gespräch hatten sie, trotz gegenseitiger Gewogenheit, ihre Wortwechsel auf das Nötigste beschränkt. An einem Morgen hatte Kraeh sich schlafend gestellt und seinen Weggefährten dabei belauscht, wie er weniger zu einem Gott als zu einer allumfassenden schöpferischen Macht, einer Essenz des Lebens gebetet hatte. Sie befanden sich in einem merkwürdigen Abhängigkeitsverhältnis. Zuweilen musste Arduhl den Älteren stützen, wenn diesen die Kräfte verließen, zugleich kannte Kraeh in den Gefilden seiner Heimat viele nützliche Kniffe, die einem das Leben erleichterten. Zusätzlich gab er unterschwellig vor, den Weg zurück in die Zivilisation zu kennen. Wenn er ehrlich war, hatte er keine Ahnung, wo genau sie sich befanden. Immerhin wusste er, anscheinend im Gegensatz zu Arduhl, dass die Festung Erkenheim vor mehr als dreißig Jahren geschliffen worden war. Der Südländer verband mit dem Namen wohl einen Glanz längst vergangener Zeiten und kannte ihn vermutlich lediglich aus Sagen und Legenden. Kraeh sprach diesen Punkt natürlich nicht an, da er auf den anderen angewiesen war und dieser glücklicherweise auch nicht nachfragte.
Ein kleiner Bachlauf, der ihm vage bekannt vorkam, zerstreute zumindest ein wenig den Zweifel, ob sie sich auf dem richtigen Weg befanden. Sie folgten ihm, bückten sich unter Astwerk hindurch, schlenderten vorbei an Pilzkolonien, stets begleitet vom Quaken der Frösche und Unken, die Arduhl suspekt waren, da man sie trotz ihrer nicht überhörbaren Masse so selten zu Gesicht bekam.
»Wo verstecken sich all diese Biester?«, fragte der Südländer mürrisch. Gleichwohl er mehr zu sich selbst gesprochen hatte, zeigte Kraeh ihm kurz darauf einen der Quäker. Vorsichtig am Rücken gepackt zeigte er den gelben Bauch des zappelnden Tiers.
»Man kann daran lecken«, meinte Kraeh, »bringt interessante Wachträume. Haben wir früher oft …« Er brach ab. Ein Geräusch hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er setzte die Kröte auf den Boden. Arduhl hatte die Hand schon am Schwertgriff. So leise wie möglich bewegten sie sich auf die Quelle des Klanges zu, der sich beim Näherkommen als Tonfolge entpuppte. Jemand sang. Eine Frau mittleren Alters, das wirre Haar zum Zopf hochgesteckt, pflückte, in ihre Weise versunken, in gebückter Haltung ein Kraut, das am Bachlauf wuchs. Als sie die beiden über und über mit Dreck beschmutzten Männer sah, fuhr sie erschrocken hoch.
»Es ist in Ordnung«, versuchte Arduhl, der ein wenig vorangegangen war, sie zu beruhigen. »Wir wollen dir nichts Übles.«
Kraeh, der etwas außer Puste hinzukam, lächelte der Frau, die nun versteift dastand, freundlich entgegen. »Wir wollen nach Erkenheim. Kannst du uns sagen, wo wir es finden?«
»Erkenheim, kein Stein, mehr auf dem andern steht«, trällerte sie in derselben leicht schiefen Melodie wie zuvor. Der Reim hatte sie offenbar mit dem Anblick der beiden Fremden versöhnt. Sie schien keine Angst mehr zu haben. Wenig feminin wischte sie ihre vom Pflücken nassen Hände an dem Latz ab, den sie über ihrer kurzen braunen Tunika und dem verblichenen Rock trug.
»Ja, ja sicher«, murmelte sie. »Besuch ist selten dieser Tage, müsst ihr verstehen.«
»Besuch?«, hakte Arduhl nach, doch sie hatte die Kräuter bereits verstaut und winkte den beiden, ihr zu folgen. »Kommt, kommt. Nach Erkenheim, mit Stock und Bein …« Sie sang und summte, den ganzen Marsch über Worte in unsinniger Reihenfolge aneinanderreimend.
