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Heutzutage liegt die durchschnittliche Lebenserwartung wesentlich höher: in Deutschland bei etwa 73 Jahren für Männer und über 80 Jahren für Frauen. Die Lebenserwartung steigt weiter und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen.
Ist es also gar nicht nötig, das Altern mit teuren Hormonoptimierungen, Antioxidantien und anderen Methoden zu bekämpfen? Sollten wir uns nicht einfach zurücklehnen und darauf verlassen, dass wir alle schon bald 100 Jahre und mehr werden leben können? Viele „Experten“ sagen das und berufen sich auf die „untrüglichen“ Statistiken; und die moderne Medizin werde schon dafür sorgen, dass wir bis ins höchste Alter gesund und leistungsfähig bleiben. Vorsicht, wenn Sie kein böses Erwachen erleben wollen! Vielleicht kennen Sie die Geschichte vom gutgläubigen Reiter, der bei dem Versuch, einen Fluss zu überqueren, mitsamt seinem Pferd ertrank: Man hatte ihm versichert, der Fluss sei „im Durchschnitt“ nur einen Meter tief …!
Das hohe Alter ist keine „Erfindung“ der Neuzeit
Bei den alten Griechen betrug die durchschnittliche Lebenserwartung gerade einmal 22 Jahre. Der griechische Philosoph Sophokles aber lebte damals schon 90 Jahre bei bester Gesundheit. Und er war kein Einzelfall.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung in Deutschland etwa 46 Jahre. Allerdings wird jeder, der sich für seinen eigenen Stammbaum interessiert, so viele 70- oder 80-Jährige finden, dass es scheinen mag, ein solches Alter sei nicht die Ausnahme, sondern fast schon die Regel gewesen. Woher kommt das?
Die „durchschnittliche“ Lebenserwartung
Der Begriff „durchschnittliche Lebenserwartung“ bezeichnet eine Angabe, in der alle Sterbefälle mit verrechnet sind. Dabei wirkt sich ganz besonders die in früherer Zeit sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit negativ aus. Auch Unfälle und tödliche Infektionskrankheiten in jungen und mittleren Jahren drücken die Statistik so nachhaltig, dass die Durchschnittsangabe für das Verständnis der Alterung im Grunde wenig Aussagekraft besitzt und sogar zu völlig falschen Schlussfolgerungen führt.
Unsere eigenen Urgroßeltern konnten – im scheinbaren Gegensatz zur Statistik – deshalb alt werden, weil nur derjenige Kinder beziehungsweise in diesem Fall Urenkel haben kann, der eben nicht schon als Kind stirbt, sondern überhaupt die Chance hat, „normal“ zu altern und sich fortzupflanzen. Tatsächlich lief der Alterungsprozess früher nicht wesentlich anders ab als heute.
Bei Geburtstagen Hochbetagter pflegen wir darauf anzustoßen, dass der Jubilar beispielsweise noch seinen 100. Geburtstag erleben möge. Ein 85-jähriger Jubilar, auf den seine Gäste zur Zeit des Kaiserreiches anstießen, hatte in der Tat kaum geringere Chancen, seinen 100. Geburtstag zu erleben, als ein 85-Jähriger heute.
Auch die moderne Medizin ändert am Altersverlauf nichts. Sie ist darauf ausgelegt, Krankheiten zu bekämpfen, und beeinflusst daher die durchschnittliche Lebenserwartung in erster Linie über die Reduzierung vorzeitiger Todesfälle. Der Alterung selbst, aber auch degenerativen Alterskrankheiten, beugt sie nicht vor.
Die maximale Lebensspanne – Hatte die Bibel doch recht?
„Da sprach der Herr: Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertzwanzig Jahr.“
1. Buch MOSE 6,3
Keine Maus ist jemals 10 Jahre alt geworden und kein Hund 50. Innerhalb der gesamten Evolution gibt es Regelmechanismen, die für jede Art einen bestimmten Rahmen vorgeben, innerhalb dessen Leben und Altern stattfinden. Beim Menschen ist das nicht anders. Mithilfe verschiedener Berechnungen lässt sich das menschliche Höchstalter nicht exakt, aber doch mit einiger Sicherheit auf etwa 120 Jahre festlegen.
Bereits im Alten Testament wird als Höchstalter für den Menschen die Zahl 120 genannt. Welche Aussagekraft das hat, mag dahingestellt sein. Es gibt aber tatsächlich wissenschaftliche Berechnungen, dass zumindest vor 2000 Jahren das maximal erreichbare Höchstalter ebenfalls schon 120 Jahre betrug – genau wie heute.