Ohne dass sich an der Landschaft etwas merklich verändert hätte, zumindest nichts, was den beiden Männern aufgefallen wäre, breitete sie schließlich die Arme aus. »Willkommen in Erkenheim!«
Auch auf den zweiten Blick konnte Kraeh nichts erkennen, was seine Erinnerung wachgerufen hätte. Der Untergrund war hier vielleicht ein wenig trockener, aber überall wuchsen Farne und Sträucher sowie Bäume, von denen Lianen herabhingen. Er ging, ohne auf die beiden anderen zu achten, ein paar Schritte, und tatsächlich, als er mit seinem Stiefel Moos beiseitewischte, traf er auf etwas Hartes. Er kniete sich hin und machte mit den Händen weiter. Eine Platte. Und dort drüben, nicht weit von ihm entfernt, glänzte, von Grünzeug überwuchert, ein Stück weißen Steins aus einem Erdhaufen.
Sie waren also tatsächlich an ihrem Ziel angelangt. Unglaublich, wie schnell die Natur sich zurückgenommen hatte, was einst ihres war, ehe der Mensch seine Mühe darauf verwendet hatte, ihr Antlitz in seinem Sinne zu gestalten. Kraeh dachte unwillkürlich an den Pan, der ihm in diesen Wäldern Lidunggrimm und Pian Anam überreicht hatte.
»Folgt mir«, sagte die seltsame Frau in seinem Rücken, »die Herrin erwartet euch bestimmt schon.«
»Das ist also der Hochsitz der Drudenkönigin, die unbezwingbare Festung, zu der wir aufgebrochen sind?«, fragte Arduhl schneidend, während sie ihrer dem Anschein nach zielsicheren Führerin hinterhergingen. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich die Dinge verändert haben. Aber das hier …« Frust und Enttäuschung waren nicht zu überhören. »Das geschieht, wenn man dem Gerede des einfachen Volkes Glauben schenkt, das stets mehr im Gestern als im Heute lebt. Ich hätte es besser wissen sollen.«
Kraeh dachte sich seinen Teil, sagte aber nichts.
Die Frau bog um eine mistelübersäte Eiche, deren breiter Stamm gewiss älter als drei Dekaden war. Ihre Wurzeln hatten das steinerne Fundament gesprengt, dessen sie nun, da sie einem Trampelpfad hinab folgten, ansichtig wurden. Wo jetzt die Eiche stand, ging es Kraeh durch den Kopf, musste einst einer der hohen Türme, die durch hängende Bögen miteinander verbunden gewesen waren, gen Himmel geragt haben.
Die Frau klopfte, unnötigerweise, wie die beiden Männer fanden, an eine eingefallene, von Wurzeln und Efeu umrankte Tür und trat in einen abwärts führenden Gang. Der Geruch von Moder und Fledermauskot stieg ihnen in die Nase. Ihnen war es eher, als stiegen sie in eine vergessene Gruft denn in einen Thronsaal, um einer Königin ihre Aufwartung zu machen. Der Tunnel war nicht beleuchtet und so tapsten sie bald in völliger Finsternis voran, verfolgt von dem Echo ihrer eigenen Stöhnlaute, wenn sie sich an einem der aus dem Nichts auftauchenden Vorsprünge die Ellbogen stießen.
Die bis hierher verstummte Führerin bat sie, einen Moment zu warten. Sie klopfte erneut gegen Holz, dumpf hallte das Echo an ihnen vorbei und dann öffnete sich knarrend der Eingang zu einer kleinen Halle, die Kraeh sofort wiedererkannte. Nur hatte er sie das letzte Mal auf einer anderen Seite verlassen und der Eingang, den sie jetzt benutzt hatten, war entweder neu angelegt worden oder damals verborgen gewesen. Aber es war ohne Zweifel derselbe Raum, in dem er nach seiner Reise über den Styx erwacht war: derselbe jadesteinerne Boden, dieselbe grün-weiße Musterung an der kuppelförmigen Decke, welche in die gleichartig beschaffenen Wände überging. Vorsichtig betrat Kraeh den glitschigen Rand des Beckens, das den größten Teil des Raumes einnahm. Der einzige Unterschied zu seinem letzten Besuch hier bestand darin, dass das große Becken nicht mehr mit der golden schimmernden Flüssigkeit angefüllt war. Lediglich eine Pfütze Nass bedeckte den Grund, auf dem eine zusammengekauerte Gestalt hockte.
»Erkentrud«, stieß Kraeh aus, als er unter dem einstmals gülden fallenden Haar, das nun zu einem verfilzten Etwas verkommen war, die markanten Züge der Drudenkönigin erkannte. Sie war noch immer schön, wie sie zu den Besuchern nach oben blickte, aber etwas an der Art, wie diese sie ansah, stimmte nicht. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Mein Krieger ist zu mir zurückgekommen«, sagte sie kehlig.
Kraeh wollte sich schon freuen, dass sie ihn hinter all der faltigen Haut ebenfalls erkannte, doch auf einmal kamen ihm Zweifel, ob sie wirklich wusste, wer da vor ihr stand.
»Wieso gibt es kein Salz mehr auf die Eier, Lischa?« Traurigkeit mischte sich in Erkentruds Stimme. »Zu lange ließest du mich warten.«
Kraeh war sprachlos. Nun erst begriff er, die einst so stolze Königin war dem Wahnsinn anheimgefallen. Eine Woge des Mitleids überkam ihn. Noch bedauernswerter war, dass sich zumindest ein Teil von ihr ihres Irrsinns bewusst zu sein schien, wie er von ihren gläsernen Augen abzulesen glaubte, welche zu viele Jahre im Fackelschein gewohnt hatten, um einen einzelnen Punkt zu fixieren. Abrupt sprang sie auf. Sie schwankte kurz und raufte sich die Haare. »Wir brechen auf!«, rief sie aus. »Lou, lass meinen Streitwagen anspannen und meine Kriegerinnen antreten!« Mit einem Mal war sie aus dem Becken geklettert und rauschte, Arduhl beiseitefegend, an den verdutzt Dreinblickenden vorbei in den Tunnel.
»Ihr müsste verstehen, sie schläft schon lange im Schoß der Göttin«, erklärte die Dienerin das sonderbare Gebaren ihrer Herrin. Kraeh und Arduhl, denen sie ebenso verschroben vorkam wie Erkentrud selbst, nickten bloß und folgten den sich schnell entfernenden Schritten der Königin.
»Wo sind all die anderen Druden hin?«, fragte Kraeh über die Schulter hinweg, während sie durch den schmalen Gang nach oben liefen.
»Als die Barrieren brüchig wurden, hat Erkentrud sie entlassen, um ein Blutvergießen zu verhindern«, raunte Lischa, als gebiete die Schwärze um sie herum den Flüsterton. »Sie befahl ihnen, sich den Firsen anzuschließen, die das Gesetz der Göttin kennen.«
»Einzig ich bin geblieben«, fügte sie kaum noch vernehmbar hinzu.
Am Ende des Ganges holten sie Erkentrud ein. Die Finger in Stein und Erde gekrallt stand sie und schmiegte sich ins letzte Schutz gewährende Dunkel. Ihre Augen starrten weit aufgerissen in das fahle Sonnenlicht, das draußen herrschte, die Pupillen derart geweitet, dass sie nur einen kaum wahrnehmbaren Streifen der blauen Iris übrig ließen. Die beiden anderen waren schon an ihr vorüber, als Kraeh ihr seine Hand anbot: »Komm, ich helfe dir.«
Sie kicherte. »Aber wir sind zu früh.«
»Zu früh für was?«
Ihr Kopf wackelte, anscheinend belustigt über sein Unverständnis.
»Für die Männer, die ich habe kommen sehen, natürlich«, sagte sie immer noch spöttelnd.
»Königin«, setzte Kraeh an, einerseits, um nicht selbst völlig den Respekt vor ihr zu verlieren, andererseits, um sie daran zu erinnern, wer sie war, und sie somit vielleicht zur Besinnung zu bringen.