Obwohl sich also die durchschnittliche Lebenserwartung für einen gerade geborenen Menschen allein in den vergangenen 100 Jahren verdoppelt hat, ist die maximale Lebensspanne (und damit die Geschwindigkeit der Alterung) seit wenigstens 2000 Jahren oder 140 Generationen unverändert geblieben. Die Aussage, der Mensch werde heute älter als früher, ist daher falsch. Richtig wäre: Heute erreichen mehr Menschen als früher ein hohes Alter!
Der älteste Mensch der Welt
Kaum etwas verleitet so zum Schummeln wie Altersrekorde. In der Gerontologie hat man deshalb früh gelernt, sich bei Altersangaben wirklich nur auf eindeutige Beweise zu stützen. Mangels verbriefter Daten gibt es nur wenige absolut sichere Beweise für das Erreichen des menschlichen Höchstalters. Aber es gibt sie. Am 21. Februar 1875 wurde im südfranzösischen Arles ein Mädchen mit Namen Jeanne Calment geboren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war sie mit 70 Jahren längst im Rentenalter. Madame Calment lebte noch weitere 50 Jahre in Südfrankreich, bis sie am 4. August 1997 starb. Bis wenige Jahre vor ihrem Tod hatte sie ein selbstständiges Leben geführt. Jeanne Calment erreichte damit das mutmaßliche Höchstalter für Menschen: Sie wurde 122 Jahre alt. Es gibt zurzeit weltweit nur eine Handvoll Menschen, die nahe daran sind, es Jeanne Calment gleich zu tun.
In der Natur kommt der Tod zu den Jungen
Kehren wir noch einmal zur durchschnittlichen Lebensspanne und zu unseren Vorfahren zurück, diesmal aus der Sicht der natürlichen Normalität, was das Leben und Sterben betrifft. Seitdem die „moderne“ Form des Menschen, der Homo sapiens, auf der Erde lebt, beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung fast bis in die Gegenwart nur 20 bis 30 Jahre. Und auch wenn man die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit herausrechnet, bleibt doch die beachtenswerte Tatsache bestehen, dass als natürliche Normalität über 100 000 Jahre lang zumindest die Mehrzahl der Menschen nur ein mittleres Alter erreichte – gemessen an der damals wie heute gültigen Höchstgrenze von etwa 120 Jahren. Direkten Alterserscheinungen oder Alterskrankheiten fielen über Jahrtausende hin nur wenige zum Opfer. Die meisten Menschen starben im wahrsten Sinn des Wortes jung, denn der Alterungsprozess lief, wie gesagt, praktisch genauso ab wie heute.
Verlängerung am falschen Ende
In den Industrienationen beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung zurzeit etwa 80 Jahre. Unsere durchschnittliche Lebensspanne hat sich somit deutlich verlängert. Allerdings ist es nicht die „starke“ Lebensphase, die sich verlängert hat, sondern im Wesentlichen der „schwache“ Abschnitt unseres Lebens, das Alter.
Heute sterben nur noch relativ wenige Menschen aufgrund äußerer Einflüsse, sondern tatsächlich an den meist sehr unangenehmen Folgen des Alterungsprozesses – ein Zustand, der in der Natur eigentlich nicht oder zumindest nur als Ausnahme vorgesehen ist.
Unsere Zivilisation und unser Gesundheitswesen helfen uns heute, im Alter länger zu leben. Anders ausgedrückt: Wir haben die Chance, länger alt zu bleiben. Solange aber die Geschwindigkeit unserer Alterungsprozesse selbst nicht verändert wird, ist diese Aussicht ein mehr als zweifelhaftes Glück – von den dramatischen finanziellen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen ganz zu schweigen (siehe Teil III).
Für den Einzelnen wünschenswerter und für die Gesellschaft wichtiger ist im Hinblick auf die Beeinflussung der Lebensspanne ein völlig neuer Ansatz: Länger jung und leistungsfähig bleiben! Und genau diesem Ziel gehen wir in diesem Buch nach.
„Man sollte manchmal einen kühnen Gedanken aussprechen, damit er Frucht brächte.”