»Königin der Druden«, wiederholte er, »niemand wird kommen. Wir sind mitten …«
Das war unmöglich! Sich rasch nähernde Schritte drangen an ihre Ohren. Kettenhemden rasselten durchs Unterholz.
Es war zu spät, um sich zu verstecken. Man hatte sie bereits entdeckt. Ein Dutzend waffenstarrender Orks trampelte aus dem Wald. Sie nahmen einen offenen Halbkreis als Kampfformation an, in dessen Mitte der hässlichste und stärkste, auf dessen grünem Gesicht Narben und Kriegsbemalung prangten, sich ihnen bedrohlich näherte. »Gebt uns die Frauen und alles, was ihr sonst noch habt, dann lassen wir euch vielleicht am Leben«, grunzte er übellaunig.
»Die meinte ich nicht«, flüsterte Erkentrud, ihr Kichern erstarb. Und in einer Gebärde, in welcher sich die Stärke der einstigen Herrscherin offenbarte, schlug sie ihr schmutztriefendes Kleid beiseite und zog Pian Anam. Lidunggrimm sprang beinahe von selbst aus seiner Scheide, ebenso verblüfft und entzückt über die Präsenz der Schwesternklinge wie ihr Träger. Lischa flüchtete in den Tunneleingang zurück und Arduhl machte katzenhaft einen Sprung rückwärts. Schulter an Schulter standen nun er, Kraeh und die einstige Königin, während sich der Halbkreis um sie zuzog.
Einer, der sich wohl Lorbeeren verdienen wollte, hatte sein Schwert vorwitzig an Arduhls still in der Luft stehenden krummen Klinge schleifen lassen; im letzten Moment versuchte er, in Richtung des Handgelenks zu stechen – was ihn den Arm kostete, als Arduhl blitzschnell reagierte. Es gab immer einen Dummen in Lagen wie diesen, dessen Blut vergossen werden musste, um die anderen mutig zu stimmen. Die Ruhe vor dem Sturm war gebrochen. Pian Anam vollzog einen Bogen und drängte dabei drei der Angreifer zurück. Kraehs Arme waren zu schwach für Rundschläge, deshalb setzte er Lidunggrimm wie einen Speer als Stoßwaffe ein, wurde aber von einer Axt so hart pariert, dass es ihm gerade noch gelang, nicht mitten unter die Feinde gerissen zu werden. Er versetzte dem Axtschwinger einen Tritt in die Lenden, der von seinem knielangen Kettenhemd abgepolstert wurde. Wie er in die streitlustigen Fratzen der drei Orks, die ihm am nächsten standen, blickte, überlegte er, wer von ihnen der schwächste Gegner sein würde. Es war immer gut, erst einmal die Zahl des Feinds zu mindern und sich am Ende mit den wirklich harten Brocken auseinanderzusetzen. Hätte Erkentrud nicht in diesem Augenblick einem auf sie Eindringenden den gesamten Torso von unten bis zum Hals aufgeschlitzt, hätte er auch in Erwägung gezogen, einen tollkühnen Ausfall zu vollführen, um den beiden anderen die Gelegenheit einiger tödlicher Streiche zu bieten. Seine Überlebenschancen in diesem Kampf, so wurde ihm bitter bewusst, gingen ohnehin gegen null. Den nächsten Schlag parierte er direkt vor seinem Gesicht. Nach dem heftigen Aufprall nahm er die Linke vom Griff Lidunggrimms. Für einen Wimpernschlag war er dem stinkenden Atem des Orks ausgesetzt, währenddessen grapschte er an den Gürtel des Gegners, fand einen Dolch, zog ihn und rammte ihn dem Ork in den ungeschützten Oberschenkel. Grunzend drückte der Verletzte in blinder Wut die beiden Klingen runter auf Kraehs Schulter, dem es gerade noch gelang, Lidunggrimm auf die Breitseite zu drehen. Dennoch reichte die Wucht aus, ihn einknicken zu lassen. Er fand keine Zeit, auf die Beine des nun außer sich Geratenen einzustechen. Den eigenen Dolch im Oberschenkel, drosch der Ork, Schaum vorm Mund, immer wieder von oben auf Kraeh ein. Lange würde er nicht mehr aushalten können, dachte er verzweifelt, da zuckte die Spitze von Arduhls Krummschwert in die Brust des Feindes. Der Ork blickte an sich hinab, besah ungläubig die offenen Ringe seines Kettenhemdes und den roten Fleck, der sich langsam ausbreitete. Dann brach er in sich zusammen. Schon hatten zwei neue seinen Platz eingenommen. Kraeh fehlte die Kraft, sich aufzurappeln. Es war vorbei. Doch was war das? Hörte er bereits in die nächste Welt hinein, waren es die Rösser Donars, die da gegen seine Schläfen pochten?
Ein Morgenstern ließ den Kopf jenes Orks platzen, von dem er erwartet hatte, dass dieser ihm im nächsten Moment den Todesstoß versetzen würde. Ein Wurfspeer ragte plötzlich aus der Brust des nächsten.
Als er es schließlich doch noch schaffte, seinen Körper aufzurichten, waren alle Orks niedergemacht oder lagen sich windend in ihrem eigenen Blut.
Die Reiter stiegen nicht ab. Sie thronten auf ihren Streitrössern und gewährten den Sterbenden vom Sattel aus den Gnadenstoß. Erkentrud und Arduhl schienen unverletzt. Arduhl wog kurz ab, senkte dann aber seine Waffe. Nicht weil er sicher gewesen wäre, von Freunden errettet worden zu sein, sondern wegen der schieren Aussichtslosigkeit auf Erfolg gegen gut dreißig Männer auf Pferden.
»Die habe ich gemeint«, sagte Erkentrud schwer atmend.
Die Behandlung, welche sie von den mit Kreuzen geschmückten Soldaten erfuhren, war allerdings beinahe ebenso unerfreulich wie das Zusammentreffen mit den Orks. Auch wenn sie noch nicht wussten, was für einen bedeutenden Fang sie gemacht hatten, zeigten die Männer sich doch von Anfang an misstrauisch gegen den Südländer und seine seltsamen Gefährten. Dass man sie nicht in Ketten legte, war das Äußerste an Freundlichkeit, das man ihnen entgegenbrachte. Nachdem man sie grob ihrer Waffen entledigt hatte, stiegen auf Befehl hin zähneknirschend drei Männer von ihren Pferden ab, deren Zügel aneinandergebunden wurden, ehe Erkentrud, Kraeh und Arduhl harsch auf die Sättel befohlen wurden. Die drei Soldaten, die sie sich ohne eigenes Zutun zu Feinden gemacht hatten, schwangen sich hinter Kameraden in den Sattel.
Sie brachen auf. Kraeh und Arduhl taten keinen Mucks, Erkentrud hingegen entließ Lischa lautstark aus ihren Diensten. Als der Soldat zu ihrer Rechten wissen wollte, mit wem sie da redete, erschrak sie und sah zu Boden.
»Mit niemandem«, lenkte Kraeh ein, »ihr Geist ist verwirrt.«
Die Königin blinzelte dem Mann zustimmend entgegen, und sobald er wegsah, schenkte sie Kraeh einen vernichtenden Blick. Verstand sie nicht, dass er wahrscheinlich gerade das Leben ihrer Dienerin gerettet hatte? Aber wie er stumm auf dem Rücken des schnaubenden Tieres saß, überkam den Alten erneut das betäubende Gefühl, dass nun sowieso alles gleichgültig war. Was hatte er sich eigentlich vorgestellt? Dass er Erkentrud fand und sie ihm einfach so eine zweite Jugend schenkte? Aye, ungefähr das hatte er sich gedacht, gestand er sich ein. Was für ein Tor er doch war! Am besten wäre es wohl, sie würden ihn gleich hier aufknüpfen, ehe er sich der nächsten kindischen Hoffnung hingeben konnte. Während er den Blick über die grimmig dreinschauenden Soldaten schweifen ließ, die zuweilen lüstern auf Erkentrud starrten, zuweilen flugs die Hände auf ihre Waffen legten, wenn Arduhl auch nur seinen Kopf unerwartet drehte, ging ihm auf, dass eine Hinrichtung keineswegs eine abwegige Aussicht war.