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE [deutscher Dichter und Naturwissenschaftler, 1749–1832]
Alt werden, aber nicht alt sein – die Vergrößerung der funktionellen Lebensspanne
Weder die Verlängerung der durchschnittlichen noch die der maximalen Lebensspanne ist uneingeschränkt erstrebenswert. Es lässt sich unschwer voraussagen, dass nur wenige Menschen Interesse daran haben, länger zu leben, wenn die gewonnenen Jahre keine lebenswerten Jahre, sondern nur eine Verlängerung des Altseins sind. (Das gilt auch dann, wenn sich in Umfragen ein deutlicher Unterschied ergibt, je nachdem, ob man jüngere oder ältere Leute zu diesem Thema befragt. Im Alter nimmt die Akzeptanz der Lebensverlängerung zu, selbst wenn diese mit erheblichen gesundheitlichen Abstrichen verbunden ist.) In der Gerontologie wurde deshalb der Begriff der „funktionellen Lebensspanne“ geprägt. Damit wird der Bereich des gesunden, aktiven und produktiven Lebens umschrieben.
Die Frage ist nur: Wie lässt sich dieses Ziel erreichen? Noch immer setzen viele Menschen ihre Hoffnungen auf eine stetige Weiterentwicklung der medizinischen Krankheitsbehandlung. Die Medizin ist jedoch, wie gesagt, in erster Linie darauf ausgerichtet, Krankheit, Degeneration und Alterung zu kompensieren, weniger darauf, ihnen wirklich vorzubeugen.
In der steigenden Lebenserwartung sehen deshalb zunehmend mehr Experten alles andere als eine positive Entwicklung. Aktuelle Prognosen zur Entstehung von Alterskrankheiten wie Alzheimer oder Zahlen zur Pflegebedürftigkeit scheinen entsprechende Befürchtungen zu rechtfertigen.
Wir scheinen umdenken zu müssen
Gerontologen kommen angesichts jüngerer Erkenntnisse in der Alternsforschung zu neuen Denkansätzen. Einer der renommiertesten Alternsforscher, Denham Harman, hält eine wirksame Verlängerung der aktiven Jahre nur für möglich, wenn das therapeutische Augenmerk nicht nur (Alters-) Krankheiten, sondern eben tatsächlich dem Alterungsprozess selbst gilt. Auch Richard Cuttler vom Gerontology Research Center in Baltimore wird nicht müde zu betonen, dass nur durch eine Beeinflussung der Alterung selbst in Zukunft degenerative Alterserscheinungen und Alterskrankheiten, von Krebs bis zur Demenz, in ihrer Gesamtheit möglichst weit in Richtung des maximalen Höchstalters hinausgeschoben werden können.

Entsprechend beschäftigen wir uns weniger mit der Frage, wie man das Alter verlängern kann. Viel wichtiger und interessanter ist nämlich, wie wir länger Kraft und Jugendlichkeit erhalten können. Und wie es vielleicht sogar gelingt, die Altersuhr in manchen Bereichen ein Stück zurückzudrehen.
„Langlebigkeit ist nur erstrebenswert, wenn sie das Jungsein verlängert, nicht aber das Altsein hinauszieht.”
ALEXIS CARREL [französischer Nobelpreisträger für Medizin, 1873–1944]
Ist Altern eine Krankheit?
Was meinen Sie dazu? Spontan würden die meisten Menschen die Frage eher verneinen. Andererseits häufen sich Krankheiten im Alter ganz erheblich. Zumindest scheint also eine enge Verbindung zu bestehen.
Über die Frage, wie Alter und Krankheit zusammenhängen, sind ganze Bücher und unzählige Artikel in Fachzeitschriften geschrieben worden. Das Meiste davon muss uns hier nicht interessieren. Im wesentlichen Teil dieses Buches geht es ja nicht um graue Theorie, sondern um konkrete, praktische Möglichkeiten, wie wir unser Altern verlangsamen und länger leistungsfähig bleiben können. Doch gerade deshalb lohnt es sich, zumindest einen kleinen Moment bei diesem Thema zu bleiben. Sie werden sehen, so theoretisch, wie die Frage klingt, ist sie gar nicht.
Alterskrankheiten – eine Folge schlechter Gewohnheiten?
Jeder, den Sie auf der Straße nach Alterskrankheiten fragen, würde Ihnen sofort wenigstens einige nennen können, etwa Parkinson, Diabetes, Atherosklerose, Alzheimer oder Krebs. Früher wie heute werden bestimmte Krankheiten geradezu zwangsläufig mit dem Altern verbunden.