Als einer, der als Kundschafter vorausgeritten war, zurückkehrte mit der Nachricht, er habe den Weg wiedergefunden, lockerte sich die Stimmung allerdings auf. Obgleich das Reich der Druden zerfallen war, flößten die Wälder dem, der die Geschichten kannte, immer noch Respekt, wenn nicht gar Angst ein. Da sie jetzt die Bestätigung hatten, wieder aus ihnen herausgeführt zu werden, brachen die Soldaten ihr Schweigen und die in Gewahrsam Genommenen erfuhren, dass sie vermutlich von Botlim-Orks, die aus ihrem Reservat ausgebrochen sein mussten, attackiert worden waren.
Ein fernes Donnergrollen brachte den kommandierenden Offizier dazu, seinen Leithengst in einen leichten Trab verfallen zu lassen, der von den übrigen Tieren in altem Herdenbewusstsein aufgenommen wurde. Trotzdem erreichten sie ihr Ziel nicht, ohne in einen heftigen Regenguss zu geraten. Durchnässt bis auf die Haut ritten sie auf ein aus massiven Holzpfeilern errichtetes Tor zu. Die ehemalige Garnison war zu einem Städtchen herangewachsen, dessen Bewohner, als der Platz im Inneren der Palisade nicht mehr ausreichte, ihre Hütten und Häuser doch immerhin so nahe wie möglich an den Sicherheit ausstrahlenden Wall gedrängt hatten, was dem Ganzen einen etwas seltsamen Anblick verlieh.
Kraeh bemerkte, wie gut Erkentrud die Nässe stand, während sie durch das nach außen aufschwingende Tor ritten. Das Haar klebte ihr auf Stirn und Wangen und die durchtränkte Kleidung betonte ihre immer noch beeindruckenden weiblichen Formen. Direkt hinter dem Tor wurden sie schon von noch mehr Männern in Waffen erwartet, von denen einer deutlich herausstach. Er war nicht eben groß zu nennen, doch sein mit Gold überzogener Flügelhelm und sein mit dem Bullen Brisaks bestickter Überwurf wiesen ihn als denjenigen aus, der über ihr Schicksal entscheiden würde.
»Eli!«, entfuhr es Arduhl.
Nach einer kurzen Musterung, die ein sardonisches Lächeln auf den Mund des Befehlshabers zauberte, machte er eine Handbewegung, die unverzüglich zur Folge hatte, dass man sie unsanft von den Pferden zog.
»Bringt sie zu den anderen Gefangenen«, sagte Eli in einem Tonfall, der Widerworte weder kannte noch jemals geduldet hätte. »Und verdoppelt in Anbetracht unseres berüchtigten Besuchs die Wachen – auch wenn er kaum von Dauer sein wird.« Dabei nahm er den Helm ab und fixierte Arduhl in einer Weise die keinen Zweifel daran ließ, dass er ihm am liebsten auf der Stelle das Herz aus der Brust geschnitten hätte.
2. Alte Freunde, neue Tänze
Sedain saß, aufrecht wie gewöhnlich, an seinem wohlgeordneten Schreibtisch. Die Herbstsonne, noch nicht weit über dem Meereshorizont aufgestiegen, blendete ihn einen Moment und warf Schatten in sein akkurat eingerichtetes Turmzimmer, hoch über den Dächern Dundolchs. Ehe der Winter mit seinen klaren Himmeln einbräche, würde er einen Kammerdiener damit beauftragen, die Vorhänge wieder anbringen zu lassen.
Er nahm die Schwanenfeder, tauchte sie ins Tintenfass und überflog noch einmal das Schriftstück vor ihm. Die Verteidigung weist drauf hin … einen Schaden von 60 Tinnios … angestiftet von … Auflistung der Zeugen … Familienverhältnisse des Angeklagten, Frau verstorben, Vater zweier Töchter … Seine Unterschrift war ohne Bögen und Schnörkel, nüchtern und trocken, wie sein Amt es verlangte. Die Verteidigung hatte sich gut vorbereitet, aber der Halbelf war sich sicher, dennoch eine Haftstrafe bewirken zu können. Er dachte an seine eigene Ziehtochter, die er als Säugling vor sechzehn Jahren unter seine Obhut genommen hatte. Vorlaut und furchtlos war sie ihm gestern entgegengetreten, als er sie zur Rede gestellt hatte. In anderen Zeiten hätte er ihr einfach den Kopf dieses Bengels, mit dem sie sich heimlich traf, präsentiert. Bei nochmaliger Überlegung: In anderen Zeiten hätte er sich kaum um ein undankbares Balg gekümmert. Später würde er einfach zum Vater dieser Missgeburt gehen, der auch am Hof beschäftigt war, und ihn auf die Konsequenzen für seine Karriere hinweisen, sollte dieser sich erdreisten, den Nachstellungen nicht entschiedenst entgegenzuwirken. Ein verhaltenes Klopfen zog ihn aus seinen Gedanken.
»Herein.«
Dunjal! Diese einfältige Person, deren einzige Qualität, die Angehörigkeit zur Elfenrasse, Sedain dazu bewogen hatte, diesem den Posten seines Gehilfen zu beschaffen – eine Entscheidung, die er zutiefst bereute. Zaghaft trat Dunjal in den Raum. Seine verweichlichten Gesichtszüge wurden heute noch von seiner geschmacklosen Kleidung untertroffen. Wer zur Hölle trug schon gelbe Lederstiefel?! Widerwillig hob Sedain seinen Blick. Der Störenfried hatte irgendetwas gesagt.
»… ich dachte nur …«
»Und schon lügst du!«, schnaubte Sedain.
»Ich dachte, wir könnten den Grafen von Ulfenstein zu einem Mahl einladen, um die unerfreuliche Angelegenheit seines Neffen zu besprechen«, überging Dunjal die beleidigende Art seines Vorgesetzten, an die er sich mittlerweile katzbuckelnd gewöhnt hatte.
Es war eine gute, wenn auch nicht originelle Idee. Am besten löste man gerichtliche Konflikte, sofern sie einflussreiche Leute betrafen, im Vorfeld. Dies gebot nicht allein die Etikette, sondern auch der gesunde Menschenverstand.
»Unerfreulich sind vor allem deine Heimsuchungen vor dem Mittagessen. Aber schick ruhig einen Boten zu ihm, selbstredend nur, wenn du deine ansonsten nutzlose Existenz mit ein klein wenig Daseinsberechtigung anfüllen willst.«
Dunjal verbeugte sich und verschwand, wie er gekommen war.
In zwei Wochen war Gerichtstag, aber bisher waren keine komplizierten Fälle aufgetreten, die er zu bearbeiten hatte, und so wandte Sedain sich seiner Nebenbeschäftigung zu. Er zog eine Schublade auf und hielt mit einem Griff einen Stapel Blätter in der Hand, die er auf dem Tisch zu sortieren begann. Es waren Namenslisten der zur Verfügung stehenden Soldaten. Als er vor vielen Jahren an den Hof gekommen war, bekleidete ihn das Ansehen eines mächtigen Kriegers. Mit wenig mehr als seinem Ruf hatte er in den Kasernenspelunken herumgelungert und zufällig Freundschaft mit einem gewissen Fordwin geschlossen. Während Sedain sich vom Schwert lossagte und das Studium der Rechte aufnahm, das er mit der gleichen Gewissenhaftigkeit und Konsequenz verfolgte, mit der er früher seine Feinde zur Strecke gebracht hatte, und die Prüfungen schließlich mit höchsten Ehrbezeichnungen abschloss, war Fordwin die Offiziersleiter Stück um Stück nach oben geklettert. Seit drei Jahren war er nun als Heermeister von Dundolch, der einflussreichsten Stadt des Krukenreiches, angestellt. Es hatte sich eingebürgert, dass er Sedain um Rat bat, der seinen guten Draht zu den Soldaten an jedem Monatsende in Form von Jagdausflügen pflegte.