In der Medizin ist dagegen immer noch eine andere Einschätzung verbreitet. Nach Medizinersicht treten Alterskrankheiten nur beim krankhaften und damit „unnormalen“ Altern auf. „Normal“ altert, wer von Krankheiten frei bleibt und ein durchschnittliches Alter erreicht. „Optimal“ altern hieße, ganz frei von Abbauprozessen zu sein und bis zum Erreichen der maximalen Lebensspanne von etwa 120 Jahren gesund zu bleiben.
Hat Krankheit also gar nicht direkt etwas mit Altern zu tun? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Denn diejenigen, die Krankheit und Alterung als unabhängig voneinander betrachten, ziehen daraus folgenden Schluss: Weil krankhaftes Altern kein normales Altern darstelle, müsse man nicht das Altern selbst bekämpfen, sondern nur die Krankheiten. Anti-Aging-Therapien seien für lebenslange Gesundheit und Vitalität unnötig. Schließlich könnten Krankheiten durch das Ausschalten von Risikofaktoren verhindert werden. Und sogar für das sogenannte optimale Altern sei es ausreichend, Risikoverhalten wie Bewegungsmangel und ungesundes Essen zu vermeiden.
Kann also jeder von uns wirklich davon ausgehen, 100 Jahre oder noch länger gesund und leistungsfähig zu bleiben, wenn er einfach den bekannten Gesundheitsregeln folgt? Wir empfehlen, sich nicht auf solche Aussagen zu verlassen. Es gibt gute Gründe, die für eine andere Sichtweise sprechen.
Krankheit ist keine zufällige Begleiterscheinung des Alterns
Es ist zwar richtig: Übermäßiges Essen oder starker Alkoholkonsum fördern Krankheiten, auch im Alter. Und es gibt tatsächlich Hochbetagte, die auch mit 100 Jahren nicht „krank“ sind. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Rücken wir aber die Relationen zurecht: Trotz einer Lebensspanne von über 120 Jahren erreicht lediglich ein einziger von 1Million Menschen auch nur das Alter von 105 Jahren. Alle anderen sterben vorher, die meisten viel früher, und sie leiden häufig gleich an mehreren chronischen und degenerativen Alterskrankheiten. Einen „natürlichen Tod aus Altersschwäche“ gibt es auch (und gerade) in unserer modernen Gesellschaft nicht.
Heute haben 2 von 100 Personen über 65 Alzheimer. Bei den über 85-Jährigen ist die Häufigkeit dieser Alterskrankheit bereits mehr als zehn Mal so hoch. In den Neunzigern steigt sie auf erschütternde 50 Prozent. Demenz ist dann nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Auch fast alle Krebserkrankungen nehmen im Alter zu, viele davon extrem. Die Mehrheit (!) aller 70-jährigen Männer hat zum Beispiel eine maligne Entartung der Prostata, häufig unentdeckt, weil dieser Krebs nur langsam wächst und viele an anderen Leiden sterben, bevor die Krebsfolgen zum Tragen kommen. Trotz verbesserter Heilungsmethoden sterben heute mehr Menschen an Krebs als jemals zuvor.
Die Liste von Zerfallsprozessen, Fehlfunktionen und krankhaften Abläufen, die parallel zur Alterung extrem zunehmen, ließe sich fortsetzen. Und das ist keineswegs nur die Folge ungesunder Lebensweise. Fast alle Säugetiere, unsere nächsten Verwandten im Tierreich, leiden im Alter an krankhaften Veränderungen der Blutgefäße – auch ohne ungesundes Verhalten. Und wie beim Menschen ist Krebs auch im Tierreich eine typische Begleiterscheinung des Alters und häufig sogar die führende Todesursache.
Den beeindruckendsten Beweis dafür, dass hinter Alterskrankheiten mehr steckt als ein ungesunder Lebenswandel, liefert jedoch ein Phänomen, das beim Menschen selbst auftritt. Es ist die „Progerie“.
Wenn die Alterung „rast“
Einmal im Jahr treffen sich Kinder, die alle ein trauriges Schicksal teilen. Sie haben Progerie, eine Form von vorzeitiger Vergreisung. Progerie gehört zu einer Krankheitsart, bei der die Alterung nicht so abläuft, wie es scheinbar für uns vorbestimmt ist.
Progerie: alte Kinder
Progerie bedeutet „vorzeitige Vergreisung”. Das Hutchinson-Gilford-Syndrom, wie die Progerie in der Fachsprache heißt, ist eine Erscheinung, von der etwa ein Kind unter vier bis acht Millionen Geburten betroffen ist. Wahrscheinlich wird das Auftreten durch eine spontane Genvariation verursacht.
Nach der Geburt ist noch nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Im Alter von einem Jahr können sich aber dunkle Schatten und eingefallene Stellen im Gesicht der Kinder zeigen. Der Aufbau- und Entwicklungsprozess dieser Kinder verläuft in etwa normal schnell. Parallel dazu sind aber alle körperlichen Alterungsprozesse sieben bis zehn Mal beschleunigt.
Der Haarwuchs wird schnell spärlich und bei Schulbeginn sind die Haare meist fast vollständig ausgefallen. Schon im Kindesalter wird die Haut welk und runzelig. Teenager haben Altersflecken, wie sie sonst erst im Alter von 90 Jahren typisch sind. Mit zehn bis zwölf Jahren plagen Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes und Herzbeschwerden die Kinder. Viele leiden unter Knochenschwund und Versteifungen. Manche sterben schon mit zwölf an Herzinfarkt. Andere erleben völlig vergreist und oft schon im Rollstuhl noch ihren 16. oder 18. Geburtstag. Eine echte Heilung gibt es bis jetzt noch nicht.
Altern fragt nicht nach der Zahl der Jahre
Das Phänomen der Progerie führt uns gleich mehrere Dinge vor Augen. Es zeigt sich einmal mehr, dass Altern kein Prozess ist, der erst nach Aufbau, Entwicklung und Wachstum beginnt. Altern ist ein eigenständiges Phänomen und interessiert sich nicht für die Zahl unserer Jahre. (Diesem wichtigen Punkt sind wir ja schon mehrfach begegnet.) Bei Vergreisungskrankheiten ist nicht der Zeitpunkt, sondern lediglich die Geschwindigkeit der Alterung eine andere.
Sonstige Lebensprozesse der von Progerie Betroffenen, ihre Entwicklung und ihr Wachstum, laufen dagegen normal schnell. Noch bevor die Kinder ausgewachsen sind, wird ihr Wachstum von starken Degenerationsprozessen überlagert. Das Ergebnis ist diese unfassbare Mischung aus Greis und Kindergestalt. Manche sterben noch mit ihren Milchzähnen.
Die wirkliche Ursache hinter Alterskrankheiten
Auch ein anderer Aspekt bringt unser ehernes und seit Generationen verinnerlichtes Bild vom Altern ins Wanken. Vielleicht hat Ihnen die geradezu unerhörte Tatsache bereits zu denken gegeben, dass bei Progerie fast alle klassischen „Wohlstandskrankheiten“ (wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzleiden) auftreten. Und das, obwohl bei den betreffenden Kindern kein Risikoverhalten wie jahrzehntelanges zu fettes Essen, Bewegungsmangel oder Rauchen vorliegt. Ihre Gefäße sind „verkalkt“, ihre Gelenke „abgenutzt“. Spätestens im Alter von 10 bis 15 Jahren stellt sich bei Progerie eine Alterskrankheit nach der anderen ein.
Niemand würde auf die Idee kommen, diesen Kindern die Schuld an ihren „Wohlstandskrankheiten“ zuzuschreiben. Das wäre auch völlig unsinnig. Für die Abnutzungserscheinungen und auch für alle Krankheiten ist allein die beschleunigte Alterung verantwortlich.
Und noch etwas anderes wäre undenkbar: Kein Mediziner oder Wissenschaftler, der Menschen mit Progerie behandelt, glaubt daran, durch das Bekämpfen der einzelnen Krankheiten die Gesundheit der Kinder erhalten zu können. Denn eine schnell fortschreitende Alterung bringt immer neue Krankheiten hervor. Und es ist wie bei dem Drachen aus der Mythologie, bei dem sich für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue bilden: Ist die eine Alterskrankheit besiegt, kommen die nächsten schon zum Ausbruch. Was normalerweise erst mit 80 oder 90 Jahren typisch ist, geschieht hier bereits im Alter von 15.
Die Progerieforscher versuchen daher längst, statt der Einzelkrankheiten den wirklichen Feind zu bekämpfen. Es ist derselbe, den moderne Gerontologen ganz generell als Hauptursache für die klassischen Alterskrankheiten beim Menschen einstufen: die Alterung selbst. Nur wenn wir beginnen, Alterungsprozesse frühzeitig zu bekämpfen, werden wir auch als Gesellschaft die Herausforderungen der auf uns zukommenden Alterspyramide bewältigen. Was heute noch medizinischer Luxus zu sein scheint, wird in naher Zukunft zu unserer einzigen Chance für ein funktionierendes Gesundheitssystem werden.
„Wer das liest, der merke auf!”
Evangelium nach MATTHÄUS 24,16
Wir bestimmen bereits jetzt die Geschwindigkeit unserer Alterung
Wenn Alternsprozesse für die Häufung von Alterskrankheiten verantwortlich sind, ist unser Verhalten dann ohne Einfluss? Ist es vielleicht sogar nutzlos, Gesundheitsempfehlungen zu befolgen?
Unser Verhalten spielt definitiv eine Rolle. Denn das Altern ist, wie wir gesehen haben, kein festgelegter Ablauf. Durch Ernährungsfehler, Schlaf- und Bewegungsmangel tun wir nichts anderes, als Alternsprozesse zu beschleunigen. Und weil Altern eben tatsächlich beeinflussbar ist, funktioniert das sehr erfolgreich. Die Folge ist dann, ähnlich wie bei den vererbten Vergreisungskrankheiten, eine schnellere Alterung mit entsprechend früh einsetzenden chronischen und degenerativen Krankheiten. (Die beschleunigte Alterung kann den gesamten Organismus betreffen oder nur einzelne Bereiche.) Umgekehrt lassen sich durch Vermeidung von Risikoverhalten beschleunigte Alternsprozesse und Krankheiten vermeiden. Wir altern dann zumindest nur „normal schnell“.
Es geht um mehr als nur um die Erfüllung eines Jugendtraums
Wollen wir Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis ins höhere Lebensalter erhalten, reicht aber das Vermeiden von Risikoverhalten allein nicht aus. Was der Erhaltung unserer Gesundheit substanziell im Weg steht, sind schädliche Alternsprozesse. Und genau die gilt es zu ins Visier zu nehmen.
Interessanterweise kam bereits der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles zu diesem Ergebnis. Er war davon überzeugt, die klassischen Krankheiten im Erwachsenenalter seien direkt mit dem Altern verbunden. Im Fall frühen Auftretens typischer Alterskrankheiten sah er dementsprechend Anzeichen vorgezogener Alterung. Für ihn waren nicht Einzelkrankheiten, sondern die Alterung der Hauptfeind der Gesundheit. Inzwischen können wir mit Sicherheit sagen: Aristoteles hatte in der Tat recht!
„Krankheit ist vorzeitiges Altern, Alter aber natürliche Krankheit.”
ARISTOTELES [griechischer Philosoph und Naturforscher, 384–322 v. Chr.]
Leonid Gavrilov und Natalia Gavrilova von der Universität Chicago, zwei der renommiertesten Biogenetiker und Gerontologen, haben die weltweit umfassendsten und genauesten Modelle zur menschlichen Mortalität entwickelt. Ihre Forschungen bestätigen die Aussagen von Aristoteles in vollem Umfang. Mehr noch: Altern ist nur ein anderes Wort oder ein Sammelbegriff für Fehlfunktionen, Störungsprozesse und andere Erscheinungen, die dann je nach Ausprägung gemeinhin als Alterskrankheit bezeichnet werden. Ein biologischer Organismus kann erkranken, ohne gealtert zu sein (zum Beispiel bei Infektionen), aber er kann niemals altern und dabei gesund bleiben. Alterskrankheiten sind der sichtbare Ausdruck der eingetretenen Alterung.
„Gesundes Altern ist ein Oxymoron wie gesundes Sterben oder gesundes Kranksein.“
L. GAVRILOV und N. GAVRILOVA [Center of Aging an der Universität von Chicago]
Bitte merken: „Well-Aging”, „Good-Aging“ oder ähnliche Begriffe sollen meist implizieren, dass nicht dem Altern selbst, sondern nur Krankheiten vorgebeugt werden soll, und sind deshalb ein Widerspruch in sich!
Was Aristoteles fehlte, waren wirksame Interventionen gegen das Altern. Wir sind die erste Generation, die über Mittel und Möglichkeiten verfügt, Alterungsprozesse zu modulieren. Manche der dazu notwendigen Maßnahmen sind teuer, andere nicht überall verfügbar. Vieles aber kann inzwischen jeder von uns direkt für sein persönliches Präventionsprogramm nutzen. Welches die wirksamsten Strategien sind, welche Chancen und Risiken es dabei gibt und vor allem, wie man sie konkret anwendet – das werden wir noch ausführlich besprechen.